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Yannick Nézet-Séguin

Plädoyer für Bruckners »Wagner-Symphonie«

 

 

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»Ich lebe die Träume, die ich als kleiner Junge hatte«.
Yannick Nezet-Seguin am Pult der Sächsischen Staatskapelle, September 2008
© Foto: Matthias Creutziger

 

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»Geburtstagskonzert« der Staatskapelle mit Bruckners Dritter und Yannick Nezet-Seguin in der Semperoper, September 2008
© Foto: Matthias Creutziger

 

Liebling der Musikwelt:
Der Dirigent Yannick Nézet-Séguin und die Sächsische Staatskapelle Dresden

Es war ein Debüt, an das man sich lange erinnern wird:
Im Oktober 2006 dirigierte Yannick Nézet-Séguin zum ersten Mal die Sächsische Staatskapelle Dresden, die sich damals mit der Einladung auch junger Dirigenten »immer mehr als Talentbörse für den Podiumsnachwuchs« (Die Welt) entpuppte.
Der 31-jährige Newcomer, dessen Namen nur wenige aussprechen konnten, hatte bis dahin vor allem in seiner kanadischen Heimat für Aufsehen gesorgt; seit 2000 leitete er das Orchestre Métropolitain, den kleineren Bruder des Orchestre Symphonique in seiner Heimatstadt Montreal. Nach Debüts bei den Orchestern in Toulouse, Göteborg und Birmingham stand er nun erstmals vor einem der alten europäischen Traditionsorchester in der Semperoper.
Und er enttäuschte nicht – ganz im Gegenteil: Schon bei den Proben wurde klar, dass dieser junge Mann bei den Werken von Britten, Ravel und Schostakowitsch genau wusste, was er will; in den Konzerten eroberte er die Musiker und das Publikum mit seinem energischen und präzisen Dirigierstil, seinem Sinn für Klang und rhythmische Strukturen im Sturm. Schnell hatte sich bestätigt, dass die Ankündigung, er sei »der große kanadische Dirigent, auf den die klassische Musikszene dieses Landes seit Jahren gewartet hat« (Toronto Star), mehr war als eine reine Marketingfloskel. Und man glaubte ihm, dass das Dirigieren – wie er vor den Konzerten in einem Interview bekannte – für ihn seit seinem zehnten Lebensjahr immer »wie eine Berufung« gewesen sei. »Heute habe ich das Gefühl, dass ich die Träume lebe, die ich als kleiner Junge hatte«, gestand er.

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Beifall für Yannick Nézet-Séguin und die Staatskapelle Dresden im Konzert am 21. September 2008 mit Bruckners Symphonie Nr. 3 in der Semperoper
© Foto: Matthias Creutziger

 

Dresden am Scheitelpunkt der internationalen Karriere

Von Dresden aus ging es für den Frankokanadier, der bereits mit Anfang 20 dem großen Carlo Maria Giulini assistiert hatte, rasant weiter: Schon in der Folgewoche debütierte er beim Rotterdams Philharmonisch Orkest, das damals auf der Suche nach einem Nachfolger für Valery Gergiev war und ihn umgehend zum neuen Chefdirigenten ab 2008 berief. Im selben Jahr wurde er dann auch Principal Guest Conductor des London Philharmonic Orchestra, und er debütierte im Sommer 2008 mit der Gounod-Oper »Roméo et Juliette« bei den Salzburger Festspielen: In den Pausen sprachen alle nur über diesen jungen kanadischen Dirigenten – und das, obwohl mit Nino Machaidze und Rolando Villazón auch auf der Bühne eine Traumbesetzung zu erleben war.
»Der beste Sänger ist der Dirigent«, titelte danach die Frankfurter Allgemeine Zeitung; Nézet-Séguin erhielt einen Vertrag bei der Deutschen Grammophon und wurde von den Berliner und Wiener Philharmonikern ebenso eingeladen wie von der Mailänder Scala, dem Londoner Covent Garden und den großen amerikanischen Orchestern.
2012 schließlich kam es zur nächsten Berufung: In der Nachfolge von Orchesterleitern wie Leopold Stokowski, Eugene Ormandy und Riccardo Muti wurde er zum achten Music Director des Philadelphia Orchestra ernannt. Diesen Klangkörper, einen der amerikanischen »Big Five«, rettete er durch sein mitreißendes Engagement nicht nur vor dem Konkurs, sondern er festigte dessen vordere Position in der internationalen Orchesterliga. Die New York Times attestierte dem Dirigenten, dass das »Ensemble, das berühmt ist für seine glühenden Streicher und die homogene Fülle, nie besser geklungen hat« als unter seiner Leitung. Eine Bilderbuchkarriere.

SLIDESHOW
Fotostudie von den Proben zum Konzert am 21. September 2009
© Fotos: Matthias Creutziger

 

Plädoyer für Bruckners »Wagner-Symphonie«

Auch nach Dresden kehrte Nézet-Séguin – trotz seines zunehmend dichter werdenden Terminkalenders – immer wieder zurück:
In der Semperoper erarbeitete er mit der Staatskapelle Debussys »Jeux« (2008) und Strawinskys »Sacre« (2012); in der Frauenkirche leitete er 2010 Werke von Beethoven und Saint-Saëns. 2015 machte er, auf der ersten gemeinsamen Europa-Tournee mit seinem Philadelphia Orchestra, im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele erneut im Semperbau Station.
Bereits im September 2008 hatte ihm die Sächsische Staatskapelle ihre Symphoniekonzerte zum 460-jährigen Bestehen anvertraut.
Der »halbrunde« Geburtstag wurde durch die gleichzeitig gefeierte 150-jährige Tradition der Abonnementskonzerte der Staatskapelle damals zum Doppeljubiläum. Das Programm war natürlich auf die Historie des Orchesters abgestimmt: Neben dem Doppelkonzert von Johannes Brahms (der einst Ehrenmitglied im »Tonkünstler-Verein« der Dresdner Kapelle gewesen war) mit den Solisten Julian Rachlin und Mischa Maisky erklang außerdem die dritte Symphonie von Anton Bruckner. Für dieses Werk wählte man allerdings keine der gängigen Fassungen, sondern die selten gespielte Urfassung, die die Staatskapelle 1946 posthum aus der Taufe gehoben hatte und die seitdem nicht mehr in den Konzerten des Orchesters zu hören gewesen war. Viele Dirigenten scheuen diese Fassung wegen ihrer gigantischen Ausmaße (sie dauert rund 20 Minuten länger als die späteren Fassungen). Nicht so Yannick Nézet-Séguin: Er war sofort »Feuer und Flamme« für die ihm wohlbekannte »Wagner-Symphonie« von 1873, die er inzwischen auch mit seinem Orchester in Montreal aufgeführt und im Studio aufgenommen hat. Besonders freut er sich aber über diese Veröffentlichung aus der Semperoper von 2008, mit dem Orchester der Uraufführung.

Zur Uraufführung der Urfassung von Bruckners dritter Symphonie 1946 in Dresden

 

Zukünftiger Musikdirektor der New Yorker Met

Heute ist »Yannick«, wie er häufig einfach nur genannt wird, ein Liebling der Musikwelt, ein Dirigent, um den sich die großen Orchester, Konzerthäuser und Festivals weltweit reißen. Regelmäßig dirigiert er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die Berliner Philharmoniker, für deren Chefposten er in der Presse als aussichtsreicher Kandidat gehandelt wurde …

Im Juni 2016 wurde dann aber eine verbindliche Perspektive seines zukünftigen Wirkens bekannt: Ab 2020 übernimmt Yannick Nézet-Séguin als Music Director die Leitung der Metropolitan Opera in New York und wird damit, neben Philadelphia, eine zweite Schlüsselposition im internationalen Musikleben innehaben.
»Heute bin ich ohne Zweifel der am meisten vom Glück gesegnete Musikdirektor der Welt«, sagte er unmittelbar nach der Ernennung, mit der
er endlich auch seiner lang gehegten Leidenschaft für die Oper nachkommen kann.
Eines ist wahrscheinlich: Auch in dieser Position, die mehr als vier Jahrzehnte lang von James Levine geprägt wurde, wird Yannick für einen neuen Aufschwung sorgen und die ehrwürdige Institution weiter für das 21. Jahrhundert und für ein jüngeres Publikum öffnen. Es ist der (vorläufige) Höhepunkt einer beispiellosen Karriere, deren Geschwindigkeit im Rückblick fast beängstigend wirkt.
»Ich versuche, die gleiche Person zu bleiben, egal, wohin ich auch gehe: ein junger Mann aus der ›NeuenWelt‹, der sich sehr privilegiert f    ühlt, dort arbeiten zu dürfen, wo diese großartige Musikkultur ihre Wurzeln hat«, äußerte er 2006 im Vorfeld seines ersten Dresdner Konzertes.
In Zukunft wird sich der Schwerpunkt seiner Arbeit wohl vermehrt auf den nordamerikanischen Kontinent verlagern. Es bleibt zu hoffen, dass er sich daneben immer wieder auch seines frühen »Durchbruchs« in Dresden erinnert und möglichst häufig ans Pult der Sächsischen Staatskapelle zurückkehrt.

Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg der Staatskapelle Dresden

 

 

SLIDESHOW
Fotostudie aus dem Konzert am 21. September 2009
© Fotos: Matthias Creutziger

 

 

Inhalt der CD-Box Vol. 39

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CD PH12011

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Anton Bruckner 1824–1896
Symphonie Nr. 3 d-Moll WAB 103  Urfassung von 1873, »Wagner-Symphonie«
1 Gemäßigt, misterioso   26:19
2 Adagio.Feierlich   20:44
3 Scherzo. Ziemlich schnell   6:29
4 Finale. Allegro   18:28   Total 72:01

Staatskapelle Dresden
Dirigent: Yannick Nézet-Séguin

Die Urfassung von Bruckners dritter Symphonie

 

Rundfunkaufzeichnung des 2. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden 2008/2009 am 21. September 2008 in der Semperoper durch MDR KULTUR
Verlag: Musikwissenschaftlicher Verlag, Wien
Künstlerische Aufnahmeleitung: Christian Cerny, MDR KULTUR
CD-Mastering: Holger Siedler
Redaktion: Thomas Baust, MDR KULTUR
Executive Producer: Dr. Steffen Lieberwirth, MDR

 


 

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