Richard Wagner „Liebesmahl der Apostel“
SLIDESHOW: Panoramabild von Dresden, 1824
In Bildmitte ist aus der Vogelperspektive die Kuppel der Frauenkirche zu erkennen.
Kolorierte Radierung von Carl August Richter (1770-1848)
Richard Wagner – Königlicher Kapellmeister in Dresden
Auch Richard Wagner musste lange auf seinen endgültigen Erfolg warten, wenngleich sich dieser bei ihm deutlich früher einstellte als bei seinem Bewunderer Anton Bruckner.
Nach mühsamen Kapellmeisterjahren in Würzburg, Magdeburg, Königsberg und Riga und anschließenden „Hungerjahren“ in Paris erlebte er – für ihn völlig überraschend – mit der Annahme seiner großen heroischen Oper „Rienzi“ am Dresdner Hoftheater und der Uraufführung am 20. Oktober 1842 seinen Durchbruch als Opernkomponist.
Schnell gelangte auch der noch in Paris entstandene „Fliegende Holländer“ in Dresden zur Uraufführung, und am 2. Februar 1843 erfüllte sich für Wagner ein Lebenstraum: Mit nicht einmal 30 Jahren wurde er zum „Königlich sächsischen Kapellmeister“ ernannt (seine erste und einzige Hofkapellmeisterstelle); damit zunächst seiner finanziellen Sorgen entbunden, kehrte er zugleich in seine Heimatstadt zurück.
Am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren, wuchs Wagner schon ab 1814 in Dresden auf, nachdem seine Mutter den Dresdner Hofschauspieler Ludwig Geyer geheiratet hatte. In der sächsischen Residenzstadt besuchte er die Kreuzschule, hier wurde er konfirmiert, wobei der Empfang von Brot und Wein in ihm unvergessliche „Schauer der Empfindung“ auslöste. In diesen Jahren kam er auch erstmals mit dem Theater in Berührung, der Hofkapellmeister Carl Maria von Weber etwa war ein regelmäßiger Gast im Hause seines Stiefvaters.

Das erste Königliche Hoftheater von Gottfried Semper, das in den Jahren 1838 bis 1841 entstand, wird am 12. April mit Carl Maria von Webers «Jubelouvertüre» und Johann Wolfgang von Goethes «Torquato Tasso» eröffnet.
Sempers Rundbau galt als «schönstes Theater der Welt».
Hier wirkt Richard Wagner in den Jahren 1843 bis 1849 als Königlich Sächsischer Kapellmeister und bringt er seine Opern «Rienzi» (1842), «Der fliegende Holländer» (1843) und «Tannhäuser» (1845) zur Uraufführung.
„Nicht Kaiser und nicht König will ich sein, aber so dastehen und dirigieren“, soll der Neunjährige nach einer Aufführung unter Webers Leitung ausgerufen haben.
Rund 20 Jahre später erfüllte sich dieser Wunsch – und in den sechs Jahren seiner eigenen Dresdner Kapellmeistertätigkeit setzte Wagner nicht nur gewichtige Akzente, sondern er stellte auch die Weichen für seine eigene künstlerische Entwicklung: In Dresden komponierte er „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, hier entwickelte er seine Ideen zu einer grundlegenden Reform des Theaters, und er beschäftigte sich mit den Stoffen all seiner späteren Werke, wovon seine erhalten gebliebene Dresdner Bibliothek Zeugnis ablegt. Wagner setzte sich für die Überführung der Gebeine Webers nach Dresden ein, verhalf der damals noch umstrittenen Neunten Symphonie Beethovens zu nachhaltigem Erfolg, verfasste verschiedene kunsttheoretische Schriften (darunter „Die Königliche Kapelle betreffend“, in der er u.a. ein eigenes Konzerthaus für sein Orchester forderte), stand in Kontakt mit Robert Schumann und Gottfried Semper – und beteiligte sich, immer schon begeistert vom Gedanken des Umsturzes, am Dresdner Maiaufstand 1849. Damit war das Ende seiner Dresdner Tätigkeit besiegelt: Steckbrieflich gesucht, brachte sich Wagner in der Schweiz in Sicherheit. Später wurde er vom bayerischen König Ludwig II. aus „höchster Not“ gerettet und gelangte mit den ersten Bayreuther Festspielen 1876 schließlich ans Ziel seiner Träume …
Nach Dresden kehrte Wagner, nicht zuletzt wegen der erst 1862 erlassenen vollständigen Amnestie, nur noch selten zurück.
Noch später erinnerte er sich aber dankbar an seine Zeit in Dresden, vor allem an die prägenden Erfahrungen im Zusammenwirken mit der Hofkapelle, die er als seine „Wunderharfe“ bezeichnet haben soll:
„Keine Lohengrin-Partitur ohne den Schimmer der Dresdner Geigen, kein spätes Werk ohne die Erinnerung an rührende Holzbläser-Kantilenen und sonore Pracht des Blechs.“
SLIDESHOW: Wagners eigenhandschriftliche Partitur des «Liebesmahls der Apostel».
Das 31-seitige Manuskript befand sich lange in Privatbesitz und konnte 1996
von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden erworben werden.
„Das Liebesmahl der Apostel“
Nur kurz nach seiner Ernennung zum Hofkapellmeister übernahm Wagner 1843 für zwei Jahre auch die Leitung der Dresdner Liedertafel, des damals führenden Dresdner Männergesangvereins. Dies mag überraschen, doch als „seriöser“ Komponist war Wagner damit in Zeiten, in denen sich das Männerchorwesen auch als Ausdruck vaterländischer Begeisterung großer Beliebtheit erfreute, in bester Gesellschaft: Robert Schumann etwa übernahm 1847 die Leitung der Dresdner Liedertafel, Anton Bruckner wirkte von 1856 bis 1868 bei der Linzer Liedertafel „Frohsinn“. Wagner schrieb in Zusammenhang mit seiner Dresdner „Nebentätigkeit“ verschiedene Chorkompositionen, darunter als bedeutendste und sicher ungewöhnlichste „Das Liebesmahl der Apostel“.
Dieses Werk entstand für das im Juli 1843 von der Liedertafel mitausgerichteten zweiten „Allgemeinen Männergesangfest in Dresden“, zu dem Männerchöre aus dem ganzen Königreich in die sächsische Hauptstadt anreisten.
Höhepunkt des Festes war zweifellos die Uraufführung des „Liebesmahls“ zum Abschluss des Eröffnungskonzertes, das am 6. Juli 1843 in Anwesenheit der königlichen Familie und des sächsischen Hofes in der Frauenkirche gegeben wurde.
Wagner berichtete darüber in einem Brief an seine Schwester Cecilie:
„… das Fest war im wahren Sinne des Wortes großartig, besonders die Aufführung in der Frauenkirche … einen Chor von 1200 Männern, alle vollkommen einstudiert … einem Orchester, welches fast das ganze Schiff der Kirche einnahm [sic!, gemeint ist der Chor], dahinter ein Orchester von 100 Instrumenten, von welcher Wirkung dies sein musste! Etwas ähnliches, in einer Kirche hat noch nirgends und niemals stattgefunden … meine Composition betitelt: ‚Das Liebesmahl der Apostel‘, enthielt die Ausgießung des Heiligen Geistes, u. riss Alles hin.“
Wagner legte dem Werk das biblische Pfingstgeschehen aus der Apostelgeschichte zugrunde, schrieb – wie immer – seinen eigenen Text und setzte das Ganze wirkungsvoll in Szene: Den riesigen, in drei Gruppen unterteilten Männerchor sowie die Apostel (zwölf klangmächtige Bassisten) platzierte er auf einem großen Podest im Kirchenschiff, einen weiteren Chor in der großen, begehbaren Kuppel der Frauenkirche, und die verstärkte Hofkapelle – für das Publikum quasi unsichtbar – hinter dem Podest im Altarraum. Im Untertitel nannte Wagner sein Werk eine „Biblische Szene“, wobei die Betonung durchaus auf „Szene“ liegen dürfte: Das Werk vermittelt den Eindruck eines gigantischen Opernfinales nur für Männerstimmen in einer Kirche, die in ihrer gesamten Architektur in die Komposition einbezogen wurde.
Musikalisch gesehen besteht das Werk aus zwei großen Teilen: Ein erster, langer Abschnitt ist ausschließlich den Gesangsstimmen (a cappella) vorbehalten, mit dem zweiten Teil – konkret: mit der Ausgießung des Heiligen Geistes – setzt das Orchester ein und führt das Werk im Tutti mit den Chormassen zu einem überwältigenden Abschluss. Beide Teile wiederum lassen sich in je drei Abschnitte unterteilen, so dass das ganze Werk insgesamt sechsteilig ist:
1. Die Jünger versammeln sich zum Abendmahl und reflektieren die Ängste und Bedrohungen bei der Verbreitung des Evangeliums. Den Rahmen bildet ein schlichter Abendmahlchoral („Kommt her, ihr, die ihr hungert und dürstet“).
2. Die hinzutretenden zwölf Apostel warnen vor Hass und zunehmender Verfolgung, die Jünger reagieren darauf mit einem Gebet und der Bitte um Unterstützung durch den Heiligen Geist.
3. Aus der Kirchenkuppel verheißen die „Stimmen aus der Höhe“ den Beistand des Heiligen Geistes, worauf sich
4. ein machtvolles Brausen erhebt, das die Jünger in Staunen und freudige Erwartung versetzt. Versinnbildlicht wird dieses durch den Einsatz des Orchesters – ein dramaturgischer Einfall von „hinreißender“ Wirkung: „Waren die Singstimmen zuvor buchstäblich auf sich allein gestellt, so werden sie nun vom Orchesterklang getragen wie vom Heiligen Geist selbst“ (Egon Voss im Programmheft des Wagner-Sonderkonzertes der Staatskapelle 2013).
5. Die Apostel bekräftigen noch einmal den Missionsauftrag und mahnen die Jünger zur Einigkeit. Diese stimmen begeistert zu, und sie bekennen sich
6. zu ihrer Bereitschaft, das Evangelium auch unter widrigsten Umständen zu verkünden („Das Wort des Herrn soll allen Völkern werden“), was sie mit der Doxologie aus dem „Vater unser“ unterstreichen.
Wagner gestaltete dies als mitreißendes Finale mit einer doppelten Stretta.

Blick in die Kuppel der Frauenkirche
Im Innenraum reicht die Kuppeldecke bis zu einer Höhe von 36,65 m. Vollständig aus Sandstein gefertigt, bringt sie es auf ein Gewicht von über 12.000 Tonnen. Mit ihrem Durchmesser von 26 Metern gilt sie als die größte steinerne Kuppel nördlich der Alpen.
Einzigartig ist auch die Form der Kuppel: Durch den geschwungenen Kuppelanlauf lässt sie den Eindruck einer Glocke entstehen. Diese Anmutung brachte der Frauenkirche ihren Beinamen ein: „steinerne Glocke“ [Webseite der Frauenkirche]
Richard Wagner: Liebsmahl der Apostel
Teil 4: Die „Stimmen aus der Höhe“ von der Kuppel der Frauenkirche
Herren des Dresdner Kammerchores
Der Komponist muss mit der Wirkung sehr zufrieden gewesen sein, vor allem mit den Stimmen aus der Kuppel:
Mehr als drei Jahrzehnte später, in den 1870er Jahren, setzte Wagner diesen Effekt noch einmal in den Gralsszenen seines letzten Bühnenwerkes „Parsifal“ ein.
Für den Gralstempel des „Bühnenweihfestspiels“ stand zwar, nach seiner eigenen Aussage, der Dom von Siena Pate, doch hat die Dresdner Frauenkirche hier zweifellos noch nachgewirkt.
Egon Voss stellte in seinem genannten Aufsatz fest, dass die „‘Stimmen aus der Höhe‘ allerdings im Theater aufgrund der Getrenntheit von Bühnen- und Zuschauerraum nicht annähernd so eindrucksvoll wirken wie beim ‚Liebesmahl der Apostel‘ in der Frauenkirche, in der der Klang tatsächlich direkt ‚von oben‘ kam.“
Die königliche Hof- und spätere Staatskapelle hat das „Liebesmahl“, das bereits 1844 im Druck erschien und weite Verbreitung fand, nach der Uraufführung noch vier weitere Male in der unzerstörten Frauenkirche aufgeführt, zuletzt im Jahr 1913 zum 100. Geburtstag Wagners unter der Leitung von Ernst von Schuch.
Weitere Darbietungen fanden im Dresdner Gewerbehaus, im Ausstellungspalast am Stübelplatz (beide Spielstätten wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört) und dann – in Ermangelung eines geeigneten Konzertraumes – erst wieder 1983 im Dresdner Kulturpalast statt. Heute haben Aufführungen des „Liebesmahls“, nicht nur in den Konzerten der Staatskapelle, absoluten Seltenheitswert. Dabei ist die Wirkung der „Biblischen Szene“ nach wie vor überwältigend – wie die erste Aufführung in der wiedererrichteten Frauenkirche 2008 unter Marc Minkowski eindrucksvoll zeigte.
Fünf Jahre später, am 18. Mai 2013, dirigierte Christian Thielemann das Werk an ebendiesem Ort in einem Sonderkonzert zum 200. Geburtstag Wagners. Seine Antrittssaison erlebte damit einen weiteren Höhepunkt, auch wenn die Chormassen im Vergleich zur Uraufführung deutlich reduziert waren (aber immer noch aus rund 200 Choristen bestanden, die sich aus insgesamt sieben Chören aus Dresden, Brünn, Prag und Leipzig zusammensetzten). Thielemann ist diese Aufführung in bewegender Erinnerung, und er bekennt: „Eigentlich kann man dieses Werk nur an diesem Ort dirigieren – es gehört in die Dresdner Frauenkirche, mit deren wunderbarer Architektur es untrennbar verbunden ist. Ich bin glücklich und dankbar, dass wir im Wagner-Jubiläumsjahr die großartige Gelegenheit zu dieser Aufführung hatten. Es ist für mich ein unvergessliches Erlebnis.“
Tobias Niederschlag

Christian Thielemann mit der Staatskapelle Dresden in der Frauenkirche
© Foto: Matthias Creutziger
Gesangstext:
»Das Liebesmahl der Apostel«
Eine biblische Szene WWV 69 · Text: Richard Wagner (Vertont mit einer Reihe von Textvarianten)

Erste Seite aus Wagners eigenhandschriftlicher Partitur des «Liebesmahls der Apostel».
Das Manuskript wird in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitästbibliothek Dresden aufbewahrt.
Ganzer Chor der Jünger
Gegrüßt seid, Brüder, in des Herren Namen,
der uns zum Mahl in Eintracht hier vereinet,
damit inbrünstig Seiner wir gedenken,
der von uns schied, den unser Herz beweint.
Kommt her, ihr, die ihr hungert, die ihr dürstet,
zu stärken euch, beut Er sein Fleisch und Blut:
was wollen wir nun zagen, warum schmachten,
da solche Labung uns erquicken soll?
Erster, zweiter und dritter Chor der Jünger:
Zweiter Chor der Jünger
Wir sind bedrückt, es droht der Mächt’gen Haß,
gewitterschwer steh’n Wolken über uns!
Die heute wir versammelt, wer kann wissen,
wo morgen wir getrennt und traurig schmachten?
Dritter Chor der Jünger
O faßt Vertrau’n! Mehrt sich von Tag zu Tag
in Kraft und Glauben nicht der Treuen Schar?
Zweiter Chor der Jünger
In gleichem Maß wächst auch der Haß der Feinde;
macht Einigkeit uns stark,
kann sie uns auch verderben.
Dritter Chor der Jünger
Die wir einmütig, sollten uns denn trennen?
Des liebsten Trostes sollten wir entbehren?
Nach unsres Tages Last und Not nicht mehr
beim Mahl ein Herz und eine Seele sein?
Zweiter Chor der Jünger
Ein Jeder trag’ den Erlöser im Herzen,
auf daß, wenn auch zerstreut, wir einig bleiben!
Wahrlich, es dränget uns die Zeit mit Not!
Der Mächt’gen Späh’n verfolgt uns überall!
Erster Chor der Jünger
Kommt her, ihr, die ihr hungert, die ihr dürstet!
Zu stärken euch, opfert’ Er sein Fleisch und Blut.
Was wollen wir nun zagen? Was wollen wir schmachten?
Da solche Labung uns erquicken soll?
Die Apostel
Seid uns gegrüßt, ihr lieben Brüder!
Seid versammelt ihr im Namen Jesu Christ’s?
Ganzer Chor der Jünger
Wir sind versammelt im Namen Jesu Christ’s.
Die Apostel
Gesegnet seid, die ihr versammelt hier
im Namen Jesu Christ’s.
Chor der Jünger
Preis seinem Namen!
Wir harrten eurer lang in Sorg’ und Bangen!
Die Apostel
Ihr Männer, lieben Brüder! Einig seid im Herzen und im Glauben!
Die Verfolgung erhebt ihr Haupt, es nahen all die Leiden,
die ihr ertragen sollt um seines Namens Willen!
Chor der Jünger
Welch neues Droh’n ist euch widerfahren?
Die Apostel
Da wir, im Tempel lehrend, Wunder wirkten im Glauben an den Herrn,
erweckten wir wie nie zuvor den Haß der mächt’gen Feinde:
da wir nun kräftig Rede ihnen standen,
und sie der Missetat bezüchtigten [sic!],
die an Marias Sohne sie verübt:
ihr Zorn entbrannte da, und sie geboten mit hartem Drohen uns:
nicht mehr zu lehren noch zu reden im Namen Jesu von Nazareth, – bei Todesstrafe!
Chor der Jünger
Bei Todesstrafe!
Chor [Gebet]
Allmächt’ger Vater, der du hast gemacht Himmel und Erd’ und Alles, was darin!
Der zur Verheißung deines Schutzes du den teuren Sohn zu uns herab gesandt!
Sieh an das Droh’n der Mächtigen der Erde, mit dem sie schrecken deine Gläubigen!
Daß wir mit Freudigkeit dein Wort nun reden, send’ uns Unmünd’gen deinen heil’gen Geist!
Stimmen aus der Höhe
Seid getrost! Ich bin euch nah,
und mein Geist ist mit euch.
Machet euch auf! Redet freudig das Wort,
das nie in Ewigkeit vergeht!

Der erste Einsatz des Orchesters im «Liebesmahl der Apostel»:
Mit einem Tremolo der Pauken und tiefen Streicher tritt das bis dahin schweigende Orchester erstmals in das Geschehen ein, gefolgt von der Reaktion der Jünger auf dieses Ereignis (letzter Takt auf dieser Seite: «Welch Brausen erfüllt die Luft?»).
Am oberen Rand über den Noten hatte Wagner ursprünglich Vorschläge zur Besetzungsreduzierung vermerkt; da diese bei der Drucklegung ohnehin berücksichtigt wurden, waren sie im Autograf entbehrlich und wurden gestrichen.
Chor der Jünger
Welch Brausen erfüllt die Luft?
Welch Tönen, welch Klingen!
Bewegt sich nicht die Stätte, wo wir stehen?
Gegrüßt sei uns, du Geist des Herrn,
den wir erfleht, du heil’ger Geist!
Dich fühlen wir das Haupt umwehn,
mächtig erfüllst du unsre Seele!
Die Apostel
Kleinmütige!
Hört an, was jetzt der Geist zu künden uns gebeut!
Laßt droh’n die Menschen,
laßt droh’n sie wider euch!
Ihr werdet sie besiegen mit dem Worte!
Höret an!
Die in Verzagtheit ihr euch trennen wolltet,
geht auseinander, um voll Siegesmut ein Jeder seine Bahn zu wallen!
Ist denn Jerusalem die Welt? Blickt doch um euch!
Seht die unzähl’gen Völker dieser Erde,
die der Verkündigung des Wortes harren!
Seht die Beherrscherin der Welt, – seht Rom!
Dort wird dem Worte Macht, die ganze Welt gleich einem Lichtstrahl zu durchdringen.
Chor der Jünger
So sei’s! Gott will es so!
Die Apostel
Seid einig denn, wo ihr euch trefft!
Gemeinsam sei euch Hab’ und Gut!
Und freudig zeuget aller Welt
von eures Heilands Wundertat!
Chor der Jünger
Der uns das Wort, das herrliche, gelehret,
gibt uns den Mut, es freudig kund zu tun.
Wir sind bereit, in alle Welt zu ziehen,
kräftig zu trotzen jeder Schmach und Not!
Das Wort des Herrn soll allen Völkern werden,
damit sein Preis in allen Zungen tön’!
So will es Gott, der seinen Sohn uns sandte,
der uns beschieden seinen heiligen Geist!
Denn ihm ist alle Herrlichkeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Zur Uraufführung des „Liebesmahls“ (1843)
… Mit dem Ende des Monates näherten sich die Tage des Gesangfestes und der Abschluß des ersten arbeitsvollen Halbjahrs im Dienste des neuen Berufes.
Von allen Seiten strömten die sangesfreudigen Scharen von der oberen und unteren Elbe, aus der Lausitz, vom Erzgebirge und aus den Tälern der Mulde, um mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel ihren Einzug in die sächsische Residenz zu halten.
Es wurde geprobt und studiert, am 6. Juli nachmittags begann das Fest mit einer geistlichen Musikaufführung in der für solche Zwecke geeigneten Frauenkirche: den Schluß bildete das „Liebesmahl der Apostel“.
Ein Chor von 1200 Männern auf einer Estrade, welche fast das ganze Schiff der Kirche einnahm; dahinter (unsichtbar) ein Orchester von 100 Instrumenten – eine ähnliche Aufführung hatte in Dresden, ja in Deutschland noch niemals stattgefunden.
Je größer die Sängermasse, desto unvermeidlicher ein allmähliches Sinken des Tones. Schon bei den Proben hatte er deshalb die vorbeugende Maßnahme getroffen, von Zeit zu Zeit, nach gewissen Hauptabschnitten der Komposition, von zwei Harfen die Tonart wieder angeben zu lassen und behielt die gleiche Maßnahme auch für die Aufführung bei.
Um die dramatische Illusion des Vorganges für den Zuhörer zum unmittelbaren geistigen Erlebnis zu erhöhen, ließ er die göttlichen Verheißungsworte („Stimmen aus der Höhe“):
„Seid getrost, ich bin euch nah’, und mein Geist ist mit euch!“ von einem gegen vierzig Mann starken Männerchor auserlesener Stimmen aus der hohen Kuppel des Kirchengewölbes herab singen, ein Wagnis von hinreißender Wirkung, die durch das plötzliche Eintreten des unsichtbaren Orchesters bei den Worten der Jünger: „Welch Brausen erfüllt die Luft? Welch Tönen? Welch Klingen?“ noch vermehrt wurde.
Wo sich der junge Meister nach der Aufführung nur blicken ließ unter der Masse von Sängern, die aus allen Teilen des Landes herbeigeströmt waren, – überall tönte ihm ein begeistertes „Vivat!“ und „Hurrah!“ entgegen, und der Jubel hatte kein Ende. …
Aus: Carl Friedrich Glasenapp
„Das Leben Richard Wagners“
Band 2 (1910)
→ | Bruckners 7. Symphonie |
• | Wagners „Liebesmahl der Apostel“ |
→ | PDF Programmheft der Staatskapelle Dresden zum Wagner Geburtstagskonzert |
→ | INHALT CD-Box Vol. 38 |
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