Die Chronik-Seiten der SEMPEROPER EDITION
Elfride Trötschel Beseelter Gesang

Die Familie des Dresdner Chorleiters Albert Trötschel mit Ehefrau Babette und Elfride Trötschel als Baby auf dem Arm sowie den Geschwistern Albin, Richard, Hedwig und Willi.
Fotografie in Dresden-Cotta, 1914
Familiäre Erinnerungen
… dieser melancholisch mitschwingende Unterton
Wenn man das Künstlertum einer Sängerin wie Elfride Trötschel beschreiben will, so trifft die Formulierung „beseelter Gesang“ den Kern der Sache wohl am besten.
Im folgenden Beitrag wagen wir den Versuch, die „Seele“ im Gesang dieser Sängerin genauer zu erfassen und zu begreifen.

Das kleine Amulett zeigt Elfride Trötschel als Schulkind.
Es ist das einzige Zeugnis aus den wenigen glücklichen Kindheitstagen im Kreise ihrer Familie.
Sie hat es zur Erinnerung immer bei sich getragen.
Geboren wird Elfride Trötschel am 21. Dezember 1913 in Dresden. Keine neun Monate später wird Deutschland in den Ersten Weltkrieg hineingezogen.
Als Kleinkind erfährt sie nicht viel von den schlimmen Jahren, in denen die Väter für „Gott, Kaiser und Vaterland“ ihr Leben lassen müssen, doch sie realisiert aber sehr wohl, dass sie im Jahr 1921 – also mit acht Jahren – Vollwaise ist und fortan in Pflegefamilien erzogen wird, eine Zeit voller traumatischer Erlebnisse.
Als sie zur Hochzeitsfeier ihrer älteren Schwester den „Bannkreis“ ihrer Pflegeltern verlassen darf, wird mit Erschrecken bei ihr eine emotionale Vernachlässigung bemerkt.
Auf Betreiben ihrer besorgten Schwester kommt sie endlich in eine andere Familie, in der sie mit einem gleichaltrigen Mädchen in Ruhe aufwachsen kann.

Die neunzehnjährige Elfride Trötschel zur Zeit des Entritts in den Sächsischen Staatsopernchor
Foto: Nachlass Elfride Trötschel
Der Bariton Paul Schöffler von der Dresdner Staatsoper entdeckt Elfrides Stimme und schult sie, so dass sie schließlich mit achtzehn Jahren Chormitglied am Opernhaus werden kann.
Ihre weitere Gesangsausbildung übernimmt die Sopranistin Helene Jung, ein langjähriges und äußerst beliebtes Mitglied des Dresdner Opernensembles.
1934 spürt auch der Dirigent der Dresdner Staatsoper, Karl Böhm, ihre solistische Begabung und sie erhält einen Vertrag als lyrischer Sopran.
Schon dieser Karrierestart in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts unterscheidet sich grundlegend von den heutzutage üblichen Methoden, in denen Karrieren von cleveren Managern mit Hochdruck „gemacht“ und auch ebenso schnell wieder beendet werden, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt.
Der Weg und die Karriere Elfride Trötschels beginnt behutsam in einem jedoch von künstlerischer Kontinuität geprägten Opernensemble, in dem sie über einen Zeitraum von annähernd zwanzig Jahren ihr eigenes Profil entwickeln und entfalten kann. Schon in der ersten Hälfte der 40er Jahre gehört sie zu den beliebtesten Mitgliedern des Dresdner Opernensembles.
Ihre stimmliche Entwicklung verläuft ganz nach Plan und in ihrem Timbre entfaltet sich diese merkwürdige Traurigkeit, die man noch heute aus ihren frühesten Dresdner Aufnahmen heraushören kann:
Ein melancholischer, unerklärbar mitschwingender Unterton, der das Publikum in rätselhafter Weise ergreift und wohl als ein entferntes Echo aus den Erlebnissen ihrer schweren Kindheit zu deuten ist.
1945 dann der nächste Schock: Im Februar legen alliierte Bomberverbände Dresden in Schutt und Asche. Elfride Trötschel überlebt, weil sie sich während der Angriffswellen zu einem Kurzurlaub auf dem Land befindet. Doch ihre künstlerische Heimat, das Dresdner Opernhaus ist zerstört. Zum zweiten Mal in ihrem Leben wird sie aus dem ihr vertrauten, freundlich gesonnenen Umfeld mit Gewalt herausgerissen, und dies zu einem Zeitpunkt, als sie gerade Mutter geworden und die Beziehung zum Vater ihres Kindes aber in die Brüche gegangen ist.
Der Neuanfang in Dresden ist schwer, doch gemeinsam mit dem verschont gebliebenen Dresdner Opernensemble gelingt unter dem Dirigenten Joseph Keilberth ein Neuanfang in noch erhaltenen, provisorisch hergestellten Spielstätten. Man kann in jenen Tagen nur das nackte Überleben sichern. Gagen werden nicht selten in Naturalien ausgezahlt und im Winter muss das Publikum Kohle mitbringen, um den Aufführungsraum zu beheizen.
Da wird 1948 „Rusalka“ von Antonín Dvorák auf den Spielpan gesetzt und Elfride Trötschel übernimmt die Titelpartie und wächst bei der Gestaltung dieser Rolle über sich selbst hinaus.
Die Verkörperung der tragischen Gestalt der Wassernixe, die an ihrem Wunsch, ein Mensch zu sein, zugrunde geht und gleichzeitig auch den von ihr geliebten Prinzen ins Verderben zieht, gerät in den Jahren der Nachkriegszeit zu einem einzigartigen Bekenntnis „zur Menschlichkeit und zum Mensch-Sein“ an sich (Steffen Lieberwirth im Booklettext zu „Rusalka“).
Antonín Dvořák: Rusalka
daraus: Finale
Staatskapelle Dresden
Dirigent: Joseph Keilberth
Aufnahme: MDR Sender Dresden 1948
→ EDITION STAATSKAPELLE DRESDEN VOL. 6: Rusalka
Gerade diese Möglichkeit zum „Menschsein“ wird nun in der allmählich erstarkenden DDR immer schwieriger.
Die Einflüsse der Politik – auch und gerade in Fragen der Kunst und Kultur – werden für die Künstler in Form von Einschränkungen immer spürbarer.
Zwar hatte der Regisseur Walter Felsenstein Elfride Trötschel 1948 zu Gastspielen an die Komische Oper nach Ost-Berlin geholt, doch unlängst aufgefundene Tonbandaufnahmen vom Frühjahr 1949 aus dem Archiv des ehemaligen Senders RIAS belegen, dass die Künstlerin damals wohl ganz bewusst und aus guten Grund Zonengrenzen übertritt.
RIAS-Sendung mit Liedern von Max Reger
RIAS Senderkennung
anschließend Max Reger: Flieder
Aufnahme RIAS am 29. März 1949
Was für eine ungeheure Provokation in den Augen der DDR-Politiker.
Während Hans Löwlein als Liedbegleiter – wohl um sich vor Repressalien zu schützen – unter dem Pseudonym „Hans Luvelin“ auftritt, wird der Name von Elfride Trötschel im Sender immer häufiger genannt, denn sie ist hochbeliebt bei den Hörern.
Der RIAS wird nachgerade ihr Stammsender.
RIAS-Interview mit Elfride Trötschel
Aufnahme RIAS 1955
1949 verlässt Elfride Trötschel nach 19-jähriger Zugehörigkeit das Dresdner Opernensemble und verlegt ihre künstlerischen Aktivitäten ganz in den Westen, wo sie sich gegen bereits etablierte Konkurrentinnen durchzusetzen hat – wenn man so will nach nur wenigen Jahren ein dritter Neuanfang. Gastspiele führen sie fortan nur noch gelegentlich in ihre alte Heimat.
Doch auch dieser Neustart gelingt, nicht zuletzt auch Dank des breiten Rollenspektrums, das sie aus Dresden mitbringt, und das sie – in Auszügen ab 1949 – regelmäßig für die westdeutsche Schallplattenindustrie einspielt.
Mitte der 50er Jahre dann der nächste Schock. Elfride Trötschel erkrankt an einer unheilbaren Krankheit. Sie kämpft bis zum äußersten und steht, solange es ihr der Körper gestattet, auf der Bühne.
Sie stirbt – frühvollendet – am 20. Juni 1958 in Berlin.
Nachruf des Regisseurs Walter Felsenstein
Die von Elfride Trötschel gesungenen Partien ergeben den besten Beweis für die ganz ungewöhnliche Vielfalt dieser großen Begabung, die über ihren Fleiß, über ihr großes technisches Können hinaus Beziehungen zu Bezirken hatte, die nur ganz großen Künstlern zugänglich sind.
Nachruf des Senders Dresden
Privater Radiomitschnitt
Das Nachfolgende bleibt reine Spekulation, weil es zu den Geheimnissen des Lebens gehört:
Man sagt ja, dass Menschen ahnen – zumal wenn sie sensibel veranlagt sind – dass ihnen nicht viel Zeit bleibt.
Aus diesem Grunde führen sie ein Leben am Limit.
Hört man die Stimme von Elfride Trötschel heute, über fünfzig Jahre nach ihrem Tod, könnte man dieser Theorie glauben schenken.
Jens-Uwe Völmecke
Fotografische Bühnen-Erinnerungen
→ WEITER: ÜBERSICHT DER OPERN-PARTIEN VON ELFRIEDE TRÖTSCHEL
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