
Die Chronik-Seiten der SEMPEROPER EDITION
Tino Pattiera Tenor – Königliche Hofoper Dresden
Die Frauenwelt lag ihm zu Füßen!
Immer dann, wenn Tino Pattiera in der Oper auftrat, waren im Palast-Hotel Weber am Postplatz, wo er eine Suite bewohnte, wochenlang vorher alle Tische bestellt.
Man wollte den Herzensbrecher Tino sehen, wollte ihm ganz nahe sein.
Oft war sein Wagen von den begeisterten Hörern so umlagert, daß ein Fortfahren unmöglich wurde …
Dieser Tenor war der Schwarm aller Dresdnerinnen.
Heißbegehrt waren auch die Autogrammkarten des bildhübschen Sängers mit freiem Oberkörper – für die prüden Jahre der Kaiserzeit überaus gewagt!
Dresdner „Tenor-Gott“ und Herzensbrecher
Schon als Kind war seine Stimme aufgefallen und so war es eigentlich nur folgerichtig, dass er sein Medizinstudium abbrach und stattdessen in Wien – finanziell unterstützt durch die ihn hochverehrende Gräfin Hedwig Schaffgotsch – bei Cavaliere Ranieri privaten Gesangsunterricht bekam. Bereits nach nur zweijährigem Studium konnte Pattiera es riskieren, eine Einladung der Dresdener Königlichen Hofoper zum Vorsingen anzunehmen.
Der Dresdner Intendant Graf Seebach und sein Generalmusikdirektor Ernst von Schuch griffen sofort zu und boten dem jungen Eleven einen 7-Jahresvertrag an: zwei Jahre Vorbereitung, fünf Jahre mit entsprechenden Hauptrollen. Am 10. Februar 1916 kam es schließlich zu seinem Sensations-Debüt als Manrico im „Troubadour“ von Giuseppe Verdi – Dresden hatte seinen neuen „Tenor-Gott“!
Zeitgleich zu seinen ersten Erfolgen an der Dresdner Königlichen Hofoper rissen sich die Schallplattenfirmen um den Sänger und nahmen die in Dresden einstudierten Partien auf.
Durch Heirat der Nichte seiner Wiener Mäzenatin bekam Pattiera Zugang zum sächsischen Adel und bewohnte mit seiner Frau standesgemäß das malerische Schloß Eckberg hoch über der Elbe.
Mit dem Amtsantritt von Fritz Busch als Operndirektor und Chef der Staatskapelle Dresden sollte Pattieras Karriere neue Höhenflüge erreichen. Der ideale Interpret für Buschs beginnenden Verdi-Renaissance war gefunden.
Ab Anfang der 1930er Jahre machen immer mehr Gerüchte über Patterias erfolgsverwöhnte Zügellosigkeit die Runde, wurde er doch nun auch als Kinostar des Tonfilms „Fra Diavolo“ gefeiert.
Als Fritz Busch am 7. März 1933 während einer Rigoletto-Aufführung im Dresdner Opernhaus von SA-Horden ausgebuht worden war, beteiligte er sich federführend an einer Unterschriftenkampagne gegen den Dirigenten.
Sein Zenit war zu dieser Zeit wohl auch künstlerisch überschritten. Mit Buschs Amtsnachfolger Karl Böhm verstand sich Patteria künstlerisch nicht, so dass es zunehmend Verstimmungen gab. Zudem war auch seine Ehe zerbrochen und eine weitere endete ebenfalls unglücklich. Als 1940 sein Engagementsvertrag am Dresdner Opernhaus auslief, verließ Pattiera Dresden und übersiedelte zunächst nach Prag und 1950 nach Wien, wo er als Gesangsprofessor an der Musikakademie wirkte.
Als Tino Pattiera am 6. Juli 1951 sein letztes Dresdner Konzert mit der Arie des Lenski „Wohin seid ihr entschwunden?“ begann, wurde so manches Auge feucht. Die Hörer schämten sich ihrer Tränen nicht. Wer von ihnen erinnerte sich nicht des gemeinsamen Auftretens von Tino Pattiera und Richard Tauber! Pattiera sang, und Richard Tauber dirigierte die Dresdner Philharmonie: „Wir hatten beide Platz auf der Welt. Er war ein herrlicher Sänger und mein bester Freund. In Dresden nannte man uns nur ‚Castor und Pollux‘. War das eine herrliche Zeit!“, so der Dresdner Musikkritiker Gottfried Schmiedel.
Tino Pattiera – Selbstporträt 1963
Tino Pattiera, geboren in Ragusavecchia (heute Cavtat bei Dubrovnik), gestorben am 24.04.1968 in Cavtat berichtet:
über seinen Geburtsort, seine Familie und Schulausbildung / Gesangsausbildung zum Tenor in Zagreb / Fortsetzung der Gesangsausbildung in Wien, durch Unterstützung der Gräfin Hedwig Schaffgotsch / über Gesangsausbildung bei Professor Ranieri / über Vorsingen und Engagement an Dresdner Staatsoper im Beisein des Dresdner Opernintendanten Nikolaus Graf von Seebach / zur Zusammenarbeit mit Fritz Reiner, dem Kapellmeister an Dresdner Staatsoper / sang 1916 erste Arie als Troubadour an Dresdner Staatsoper / zur Freundschaft mit dem Sänger Richard Tauber / sang Vorstellung mit den Sängerinnen Minnie Nast, Anka Horvath, Margarethe Siems und Meta Seinemeyer und Elisabeth Rethberg / 1922 Engagement in Amerika / Rückkehr nach Deutschland / 1926 Engagement in Berlin / zur Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Fritz Busch und Leo Blech / über Berlin und Hamburg / 1932 Rückkehr nach Dresden / ging im Zweiten Weltkrieg nach Prag / zur Anstellung im Jahr 1950 an Musikakademie in Wien.
Musikeinspielungen:
1. Stretta aus „Troubadour“ (Italienisch gesungen: Di quella pira) mit Studioorchester / Unbekannter Dirigent
ODEON Rxx 80800 / Matr.-Nr.: xxB 6280 Berlin 1916
2. „Duett“ aus „La Boheme“ mit Meta Seinemeyer Mitglieder des Orchesters der Staatsoper Berlin / Dirigent: Frieder Weißmann PARLOPHON P9048 Matritzen-Nr. 2-8940 Berlin 3. November 1926
Aufnahme des Selbstporträts mit Tino Pattiera: 17. Oktober 1963 im ORF Wien
Redaktion: Hannes Reinhardt und Gabriele Wirth NDR
Pattiera-Documentation in „The Record Collector“ [in english]










Der bisher umfangreichste Versuch, das Leben und Wirken Tino Pattieras zu dokumentieren, fand im Jahr 1968, zwei Jahre nach dem Tod des Sängers statt.
Der englische Schallplattensammler, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „The Record Collector“, James F. E. Dennis, widmete Pattiera im Juli 1968 eine eigene Ausgabe.
Die Veröffentlichung des Originalartikels an dieser Stelle findet mit Erlaubnis des heutigen Herausgebers des „The Record Collector“, Mr. Larry Lustig, statt.
Bei der Lektüre dieses Artikels ist zu berücksichtigen, dass dieser auf dem Wissens- und Forschungsstand des Jahres 1968 beruht.
Viele Archive, die heute zur Präzisierung und Aufklärung historischer Vorgänge beitragen, besonders die historischen Archive der ehemaligen DDR, standen damals nicht zur Verfügung.
Dennoch ist der in englischer Sprache abgefasste Artikel von enormer historischer Bedeutung, beruft er sich doch stellenweise auf Zeitzeugenberichte und auf die Aussage von Freunden, die Tino Pattiera in seinen letzten Lebensjahren noch kennengelernt hatten.
Auf die Wiedergabe des in diesem Artikel ebenfalls vorhandenen Rollenverzeichnisses und der Diskographie des Künstlers wurde bewusst verzichtet, da beides nicht mehr dem heutigen Wissensstand entspricht. ⇒ HOMEPAGE The Record Collector
Pattiera und das Referendum der Solomitglieder gegen Fritz Busch, 1933
Ein Zeitzeugenbericht ist von Fritz Buschs engster Mitarbeiterin, Gertrud Döhnert,
in Schreibmaschinenschrift überliefert:
„Die ‚Machtübernahme‘ der Nazis nahm unentwegt ihren Fortgang, die Menschen mehr oder weniger suggestiv beinflussend. Unter diesen Umständen kamen die Unterschriften der Solomitglieder unter einem Schreiben gegen Busch zustande. Drei Sänger waren ausgewählt, die das in die Hand nehmen mußten. Sie (Vertreter des Gaukunstwarts Sachsens) gingen zuerst zu Tino Pattiera, der im damaligen Palasthotel Weber am Postplatz wohnte. Er hat sich natürlich geweigert, aber man bedeutete ihm, er könne Busch nicht retten, und wenn er unterschriebe, würden die anderen es auch tun. Und er tat es, und soll hinterher einen Kollegen telefonisch gebeten haben, es auch zu tun, damit er nicht allein auf der Liste stünde. Wohl ist ihm bei der Sache nicht gewesen, soweit kannte ich ihn. (…)
Ein Wort noch zu dem damaligen Verhalten Pattieras, das eine schwere Enttäuschung für die ganze Familie Busch sein mußte. Er ging im Hause Busch als Freund aus und ein, für die Kinder war er Onkel Tino. Fritz Busch war diesem großartigen, doch oft eigenwilligen Sänger stets Freund und Berater – und nun das!
Ich selbst, die das freundschaftliche Verhältnis mit der Familie Busch aus der Nähe beobachten konnte, war innerlich entsetzt, musßte es aber stillschweigend zur Kenntnis nehmen. Wir gingen uns wohl beide in der folgenden Zeit aus dem Wege, bis er eines Tages in meinem Zimmer stand (…) und wörtlich sagte: ‚Weißt du, ich konnte doch damals nicht anders, ich hatte ja noch keinen Vertrag!“ (…)
Es war also die Existenzangst, die ihn zu seiner bedauerlichen Haltunfg getrieben hatte.
Ja, Heldentenöre müssen nicht unbedingt menschliche Helden sein!“
Gertrud Döhnert (1891-1992)
Persönliche MItarbeiterin der Dresdner Generalmusikdirektoren
Busch, Böhm, Elmendorff, Keilberth, Kempe und Konwitschny
→ |
VIDEO Fritz Buschs Vertreibung aus dem Amt als Dresdner Generalmusikdirektor |
Pattiera im Kino-Spielfilm „Fra Diavolo“ 1931
Filmausschnitte aus „Fra Diavolo“ (Der Teufelsbruder)
nach der Handlung der gleichnamigen Oper von Daniel Auber und Eugène Scribe
mit musikalischer Neukomposition von Dr. Giuseppe Becce
Liedertexte: Dr. Fritz Löhner-Beda
Tino Pattiera Fra Diavolo
Brigitte Horney Anita
Kurt Lilien Scaramanzia
und andere
Aufgenommen in den Cinecitta-Ateliers, Rom
Uraufführung: 17. März 1931
im Ufa Palast am Zoo in Berlin
Regie: Mario Bonnard
Deutsche Kopien des Films gelten derzeit noch als verschollen. Die einzigen erhaltenen Kopien haben dänische Untertitel.
Parallel zur deutschen Fassung des Films wurde eine französische Version gedreht, in der Pattiera ebenfalls die Hauptrolle spielt.
Alle anderen Rollen wurden von französischen Darstellern gespielt.
Uraufführung der französischen Fassung: April 1931 (Aubert-Palace)
→ | KINOFILM „Fra Diavolo“ in voller Länge |
Verdi: Der Troubadour 1916
Stretta aus „Troubadour“
(Italienisch gesungen: Di quella pira)
Studioorchester / Unbekannter Dirigent
Odeon Rxx 80800 / Matr.-Nr.: xxB 6280
Aufnahme: Berlin 1916
Collection: Dr. Jens Uwe Völmecke
Verdi: Der Troubadour 1926
Stretta aus „Troubadour“
(Deutsch gesungen: „Lodern zum Himmel seh‘ ich die Flammen“)
Mit Männerchor und Mitgliedern des Orchesters der Staatsoper, Berlin
Dirigent: GMD Leo Blech
Electrola E.W.21 / Matr.-Nr.: BDR 4621-2
Aufnahme: Berlin 1926
Collection: Dr. Jens Uwe Völmecke
Verdi: La Boheme 1927
Arie des Rudolf aus „La Boheme“ (deutsch gesungen: „Wie eiskalt ist dies Händchen“)
Live-Aufnahme aus der Berliner Staatsoper, Dezember 1927
Dirigent GMD Leo Blech
Electrola E.J.218 / Matr.-Nr.: CwR 1405-1
Aufnahme: Berlin, Dezember 1927
Collection: Dr. Jens Uwe Völmecke
Die Oper wurde in großen Teilen mitgeschnitten, aber nur vier Seiten veröffentlicht:
die Szenen mit Rudolf und Mimi aus dem ersten Akt und ein Teil des Schlussduetts aus dem vierten Akt.
Die Nennung des Solisten musste aus vertragsrechtlichen Gründen unterbleiben, da Pattiera zum Zeitpunkt der Aufnahme wieder einen Exklusivvertrag mit dem Lindström-Konzern (Parlophon / Odeon) hatte.
Tino Pattiera als Chénier und Meta Seinemeyer als Maddalena
Umberto Giordano
Aus: Andrea Chénier
Du kommst daher (Duett Chénier – Maddalena)
Orchester der Berliner Staatsoper
Dirigent: Frieder Weissmann
PARLOPHON P.9028 Matr.-Nr.: 2-8938/9
Aufnahmejahr 1926
Cellection: Dr. Jens Uwe Völmecke
Finale aus der Oper „Carmen“
(deutsch gesungen: Du bist’s? – Ich bin’s!)
mit Barbara Kemp (Mezzo-Sopran)
Mitglieder der Staatskapelle Berlin
Dirigent: Dr. Frieder Weißmann
Parlophon P.9506 / Matr.Nr.: 2-21661 & 2-21662 (Take 2)
Aufnahme: Berlin, 28. Februar 1930
Collection: Dr. Jens Uwe Völmecke
Slideshow:
Tino Pattiera als Manrico in „Troubadour“, 1916 · Don José in „Carmen“, 1916 · Alfred in „La Traviata“, 1916 ·Riccardo in „Ein Maskenball“ · Hermann in „Pique Dame“, 1929 · Fra Diavolo in „Fra Diavolo“ o.J.
Opernpartien am Dresdner Opernhaus
Oper | Komponist | Rolle | Dirigent | Premiere |
Troubadour | Verdi | Manrico | 1916 | |
Carmen | Bizet | ![]() |
1916 | |
La Traviata | Verdi | Alfred | 1916 | |
Ein Maskenball | Verdi | Riccardo | 1916 | |
Boris Godunow | Mussorgski | Grigori | Fritz Busch | 1923 |
Othello | Verdi | ![]() |
Fritz Busch | 1925 |
Andrea Chénier | Giordano | ![]() |
Fritz Busch | 1925 |
Macht des Schicksals | Verdi | ![]() |
Fritz Busch | 1926 |
Pique Dame | Tschaikowski | Hermann | Fritz Busch | 1929 |
Fra Diavolo | Auber | Fra Diavolo |
Link-Empfehlungen
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Mit Dank für die konstruktive Zusammenarbeit
an das Historische Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
sowie Collection Dr. Jens Uwe Völmecke und Larry Lustig [The Record Collector]
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