Aufführungsgeschichte der Meistersinger
am Dresdner Opernhaus

„Sachs wird von Herneisen porträtiert“
Gemälde aus dem Jahr 1574 von Andreas Herneisen (1538-1610)
Der Maler porträtierte den Nürnberger Meistersinger Hans Sachs (1494-1576) in dessen Arbeitskammer.
Farbdruck nach dem Original in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel
„Die Meistersinger“ – Von der Idee zur Umsetzung [01]

Richard Wagner (1813-1883)
Fotografie von Pierre Petit & Trinquart, Paris vom Februar/März 1860.
Album in Papier auf Karton
Richard Wagner
Hans Sachs als Opernheld
Sogleich nach dem Schlusse dieser Arbeit (des „Tannhäusers“) war es mir vergönnt, zu meiner Erholung eine Reise in ein böhmisches Bad (Marienbad) zu machen. Hier, wie jedesmal, wenn ich mich der Theaterlampenluft und meinem „Dienste“ in ihrer Atmosphäre entziehen konnte, fühlte ich mich bald leicht und fröhlich gestimmt; zum ersten Male machte sich eine meinem Charakter eigentümliche Heiterkeit auch mit künstlerischer Bedeutung merklich bei mir geltend.
Mit fast willkürlicher Absichtlichkeit hatte ich in der letzten Zeit mich bereits dazu bestimmt, mit nächstem eine komische Oper zu schreiben; ich entsinne mich, daß zu dieser Bestimmung namentlich der wohlgemeinte Rat guter Freunde mitgewirkt hatte, die von mir eine Oper „leichteren Genres“ verfasst zu sehen wünschten, weil diese mir den Zutritt zu den deutschen Theatern verschaffen und so für meine äußeren Verhältnisse einen Erfolg herbeiführen sollte, dessen hartnäckiges Ausbleiben diese allerdings mit einer bedenklichen Wendung zu bedrohen begonnen hatte.
Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir auf jener Vergnügungsreise plötzlich das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem „Sängerkriege auf Wartburg“ sich anschließen konnte.
Es waren dies „die Meistersinger zu Nürnberg“, mit Hans Sachs an der Spitze.
Ich faßte Hans Sachs als die letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes auf und stellte ihn mit dieser Geltung der meistersingerlichen Spießbürgerschaft entgegen, deren durchaus drolligem, tabulaturpoetischem Pedantismus ich in der Figur des „Merkers“ einen ganz persönlichen Ausdruck gab.
Dieser „Merker“ war bekanntlich (oder unseren Kritikern vielleicht auch nicht bekanntlich) der von der Singerzunft bestellte Aufpasser, der auf die den Regeln zuwiderlaufenden Fehler der Vortragenden, und namentlich der Aufzunehmenden, „merken“ und sie mit Strichen aufzeichnen musste: wem so eine gewisse Anzahl von Strichen zugeteilt war, der hatte „versungen“.
Der Älteste der Zunft bot nun die Hand seiner jungen Tochter demjenigen Meister an, der bei einem bevorstehenden öffentlichen Wettsingen den Preis gewinnen würde.
Dem Merker, der bereits um das Mädchen freit, entsteht ein Nebenbuhler in der Person des jungen Rittersohnes, der, von der Lektüre des Heldenbuches und der alten Minnesänger begeistert, sein verarmtes und verfallenes Ahnenschloß verläßt, um in Nürnberg die Meistersingerkunst zu erlernen.
Er meldet sich zur Aufnahme in die Zunft, hierzu namentlich durch eine schnell entflammte Liebe zu dem Preismädchen bestimmt, „das nur ein Meister der Zunft gewinnen soll“; zur Prüfung bestellt, singt er ein enthusiastisches Lied zum Lobe der Frauen, das bei dem Merker aber unaufhörlichen Anstoß erregt, so daß der Aspirant schon mit der Hälfte seines Liedes „versungen“ hat.
Sachs, dem der junge Mann gefällt, vereitelt dann – in guter Absicht für ihn – einen verzweiflungsvollen Versuch, das Mädchen zu entführen; hierbei findet er zugleich aber auch Gelegenheit, den Merker entsetzlich zu ärgern. Dieser nämlich, der Sachs zuvor wegen eines immer noch nicht fertigen Paares Schuhe mit der Absicht, ihn zu demütigen, grob angelassen hatte, stellt sich in der Nacht vor dem Fenster des Mädchens auf, um ihr das Lied, mit dem er sie zu gewinnen hofft, als Ständchen zur Probe vorzusingen, da es ihm darum zu tun ist, sich ihrer bei der Preissprechung entscheidenden Stimme dafür zu versichern.
Sachs, dessen Schusterwerkstatt dem besungenen Hause gegenüber liegt, fängt beim Beginne des Merkers ebenfalls laut zu singen an, weil ihm – wie er dem darüber Erbosten erklärt – dies nötig sei, wenn er so spät sich noch zur Arbeit wach erhalten wolle: daß die Arbeit aber dränge, wisse niemand besser als eben der Merker, der ihn um seine Schuhe so hart gemahnt habe. Endlich verspricht er dem Unglücklichen einzuhalten, nur solle er ihm gestatten, die Fehler, die er nach seinem Gefühle in dem Liede des Merkers finden würde, auch auf seine Art – als Schuster – anzumerken, nämlich jedesmal mit einem Hammerschlage auf den Schuh überm Leisten.
Der Merker singt nun: Sachs klopft oft und wiederholt auf den Leisten.
Wütend springt der Merker auf; jener frägt ihn gelassen, ob er mit seinem Liede fertig sei. „Noch lange nicht“, schreit dieser.
Sachs hält nun lachend die Schuhe zum Laden heraus und erklärt, sie seien just von den „Merkerzeichen“ fertig geworden. Mit dem Reste seines Gesanges, den er in Verzweiflung ohne Absatz herausschreit, fällt der Merker vor der heftig kopfschüttelnden Frauengestalt am Fenster jämmerlich durch.
Trostlos hierüber, fordert er am anderen Tage von Sachs ein neues Lied zu seiner Brautwerbung; dieser gibt ihm ein Gedicht des jungen Ritters, von dem er vorgibt, nicht zu wissen, woher es ihm gekommen sei: nur ermahnt er ihn, genau auf eine passende „Weise“ zu achten, nach der es gesungen werden müsse.
Der eitle Merker hält sich hierin für vollkommen sicher und singt nun vor dem öffentlichen Meister- und Volksgerichte das Gedicht nach einer gänzlich unpassenden und entstellenden Weise ab, so daß er abermals, und diesmal entscheidend, durchfällt.
Wütend hierüber wirft er Sachs, der ihm ein schändliches Gedicht aufgehängt habe, Betrug vor; dieser erklärt, das Gedicht sei durchaus gut, nur müsse es nach einer entsprechenden Weise gesungen werden.
Es wird festgesetzt, wer die richtige Weise wisse, solle Sieger sein. Der junge Ritter leistet dies und gewinnt die Braut; den Eintritt in die Zunft, der ihm nun angeboten wird, verschmäht er aber, Sachs verteidigt da die Meistersingerschaft mit Humor und schließt mit dem Reime:
„Zerging’ das Heil’ge Römische Reich in Dunst, Uns bliebe doch die heil’ge deutsche Kunst.“
Vom Werden der Meistersinger
1827 | Uraufführung des Schauspiels „Hans Sachs“ von Johann Ludwig Franz Deinhardstein in Wien. |
1829 | Wagner sieht in Leipzig eine Aufführung des Schauspiels „Hans Sachs“. |
1835 | „Geschichte der deutschen Nationalliteratur“ von Georg Gottfried Gervinus erschienen. Sie bietet Wagner wie später auch die bereits 1697 erschienene Abhandlung „Buch Von der Meister-Singer Holdseligen Kunst“ von Johann Christoph Wagenseil wichtige Anregungen für die „Meistersinger“-Konzeption. |
1840 | Uraufführung der Oper „Hans Sachs“ von Albert Lortzing in Leipzig (Libretto von Albert Lortzing, Philipp Reger und Philipp Jakob Düringer). |
1842 | Wagner sieht in Dresden eine Aufführung der Lortzing-Oper „Hans Sachs“. |
1845 | Wagner schreibt am 16. Juli während eines Urlaubs in Marienbad den ersten Prosa-Entwurf nieder. |
1851 | In seiner autobiographischen Abhandlung „Eine Mitteilung an meine Freunde“ erläutert Wagner diesen Prosa-Entwurf näher, der in der Zwischenzeit schon einige Veränderungen erfahren hat. |
1861 | Zwischen 14. und 18. November zeichnet Wagner in Wien den zweiten und dritten Prosa-Entwurf auf. Kurz darauf studiert er die Abhandlung „Buch Von der Meister-Singer Holdseligen Kunst“ (mit Melodie- und Regelbeispielen) von Johann Christoph Wagenseil. Im Dezember beginnt er in Paris mit der Versdichtung der „Meistersinger“. |
1862 | Am 25. Januar vollendet Wagner die „Meistersinger“-Dichtung, die wenig später noch eine vertiefende Überarbeitung erfuhr. 13. bis 20. April: Niederschrift der Orchesterskizze des Vorspiels. 1. November: Unter Wagners Leitung erklingt in einem Gewandhauskonzert in Leipzig erstmals das „Meistersinger“-Vorspiel. |
1863 | Im Musikverlag Schott in Mainz erscheint (mit der Jahresangabe 1862) der Erstdruck des Textbuches. |
1867 | 24. Oktober: Abschluss der Komposition. 24. Dezember: Wagner schenkt dem bayerischen König Ludwig II. die Originalpartitur der „Meistersinger“. |
1868 | 21. Juni: Uraufführung im Königlichen Hof- und National-Theater München unter der Leitung von Hans von Bülow. |
1869 | 21. Januar: Erstaufführung der„Meistersinger“ in Dresden. Musikalische Leitung: Julius Rietz. Hans Sachs: Anton Mitterwurzer · Pogner: Emil Scaria · Beckmesser: Eugen Degele · Walther von Stolzing: Leonard Labatt · Eva: Melitta Otto-Alvsleben. |
1870 | 27. Februar: Erstaufführung an der Wiener Hofoper. 1. April: Erstaufführung an der Berliner Hofoper. |
1880 | 27. Juni: Erste Aufführung der „Meistersinger“ in Dresdens neuem, zweiten Semperbau. Musikalische Leitung: Ernst Schuch. Hans Sachs: Emil Fischer · Pogner: Eduard Decarli · Beckmesser: Eugen Degele · Walther von Stolzing: Heinrich Gudehus · Eva: Therese Malten. |
1888 | Erste Aufführung der „Meistersinger“ bei den Bayreuther Festspielen in der Inszenierung von Cosima Wagner. Musikalische Leitung: Hans Richter. Mit den Dresdner Sängern: Heinrich Gudehus als Walther von Stolzing und in alternierender Besetzung Therese Malten als Eva. |
→ WEITER: „MEISTERSINGER“-AUFFÜHRUNGEN IM ERSTEN SEMPERBAU
Kapitel-Übersicht
→ 00 | Register-Seite | |
• | „Die Meistersinger“ – Von der Idee zur Umsetzung | 1827-1868 |
→ 02 |
„Meistersinger“-Aufführungen im ersten Semperbau | 1869-1869 |
→ 03 | „Meistersinger“ in der „Bretterbude“ | 1869-1877 |
→ 04 |
„Meistersinger“-Aufführungen im Zweiten Semperbau | 1880-1944 |
→ 05 |
„Meistersinger“-Aufführungen im Großen Haus der Staatstheater | 1950-1973 |
→ 06 |
„Meistersinger“-Aufführungen in der wiederaufgebauten Semperoper |
1985 |
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