
Richard Strauss »Daphne«

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Richard Strauss (1864-1949)
Daphne
Bukolische Tragödie in einem Aufzug von Joseph Gregor (Opus 82, TrV 272)
CD 1:
1950
Rundfunkübertragung der Premiere „In Memoriam Richard Strauss“
Gottlob Frick Peneios
Helena Rott Gaea
Gudrun Wuestemann Daphne
Werner Liebing Leukippos
Helmut Schindler Apollo
Arno Schellenberg 1. Schäfer Adrast
Karl-Heinz Thomann 2. Schäfer Kleontes
Kurt Legner 3. Schäfer
Theo Adam 4. Schäfer
Elisabeth Reichelt 1. Magd
Ruth Lange 2. Magd
Schäfer, Maskierte des bacchischen Aufzuges, Mägde
Sächsische Staatskapelle
Chor der Staatsoper Dresden Choreinstudierung: Ernst Hintze
Dirigent: Rudolf Kempe
Inszenierung: Heinz Arnold
Aufnahme:
Rundfunkbänder der Radioübertragung
des Mitteldeutschen Rundfunks
durch den Sender Dresden am 11. Juni 1950
aus dem Großen Haus der Staatstheater Dresden
Künstlerische Aufnahmeleitung: Rudolf Wendland
Verlag: Schott
CD 2:
1938
„Daphne“ mit den Solisten der Uraufführung
„Götter! Brüder im hohen Olympos!“ Arie des Apollo
Torsten Ralf Tenor – Apollo
Electrola D.B.4628 / Matr.-Nr. 2 RA 3519-2
„O wie gerne blieb ich bei dir“ Arie der Daphne
Margarete Teschemacher Sopran – Daphne
Electrola D.B.4628 / Matr.-Nr. 2 RA 3514-2
„Wind, spiele mit mir“
Verwandlung der Daphne und Schluss der Oper
Margarete Teschemacher Sopran – Daphne
Electrola D.B.4628 / Matr.-Nr. 2 RA 3512-1 + 3512-2
Sächsische Staatskapelle
Dirigent: Karl Böhm
Aufnahmen: Dezember 1938 (ev. Januar 1939) Erstveröffentlichung: Februar 1939
Collection: Dr. Jens Uwe Völmecke
1950
Instrumentale Einrichtung der „Daphne“-Verwandlungszene für den Konzertsaal
„Daphnes Verwandlung“
Sächsische Staatskapelle
Dirigent: Rudolf Kempe
Rundfunkproduktion des Senders Dresden
für den Mitteldeutschen Rundfunk
am 7. Dezember 1950im Steinsaal des Deutschen Hygienemuseums Dresden Künstlerische Aufnahmeleitung: Jochen Garten
„Daphne“ und keine leichte Entscheidung
Ein einzigartiges dokumentarisches Dresdner Zeitzeugnis liegt wohlverwahrt im Deutschen Rundfunkarchiv:
Es ist der Mitschnitt zur „Daphne“-Premiere 1950, die gleichzeitig als Gedenkveranstaltung „IN MEMORIAM RICHARD STRAUSS“ für den ein Jahr zuvor verstorbenen Hausgott von Dresdner Staatskapelle und Staatsoper diente.
Eigentlich wäre das Vorhandensein dieser Trouvaille in jeder Hinsicht ein Grund zum Jubeln, solange man nicht in die Aufnahme hineingehört hat. Ursprünglich hielten wir den überlieferten „Daphne“-Livemitschnitt aus aufnahme- und klangtechnischer Sicht nicht für veröffentlichungswürdig, entsprach jener doch so ganz und gar nicht unseren Vorstellungen eines vertretbaren und bislang von uns angestrebten Klangbildes. Und das erst recht nicht, wenn man die zwei Jahre ältere Liveaufnahme des „Fidelio“ durch den Tonmeister Gerhard Steinke als Referenzaufnahme für Opern-Wiedergaben aus dem Dresdner Haus zu Rate zieht. (Semperoper Edition Vol. 3)
Damals (1948) hatte sich Steinke für eine beispielgebende Mikrofonierung mit vier Mikrofonen entschieden: Zwei Mikrofone waren im Orchestergraben und als Hängemikrofon von der Saaldecke eingerichtet, zwei weitere wurden für Sänger, Szene und Chor vorn auf der Bühne zu Füßen der Solisten höchst aufwändig installiert.
Ein weiteres Veto schien uns geboten aufgrund hörbar klanglicher Verzerrungen bei hohen Lautstärken sowie Gleichlaufschwankungen, die aufgrund von Verwerfungen der fragilen Rundfunk-Tonbänder auftreten.
Doch die „Daphne“-Bänder ließen uns ein Jahrzehnt lang nicht los. Sie forderten zu immer tiefgründigeren Recherchen heraus. Und die führten uns zurück in das Aufnahmejahr 1950:
Ein Jahr nach Gründung der Deutschen Demokratischen Republik war für den Rundfunk eine neue Situation eingetreten: Die Sender unterstanden jetzt den Weisungen des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR, die einhergingen mit großangelegten Personalüberprüfungen. Zunehmend bekamen politisch zuverlässige Rundfunkmitarbeiter die Verantwortung bei Liveausstrahlungen übertragen und nicht – wie bisher – die kom- petenten Fachleute und erfahrenen „Tüftler“, wie Gerhard Steinke. So nennen die Namen auf den Bandkartons der „Daphne“-Übertragung einen Rudolf Wendland als „Tonmeister und Aufnahmeleiter“, von dem Steinke zu berichten weiß, dass der als linientreuer „Hardliner“ geltende Gewerkschaftsvorsitzende des Dresdner Senders zwar politisch als höchst zuverlässig galt, allerdings mangels Noten- geschweige denn Partiturkenntnissen sowohl technisch als auch musikalisch-künstlerisch mit einer hochaufwändigen Opernübertragung hoffnungs- los überfordert war.

Übertragungstechnisch war die Opernausstrahlung aus dem Großen Haus auch eine Premiere für den Funk: Anders als bei der „Fidelio“- Ausstrahlung 1948 wurde diesmal ein erst kurze Zeit vorher an alle DDR-Sender werkneu ausgelieferter Übertragungswagen eingesetzt.
Massive Übersteuerungen an lauten Stellen waren ebenso die Folge wie Untersteuerungen in lyrischen Passagen. Dem ursprünglichen Klangbild der Übertragung nach zu urteilen, hatte Wendland auch in Fragen der Mikrofonierung den Weg des geringsten Aufwandes gewählt, wodurch zwar das Orchester sehr präsent klang, das Geschehen auf der Bühne aber zu entfernt und diffus abgebildet wurde.
Wie sich Wendland die Programmgestaltung des Dresdner Senders vorstellte und wie er fordernd argumentierte, wird aus einer von ihm verfassten „Resolution der Betriebsgewerkschaftsleitung“ deutlich: Danach seien den am „raschen Neuaufbau unserer Friedenswirtschaft schaffenden“ (Hörern) „erst einmal diese oberflächlichen Sentimentalitäten systematisch abzugewöhnen und dafür leichte (…) Musikdarbietungen zu vermitteln.“
Und jener Mann saß nun im Übertragungswagen, in seinen Händen die Steuerungsinstrumente für die Rundfunkausstrahlung einer bukolischen Strauss-Opern-Tragödie, die mit „sozialistischem Realismus“ nun nicht das Geringste zu tun hatte …
Technisch problematisch für eine gute Aufnahmequalität sollte sich damals aber auch die mangelnde Bereitstellung von Magnetbändern erweisen: Per Befehl der sowjetischen Militäradministration war die Filmfabrik als Reparation in sowjetisches Eigentum übergegangen mit der Folge, dass die Hälfte der Produktionsanlagen demontiert und in die Sowjetunion verbracht worden waren. Unbespielte Frischbänder waren damit von AGFA Wolfen selbst für Rundfunkzwecke nur sporadisch lieferbar, so dass der Sender verstärkt auf mehrfach bespielte Altbänder zurückgreifen musste. Und das erst recht in dem Fall einer Liveübertragung, die wohl ohnehin nur aus Kontrollgründen parallel zur Ausstrahlung aufgezeichnet worden war. Jedenfalls ließ sich bislang kein Programmaustausch an andere Sender wie im Fall der „Fidelio“-Übertragung nachweisen. Dennoch: Trotz mancher – selbst durch akribischste Restaurierungsleistung nicht korrigierbare – Qualitätsmängel wie Übersteuerungsverzerrungen ist der Livemitschnitt unserer Meinung nach ein so einzigartiges historisches Zeitdokument, sowohl künstlerisch als auch politisch, dass wir diesen Mitschnitt nun in die SEMPEROPER EDITION den Opernfreunden offerieren möchten.
Bestärkt in unserer Entscheidung hat uns Klaus Heinze, langjähriges Kapellmitglied und als Herausgeber der Staatskapellen-Diskographie bester Kenner aller Aufnahmen seiner Orchesters.
Wenn auch die stimmliche Verfassung von Helmut Schindler als Apoll an diesem lampenfieber-durchzogenen Liveübertragungs-Abend nicht seiner sonstigen Leistung entsprach, sind es doch die Ensembleleistungen, die eindrucksvoll überzeugen können. Überdies und völlig zurecht hat es allemal die von Rudolf Kempe entdeckte mädchenhaft lyrische Stimme der jungen Gudrun Wuestemann verdient, dokumentarisch gewürdigt zu werden. In ihrer Debütvorstellung als Mitglied des Dresdner Opernensembles!
Ein Weiteres: Wir erleben hier letztmalig in einer Liveübertragung mit Gottlob Frick, Helena Rott, Arno Schellenberg, Elisabeth Reichelt und Ruth Lange stimmlich das große Dresdner Solistenensemble in seiner langjährigen Besetzung. Es sollte nur noch eine Frage von Wochen und Monaten sein, dass politische und kulturelle Engstirnigkeit der SED-Oberen nicht nur einen Regisseur wie Heinz Arnold oder die namhaften Sängerpersönlichkeiten aus Dresden in den Westen vertrieb, sondern auch zutiefst ehrverletztend und nicht- achtend einen Rudolf Kempe.
Im Nachhinein betrachtet, sollte diese „Daphne“-Inszenierung zum Grabgesang werden für das einstmals so großartige Dresdner Opernensemble. Es wirkt auf uns wie ein letztmaliges, ein endgültiges Emporschwingen zu jener unverwechselbaren, traditionsbewussten Größe, die das Ensemble über Jahrzehnte lang zusammenge- schmiedet hatte!
Steffen Lieberwirth
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