Sänger Mitteldeutscher Opernhäuser Günter Kurth Oper Leipzig

Die Wotans und die Nibelheimer Dampfkessel-Werke

 

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„Ratlose Götter“
Rainer Lüdeke [Wotan], Edgar Wählte [Froh], Günter Kurth [Loge] Ekkehard Wlaschiha [Donner] Sigrid Kehl [Fricka]
Alle Fotos auf dieser Seite: Helga Wallmüller

 

„Jedes Institut, das eine so exzellente und überwältigende Produktion vorweisen kann
wie diese „Rheingold“-Aufführung, hat sich unter die besten der Welt hinaufgearbeitet.
Von denen könnte fast jedes ein gut Stück Praxis von den Leipzigern lernen.“

Paul Moor
ZEIT vom 20. April 1973

Inhalt

  Besetzung
  Joachim Herz‘ originelle „Rheingold“-Deutung in der Leipziger Oper
  SLIDESHOW: Probenfotos zu Rheingold von Helga Wallmüller
Lautsprechersymbol-klein-1  Rundfunkaufnahme Szene des Loge

 

Richard Wagner: Das Rheingold

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„Mime – Rücken“
Handzeichnung des Ausstattungsleiters Rudolf Heinrich.
Dokument aus dem privaten Künstleralbum von Günter Kurth

Premiere: xx. April 1973
Inszenierung: Joachim Herz
Ausstattung: Rudolf Heinrich
Dirigent: Gert Bahner
Rheintöchter:
Woglinde:
Venceslava Hruba
Wellgunde: Anne-Kristin Paul
Floßhilde: Liliana Nejtschewa
Götter:
Wotan:
Rainer Lüdeke
Donner:  Ekkehard Wlaschiha
Froh: Edgar Wählte
Loge: Günter Kurth
Fricka: Sigrid Kehl
Freia: Jitka Kovaříková
Erda: Renate Härtel
Die Nibelungen:
Alberich: Karel Berman [a.G.]
Mime: Guntfried Speck
Riesen:
Fasolt: Thomas M. Thomaschke
Fafner: Michael Ludwig

Gewandhausorchester Leipzig
Chor der Leipziger Oper

 

Joachim Herz‘ originelle „Rheingold“-Deutung in der Leipziger Oper

Ungewohntes erlebte Leipzigs Premierenpu­blikum. Die Damen bürgerlich-festlich im Abendkleid (mit einem Hauch von Tanz­stunde), die Herren im Dunklen mit Silber­krawatte, applaudierte es in Maßen enthusiasmiert Hauptdarstellern und Ensemble. Als schließlich Regisseur Joachim Herz, verant­wortlich zeichnend für diese „Rheingold“-Inszenierung, auf die Bühne trat, erschollen deutlich vernehmbare Buhrufe.

Das kleine Häuflein mutiger Wagner-Fans, erstaunlicherweise kaum einer über dreißig, ließ sich auch nicht durch die auf gesell­schaftliche Repräsentation bedachte Partei-und Staatspromineriz im Saal, erkenribar an den vielen Email-Bonbons am Rockaufschlag, beirren. Ohnehin in den hinteren Parterrerei­hen durch den massiven Rangbalkon gegen allzu intensive „Feindeinsicht“ abgeschirmt, machten sie ihrem Unbehagen an einer zwei­fellos ungewöhnlichen Wagner-Ausdeutung Luft.

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Konzeptionsvorstellung des Regieteams auf der Probebühne der Leipziger Oper. Foto aus dem privaten Künstleralbum von Günter Kurth

Die Messemetropole Leipzig ist seit langem vom Ehrgeiz beflügelt, Opernbühne Nummer eins der DDR zu werden. Sie hat mit dieser Aufführung zweifellos ihr anspruchsvollstes Projekt angepackt. Bis 1975 soll der gesamte „Ring“ stehen, mit dem man dann geschlos­sen ins Nibelungenjahr 1976 gehen will. Allerdings ist es ein völlig anderer Wagner, der hier präsentiert wird.

Schon im Programmheft verteilt Joachim Herz Hiebe in Richtung Bayreuth und auf den dort unter Wieland Wagner gepflegten Inszenierungsstil:
„Wir sind der Meinung, daß zur Entschlüsselung des von Wagner Gemein­ten keine Baukastenspiele taugen, seien sie nun aus Quadern gefügt oder aus Segmenten, und erst recht keine auf Stromlinie gebrachte Mystik…, die nur dazu dient, dem Dahindämmern das geschmacklich gute Gewissen des New Look zu verleihen und romantische Illusion zu ersetzen durch den totalen Nebel der Abstraktion.“

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Probenfoto der Rheingoldszene aus dem privaten Künstleralbum von Günter Kurth

Abstrakt geht es bei Joachim Herz — übri­gens Felsenstein-Musterschüler wie der erst vor kurzem in die Bundesrepublik retirierte Götz Friedrich — in der Tat nicht zu.

Der Aquarium-Effekt des ersten Bildes ist beste­chend.
Die Rheintöchter im Bunny-Look schweben in kleinen Drahtgondeln hinter einem grüngelb flimmernden Lichtvorhang zeitlupenlangsam auf und ab und treiben kesse Scherze mit Alberich.

Das Rheingold erwächst in phallischer Gestalt senkrecht aus der Bühnenmitte, von Alberich geifernd bestiegen. — Im zweiten Bild herrscht zwar weitgehend karge Dekoration vor, freie Bühne mit einfacher Rundinsel.

Dafür prä­sentieren sich Wotan und Co. kurfürstlich-brandenburgisch. Die Riesen, Mischung aus Maurerpolier und Lagerkapo, bringen jeweils gleich ihre ganze Brigade mit.

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Figurinen des Ausstattungsleiters Rudolf  Heinrich für Alberich und Fasolt

Absoluter Höhepunkt das dritte Bild:
Nibelheim als frühkapitalistischer Maschinen­saal der Manchester-Zeit. Mächtige Dampf­kessel, dicke Rohrschlangen, gewaltige Stahl­tore, Schwungräder und Schmelzöfen.

Zwi­schen all dem düsteren Stahl und Qualm robotende Arbeitermassen, gnadenlos ge­scheucht und geknechtet von Cliefausbeüter Alberich. Nur Zylinder und Zigarre fehlen ihm noch, und die Krupp-Karikatur wäre perfekt.

Beißender Zynismus, schneidende Ironie auch über dem Schlußbild. Pathetisch bis an den Rand der Lächerlichkeit schreiten die Götter, in blaue Prunkmäntel mit Papp­mache-Flügelchen nach Art Ludwigs II. ge­hüllt, die schräge Rampe empor zur eben fer­tiggestellten Walhall. Diese eine überdimen­sionale Fotomontage-Mixtur aus Berliner Reichstag, Frankfurter Hauptbahnhof und Leipziger Reichsgericht. Schwertwinkend wartet oben Bavaria auf den göttlichen Ge­leitzug.

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Foto von Rudolf Heinrich aus dem privaten Künstleralbum von Günter Kurth. Beachtenswert sind auf allen Albumfotos die handschriftlichen Bildkommentare des Tenors.

Gewaltiger Maschinenaufwand dazu:
Die gesamte Hauptbühne einschließlich kreiseln­der Drehbühne hebt sich um einen Meter empor. Dem so entstehenden Graben entstei­gen — ziemlich umweltverschmutzt und laut lamentierend — die Rheintöchter.
Werktätige Massen strömen aus den Kulissen hervor, die Welt in Besitz zu nehmen, die von den schnö­den Göttern soeben über die Regenbogen­rampe himmelwärts verlassen wird. Vorhang.

So schockierend das auf den bayreuth-bestimmten Wagner-Freund wirken mag, es ist nicht ohne Sinn und Witz, was Joachim Herz da in Szene gesetzt hat.
Im besten Einverneh­men mit der DDR-amtlichen Geschichtsinterpretation deutet er Wagners mythische Götterweltstory als getarnte Kritik an der kapi­talistischen Gesellschaftsordnung.
Der Richard Wagner des Revolutionsjahres 1849, der steckbrieflich von der Dresdner Stadt-Polizei-Hauptdeputation „wegen Teilnahme an einer aufrührerischen Bewegung“ gesuchte Barrikadenkämpfer, liefert selbst Material für diese „Ring“-Deutung. Der späte Wagner muß dann freilich zurechtgebogen werden, bis er in dieses griffige Schema paßt.
Anderer­seits ist diese extreme Neuinterpretation des Nibelungen-Dramas so neu und originell nicht.
George Bernard Shaw ist Herzens Kronzeuge. Schon 1898 deutete GBS den „Ring“ als verkappte Kapitalismus-Kritik.

Künftige Wagner-Inszenierungen werden an Leipzig nicht achtlos vorübergehen kön­nen!
Die Herz-Version ist streckenweise sicher überzögen. Selbst der Musikkritiker der „Leipziger Volkszeitung“ fragte behutsam an, ob hier nicht des Realistischen zuviel ge­tan worden sei. Das sollte jedoch nicht den Blick versperren für die These, wonach der „Ring“ mit germanischer Götterwelt nur vor­dergründig, mit hiesigem Gesellschaftselend aber im Kern zu tun habe.

Musikalisch gehört das Leipziger „Rhein­gold“ ohnehin zur Spitzenklasse.
Das Ge­wandhaus-Orchester mied allzu dicken Strich, um — völlig im Einklang mit der Regie — kulinarischen Klangkonsum erst gar nicht aufkommen zu lassen. Es handelte sich aber dafür bei der internationalen Kritik die Rüge ein, Gert Bahner sei wohl nicht in der Lage gewesen, die volle Bandbreite der Parti­tur auszufüllen.

Nahezu sämtliche Rollen waren vorzüglich besetzt:
Sigrid Kehl als großartige Fricka, Günter Kurth als mephi­stophelisch agierender Loge, Jitka Kovarikova als mädchenhaft-innige Freia.

Diese Aufführung zeigte wieder einmal die neue Dimension des DDR-Musiklebens. Füh­rende Kräfte des gesamten Ostblocks stehen als Reservoir bereit.
Gleichzeitig ist im Lande eine neue Spitzengruppe herangewachsen, die sich dank streng reglementierter Reisepolitik nicht gen Westen verflüchtigen kann.
Wenn auch gewiß ist, wohin Herzens Regie-Reise führen wird, man darf trotzdem gespannt sein auf 1975, wenn die Leipziger Tetralogie endgültig steht.                         

Peter Klinkenberg
NEUE MUSIKZEITUNG nmz vom August 1973

 

Probenfotos zu Rheingold von Helga Wallmüller

 

Rundfunkaufnahme

Wagner: Rheingold

daraus: Immer ist Undank Loges Lohn – Über Stock und Stein zu Tal stapfen sie hin Szene des Loge
Loge: Günter Kurth
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Dirigent: Gert Bahner
Aufnahme: 26. Januar 1977 in der Bethanienkirche Leipzig

 

Dank

Für die Genehmigung zur Verwendung der Fotos bedanken wir uns bei den Leipziger Theaterfotografen, Helga Wallmüller und Andreas Birkigt.
Für die Fachberatung geht unser Dank an den langjährigen Leipziger Operndramaturgen Lothar Wittke, für die Veröffentlichung der Kritik im Internet bedanken wir uns beim Herausgeber der neuen musikzeitung, Theo Geissler.

 

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