Oskar Sala und die Erfindung des Trautoniums
→ Die experimentierfreudigen 1920er Rundfunkjahre
→ Das Trautonium
→ Oskar Sala
→ Die Zusammenarbeit mit Hitchcock
→ „Elektroakustische Komposition“
→ Die historischen Rundfunkaufnahmen
→ Die CD-Dokumentation
AUDIOS [Ausschnitte]:
HINDEMITH: DES KLEINEN ELEKTROMUSIKERS LIEBLINGE (SIEBEN TRIOSTÜCKE FÜR DREI TRAUTONIEN) 1930
SALA: VISION FÜR RUNDFUNK-TRAUTONIUM SOLO
FRIEBE: CAPRICCIO FÜR TRAUTONIUM UND ORCHESTER
RIES: LA CAPRICCIOSA
PAGANINI / GENZMER: DER KARNEVAL VON VENEDIG
GENZMER: KONZERT FÜR TRAUTONIUM UND ORCHESTER NR. 1
Die experimentierfreudigen 1920er Rundfunkjahre
Ab Mitte der 1920er Jahre waren die Radiopioniere eifrig auf der Suche nach Rundfunkadäquaten klanglichen Ausdrucksmitteln.
Erste Experimente, eine speziell auf ihr Medium zugeschnittene Kunstgattung zu etablieren, waren Ende der 20er Jahre vor allem in Berlin zu verzeichnen. Mit dieser Aufbruchstimmung verbinden sich Namen wie Paul Hindemith und Ernst Toch, aber auch der des Experimentalfilmers Walter Ruttmann, der 1928 mit seiner Klangcollage »Weekend« einen frühen Vorläufer der Musique concrete geschaffen hatte.
![„Elektrische Konzerte“ mit dem elektroakustischen Orchester, 1932/1933 Anlässlich der 9. und 10. Funkausstellung in Berlin 1932 und 1933 fanden erstmals Konzerte mit „Elektrischer Musik“ statt. Gespielt wurden vom sogenannten „Orchester der Zukunft“ alle damals verfügbaren elektroakustischen Musikinstrumente. Diese erzielten seinerzeit ein außerordentlich großes Interesse und auch breite Zustimmung in der Öffentlichkeit, wie der mit eigenem Theremingerät mitwirkende Erich Zitzmann-Zerini [zweiter von rechts] dem Toningenieur Gerhard Steinke erzählte und ihm dabei dieses Originalfoto übergab.Die Orchesterbesetzung bestand aus zwei Theremin-Instrumenten, Trautonium (nach Trautwein), Hellertion (von B. Helberger und P. Lertes), einem Neo-Bechstein-Flügel (nach Vorschlä-gen von O. Vierling, S. Francó, W. Nernst und H. Driescher), Vierling-Klavier (Elektroakusti-sches Klavier von O. Vierling), Elektro-Geige, Elektro-Cello und Saraga-Generator (ein licht-elektrisches Gerät von W. Saraga, prinzipiell ähnlich dem Theremingerät.](http://www.rundfunkschaetze.de/wp-content/uploads/2015/09/Funkausstellung-mit-Elektronischer-Musik-for-web.jpg)
„Elektrische Konzerte“ mit dem elektroakustischen „Orchester der Zukunft“, 1932/1933
Anlässlich der 9. und 10. Funkausstellung in Berlin 1932 und 1933 fanden erstmals Konzerte mit „Elektrischer Musik“ statt. Gespielt wurden vom sogenannten „Orchester der Zukunft“ alle damals verfügbaren elektroakustischen Musikinstrumente. Die „Elektischen Konzerte“ erzielten seinerzeit ein außerordentlich großes Interesse und auch breite Zustimmung in der Öffentlichkeit, wie der mit eigenem Theremingerät mitwirkende Erich Zitzmann-Zerini [zweiter von rechts] dem Toningenieur Gerhard Steinke erzählte und ihm dabei dieses Originalfoto übergab.
Die Orchesterbesetzung bestand aus zwei Theremin-Instrumenten, Trautonium [nach Trautwein], Hellertion [von B. Helberger und P. Lertes], einem Neo-Bechstein-Flügel [nach Vorschlägen von O. Vierling, S. Francó, W. Nernst und H. Driescher], Vierling-Klavier [Elektroakustisches Klavier von O. Vierling], Elektro-Geige, Elektro-Cello und Saraga-Generator [ein licht-elektrisches Gerät von W. Saraga, prinzipiell ähnlich dem Theremingerät].
Foto: Archiv Gerhard Steinke
Derartige Kreationen auf der Grenzlinie zwischen Hörspiel und Musik standen auf der einen Seite, auf der anderen war es die Idee, in den elektronischen Medien – vor allem dem Rundfunk – auch neue Klangbilder, erzeugt durch elektronische Musikinstrumente, zu Gehör zu bringen.
In diesem Sinne wurde auch 1930 an der Rundfunkversuchsstelle der Musikhochschule Berlin das Trautonium entwickelt.
Doch dieses Instrument hatte Vorgänger: das 1920 von dem Russen Lew Termen konstruierte Thereminvox (auch Aetherophon), bei dem die Klänge gewissermaßen aus der Luft gezaubert wurden, und die 1928 von dem Franzosen Maurice Martenot präsentierte Ondes Martenot, gesteuert per Klaviatur und Seilzug. All diese elektronischen Spielinstrumente der 1920er Jahre sind heute aufgrund ihrer lebendigen, »musikalischen« Klanggestaltungsmöglichkeiten wieder in den Blickpunkt gerückt. Eine Renaissance werden sie jedoch kaum erleben: nicht nur weil sie technisch überholt sind (das ließe sich beheben), sondern vor allem weil sie einen Interpreten verlangen, der sich voll und ganz auf dieses Instrument einstellt (nicht wie ein Klavierspieler, der nebenbei einen Synthesizer bedient). Und so verbindet sich die Geschichte des Trautoniums, das im Gegensatz zum Thereminvox oder zur Ondes Martenot eine ständige Weiterentwicklung erfuhr, mit lediglich einem Interpreten: Oskar Sala.

Oskar Sala in seinem Berliner Studio anlässlich der Produktion einer Dokumentation für MDR KULTUR, 1993
© Foto: Gerhard Hopf
Das Trautonium

Zur Uraufführung der Triostücke von Paul Hindemith mit Oskar Sala, Paul Hindemith und Rudolph Schmidt im Saal der Berliner Musikhochschule, 1930
Foto aus der Rundfunkzeitschrift „Der Rundfunk“
Am 20. Juni 1930 erklang im Großen Saal der Staatlichen Musikhochschule Berlin erstmals öffentlich Musik auf dem Trautonium:
Im Rahmen des Festivals »Neue Musik« Berlin kamen Paul Hindemiths »Sieben Triostücke für drei Trautonien« zur Aufführung, gespielt von Oskar Sala, Paul Hindemith und Rudolph Schmidt.
Die drei Instrumente waren Entwicklungen der Rundfunkversuchsstelle an der Hochschule, wo unter Leitung des Ingenieurs Friedrich Trautwein Forschung für das junge Medium Radio betrieben wurde.
Zum Kreis der Interessenten und Mitarbeiter dieser Einrichtung gehörten Lehrkräfte und Studenten der Musikhochschule, darunter Oskar Sala. Er war es, der fortan die technische Entwicklung des Trautoniums vorantrieb und als Solist im Rundfunk wie auf der Konzertbühne für Aufsehen sorgte.
Paul Hindemith: Des kleinen Elektromusikers Lieblinge (Sieben Triostücke für drei Trautonien) 1930
daraus: 4. Breit · 5. Mäßig schnelle Achtel · 6. Lebhaft, mit Kadenzen · 7. Langsam. Mit Hauptwerk, Feuerwerk, Klangfarbenwechsel
Oskar Sala – Trautonium
Die Uraufführung dieses Kompositionszyklus war zugleich die Rundfunk- und Konzertpremiere des Trautoniums.
Die Stücke sind dreistimmig, überwiegend kontrapunktisch komponiert und beziehen (bei konzertanter Aufführung) räumliche Klangwirkungen ein, was sich in einzelnen Satzbezeichnungen andeutet.
Friedrich Trautwein hatte im Saal der Berliner Musikhochschule eine umfangreiche Lautsprecheranlage installieren lassen, u.a. mit einem »Fernwerk« an der Decke, so daß unerwartete räumliche Effekte die Zuhörer in ihren Bann zogen.
Der vorletzte Satz beinhaltet Solokadenzen für alle drei beteiligten Spieler (bei der Uraufführung: Paul Hindemith – Oberstimme, Oskar Sala – Mittelstimme, Rudolph Schmidt – Baß).
Diese neue Aufnahme entstand 1977 im Privatstudio von Oskar Sala anhand des Notenmaterials und persönlicher Erinnerungen an die Uraufführung im Jahr 1930 im Playback-Verfahren. Salas Urband liegt in Stereophonie vor.
Zu hören ist hier Oskar Salas Mixturtrautonium von 1952, jedoch in eingeschränkter Klangvielfalt, was dem Interpreten durch den historischen Charakter dieser ersten Komposition für Trautonium geboten schien.
Mit der gelungenen Premiere 1930 war das Interesse der Fachwelt und auch der Industrie geweckt, und das Trautonium ging als erstes elektronisches Musikinstrument bei Telefunken in Serienfertigung.
Selbst eine Trautonium-Schule wurde zu Papier gebracht, so daß der Weg zu einer weiteren Verbreitung des Instruments geebnet war. Doch die Zeitumstände wirkten dieser Entwicklung entgegen. Der Nationalsozialismus, die einsetzende Kriegsvorbereitung, letztlich der Ausbruch des Weltkriegs hatten ihre Auswirkungen: Hindemith mußte Deutschland verlassen, die Rundfunkversuchsstelle wurde geschlossen, die Produktion des Trautoniums eingestellt.

Paul Hindemith, Oskar Sala und Friedrich Trautwein (v.l.n.r.), 1930
Foto aus der Zeitschrift „Der Rundfunk“ – ArchivSala
Inzwischen war aus dem Interpreten Oskar Sala zugleich der Konstrukteur geworden.
Friedrich Trautwein, immerhin der Namensgeber des Instruments, hatte schon in der Anfangszeit eher die Ideen und Schaltpläne geliefert und deren Ausführung letztlich seinen Mitarbeitern überlassen.
Auf ihn gehen die im Trautonium praktizierten Verfahren der Klangerzeugung und -formung zurück, während bei der Gestaltung der Spielvorrichtung vermutlich der enge Kontakt zum Bratscher Paul Hindemith eine Rolle gespielt hat.
Zur Klangerzeugung am Trautonium dient ein Kipp-Generator (Schwingkreis mit Glimmlampe, später Thyratron-Elektronenröhren von AEG), der eine obertonreiche Sägezahnschwingung produziert.
Die Frequenz der Schwingung wird über einen elektrischen Widerstand geregelt, der in Form eines Saiten-Manuals konstruiert ist. Die Stelle, an der ein Finger die Metallsaite auf die darunter verlaufende Kontaktschiene drückt, bestimmt den Wert des Widerstands und somit die Tonhöhe, Stufenlose Veränderungen sind möglich; Hilfstasten dienen zur Orientierung.
Alle Trautonium-Modelle seit 1934 verfügen über zwei Manuale. Eine zukunftsweisende Klangformungsidee, die am Trautonium von Beginn an realisiert wurde, besteht in der Schaffung künstlicher Formanten (Frequenzbereiche, in denen die Obertöne eines Klangs, bedingt durch die Eigenresonanz des Klangerzeugers, besonders stark ausgeprägt werden). Diese Formantbereiche lassen sich mit Hilfe der Resonanz eines Filterschaltkreises erzeugen und selbst während des Spiels verändern.
Auf Friedrich Trautwein geht auch die Idee der subharmonischen Mixturen zurück, die Oskar Sala 1934 erstmals in seinem Instrument erprobte. An den mittels Saiten-Manual gesteuerten Haupt-Tongenerator waren damals zwei weitere Kippschwingungsgeneratoren angeschlossen, die entsprechende subharmonische Frequenzen (ganzzahlige Teiler der Frequenz des Haupt-Tongenerators) erzeugten. Auf diese Weise ließen sich auf einer Saite Intervalle, später dann Akkorde bzw. orgelähnliche Mixturen spielen, die auf der sogenannten subharmonischen Reihe basieren, einer spekulativen Umkehrung oder auch Spiegelung der Obertonreihe. Die sich daraus ergebenden Intervallverhältnisse entsprechen natürlich nicht der temperierten, sondern der reinen Stimmung, ein Faktor, den der Interpret kalkulieren muß, wenn er z. B. einen Akkord auf dem einen Manual und dazu eine Melodie auf dem anderen Manual spielt.
Das Trautonium, als »bundloses Saiteninstrument«, ist für den Umgang mit subharmonischen Klängen prädestiniert.
Zu den Errungenschaften am Trautonium gehört weiterhin eine überaus genaue Anschlagsdynamik. Oskar Sala hat für dieses Problem in den 30er Jahren eine eigenwillige Lösung gefunden und patentieren lassen. Die Manuale sind federnd gelagert und wirken auf einen druckempfindlichen Flüssigkeitswiderstand ein. Der Ton beginnt erst, wenn die Saite so auf die Kontaktschiene gedrückt wird, daß diese nachgibt, Lautstärke und Klang können damit auch bei ausgehaltenen Tönen jederzeit beeinflußt werden.
Zur Festlegung der Grundlautstärke, der Oktavlage und zur Klangregistrierung dienen darüber hinaus zwei Pedale. Bei den verschiedenen Varianten des Trautoniums, ausgenommen die wenigen vor 1935 von Telefunken für den Heimgebrauch gefertigten Geräte, handelt es sich jeweils um Unikate, 1934 vollendete Oskar Sala sein zweimanualiges Rundfunktrautonium, das bereits die Hinzunahme von zwei subharmonischen Tönen gestattete.
Für den Bühnengebrauch entstand 1939 das Konzerttrautonium. Von 1948 bis 1952 arbeitete Sala an einem Instrument, in dem er das Prinzip der subharmonischen Mixturen mit aller Konsequenz weiterführte und das folglich als Mixturtrautonium in die Geschichte einging.
Einem Grundton (der Begriff Oberton wäre naheliegend, ist aber falsch) konnten nun vier subharmonische Klänge hinzugefügt werden, diesmal jedoch einzeln und frei wählbar bis zum 20. subharmonischen Ton. Bis 1987 komponierte und produzierte Oskar Sala mit diesem Instrument. 1988 konnte er sich der Öffentlichkeit mit einem neuen Gerät vorstellen, konstruiert als Gemeinschaftsprojekt von Studenten der Fachhochschule der Deutschen Bundespost Berlin unter Anleitung der dortigen Professoren Hans-Jörg Borowicz, Dietmar Rudolph und Helmut Zahn.
Dieses »Mixturtrautonium nach Oskar Sala« vereint die traditionelle Spielweise auf Saiten-Manualen und die beim Original bewährten Klanggestaltungsmöglichkeiten mit den Vorzügen der Mikroelektronik.
Auf einer von MDR KULTUR herausgegebenen CD sind jedoch überwiegend Rundfunkproduktionen dokumentiert, die mit dem 1939 gebauten Konzerttrautonium eingespielt wurden, die einen Eindruck davon vermitteln, wie dieses Instrument tatsächlich auf der Bühne und im damaligen Radio geklungen hat, ohne nachträgliche Abmischung oder zusätzliche elektronische Klangverfremdung, an der Seite des Orchesters, des Klaviers und als Soloinstrument.

Oskar Sala in seinem Berliner Studio. Rechts das sogenannte „Rundfunk-Trautonium“ aus dem Jahr 1934.
© Foto: Gerhard Hopf
Oskar Sala
Oskar Sala wurde am 18. Juli 1910 im thüringischen Greiz geboren. Seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte der Sohn eines Augenarztes am Klavier. 1929 bewarb er sich in den Fächern Klavier und Komposition an der Staatlichen Musikhochschule Berlin, und er wurde Schüler von Paul Hindemith. Bereits im ersten Studienjahr richtete sich sein Interesse auf die technischen Experimente, die an der Rundfunkversuchsstelle der Hochschule unter Anleitung von Prof. Friedrich Trautwein stattfanden. Als Student wirkte er bei der ersten öffentlichen Präsentation des Trautoniums mit, und sein weiterer Lebensweg verbindet sich untrennbar mit diesem Instrument. Nach Abschluß des Studiums suchte und fand Oskar Sala ein Betätigungsfeld beim Rundfunk.
Im Auftrag der Reichsrundfunkgesellschaft, vermittelt über die Firma Telefunken, baute er 1934 ein spezielles Rundfunktrautonium, das beim Deutschlandsender in Königs Wusterhausen installiert wurde. Regelmäßig hatte Oskar Sala hier Gelegenheit, sein Instrument in Begleitung durch Klavier oder Orchester in Live-Sendungen vorzustellen.
Das Repertoire bestand überwiegend aus Bearbeitungen klassischer Vorlagen, aus Salon- und Virtuosenstücken, darunter Tartinis Sonate »mit dem Teufelstriller«, Paganinis »La Campanella« (3. Satz des Violinkonzerts h-Moll op. 7) oder Wieniawskis Scherzo-Tarantelle op.16.
In späterer Zeit kam eine Reihe von Originalkompositionen für Trautonium und Orchester speziell für den Rundfunkgebrauch hinzu:
Fried Walters »Elegie« und »Humoreske«, Wolfgang Friebes »Capriccio« und Georg Haentzschels »Intermezzo«.
Auch Harald Genzmers Arrangement zu Paganinis »Der Karneval in Venedig« steht in diesem Zusammenhang.
Zwischen Oskar Sala und seinem ehemaligen Kommilitonen, dem Hindemith-Schüler Harald Genzmer, entwickelte sich eine besonders enge Zusammenarbeit, die 1939 in dessen Konzert für Trautonium und Orchester einen ersten Höhepunkt fand.
Während Genzmer dieses erste Solokonzert komponierte, begann Sala mit dem Bau seines transportablen Konzerttrautoniums. Mit diesem Instrument trat er in verschiedenen Ländern Europas auf, bis der Krieg diese Reisetätigkeit nicht mehr zuließ.
In den letzten Kriegsmonaten wurde Sala noch zum Wehrdienst einberufen, wurde verwundet, doch er überlebte.
Obwohl das Konzerttrautonium noch gebrauchsfähig war, begann er 1948 mit der Konstruktion eines neuen Instruments, das vor allem in klanglicher Hinsicht (subharmonische Mixturen) deutliche Erweiterungen brachte.
Für dieses 1952 fertiggestellte Mixturtrautonium komponierte Harald Genzmer sein Trautoniumkonzert Nr. 2.
Gastspiele führten Oskar Sala nun wieder in verschiedene Städte Deutschlands. Des weiteren produzierte er in verschiedenen Rundfunkanstalten (u.a. Süddeutscher und Mitteldeutscher Rundfunk, Radio Bremen) nun in zunehmendem Maß auch eigene Kompositionen, und darüber hinaus sorgte er für Klangeffekte bei verschiedenen Bühneninszenierungen (u.a. Parsifal-Glocken in Bayreuth, Bühnenmusiken von Paul Dessau in Berlin).
1958 gab Oskar Sala seine Reisetätigkeit auf und richtete sich sein eigenes Studio in Berlin ein.
Neue Entwicklungen ergänzten sein Instrumentarium: elektronisches Schlagwerk, elektrisches Metronom, Rauschgenerator, Frequenzumsetzer, Stereoraummodulator, Hallplatte usw. Solchermaßen gerüstet, verlagerte sich sein Arbeitsgebiet nun auf die Komposition.
Oskar Sala starb 91-jährig in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 2002 in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Heerstraße im Berliner Ortsteil Westend. Salas letztes zweimanualiges Mixturtrautonium auf Halbleiter-Basis befindet sich heute im Musikinstrumenten-Museum Berlin.
Zusammenarbeit mit Hitchcock
Mit den ungewöhnlichen Klängen seines Instruments weckte er vor allem das Interesse der Filmbranche, und schon mit den ersten Arbeiten für Industrie- und Kurzfilme gelangen ihm Erfolge.
Preise auf Internationalen Festivals, u.a. für den Mannesmann-Film »Stahl – Thema mit Variationen« (1960), für »Der Fächer« (1962) von BASF oder für den schweizerischen Naturfilm »A fleur d’eau« (1963), sorgten dafür, daß sein Name bekannt wurde, selbst einem Regisseur vom Rang eines Alfred Hitchcock. Letzterer hatte sogar 1930 das Trautonium in der Sendung des Berliner Rundfunks gehört.
1962 komponierte Oskar Sala im Auftrag Hitchcocks den kompletten Soundtrack zu dessen Hollywood-Gruselklassiker »Die Vögel«.
»In Hitchcocks Klassiker „Die Vögel“ werden die Einwohner einer kleinen amerikanischen Stadt ohne ersichtlichen Grund von Vögeln angegriffen. Panik bricht aus …
Völlig neu war die Idee, auf jegliche Musikuntermalung zu verzichten und für den Soundtrack stattdessen nur Geräusche zu verwenden: Oskar Sala erzeugte auf dem Trautonium Vogelschreie und das Geräusch schlagender Flügel. Natürliche Vogelstimmen sind in „Die Vögel“ nicht zu hören.
Die Furcht einflößenden Vogelschreie in „Die Vögel“ sind das wohl bekannteste Werk von Oskar Sala.«, so die Einschätzung des Deutschen Museums. Dort werden auch die dem Film vorausgegangenen Klangstudien zu Vogelschreien und Flügelflattern aufbewahrt und können angehört werden unter Klangstudien „The Birds“.
Bis in die 70er Jahre hinein stand das Komponieren für Film und Fernsehen noch im Vordergrund.
Zur Ausstattung von Oskar Salas Privatstudio gehörten die modernsten Ton- und Bildschnittmöglichkeiten, die ihm selbst komplexe Filmvertonungen mit bildgenauer Synchronisation gestatteten.
Doch die Nachfrage nach Dokumentar- und Kurzfilmen ging zurück; im Kino trat an die Stelle des Vorfilms nun die Werbung.
Kino-Trailer für Hitchcocks Thriller „Die Vögel“.
Das Vogelgekreisch und Flügelschlagen wurde von Oskar Sala ausschließlich auf dem Trautonium erzeugt.
„Elektroakustische Komposition“
Oskar Sala wandte sich stärker der reinen elektroakustischen Kompositionen zu, was vor allem 1979 auf der LP »Elektronische Impressionen« seinen Ausdruck fand. Das Interesse an Oskar Sala und seinem Instrument ist seit Ende der 80er Jahre wieder enorm gestiegen.
Mit unveränderter Produktivität arbeitete er im Studio mit dem neuen, technisch modernisierten »Mixturtrautonium nach Oskar Sala«, das ihm 1988 von der Fachhochschule der Deutschen Bundespost in Berlin zur Verfügung gestellt wurde.
Neben Vorträgen und Präsentationen widmete er sich nach wie vor der Komposition. Die Musik von Oskar Sala zeichnet sich nicht nur durch die spezielle Klangwelt seines Instruments aus: Sie ist aus der Sicht eines Interpreten erdacht, eines Künstlers, der Musik spielt und nicht konstruiert.
Sala: Vision für Trautonium solo
Oskar Sala, Trautonium
Aufnahme 6. Juni 1951 im Regieraum 5 des Mitteldeutschen Rundfunks, Sender Leipzig im Funkhaus Springerstraße
Wichtigste Inspirationsquelle für den Komponisten Oskar Sala ist sein Instrument. Aus dem Spiel heraus, aus dem Probieren bzw. Improvisieren, erwachsen musikalische Ideen, die weiter verfolgt und zur Komposition verdichtet werden. Bei diesen Frühwerken handelt es sich um erst- und einmalige Einspielungen. Sie demonstrieren die Klangvielfalt des Konzerttrautoniums eindrucksvoller als die vorausgehenden Virtuosen-Stücke, die eher die handwerklichen Fähigkeiten des Interpreten unter Beweis stellen. Dennoch scheinen hier Orientierungspunkte für Salas frühen Kompositionsstil zu liegen. Die Kompositionen sind als einzelne, in sich abgeschlossene Charakterstücke zu betrachten; ihre Reihung im Sinne einer Suite erfolgte nachträglich.
Die historischen Rundfunkaufnahmen
Der Großteil der erhaltenen Aufnahmen stammt vom Juni 1951. Auf Einladung des Mitteldeutschen Rundfunks weilte Oskar Sala mehrere Tage in Leipzig, gestaltete hier am 12. Juni 1951 gemeinsam mit dem Rundfunk Sinfonieorchester unter Leitung von Gerhard Pflüger ein Konzert in der Kongreßhalle. Im Umfeld dieses Konzerttermins fanden Produktionen sowohl in der Kongreßhalle als auch im Regieraum (Studio) 5 des Leipziger Funkhauses in der Springerstraße statt.
Auf Band gebracht wurden Oskar Salas Kompositionen für Trautonium solo, Werke der »gehobenen« Unterhaltungsmusik in Arrangements für Trautonium und Orchester (Niccolò Paganini, Wolfgang Friebe, Georg Haentzschel, Fried Walter) und jene sinfonisch dimensionierten Originalkompositionen für Trautonium und Orchester, die auch im Konzert zur Aufführung kamen (Harald Genzmer, Julius Weismann).
Von großem historischem Wert sind auch Einspielungen, die Oskar Sala in Begleitung des Pianisten Gerhard Schael im Juli 1946 für den Landessender Weimar absolviert hat. Sie vermitteln einen Eindruck vom Repertoire, mit dem Sala in den 1930er Jahren im Rundfunk aufgetreten ist: Salon- und Virtuosenstücke, in denen das Trautonium als Melodieinstrument gewissermaßen die Violinstimme vertritt.
Mindestens zehn Titel sind damals produziert worden; von einem einzigen blieben das (im Zerfall begriffene) Urband und die originale Karteikarte erhalten: »La capricciosa« von Franz Ries, aufgenommen am 20. Juli 1946 im Weimarer Hotel Elephant, wo das provisorische Sendestudio installiert war.
Die anderen Stücke existieren lediglich noch in Kopien (zum Teil mehrfach umgezeichnet) im Berliner Rundfunkarchiv; die eigens dafür neu erstellten Karteikarten beinhalten dann als Herkunftsverweis nur noch die Bemerkung »Weimarer Umschnitt«.
Die Urbänder der Weimarer wie auch der Leipziger Aufnahmen wurden zunächst in den Archiven der jeweiligen Sender aufbewahrt.
Mit der Auflösung des Mitteldeutschen Rundfunks 1952 und seiner zwangsweisen Eingliederung in das Zentrale Rundfunkkomittee verloren aber diese Archive ihre Eigenständigkeit. Die Verwaltung erfolgte somit durch das Berliner Archiv in der Nalepastraße, das durch die Anforderung von Umschnitten, später auch der Urbänder, seinen eigenen Bestand erheblich erweitern konnte, andererseits jedoch in den ihm untergeordneten Einrichtungen das Gegenteil bewirkte.

Produktionsauftrag des Mitteldeutschen Rundfunks, Sender Leipzig, für die Rundfunkkonzerte mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester im Juni 1951 sowie die Archivkarteikarte mit dem Löschvermerk der historsichen Bänder.
Dokument: MDR
Jährlich wurden sogenannte »Kassationen« in Listenform und ohne jegliche Angabe von Liquidationsgründen verordnet; die wertvollen Bänder mit den Produktionen Oskar Salas befanden sich unter den zu löschenden Beständen.
Mit derlei Aktionen sollten vornehmlich Aufnahmen politisch unbequemer Künstler bzw. jener, die in den Westen ausgereist oder geflüchtet waren, aus dem Verkehr gezogen werden.
Es liegt nahe, daß die Produktionen mit Oskar Sala nur deshalb davon betroffen waren, weil er in West-Berlin lebte.
Im Leipziger Archiv befanden sich bei Neugründung des Mitteldeutschen Rundfunks 1991 nur noch drei(!) von ehemals 20 Aufnahmen. Im Archiv des Senders Weimar existierte kein einziger der im Jahr 1946 produzierten Titel mehr.
Zwar sind letztlich fast alle Aufnahmen in den Beständen des Berliner Funkhauses erhalten geblieben [heute im DRA Babeblsberg], es handelt es sich dabei jedoch leider lediglich um Kopien der Leipziger Urbänder.
Gänzlich abhanden gekommen scheint auf diesem Weg das ebenfalls in Leipzig produzierte »Capriccio« von Wolfgang Friebe. Um auf dieses effektvolle Stück nicht verzichten zu müssen, wurde hier ersatzweise auf eine gleichfalls historische Aufnahme aus dem DRA Frankfurt/Main zurückgegriffen. Die Herkunft dieser Einspielung ist jedoch nicht eindeutig klärbar (s.u.).
Alle hier nachstehend präsentierten Aufnahmen wurden von Oskar Sala auf dem Konzerttrautonium, Baujahr 1939, eingespielt. Ihnen liegen also die (zum Teil mehrfach kopierten) Urbänder der damaligen Rundfunkproduktionen zugrunde.
Produzieren hieß damals: ein Stück so oft durchspielen, bis die Aufnahme technisch und interpretatorisch akzeptabel ist. Gegebenenfalls konnten einzelne Passagen nachträglich »geschnitten« werden, es gab jedoch keine Korrekturen hinsichtlich der Klangrelation. Das damalige Klangbild wurde bei dieser Veröffentlichung weitgehend bewahrt, jedoch partiell an zeitgenössische Hörgewohnheiten angepasst, das heißt, digital »entrauscht« und geringfügig »verhallt«.
Kai-Erik Ziegenrücker
Aus dem CD-Booklet
Wolfgang Friebe: Capriccio für Trautonium und Orchester
Oskar Sala – Trautonium
Großes Berliner Rundfunkorchester
Leitung: Otto Dobrindt
Aufnahme: 13. Februar 1945
Diese effektvolle und für den Solisten recht virtuose Komposition steht als Beispiel für die Suche nach einer neuen, »gehobenen« Unterhaltungsmusik im Rundfunk der späten 30er Jahre.
Die begleitenden Angaben zu dieser Produktion sind in verschiedener Hinsicht zweifelhaft. Zwar hat Oskar Sala dieses Stück mehrfach mit dem Orchester von Otto Dobrindt aufgeführt, jedoch unmöglich im Februar 1945, also gegen Ende des Weltkriegs.
Gegen ein früheres Aufnahmedatum spricht die Klangqualität: Da man erst in den 40er Jahren begann, auf Tonband aufzuzeichnen, müßte ein Schallplatten-Knistern zu vernehmen sein. Andererseits gab es nach dem Weltkrieg keine Zusammenarbeit mehr zwischen Dobrindt und Sala.
Oskar Sala – Trautonium
Gerhard Schael – Klavier
Aufnahme vom fragil erhalten gebliebenen Urband des Senders Weimar: 20. Juli 1946 in einem zum Rundfunkstudio umgebauten Zimmer des Hotels „Elephant“in Weimar.
Niccolò Paganini (Arrangement: Harald Genzmer): Der Karneval von Venedig
Oh, mamma, mamma cara · Carnevale di Venezia op. 10
Oskara Sala – Trautonium
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Leitung: Gerhard Pflüger
Aufnahme: 12. Juni 1951 in der Kongreßhalle Leipzig
Diese Komposition könnte aus einem Rundfunkprogramm Mitte der 30er Jahre stammen: Es ist eines jener Bravourstücke, in denen das Trautonium erfolgreich die Violinstimme ersetzt. Eine Herausforderungen für den Virtuosen. Einiges ist in spielpraktischer Hinsicht auf der Violine leichter, anderes schwerer auszuführen.
Einen »kleinen« Unterschied gibt es zwischen den beiden Saiteninstrumenten auf jeden Fall: Während auf einer Violinsaite die Griffabstände mit zunehmender Tonhöhe immer enger werden, bleibt der Oktavabstand auf der Saite des Trautoniums in jeder Tonlage konstant, die Mensur der Saite (oder genauer: des elektrischen Widerstands) ist linear, nicht exponentiell.
Paganinis Variationen op.10 über das venezianische Karnevalslied »Oh, mama, mama cara«, in Deutschland bekannt unter dem Titel »Mein Hut, der hat drei Ecken«, eine der zahlreichen Bearbeitungen dieser Melodie im 19. Jahrhundert, sind ebenfalls für die Violine (oder das Trautonium) prädestiniert.
Harald Genzmer: Konzert für Trautonium und Orchester Nr. 1
daraus: IV. Intermezzo und V. Rondo: Lebhaft – Sehr lebhaft
Oskar Sala – Trautonium
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Leitung: Gerhard Pflüger
Aufnahme: 10. Juni 1951 in der Kongreßhalle Leipzig
Harald Genzmers Solokonzerte sind die Höhepunkte der Literatur für Trautonium; sie haben diesem Instrument, wenn auch nur vorübergehend, den Weg in den Konzertsaal bereitet. Das Konzert Nr. 1 entstand infolge der Zusammenarbeit mit Oskar Sala an Projekten für den Rundfunk Ende der 30er Jahre. Nach Abschluß seines Kompositionsstudiums bei Paul Hindemith 1934 wirkte Harald Genzmer zunächst als Korrepetitor am Opernhaus in Breslau. 1938 kehrte er als Lehrer für Tonsatz an der Volksmusikschule nach Berlin zurück. Spiel- und Klangmöglichkeiten des Trautoniums waren ihm aus seiner Studienzeit und dank einiger Arrangements, die er für seinen ehemaligen Kommilitonen, Oskar Sala, angefertigt hatte, vertraut.
In seinen beiden Solokonzerten fnden klassische Gestaltungsprinzipien in sinfonischen Dimensionen zu einer gelungenen Synthese mit virtuosen Präsentationen des Solisten und den damit verbundenen klanglichen Erweiterungen des Orchesterapparats.
Die Uraufführung des Trautoniumkonzerts Nr.l fand 1939 im Deutschlandsender statt. Zur überaus erfolgreichen Konzertpremiere kam es am 28. Oktober 1940 beim 1. Sonderkonzert zeitgenössischer Musik des Berliner Philharmonischen Orchesters unter Leitung von Carl Schuricht.
Die Besonderheit des Leipziger Konzertabends am 12. Juni 1951 und auch der zwei Tage zuvor absolvierten Rundfunkproduktion besteht in der Einfügung eines vierten Satzes, des Intermezzos, in das ursprünglich dreisätzige Werk.
Dank
Rundfunkschaetze.de bedankt sich bei Herrn Oskar Sala, Frau Carlotte Pflüger, dem Orchestervorstand des MDR Sinfonieorchesters Leipzig, dem Deutschen Rundfunkarchiv [DRA] sowie der TELDEC Classics für die Unterstützung der Dokumentation.
Die historischen Aufnahmen bearbeitete Klaus-Dieter Hesse [No-Noise] und Matthias Behrendt [Mastering].
Alle historischen Aufnahmen stammen aus dem DRA
Weiterführende Dokumente: Oskar Sala Fonds
1997 gab die Radiowelle MDR KULTUR eine CD-Dokumentation mit den noch erhaltenen Original-Aufnahmen der beim Mitteldeutschen Rundfunk von Oskar Sala eingespielten Werken heraus.

Dokumente zur mitteldeutschen Musik- und Rundfunkgeschichte 7
Herausgegeben von Barbara Molsen und Steffen Lieberwirth
MDR 1997 Bestell-Nr. 400-545-2
Auf der CD sind folgende Aufnahmen veröffentlicht:
· Hindemith: Sieben Triostücke für drei Trautonien
· Friebe: Capriccio für Trautonium und Orchester
· Tartini: Teufelstriller-Sonate
· Wieniawski Caprice a-Moll
· Kreisler: Scherzo im Stile von Karl Ditters von Dittersdorf
· Ries: La Capricciosa
· Paganini/Genzmer: Der Karneval von Venedig
· Sala: Kompositionen für Trautonium solo
· Genzmer: Konzert für Trautonium und Orchester
· Weismann: Variationen und Fuge über ein eigenes Thema op. 143
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