Mitteldeutscher Rundfunk Neuanfang 1945

 

Die Wiederbegründung des Mitteldeutschen Rundfunks 1945

Vom wechselvollen Rollenspiel eines Radiosenders

 

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Übertragungswagen des Senders Leipzig vor dem Funkhaus in der Leipziger Springerstraße.
Als dieses Foto im Winter 1946 entstand, war der später hinzugekommene Lückenschluss [zwischen den Gebäuden Springerstraße 22 und 24 – rechts im Bild] für den späteren Haupteingang, das Foyer und die Direktorenzimmer im zweiten und dritten Stock noch nicht erbaut.

 

Das ist schon ein elektrisierendes Gefühl für jeden Chronisten, wenn er in Archiven auf Originaldokumente stößt, die auf ihre Weise unbestechlich bezeugen, dass sich die Geschichte teilweise anders abgespielt hat, als wir bisher aufgrund der Aussagen einschlägiger Publikationen annahmen.
Es gilt also, die Geschichte der Neugründung des Mitteldeutschen Rundfunks nach 1945 zu korrigieren und in wesentlichen Punkten sogar neu zu schreiben.

Erinnern wir uns: Der Reichssender Leipzig hatte auf Anweisung Joseph Goebbels‘ 1942 den eigenen Sendebetrieb eingestellt. Das Funkhaus in Barthels Hof, Markt 8, wurde geschlossen, wie es die Feldpostzeitung des Unternehmens namens „Das leere Haus“ überliefert.
Bei den Luftangriffen auf Leipzig wurde der Hauptflügel durch Brandbomben getroffen und schwer beschädigt. Das Feuer konnte sich rasch ausbreiten, weil durch die angeordnete Schließung keine Luftschutzvorkehrungen durch Mitarbeiter des Senders mehr getroffen worden waren. Unglücklicherweise fiel die Bombe in den Dachstuhl über dem großen Sendesaal im dritten Stock, der aufgrund seiner speziellen Bauweise weit in den Dachstuhl hineinragte. Sandsäcke auf den Dachstuhlfußboden zu legen, verbot die eigenwillige Bauweise der sperrhölzernen Decke dieses Funkraumes.

Im Juni 1945 stellt folgerichtig die Grundstücksverwaltung „Barthels Hof“ Leipzig, Markt 8, entsprechende Schadenersatzansprüche: „dass die erheblichen Bomben-Brandschäden am Grundstück vor allem darauf zurückzuführen sind, dass die leergestellten Geschäftsräume von der damaligen Geschäftsleitung von jedwedem personellen Feuerschutz entblösst worden sind, der grosse Sendesaal durch die umfangreichen hölzernen und textilen Schalleinbauten sowie das in grossen Mengen in den Räumen des IV. Stockwerkes untergebrachte Akten- und Archivmaterial dem Feuer hinreichend Nahrung boten. Es liegt also hier ein exaktes Verschulden der Leitung des Reichssenders Leipzig vor.“

Einen direkten Rechtsnachfolger des Reichssenders gab es natürlich nicht. Also verrät uns der weitere Verlauf des Schriftverkehrs indirekt auch die einzelnen Etappen, die schließlich bis hin zur Aufnahme des Leipziger Senders in den schon in Dresden (!) wiederbegründeten Mitteldeutschen Rundfunk führen sollten.
Doch es empfiehlt sich, die verschiedenen „Trägerschaften“ des Senders einzeln unter die Lupe zu nehmen.

 

Etappe I: „Radio Leipzig“ als „Gegenpol zum Berliner Sender der Russen“

8. Mai 1945. Deutschland hatte bedingungslos kapituliert. Große Teile Mitteldeutschlands mit ihren wichtigsten Industriezentren waren in amerikanischer Hand. Durch anglo-amerikanische Bombenangriffe war auch Leipzig schwer gezeichnet. Fast alle Kulturstätten waren unwiederbringlich verloren. Der Herzschlag der Stadt wurde diktiert von ständigen Energieabschaltungen, weitgehend lahmliegendem Verkehr und nächtlichen Ausgangssperren. Der Lebenswille der Menschen aber blieb ungebrochen. Eine der ersten Amtshandlungen des Stadtregiments bestand noch im Mai 1945 in der Umwandlung des Reichssenders Leipzig in ein „Radio Leipzig“. Die Trägerschaft des jungen Unternehmens übernahm das Kulturamt der Stadt. Um einen Sendebetrieb wieder zu ermöglichen, musste vor allem der Sender Wiederau instandgesetzt werden. Insgesamt trug dafür die Stadt Leipzig Aufwendungen in Höhe von 117905,50 RM. Dazu nahm sie ein Darlehen von 40.000 RM auf. Zunächst war offenbar an eine Wiederinstandsetzung des zerstörten Funkhauses des früheren Reichssenders gedacht worden, denn per 12. Juni 1945 teilte das Kulturamt der Stadt Leipzig der Grundstücksverwaltung „Barthels Hof“ Leipzig, Markt 8, mit, „daß sämtliche Mieträume des Reichssenders Leipzig für Sendezwecke weiterhin benötigt werden“. Doch blieben diese Pläne wohl undurchführbar. Zu schlecht war der Bauzustand der einst vom Rundfunk belegten Räume geworden.

 

„Während die Seitenflügel nicht bombengeschädigt sind, hat das Hauptgebäude durch Luftangriffe stark gelitten. Es fehlt vor allen Dingen das Dach, so daß es hineinregnet. Infolgedessen ist der 3. Stock überhaupt nicht benutzbar. Weiter fehlt in diesem Gebäudeteil jede Lampe; jeder Schalter ist herausgerissen. Infolge Herausreißens von irgendwelchen Armaturen und dergleichen sind die Wände und Decken stark beschädigt. Die Türen schließen schlecht oder gar nicht, so daß auch die Beheizung der Räume sehr in Frage gestellt ist. Das Linoleum ist gewaltsam herausgerissen worden. …Im 1. und 2. Stock der Seitenflügel hat der Rundfunk die Telefone sämtlich entfernt und die dazugehörigen Leitungen herausgerissen“, so heißt es im Bericht des Kulturamtes. Glücklicherweise war das Archiv des Reichssenders Leipzig – oder zumindest größere Teile davon – unbeschädigt geblieben, weil die Bestände in Schränken im unbeschädigten Seitenflügel des dritten Stocks untergebracht waren. Dieser Standort blieb noch bis mindestens Ende November 1945 erhalten und wurde zur Versorgung mit Tonträgern für den offenbar nur stundenweisen Sendebetrieb genutzt. Gesendet wurde damals aus dem Leipziger Kino „Casino“. Wann die Programmarbeit aufgenommen wurde, ist leider nicht belegt. Allerdings liegen uns Dokumente vor, die erahnen lassen, welche Sendephilosophie man dem „Radio Leipzig“ zugedacht hatte. Am 2. Juni 1945 legte der Oberspielleiter Dr. S. SKRAUP seine „Grundsätze über die Einrichtung eines neuen Radiosenders Leipzig“, den er als „Balance und Gegenpol zu dem mit großem Eifer betriebenen Sender Berlin der Russen“ verstanden wissen wollte, vor.

 

Etappe II: Im Griff der KPD

Zu unserem Erstaunen firmierte dieser erste Sender noch bis zum 30. September als „Radio Leipzig“, selbst nachdem am 2. und 3. Juli die Rote Armee eingezogen war. Das ist um so bemerkenswerter, da bereits am 8. Juli 1945 nunmehr die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) den Rundfunkstandort Leipzig als Propagandainstrument für ihre politischen Ziele zu nutzen suchte. Die Genossen der KPD gingen zu jenem Zeitpunkt in ihren Strategien noch davon aus, der Sender Berlin in der Charlottenburger Masurenallee würde bald – wie auch die Verwaltung der ehemaligen Reichshauptstadt – unter eine Viermächteverantwortung gestellt werden. Damit wäre, wie befürchtet wurde, der Partei in Berlin ihr hundertprozentiges Sprachrohr zumindest anteilig verlorengegangen. Mit dem Leipziger Sender besaß die KPD aber ein Instrument, das völlig unabhängig von etwaigen Einmischungen oder Zugriffen der westlichen Alliierten arbeiten und senden konnte. Inwieweit die KPD programmpolitischen Einfluss auf das Radio Leipzig ausübte, bleibt leider bislang unbeantwortet.

 

Etappe III: Unter Kontrolle der Sowjets

Erst im Oktober (!) 1945 wurde entsprechend den hier abgedruckten Belegen das Versäumnis beim Leipziger Sender durch die Sowjets korrigiert und das bislang immer noch eigenständig operierende „Radio Leipzig“ schleunigst unter Kontrolle und Zensur der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) gestellt: Das geschah durch eine Unterstellung an die Berliner Rundfunk G.m.b.H. Der Leipziger Sender nannte sich nunmehr „Berliner Rundfunk G.m.b.H. – Außenstelle Leipzig“, war also damit strukturell dem Berliner Haus des Rundfunks zugeordnet und übernahm – als Relaisstation – komplett das Berliner Programm aus der Masurenallee. Widersprüchlich ist hierzu allerdings die Aussage des späteren „Generalintendanten des demokratischen Rundfunks“, HANS MAHLE, der in allen seinen Darstellungen immer vom I. September 1945 als Geburtsstunde des Leipziger Senders sprach. Für ihn begann die politische Stunde „Null“ damit offensichtlich erst ein Vierteljahr nach dem Zusammenbruch Deutschlands. Zu einer Zeit also, da die US-Army aus Leipzig abgezogen war und die Stadt nun schon längst zur Sowjetischen Besatzungszone gehörte.

Anfang November 1945 wurden der „Berliner Rundfunk G.m.b.H., Außenstelle Leipzig“ die Gebäude der „Leipziger Versicherung BARMENIA“ in der Springerstraße 22-24 in Leipzig-Gohlis zugesprochen. Die Immobilie der „BARMENIA“ war aufgrund einer Verfügung der SMAD und des Oberbürgermeisters beschlagnahmt worden. Als Ersatzquartier sprach die Stadt der BARMENIA pikanterweise den ehemaligen Sitz des Reichssenders Leipzig zu: die Räume in Barthels Hof, Markt 8! Ohne Zeitverzug begann der Rundfunk mit dem Um- und Ausbau seines neuen Domizils zum Funkhaus „in der Springerstraße“.

 

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Etappe IV: „Der Mitteldeutschen Rundfunk-GmbH angegliedert“

Inzwischen war am 7 Dezember 1945 in Dresden von den mitteldeutschen Ländern der sowjetischen Zone die Mitteldeutsche Rundfunkgesellschaft mit Sitz in Dresden gegründet worden. Erst am 21. Dezember 1945 wurde der Leipziger Sender per „Befehl der sowjetischen Militär-Administration“ und „mit sofortiger Wirkung der Mitteldeutschen Rundfunk-G.m.b.H. angegliedert“. Damit war der Sender Leipzig aus der letzten Verwaltung der Berliner Rundfunk G.m.b.H. „herausgelöst“. Mit dem Um- und Neubau der Gebäude in der Springerstraße war es schließlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Intendanz und Verwaltung des Mitteldeutschen Rundfunks im neuen Funkhaus in Leipzig niederließen.

Dr. Steffen Lieberwirth

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