
Chronik des Leipziger Rundfunkchores Die Jahre 1943-1945
Johannes Rietz
Der Komponist und Dirigent Johannes Rietz entstammte eine Familie, aus der schon seit Generationen Musiker hervorgegangen waren, so der Dirigent Julius Rietz (Gewandhauskapellmeister von 1848 – 1860) oder dessen älterer Bruder, der bekannte Geiger Eduard Rietz (1802 – 1832).
Die musikalische Begabung des am 24. Februar 1905 in Breslau geborenen Johannes Rietz zeigte sich schon im frühen Kindesalter. Erste musikalische Unterweisungen erhielt Rietz zunächst von seinem Vater und später vom Breslauer Kantor Ehrenberg.
Um sich sein Studium zu finanzieren, arbeitete Rietz zunächst an verschiedenen Orten als Unterhaltungskomponist. In Breslau begann er daraufhin ein Klavierstudium bei Bronisłav von Poźniak und wurde von Domkapellmeister Dr. Paul Wilhelm Blaschke in Kirchenmusik und Gregorianik unterrichtet. Seine Liebe zur Chormusik verdankte Rietz dem Breslauer Organisten und Kantor Heinrich Haberstrohm, der ihm auch die Grundlagen im Chordirigieren vermittelte.
Rietz hatte schon als Mittzwanziger ein beachtliches kompositorisches Werk geschaffen. Nachdem im August 1929 erstmals Kompositionen von ihm in der Schlesischen Funkstunde erklangen, erhielt er von diesem Sender zahlreiche Kompositionsaufträge für Hörspielmusiken.
An großen Werken entstanden zu Beginn der 1930er Jahre drei Sinfonien, von denen die 1. Sinfonie im Breslauer Sender unter Edmund Nick und die 2. Sinfonie von Ernst Prade im Breslauer Konzerthaus mit großem Erfolg uraufgeführt wurden.
Zu Beginn der 1930er Jahre nahm ihn Paul Graener in die „Meisterschule für musikalische Komposition“ der Preußischen Akademie der Künste in Berlin auf.
Die Übernahme der Position als Leiter des Chores des Reichssenders Breslau stellte 1935 den Beginn seiner Laufbahn als Dirigent dar. In gleicher Eigenschaft wirkte er ab 1942 beim Chor des Reichssenders Stuttgart, wechselte jedoch schon 1943 – nach der Auflösung der Chöre bei den Reichssendern – neben Günther Ramin als 2. Chorleiter der Reichs-Bruckner-Chores nach Leipzig. Hier sorgte er während der durch das Thomaskantorat und die Kriegswirren bedingten Abwesenheiten Ramins für eine kontinuierliche Weiterarbeit des Bruckner-Chores. Zusammen mit dem Chor wurde er im April 1944 nach Linz verlegt. Neben Michael Schneider, dem neuen Leiter des Bruckner-Chores, blieb er auch in Linz der 2. Chorleiter. Weil Schneider, der auch als Organist der Bruckner-Orgel in St. Florian wirkte, nur auf Honorarbasis beschäftigt wurde, arbeitete der fest angestellte Johannes Rietz auch eigenständig mit dem Reichs-Bruckner-Chor.
Korrespondenz Ramin – Purfürst – Reichsintendant Glasmeier an Rietz





Briefe von Ramin und Chorobmann Purfürst an Rietz sowie von Hanns Kreczi im Stiftsarchiv St. Florian ausgewertete Dokumente belegen, dass der 2. Chorleiter sowohl bei den Mitglieder des Bruckner-Chores als bei den Chefs Ramin und Schneider sehr hoch angesehen war. Aber auch Rietz fühlte sich dem Bruckner-Chor sehr verbunden. Nachdem der Rundfunk Anfang September 1944 die Stilllegung des Chores – also den Einsatz der Männer in der Wehrmacht und der Frauen in Rüstungsbetrieben – beschlossen hatte, versuchte Johannes Rietz, dies mit allen Mitteln zu verhindern. So führte er eigenständig Gespräche mit dem Gauleiter und fuhr in derselben Angelegenheit nach Berlin. Reichsintendant Glasmeier sah darin eine Disziplinlosigkeit und ließ Rietz kündigen.
Johannes Rietz kehrte nach einjähriger Kriegsgefangenschaft schon im Herbst 1945 nach Deutschland zurück und fand, wie auch der Rest des Bruckner-Chores, in Korntal bei Stuttgart freundliche Aufnahme. Möglicherweise hatte er gehofft, dort wieder mit dem Bruckner-Chor arbeiten zu können, doch gab es Kreise im Chor, die ihn nicht mehr als Leiter wollten.
Dennoch blieb Rietz in Stuttgart, leitete die Stuttgarter Chorgemeinschaft und begann eine zweite, sehr fruchtbare kompositorische Schaffensperiode. Es entstanden neben Kammermusik A-cappella-Kompositionen, Lieder und chorsinfonische Werke, zum Teil für den Süddeutschen Rundfunk und aufgeführt vom Südfunk-Chor. Das erfolgreichste Werk dieser Zeit sind die Chorischen Tänze für Mezzosopran, Chor und Orchester (1957) nach alten slowenischen Volksliedern.
Johannes Rietz wirkte auch als musikalischer Berater beim Süddeutschen Rundfunk und betreute beim Sender das ostdeutsche Glockenarchiv und das ostkundliche Archiv.
Rietz, der 1971 mit dem Johann-Wenzel-Stamitz-Preis für sein kompositorisches Werk ausgezeichnet wurde, starb am 21. Januar 1976.
Verheiratet war der Komponist und Chordirigent mit der aus Breslau stammenden Sängerin Elisabeth Rietz, die nach dem Zweiten Weltkrieg für lange Jahre dem Chor des Süddeutschen Rundfunks angehörte.
Leider sind die in der Breslauer Schaffensperiode entstandenen Werke – insbesondere die Sinfonien und die noch nicht vollendete Oper Die versunkene Glocke (nach Gerhart Hauptmann) – im Krieg verschollen.
Quellen:
Nachlass Johannes Rietz bei Elisabeth Rietz-Alexander
Elisabeth Rietz, Johannes Rietz, in: Zeitgenössische Schlesische Komponisten, Dülmen 1982
Hanns Kreczi, Das Bruckner-Stift St. Florian und das Linzer Reichs-Bruckner-Orchester (1942 – 1945), Graz 1986
Sorry, the comment form is closed at this time.