www-Logo_MDR_RC_4c_oL

 

Der Leipziger Solistenchor  [II-01]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores   Die Jahre 1933-1935

von Rüdiger Koch

 

Solistenchor-Sendungen-for-web

Programmvorschauen auf Übertragungen von Konzerten des „Leipziger Solistenchores“.
Die Sopranpartie in Beethovens „Missa solemnis“ sang Elisabeth Feuge vom Leipziger Opernhaus

 

Seiteninhalt

  Unter neuem Namen und mit anspruchsvollen Aufgaben
  Mit verändertem Repertoire
  Die Chormitglieder des Solistenchores
→  Wer dirigierte den Solistenchor?
  Der Chordirigent Heinrich Werlé

 

Unter neuem Namen und mit anspruchsvollen Aufgaben

Leipziger-Solsitenchor

Monatsheft „Das Neue Leipzig“ Aus der Besprechung eines Konzertes des „Männerdoppelquartetts des Leipziger Solistenchores“ geht zweifelsfrei hervor, dass der Leipziger Solistenchor personell und institutionell in der direkten Nachfolge von Szendreis ehemaligen Hauschor stand.
Dokument: Sammlung Rüdiger Koch

Beinahe zeitgleich mit dem Verschwinden der Leipziger Oratorienvereinigung taucht ein bisher unbekannter Name im Programm der MIRAG auf: der Leipziger Solistenchor.
Fortan wird es dieses Ensemble sein, das hauptsächlich mit dem Leipziger Sinfonieorchester bei der Aufführung von Oratorien, Opern, Opernausschnitten, Operetten und heiteren, bunten Programmen zusammenarbeitet.

Sollte es sich später mehrfach zeigen, beispielsweise beim Übergang des Rundfunkchores Leipzig in den MDR Chor zur Jahreswende 1991/92, dass ein neuer Name nicht automatisch auch einen neuen Chor bezeichnet, so deutet vieles darauf hin, dass auch der Solistenchor aus der Leipziger Oratorienvereinigung heraus entstanden war und lediglich als eine neue Entwicklungsstufe in der Geschichte des Leipziger Rundfunkchores aufzufassen ist.

So äußert Heinrich Werlé, ein aufmerksamer Beobachter der Leipziger Chorlandschaft (wenig später selbst häufiger Gast am Pult des Leipziger Solistenchores und des Chores des Reichssenders Leipzig sowie später Neugründer des Leipziger Rundfunkchores) in einer Kritik, der Leipziger Solistenchor sei die „ehemals als Hauschor der Mirag unter Szendrei“ wirkende Vereinigung gewesen.
Diese Aussage ist so zu werten, dass der Leipziger Solistenchor die Oratorienvereinigung in ihrer Funktion als Rundfunkchor beerbte und dass es auch personelle Übergänge gegeben hat. Auf Letzteres deutet die Aussage von Käthe Brinkmann hin, sie sei Sängerin im Rundfunkchor Leipzig von 1930 bis 1950 gewesen.

  ZUM SEITENINHALT


 

Mit verändertem Repertoire

Im Vergleich zur Phase der Leipziger Oratorienvereinigung hatte sich das Repertoire nun grundlegend gewandelt.
Im Zentrum der Arbeit standen Spielopern wie Humperdincks „Dornröschen“ und Lortzings „Ali, Pascha von Janina“. Der Webersche Freischütz unter der Leitung des MIRAG-Dirigenten Hilmar Weber war schon ein vergleichweise großes Werk.
Auch die Operetten „Der verlorene Walzer“ von Robert Stolz und „Das Modell“ von Franz von Suppé sowie zahlreiche bunte Programme mit Titeln wie „Die tanzende Welle“, „Ländliche Kurzweil“ oder „Großer bunter Abend“ standen auf dem Programm des Chores.

Das Oratorium und die große Oper traten dagegen in den Hintergrund. Sendungen mit Beethovens Missa solemnis, Wagners „Tannhäuser“ oder mit einem Verdi-Puccini-Abend, alle vom neuen Chefdirigenten Hans Weisbach dirigiert, stellten die Ausnahme dar. In der Phase des Solistenchores scheint die zahlenmäßige Stärke deutlich zurückgegangen zu sein, denn für die Aufführung der Missa solemnis wurde zusätzlich der Chor des Riedel-Vereins und für die Sendung des „Tannhäuser“ die Singakademie Chemnitz verpflichtet.

REPERTOIRE DES LEIPZIGER SOLISTENCHORES

 ↑  ZUM SEITENINHALT


.

Kuenstler-Solistenenchor-for-web

Programmvorschau der Rundfunkzeitschrift Mirag für Februar 1934 sowie Porträtfotos von Sängern des Leipziger Solistenchores
v. l. n. r.: Emmy Daehne, Hans Helmbach, Fritz Marr und Walter Kretschmar
Dokumente: Sammlung Rüdiger Koch

 

Die Chormitglieder des Solistenchores

Wie viele Mitglieder der Solistenchor hatte, konnte nicht genau festgestellt werden. Es dürften jedoch keinesfalls mehr als 20 gewesen sein. Der Chor des Bayerischen Senders beispielsweise hatte um 1930 ein Stellenzahl von 18, die noch nicht einmal immer erreicht worden ist. Es ist also auch gut möglich, dass der Leipziger Solistenchor etwas weniger als 20 Sängerinnen und Sänger umfasste. Ein Vergleich mit der zahlenmäßigen Stärke des Chores des Reichssenders Leipzig, der folgenden Phase in der Entwicklung des Chores, und Rückschlüsse von den Solisten, die in Konzerten unter Beteiligung des Solistenchores sangen, lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass der Leipziger Solistenchor mindestens folgende Mitglieder hatte, wobei die Mitgliedschaft von Käthe Brinkmann, Erna Dietrich und Erhard Neukirch gesichert ist:

 

Sopran Alt Tenor Bass
Eva Anschütz Emmy Daehne Richard Einhorn Friedrich Fahrig
Lautsprechersymbol-klein-1 Käthe Brinkmann Leonore Eichhorn Walter Kretschmar Hans Heimbach
Edith Haßelmann Irmgard Fritzsche Erich Purfürst Gerhard Hofmann
Käthe Jena Waltraude Groch-Männel Albert Schwarzburger Erhard Neukirch
Inge Kahle Charlotte Hein Hans-Herbert Weigel Friedrich Schmidt
Ursula Thate Lautsprechersymbol-klein-1 Marie-Käthe Herre Heinrich Heinz Degen Hans Remagen
Lautsprechersymbol-klein-1 Erna Dietrich Lautsprechersymbol-klein-1 Dorothea Schröder   Johannes Hans Rothe
Charlotte Beuster Sommer Sopran?
Mary Trautner   Heinrich Born
  Käte Erkert    


  ZUM SEITENINHALT


.

MIRAG-Dresden-Hauskapelle-Blumer-for-web

Die Hauskapelle der Mitteldeutschen Rundfunk AG mit Hilmar Weber am Dirigentenpult ist bereits spielbereit, während der Rundfunksprecher noch das Programm für die kommende Sendestunde ansagt.
Foto: DRA



Wer dirigierte den Solistenchor?

Am Pult von Chor und Orchester standen in den Jahren 1931 bis 1934 die Hausdirigenten Theodor Blumer, Hilmar Weber, Alfred Schröter und Chefdirigent Hans Weisbach.
Zwischen der ersten Sendung unter Beteiligung des Leipziger Solistenchores am 24. Juli 1931 mit Volksliedern von Brahms und Ochs, geleitet von Blumer, und der letzten Sendung unter diesem Namen am 30. Juni 1934 („Großer bunter Abend“ unter Alfred Schröter) finden sich 35 weitere Sendekonzerte, darunter auch A-cappella-Konzerte und solche mit nur kammermusikalischer Begleitung, drei Mal dirigiert von Friedbert Sammler und fünf Mal von Heinrich Werlé.
Auch in der folgenden Entwicklungsetappe des Kammerchores bzw. Chores des Reichssenders Leipzig sollte Werlé bis zum Ende des Jahres 1935 der Dirigent bleiben, der den Chor in A-cappella- und Volksmusiksendungen dirigierte. Weil dieser Mann auch später noch einmal Bedeutung für den Leipziger Rundfunkchor gewinnen sollte, sei seine Persönlichkeit hier gewürdigt.

  ZUM SEITENINHALT


 

Der Chordirigent Heinrich Werlé

Werle-Heinrich-for-web

Heinrich Werlé
Foto: Universitätsarchiv Halle PA Nr. 26027

Über die Gründe von Werlés Affinität zu Leipzig kann nur spekuliert werden.
Möglicherweise hatte ihn Schuricht, der in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre ständiger Gast bei der MIRAG war, auf berufliche Perspektiven bei diesem Sender und auf das vielfältige Leipziger Musikleben hingewiesen. Seine publizistischen Ambitionen verwirklichte Werlé ab 1930 als Kritiker des Kulturzeitschrift „Das Neue Leipzig“. In dieser Funktion war er ein aufmerksamer Beobachter der Volks- und Chormusiksendungen der MIRAG und schreckte auch vor Schelte des Senders nicht zurück.
Vom 8. Dezember 1931 an taucht der Name Werlé häufig im Programm der MIRAG auf, zunächst als Leiter von Bandoneonkonzerten, dann als Dirigent des Leipziger Kammerchores (wahrscheinlich der Männerchor des Pädagogischen Instituts) und schließlich als Dirigent des Leipziger Solistenchores bzw. des Chores des Reichssenders Leipzig.
VITA HEINRICH WERLÉ

Über seine Tätigkeit beim Rundfunk in Leipzig schreibt Werlé 1950 in einem Lebenslauf:
„… beim Leipziger Rundfunk seit 1930 (Chorleitung und Sachbearbeiter für Chor- und Volksmusik), nebenamtlich bis 1933. Im August 1933 durch die NSDAP hier entlassen, im April 1934 wieder mit dem Aufbau des Chorwesens am Mitteldeutschen Rundfunk beauftragt, 1935 wieder entfernt.“

 

mirag-Leipzig-Programm-for-web

Sendungs-Anküdigung für den 19. Oktober 1934, 18.15 Uhr unter dem Titel „Der neue Chorgesang“ unter Heinrich Werlé
Dokument: mirag – Sammlung Rüdiger Koch

 

Die von Werlé genannten Daten stimmen im Wesentlichen mit den Programmeinträgen in den Rundfunkzeitschriften „Die Mirag“ und „Funk alle Tage“ überein. Heinrich Werlé dirigierte den Leipziger Rundfunkchor hauptsächlich in Sendungen mit Volksmusik, Programmen mit Werken modernerer Komponisten und von Franz Schubert. Wenn auch Werlé in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre recht häufig am Pult des Chores stand, gibt es für den Schluss, dass er auch der Leiter oder Chordirektor des Leipziger Solistenchores bzw. des Kammerchores des Reichssenders Leipzig gewesen ist, keine Beweise.
Bis zum Beginn dieser Forschungsarbeiten war über Heinrich Werlé nur bekannt, dass er 1946 den Leipziger Rundfunkchor neu gegründet und einige Bücher über die Methodik des Musikunterrichts und über Franz Schubert verfasst hatte. Die vorstehenden Informationen über sein Leben und sein Wesen entstammen zwei Lebensläufen aus der sich im Archiv der Universität Halle befindenden Personalakte und einem Lebenslauf seines Aufnahmeantrages in die Reichsschrifttumskammer, die heute im Bundesarchiv Berlin verwahrt wird.

Dass sich Werlé, vermutlich ab der ersten Zeit seines Musikstudiums 1909/10, den Accent aigu zulegte, obwohl er ohne diesen zur Welt gekommen war, dass er in seinen Lebensläufen den Beruf seines Vaters mit „Schulverwalter“ angab, obwohl dieser Pedell, also lediglich Schuldiener gewesen war, zeigt, dass Werlé dazu neigte seine Biografie zu schönen. Deshalb dürfen seine eigenen Aussagen über sein Leben nicht unkritisch übernommen werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Einschätzung seiner Persönlichkeit, die Anfang der fünfziger Jahre Walther Siegmund-Schultze abgab: „… trotz seines streitsüchtigen und aufbrausenden Temperaments, das psychologisch aus seinen sprachlichen Hemmungen und aus seinem nicht befriedigten Ehrgeiz zu erklären ist, besitzt er große pädagogische Kenntnisse.“

Mit den sprachlichen Hemmungen spielt Siegmund-Schultze darauf an, dass Heinrich Werlé stotterte.
Auf die Verdienste des Dirigenten für die Neugründung des Leipziger Rundfunkchores nach dem Zweiten Weltkrieg soll später eingegangen werden. 

  WEITER: DER CHOR DES REICHSSENDERS LEIPZIG  


www-Logo_MDR_RC_4c_oL

 

 

Übersicht zu den Chronik-Themen

Der Leipziger Rundfunkchor der Mitteldeutschen Rundfunk AG · 1924-1932
  Der Leipziger Solistenchor · 1933-1935
Der Chor des Reichssenders Leipzig · 1935-1943
Leipziger Rundfunk-Chorsänger im Reichs-Bruckner-Chor · 1943-1945
Ein neuer Anfang · 1945 IN ARBEIT

Jahresübersicht zum Leipziger Rundfunkchor
Literaturverzeichnis I Quellen I Dank IN ARBEIT

Rüdiger Kochs Rundfunkchor-Chronik beruht im Kern auf der Broschüre „Erster kurzer Abriss der Frühgeschichte des MDR Rundfunkchores von 1924 – 1946“, in der im Dezember 2002 die ersten Ergebnisse zusammengefasst wurden und die im März 2003 in einer zweiten Auflage unter dem Titel „Material zu einer Frühgeschichte des MDR Rundfunkchores Leipzig von 1924 – 1946“ aktualisiert wurde.
Unsere multimediale Chronik berücksichtigt die seither gewonnenen Erkenntnisse.

Partner

Logo-DRA-for-web-Die Chronik des Leipziger Rundfunkchores entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt und Potsdam Babelsberg.
Wir bedanken uns bei den DRA-Mitarbeitern Frau Christiane Poos-Breir und Herrn Jörg Wyrschowy für wichtige Archiv-Dokumentationen.

 

Sorry, the comment form is closed at this time.