www-Logo_MDR_RC_4c_oL

 


Vom Sender Leipzig
zum Mitteldeutschen Rundfunk
[XXII]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Konzertvorschau der Leipziger Rundfunkklankörper für die Spielzeit 1991/92, gemeinsam herausgegeben von SACHSEN RADIO und MITTELDEUTSCHEM RUNDFUNK
Dokument: Sammlung Rüdiger Koch

 

Spielzeit 1991/92:
Von SACHSEN RADIO zum MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNK
XXII-07

„Die Spielzeit 1991/92 wird wegen ihrer historischen Einmaligkeit in die Rundfunkgeschichte eingehen!
Sie beginnt als Konzertsaison von ‚SACHSEN RADIO‘ und endet unter der Firmierung ‚Mitteldeutscher Rundfunk‘. Angeknüpft wird damit an alte Traditionen:
Gerade in den Zwanziger Jahren – als der Rundfunk noch in den Kinderschuhen steckte – hatte der ‚MITTELDEUTSCHE RUNDFUNK einen guten Klang.
Musiksender nannten ihn jene, die seine Mittelwellenfrequenz per Detektor oder Spulenradio empfangen konnten,“
schreiben Detlef Kühn, der SACHSEN-RADIO-Direktor, und Udo Reiter, der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, gemeinsam in der Konzertvorschau für die Spielzeit.

SACHSEN RADIO, verwaltungstechnisch noch ein Teil der sogenannten Einrichtung nach Artikel 36 des Einigungsvertrages, strahlt drei Programme aus – und erfüllt damit den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag:
So existieren von Juli 1990 bis Dezember 1991 im Leipziger Funkhaus mit SACHSEN II und SACHSEN III KULTUR zwei Radiowellen. (Das Programm SACHSEN I wird aus dem Dresdner Funkhaus im Hygienemuseum gesendet).

Parallel dazu beginnt mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages über den Mitteldeutschen Rundfunk am 1. Juli 1991 faktisch die Existenz des MDR.
Der Sendestart ist für den 1. Januar 1992 vorgesehen.

 

Inbetriebnahem des neuen Schaltraumes im Leipziger Funkhaus in der Springerstraße:
Im Dezember 1991 wird durch den SACHSEN-RADIO-Hauptabteilungsleiter Betriebstechnik, Wolfgang Kier, die von Hinz projektierte moderne Schaltzentrale im Funkhaus Springerstraße eingeweiht.
Foto: Sachsen Radio Hopf-Sammlung Lieberwirth

 

Werner Hinz, technischer Direktor von SACHSEN RADIO, ließ die Koexistenz der beiden Sender in einem Beitrag für die MDR-Rundfunkzeitschrift „TRIANGEL“ (11-2000) Revue passieren und schrieb unter anderem:
„Wir haben jedenfalls dem ersten Mitarbeiter des neuen MDR, Udo Reiter, Zimmer zur Verfügung gestellt, damit er seine Arbeit beginnen konnte.
Um ihn herum bildete sich auch bald ein kleiner Kreis neu eingestellter Mitarbeiter, während parallel dazu die Arbeit im SACHSEN RADIO und SACHSEN FERNSEHEN scheinbar unbeeinflusst weiterlief, obwohl natürlich viele Blicke und Ohren auf das Geschehen in den Räumen des neuen MDR gerichtet waren.“

Allerdings arbeiten die beiden Sender nicht nur unter einem Dach. Ohne das Engagement der SACHSEN-RADIO-Crew um Direktor Manfred Müller und seinen Nachfolger Detlef Kühn, hätte der MDR wohl nicht so reibungslos am 1. Januar 1992 in See stechen können: Studios und Sprecherräume werden errichtet, Sendeleitungen und technische Ausstattung saniert, eine Anbindung von SACHSEN RADIO an die ARD angeregt – und Konzepte für künftige MDR-Programme entwickelt, wie beispielsweise (schon im Juli 1990!) die „Überlegungen zum 3. Programm des MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNKS“ von Klaus Dylus, Dr. Steffen Lieberwirth und Horst Makrinus.

Weitere Zeitzeugenberichte über den Aufbau von SACHSEN RADIO

 Wie sich die Kultur in Sachsen nicht abschalten ließ: SACHSEN III KULTUR  
Erinnerungen des ersten Juristischen Direktors des MDR an die „Einrichtung“
Erinnerungen des ersten Technischen Direktors von Sachsen Radio an die Pionierzeit

 

Quo Vadis?

Reiter war im Juni, als die Spielzeit wohl schon geplant war, zum Intendanten gewählt worden. Somit dürfte klar gewesen sein, dass der Rundfunkchor zumindest in dieser Spielzeit weiter existieren konnte.
Doch wie würde es danach weitergehen?

Würde der Chor eine langfristige Perspektive im neuen Sender erhalten?
Hier war es Frischmuth, der den Intendanten davon überzeugte, im Rundfunkchor Leipzig ein hervorragendes Instrument zu besitzen, das in der Lage ist, aus eigener Kraft fast alle Werke des chorsinfonischen Repertoires aufzuführen.

„Mit dankbarer Freude und aufrichtiger Bewunderung erinnert sich unser Intendant Prof. Udo Reiter daran, wie Sie bei Zeiten dafür gekämpft haben, dass der berühmte, traditionsreiche Rundfunkchor nicht den konzeptionellen Neuanfängen der Nachwendezeit zum Opfer fällt“ führt der Marketingchef der Rundfunkklangkörper, Henry C. Brinker, 2003 in seiner Laudatio zur Verleihung des Kunstpreises der Stadt Erfurt an Prof. Gert Frischmuth aus und fährt fort „… viele im Chor, dessen Anfänge nach neueren Untersuchungen 80 Jahre zurückreichen, wissen um dieses Verdienst.“

Zu Beginn der Spielzeit 1991/92 gehören 61 Sängerinnen und Sänger dem Rundfunkchor Leipzig an. Der MDR erhöht die Stellenzahl sogar auf 73! Wie kam es dazu?
Helga Kuschmitz, lange Zeit stellvertretende Chefproduzentin der Ernsten Musik in Leipzig und später bei SACHSEN RADIO verantwortlich für die Disposition der Rundfunkkonzerte, erinnert sich gegenüber dem Autor, dass sie dem Vorstand und Professor Frischmuth im Sommer 1991 in Salzburg suggerierte:
Wenn einer der Neuen fragt, wie viele wir sind, dann: 75!
Wieso, die Antwort, wir sind doch nur 61. Ja, sagte ich, aber der DDR Rundfunk hatte 150 Chorplanstellen und wir sollten immer die Hälfte bekommen. Was auch mir nach 1985 nicht gelang. Und es kam so, dass Prof. Reiter
kam und Prof. F. fragte: Wie viele sind Sie? Und F.: 75. Reiter: Ich übernehme sie. Dass daraus dann 73 wurden, kam, weil man nicht an den Korrepetitor und den Chorinspektor gedacht hatte.“
Es besteht kein Grund, an dieser Schilderung zu zweifeln.

 


Letzte Konzerte unter dem Namen „Rundfunkchor Leipzig“

Am 6. September 1991 – der Chor probt gerade für eine Aufführung des War Requiems – kommt Udo Reiter in eine Probe. Ein Kollege vermerkt an diesem Tag in seinem Tagebuch:
„Im Dienst im Saal von St. Nikolai kam der MDR-Intendant zu uns um uns zu sagen, daß er glücklich ist, mit uns als weltbekanntem Klangkörper den Mitteldeutschen Rundfunk mit aufzubauen.“

Die Spielzeit beginnt für das Rundfunk-Sinfonieorchester und den Rundfunkchor mit einem Konzert im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle. Peter Schreier dirigiert Mozarts Kantate Davidde penitente und das unvollendete religiöse Drama Lazarus oder die Feier der Auferstehung, komponiert von Franz Schubert.
Die Mozart-Kantate kommt kurz danach auch in einem Anrechtskonzert in Leipzig. Gewandhauskapellmeister Masur führt mit dem Chor das War Requiem im Oktober in Leipzig und Beethovens 9. Sinfonie im November in Hannover auf.
Rilling ist Gastdirigent für zwei Konzerte der c-Moll-Messe und König Thamos von Mozart in Leipzig und Eisenach.
Orchesterchef Pommer steht am 26. November 1991 letztmalig in einem Konzert vor dem Chor. Aufgeführt wird, wie kann es anders sein, Mozart: die Litaniae de venerabili altaris sacramento KV 243.

Das letzte Konzert unter dem Dach von SACHSEN RADIO dirigiert am 3. Dezember Isaac Karabtchevsky, ein Mozartiana-Programm mit der Krönungsmesse:

 

Hörprobe:

Wolfgang Amadeus Mozart: Krönungsmesse KV 317

 

Kyrie (Schluss) und Gloria (Beginn)

 

 

 

Credo 

Annegeer Stumphius, Sopran ∙ Annette Markert, Alt ∙ Lynton Atkinson, Tenor ∙ Reinhard Hagen, BassRundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Rundfunkchor Leipzig ∙ Einstudierung: Gert Frischmuth
Dirigent: Isaac Karabtchevsky
Aufnahme: SACHSEN RADIO am 3. Dezember 1991

 

 

Der „Rundfunkchor“ im Gedenkkonzert zum  200. Todestag von Mozart

 

In einer Aufführung des Mozart-Requiems am 200. Todestag des Meisters, dem 5. Dezember, singt der Chor das letzte Mal als Rundfunkchor Leipzig. Am Pult des Gewandhausorchesters steht Kurt Masur.
Mit seinem angestammten Namen wird er im Programmheft nicht mehr genannt. Man nennt ihn einen Monat vor dem Sendebeginn des MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNKS nur noch kurz Rundfunkchor.

Schon im Festkonzert zur Gründung des MDR am 1. Januar 1992 wird im Programmheft sein neuer Name stehen: MDR-Chor.

Eine neue Ära wird beginnen …

 

 


 

Kapitelübersicht

→ XXII-01 „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“: Die Leipziger Rundfunkmusik vor dem Aus!
→ XXII-02 1990/1991 – Die erste Spielzeit nach der Abwicklung des DDR-Staatsfunks:
Rundfunkchor und Sinfonieorchester als Spielbälle der Politik
→ XXII-03 Der Rundfunkchor Leipzig im Zentrum des Vereinigungsprozesses
→ XXII-04 Neue Kreativität bei Sachsen Radio ./. neuer Zentralismus in der „Einrichtung“
→ XXII-05 Warum Chefdirigent Frischmuth kein Opfer des Vereinigungsprozesses werden durfte
→ XXII-06 Der Reisesommer 1991: Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich
Spielzeit 1991/92: Von Sachsen Radio zum Mitteldeutschen Rundfunk

 


ZURÜCK ZUR STARTSEITE: DER MDR RUNDFUNKCHOR

 

 

Sorry, the comment form is closed at this time.