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Vom Sender Leipzig
zum Mitteldeutschen Rundfunk 
[XXII]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Der Rundfunkchor Leipzig mit seinem Chefdirigenten Gert Frischmuth im Foyer des Neuen Gewandhauses zu Leipzig im Herbst 1988.
Foto: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Barbara Stroff

 

Warum Chefdirigent Frischmuth kein Opfer des Vereinigungsprozesses werden durfte  XXII-05

Wir schreiben das Jahr 2019.
Seit den Veränderungen, die die Jahre 1989 bis 1991 mit sich brachten, sind also drei Jahrzehnte vergangen.
Aus diesem historischen Abstand heraus erscheint es als gerechtfertigt und sinnvoll, auch einen Einblick in das Innenleben der Leipziger Rundfunkchores während dieser Zeit zu geben:

Obwohl der Rundfunkchor in Jahr 1991 sehr viel zu tun hat, gibt es einige Kollegen, die die Zeit der Veränderungen nutzen wollen, um den Chefdirigenten zu demontieren:
Im Funkhaus werden Chormitglieder und der Chorvorstand darauf angesprochen, dass das Ensemble Gert Frischmuth loswerden wolle.

Gert Frischmuth
Foto: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Barbara Stroff

Dabei hatte es weder eine Abstimmung über den Chef, noch eine „Abwahl“ oder einen in diese Richtung zielenden Antrag aus dem Chor gegeben.
Gerüchte, Halbwahrheiten, falsche Informationen, Diffamierungen!

Alte Voreingenommenheiten einiger Kollegen dem Chefdirigenten gegenüber kommen wieder zum Vorschein; gegen den Lehrer, den Laienchordirigenten usw.

Der Chorvorstand sieht den Betriebsfrieden stark gefährdet.
Und so thematisiert Vorstandsvorsitzender Joachim Preiß die Angelegenheit.
Er erteilt allen, die in der schwierigen Zeit gegen den Chef arbeiten, eine Absage:
„Wir glauben, dass die Überlebensfrage des Chores problematisch genug ist, als dass man sich in dieser Zeit auch noch freiwillig des Chefs berauben sollte.“

 

Später fährt Preiß in seinen Worten fort:
„Einige Kollegen sind in ihrer Gegnerschaft zu Prof. Frischmuth so festgefahren, daß sie Stärken nicht bereit sind, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Was während der Proben bzw. in den Pausen oft an beckmesserischer Kritik zu vernehmen ist, lohnt in den meisten Fällen schon nicht mehr die sachliche Auseinandersetzung …
Ob das Klima in unserem Chor geprägt ist von gegenseitiger Achtung und Akzeptanz, von selbstverständlichen hohen Anforderungen, die jeder zu allererst an sich selbst stellt, von einem Geist kollegialer und kameradschaftlicher Kritik und Selbstkritik oder ob – wie in der Klippschule – Ordnung und Disziplin mit Hilfe von Ordnungsstrafen oder Bußgeldern erzwungen werden muß, hängt von uns selbst ab …
Wir sind der Überzeugung, daß wir bei gemeinsamem Wollen und ehrlichem und vorurteilsfreiem Engagement um der Sache willen auch unter Prof. Frischmuth die Leistungen erbringen können, die man vom RChL erwarten muß und die jeder einzelne Kollege dem Chor schuldig ist. Mit der Kampagne gegen Prof. Frischmuth wird, bewußt oder unbewußt, das Selbstvertrauen in die vorhandene Leistungsfähigkeit des Chores systematisch untergraben.“

 

Hörprobe
Felix Mendelssohn Bartholdy: Frühlingslieder für Chor a cappella

 

Nach Textem von Goethe und Uhland
Die Nachtigall (op. 59, Nr.4) · Lerchengesang (op. 48, Nr. 4) · Lob des Frühlings (op. 100, Nr. 2)
Rundfunkchor Leipzig
Dirigent: Gert Frischmuth
Künstl. Aufnahmeleitung: Bernhard Steffler · Techn. Aufnahmeleitung: Karl-Heinz Albinsky
Aufnahme: Sachsen Radio am 14. April 1991 im Neuen Gewandhaus Leipzig

 

Durchschrift eines Schreibens von Prof. Gert Frischmuth an den Leiter des Männerchores Carl Maria von Weber, eines Ensembles der Nationalen Volksarmee (NVA).
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores

Doch auch weit über künstlerische Belange hinaus, setzte sich Prof. Gert Frischmuth für seine Sängerinnen und Sänger ein: So hatte der Leiter des Männerchores „Carl Maria von Weber“- eines Ensembles der Nationalen Volksarmee – versucht, die noch nicht gesicherte Zukunft des Leipziger Rundfunkchores zur Abwerbung von Sängern (sic!) zu nutzen. Frischmuths Schreiben an den Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR ist ein Beispiel seines konzilianten Briefstils.

Gert Frischmuth sollte noch sieben Jahre lang Chefdirigent des Rundfunkchores Leipzig bzw. Chordirektor des MDR Chores bleiben und beim Übergang in den Mitteldeutschen Rundfunk Entscheidendes für den Chor bewirken.

 

Johannes Brahms: Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen op. 74 Nr. 1

1989 wird die England-Tournee des Leipziger Rundfunkchores mit einem A-cappella-Konzert in Swansea, der zweitgrößten Stadt von Südwales, abgerundet: In der St. Mary’s Church singt der Chor unter der Leitung seines Chefdirigenten Gert Frischmuth am 25. Februar 1989 ein vielfältiges Programm mit Werken von Anton Bruckner, Wilhelm Weismann, Johannes Brahms, Max Reger, Rudolf Mauersberger und Johann Sebastian Bach sowie des englischen Komponisten Benjamin Britten.
Hier ist ein Aufnahmeteam der BBC Wales vor Ort und zeichnet Teile des Konzerts auf.

 


 

Kapitelübersicht

→ XXII-01 „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“: Die Leipziger Rundfunkmusik vor dem Aus!
→ XXII-02 1990/1991 – Die erste Spielzeit nach der Abwicklung des DDR-Staatsfunks:
Rundfunkchor und Sinfonieorchester als Spielbälle der Politik
→ XXII-03 Der Rundfunkchor Leipzig im Zentrum des Vereinigungsprozesses
→ XXII-04 Neue Kreativität bei Sachsen Radio ./. neuer Zentralismus in der „Einrichtung“
Warum Chefdirigent Frischmuth kein Opfer des Vereinigungsprozesses werden durfte
→ XXII-06 Der Reisesommer 1991: Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich
→ XXII-07 Spielzeit 1991/92: Von Sachsen Radio zum Mitteldeutschen Rundfunk

 


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