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Geduld trägt Rosen

Mit neuem Chef einer neuen Zeit entgegen  [XXI]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Gloucester Cathedral aus dem Nordosten im Jahr 1828
Farbig colorierter Kupferstich von J. LeKeux nach einer Gravuere von W. H. Bartlett
Quelle: Cathedral Antiquities of England, London

 

Atemlos: Von Israel über Dresden nach Gloucester XXI-06

Die Chormitglieder haben allerdings kaum Zeit, Ihre Israel-Eindrücke zu verarbeiten. Zwölf Stunden später, um 11 Uhr des darauffolgenden Freitags, fährt der Bus ab zu einer Schallplattenproduktion in die Dresdner Lukaskirche. Peter Schreier nimmt mit der Staatskapelle Dresden, dem Rundfunkchor und bekannten Solisten vom 27. bis zum 29. Januar Mozarts Krönungsmesse KV 317, die c-Moll-Messe KV 427 und die Vesper KV 339 auf.

Auch danach ist kaum Zeit zum Atemholen. Kollege Wolfgang Rößner bereitet den Chor für ein Anrechtskonzert mit Beethovens Leonore unter Pommer vor. Frischmuth repetiert das War Requiem, das Mitte Februar im Dresdner Kulturpalast unter Kegel aufgeführt und in den Tagen darauf produziert werden soll. Und parallel zu diesen Vorhaben ist schon die nächste große Reise vorzubereiten:
Im Dom von Gloucester wird vom 21. bis zum 23. Februar die Johannespassion von Bach unter der Leitung von Peter Schreier, der auch die Evangelistenpartie singt, wieder in einer Co-Produktion mit der BBC, für das Fernsehen produziert.

 

Ausschnitte aus der BBC-Fernsehproduktion in der Gloucester Cathedral

Johann Sebastian Bach: Johannespassion BWV 245

 

Ulrike Sonntag, Sopran
Carolyn Watkinson, Alt
Peter Schreier, Tenor – Evangelist
Nico van der Meel, Tenor
Robert Holl, Bass – Christus
Stephen Roberts, Bass
Christine Schornsheim, Orgel
Rundfunkchor Leipzig · Einstudierung Gert Frischmuth
BBC Welsh Symphony Orchestra
Dirigent: Peter Schreier

 


Im geschlossenen und passwortgeschützten Mitgliederbereich des „Vereins der Freunde und Förderer des MDR-Rundfunkchores e.V.“ können Sie sich das Video in voller Länge ansehen:

Zur kompletten Fernsehproduktion der BBC  [Passwort erforderlich]

 

 

Reisebericht der England-Reise zur BBC-Fernsehproduktion der „Johannespassion“ in der Cloucester Kathedrale im Chortagebuch des Leipziger Rundfunkchores.
[Übrigens wurde ab 1965 in den Betrieben der DDR darauf gedrungen, Brigadetagebücher zu führen. 1971 ist dieses Vorhaben auch im Rundfunk umgesetzt worden, allerdings hießen diese Bücher beim Leipziger Rundfunkchor Chortagebücher oder Chorchronik. Mit der politischen Wende wurde das Führen der Chortagebücher leider aufgegeben. Der Reisebericht des England-Gastspiels 1989 stellt einen der letzten Einträge im Chortagebuch dar. Mit der Dokumentation einer Probe am 23. März 1989 endet dieses letzte Chortagebuch. Der Mühe, den Aufdruck Brigadetagebuch zu überkleben, hatte man sich schon nicht mehr unterzogen…]
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores

 

Peter Schreier und Bachs Johannespassion

Ob wohl Peter Schreier weiß, wie oft er an Aufführungen der Johannespassion von Johann Sebastian Bach als Sänger im Dresdner Kreuzchor, als Evangelist und als Dirigent mitgewirkt hat? Außer dem Dirigat der Fernsehproduktion in Glocester dirigierte Schreier eine Schallplattenproduktion des Werkes und acht Konzerte unter Mitwirkung des Rundfunkchores Leipzig.

Peter Schreier als Kruzianer am Klavier, 1951
© Foto: Sammlung Prof. Dr. Matthias Herrmann

An die ersten solistischen Aufgaben in der Johannespassion dürfte sich Peter Schreier jedoch mit Sicherheit erinnern, denn Kreuzkantor Rudolf Mauersberger übertrug dem begnadeten Knabenalt schon 1950 die Altpartie des Werkes.
Die Schallplatte Vom Knabenalt zum lyrischen Tenor enthält die Alt-Arie „Es ist vollbracht“.
Diese Aufnahme entstand zum Bach-Jahr 1950 in der Dresdner Heiliggeistkirche. Rudolf Mauersberger dirigierte die Dresdner Philharmonie.

Unlängst fand Dr. Steffen Lieberwirth im Deutschen Rundfunkarchiv einen am 10. März 1950 in der Dresdner Lutherkirche produzierten Rundfunkmitschnitt der Johannespassion.
Kreuzkantor Mauersberger steht in dieser Aufnahme vor dem Kreuzchor und der Staatskapelle Dresden. Auch hier ist es Peter Schreier, der die beiden Alt-Arien interpretiert – routiniert, mit unbeschreiblicher Ruhe und schier endlosem Atem:

 

Peter Schreier als Knabenalt

 

Johann Sebastian Bach: Johannespassion
daraus:
Nr. 7. Alt-Aria Von den Stricken meiner Sünden
Nr. 30. Alt-Aria Es ist vollbracht!
Peter Schreier, Alt
Staatskapelle Dresden
Dirigent: Rudolf Mauersberger
Aufnahme: Livemitschnitt des Senders Dresden am 10. März 1950 in der Martin-Luther-Kirche

 

Reisen auf Initiative von Masur und Schreier – Desinteresse der Künstleragentur

Der Zeitraum von der Rückkehr aus Israel am 26. Januar bis zur Rückkehr aus England am 27. Februar ist hier etwas ausführlicher betrachtet worden. Diese vier Wochen, in denen die Chormitglieder nur drei freie Tage hatten, lässt das Arbeitspensum erahnen, das der Chor – nicht nur in dieser Epoche – zu absolvieren hatte.

Innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten war der Leipziger Rundfunkchor fünf Mal im Ausland. Obwohl diese Entwicklung positiv zu sein schien, stimmte der im März neu gewählte AGL-Vorsitzende Joachim Preiß in seinem Rechenschaftsbericht dennoch ein Lamento an und zitiert aus einem Schreiben der Künstleragentur der DDR an den Rundfunk, in dem es hieß, der Rundfunkchor Leipzig „ … stünde nicht auf dem langfristigen Plan für eine Entsendung ins Ausland.“
Preiß rügt die Berliner Leitung, weil diese das Desinteresse der Künstleragentur an Auslandsgastspielen des Leipziger Rundfunkchores zu lange unwidersprochen hingenommen habe.

Die Reisen im August und September nach Österreich-Liechtenstein-Italien-BRD, im Januar nach Israel und im Februar nach England hatte der Chor „ … in allererster Linie Peter Schreier und Kurt Masur zu verdanken. Beiden sind wir zu größtem Dank verpflichtet, haben sie sich doch mit all ihrem Einfluß bei höchsten Stellen für das Zustandekommen dieser Reisen eingesetzt.“

Im März 1989 wusste freilich noch niemand, dass sich die Brisanz des Themas „Reisen“ bald relativieren würde…

 


 

Kapitelübersicht

→ XXI Geduld Trägt Rosen: Mit Gert Frischmuth einer neuen Zeit entgegen
→ XXI-01 Gert Frischmuth: Ein Mann der leisen Töne
→ XXI-02 Sommer 1988: Unterwegs zwischen Italien und Polen
→ XXI-03 Erste Aufgaben für den neuen Chefdirigenten
→ XXI-04 Max Pommer: Mozartiana und ein wenig mehr
→ XXI-05 Brückenbau nach Israel: Mit Masur im Heiligen Land
Atemlos: Von Israel über Dresden nach Gloucester
→ XXI-07 A cappella in Swansea
→ XXI-08 Die „Ruhe“ vor dem Sturm – Normalität im Wendejahr 1989
→ XXI-09 Leipzig im Fokus der Welt: Der Rundfunkchor in Flandern

 


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