
Geduld trägt Rosen
Mit neuem Chef einer neuen Zeit entgegen [XXI]
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Der Felsendom in Jerusalem [arabisch قبة الصخرة qubbat as-sachra, DMG qubbatu ʾṣ-ṣaḫra; hebräisch כיפת הסלע, Kipat Hasela] ist der älteste monumentale Sakralbau des Islams und eines der islamischen Hauptheiligtümer. Er steht auf dem Tempelberg im südöstlichen Teil der Altstadt Jerusalems.
Handcolorierter Stahlstich von Charles Wilson, 1880
Sammlung Rüdiger Koch
Brückenbau nach Israel: Mit Masur im Heiligen Land XXI-05
An den Abenden des 28. bis 31. Dezember 1988 singen Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores zusammen mit den Gewandhauschören die traditionelle Aufführung der Neunten von Beethoven unter Masur im Gewandhaus. In der Silvesternacht ahnt wohl kaum jemand, dass das anbrechende Jahr 1989 mit der friedlichen Revolution in der DDR und dem Ende des Eisernen Vorhangs für Deutschland und die Welt äußerst wichtig werden würde.
Für den Rundfunkchor Leipzig beginnt das neue Jahr 1989 mit einer Reise hinter die Grenze, die Ost und West noch immer trennt, noch dazu in ein Land, in dem noch nie ein Ensemble aus dem Osten Deutschlands aufgetreten war: nach Israel.

Zeitungbericht über die Konzerte des Rundfunkchores in Israel
Dokument: Sammlung Rüdiger Koch
Kurt Masur hatte das Israel Philharmonic Orchestra schon mehrmals dirigiert. Diesmal bringt er für 11 Aufführungen des Deutschen Requiems von Johannes Brahms den Leipziger Rundfunkchor mit.
Es lässt sich nicht mehr genau ausmachen, wie es zu dieser Einladung gekommen war:
Wollte das israelische Orchester ein chorsinfonisches Werk und bat Masur, einen Chor mitzubringen?
Wollte gar Masur eine Aufführung mit dem Leipziger Rundfunkchor in Israel dirigieren und machte dem dortigen Veranstalter den Chor schmackhaft?
Auf jeden Fall war es die auf Souveränität und internationale Beachtung bedachte DDR-Regierung, die ihre Beziehungen zu Israel verbessern wollte. Sie begann hier – wie auch im Falle der Beziehungen zu anderen Ländern – mit der Kultur. Zumindest lassen die Worte von Max Wollny, dem Orchesterdirektor des Rundfunk-Sinfonieorchesters, im Bericht einer Leipziger Zeitung darauf schließen:
„Die erste Reise eines künstlerischen Ensembles aus der DDR nach Israel hat dazu beigetragen, Brücken zwischen beiden Ländern bauen zu helfen. Brücken des gegenseitigen Vertrauens, des friedlichen Miteinanders und der Verständigung, an denen weitergearbeitet werden sollte.“

Ausschnitt aus dem Programmheft der Konzerte des „Deutschen Requiems“ von Brahms mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Leitung von Kurt Masur
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Chortagebuch
Wie kommt man von Leipzig nach Tel Aviv?
Die Fahrtroute nach Israel ist recht abenteuerlich:
Am 7. Januar 1989 bricht der Chor um 6 Uhr am Leipziger Funkhaus per Bus auf nach Frankfurt am Main. Um 9 Uhr wird in einem Eisenacher Hotel ein Frühstück kredenzt, und nach einem einstündigen Kontrollaufenthalt an der Grenze ist man um 14.30 Uhr am Frankfurter Flughafen.
18 Uhr startet eine Boeing 757 der israelischen Fluggesellschaft ELAL nach Tel Aviv. Ankunft 0.20 Uhr Ortszeit. Um 3.20 Uhr ist man endlich im Bett.

Kurt Masur mit Chormitgliedern an der Klagemauer in Jerusalem
Foto: Rüdiger Koch
Erfolg mit Brahms
Gemeinsam mit dem sehr guten Chor eines Kibbutz’ geben die Leipziger Sängerinnen und Sänger acht Konzerte im 2.482 Sitzplätze zählenden Frederic-Mann-Auditorium in Tel Aviv [heute Charles Bronfman Auditorium].
Neben dem Deutschen Requiem steht das Schicksalslied von Brahms auf dem Programm. In der nordisraelischen Hafenstadt Haifa wird drei Mal gesungen. Beim Israel Philharmonic Orchestra waren in der Spielzeit 1988/89 so bedeutende Musiker wie Kurt Sanderling, Christoph von Dohnany, Witold Lutoslawski und Leonard Bernstein zu Gast. Die Kritik eines als äußerst streng verschrienen Rezensenten muss vor diesem Hintergrund gesehen werden:
„Jahre haben wir nicht einen so herrlichen Brahms erlebt und schon viele Jahre nicht haben wir einen so herrlichen Chor wie den Rundfunkchor Leipzig gehört; was für eine Klangschönheit und welch ausgewogen runder Ton. Welche Farben und Nuancen in den Stimmen; ein Piano, das dir in den Leib fährt, so wie ein Forte bis hinauf in die Haarspitzen …“
Eine kleine Gruppe des Chores wirkt an zwei Abenden in Aufführungen von Bachs Bauernkantate mit.
Unterwegs in Israel
Nachdem zwei Kollegen größere Geldbeträge aus den Hotelzimmern gestohlen wurden, ist tags darauf im Chortagebuch zu lesen:
„16. 1. Freier Tag. Angeblich wegen Diebesgefahr wurden die Pässe abverlangt. Wie soll man sich da ausweisen? Man könnte auch von Entmündigung sprechen.“
Sind die Reisepässe von der Tourneeleitung möglicherweise auch deshalb eingesammelt und in den Hotelsafe zur Aufbewahrung gegeben worden, um es den Chormitgliedern zu erschweren, sich frei im Land zu bewegen?
Trotz des Verbotes, Tel Aviv zu verlassen, finden sich Sängerinnen und Sänger zusammen, um auf eigene Faust Touren zu unternehmen. Jerusalem, der See Genezareth oder Haifa sind die Ziele.
Nicht wenig erstaunt waren Chormitglieder, eines Sonntags im Gottesdienst der deutschen reformierten Erlöserkirche in Jerusalem den Gesang andere Kollegen von der Empore erklingen zu hören!
Kurt Masur setzt sich dafür ein, dass der Chor wenigsten auf zwei organisierten Bustouren etwas vom Land sehen kann. So geht eine Fahrt nach Jerusalem und eine zweite bis nach Massada und zum Toten Meer – bezahlt vom Israel Philharmonic Orchestra!
Die Rückreise am Donnerstag, dem 26. Januar, verläuft etwas zügiger als die Hinfahrt. Das Flugzeug startet um 10 Uhr in Tel Aviv, landet um 13 Uhr in Frankfurt, und um 22.15 Uhr kommt der Chor am Leipziger Funkhaus an.
Tournee-Bericht der Israel-Reise im Chortagebuch des Leipziger Rundfunkchores.
Ab 1965 wurde in den Betrieben der DDR darauf gedrungen, Brigadetagebücher zu führen. 1971 ist dieses Vorhaben auch im Rundfunk umgesetzt worden, allerdings hießen diese Bücher beim Leipziger Rundfunkchor Chortagebücher oder Chorchronik. Mit der politischen Wende wurde das Führen der Chortagebücher leider aufgegeben. Der Reisebericht des Israel-Gastspiels 1989 stellt einen der letzten Einträge im Chortagebuch dar. Mit der Dokumentation einer Probe am 23. März 1989 endet dieses letzte Chortagebuch. Der Mühe, den Aufdruck Brigadetagebuch – wie bislang üblich – zu überkleben, hatte man sich schon nicht mehr unterzogen.
Kapitelübersicht
→ XXI | Geduld Trägt Rosen: Mit Gert Frischmuth einer neuen Zeit entgegen |
→ XXI-01 | Gert Frischmuth: Ein Mann der leisen Töne |
→ XXI-02 | Sommer 1988: Unterwegs zwischen Italien und Polen |
→ XXI-03 | Erste Aufgaben für den neuen Chefdirigenten |
→ XXI-04 | Max Pommer: Mozartiana und ein wenig mehr |
• | Brückenbau nach Israel: Mit Masur im Heiligen Land |
→ XXI-06 | Atemlos: Von Israel über Dresden nach Gloucester |
→ XXI-07 | A cappella in Swansea |
→ XXI-08 | Die „Ruhe“ vor dem Sturm – Normalität im Wendejahr 1989 |
→ XXI-09 | Leipzig im Fokus der Welt: Der Rundfunkchor in Flandern |
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