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Geduld trägt Rosen

Mit neuem Chef einer neuen Zeit entgegen  [XXI]

 

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Max Pommer
Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig von 1987 bis 1991
© Fotodruck: Archiv des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig – Aus der Chronik  „Mitteldeutscher Rundfunk – Die Geschichte des Sinfonieorchesters [1999]“ – Klaus Winkler

 

Max Pommer: Mozartiana und ein wenig mehr   XXI-04

Max Pommer wurde mit Beginn der Spielzeit 1987/88 Nachfolger Wolf-Dieter Hauschilds als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig.
Der 1936 in Leipzig geborene Pommer hatte in seiner Geburtsstadt bei Heinz Rögner Dirigieren und bei Manfred Reinelt Klavier studiert.
Reinelt, der in den 1950er Jahren nicht selten gemeinsam mit dem Leipziger Rundfunkchor musiziert hatte, war übrigens ein Sohn von Richard Reinelt, Chortenor im Rundfunkchor von 1947 bis 1961.
Pommer, ebenso studierter Musikwissenschaftler wie Dirigent, hatte 1968 mit einer Arbeit über den Ländler und dessen Einflüsse auf spätere Komponistengenerationen promoviert. Gern erzählte er von seinem Wirken als Theaterkapellmeister in Frankfurt/Oder (1965 bis 1970), wo er neben Wolf-Dieter Hauschild als Kapellmeister wirkte. Zum Leipziger Universitätsmusikdirektor hatte man Max Pommer 1975 berufen.
Um bei Aufführungen mit dem Leipziger Universitätschor ein spezielles und in der Aufführungspraxis Alter Musik geschultes Orchester an der Hand zu haben, gründete er das Neue Bachische Collegium Musicum, mit dem er zahlreiche und zum Teil auch preisgekrönte Aufnahmen Alter Musik produzierte. Daneben hatte er auch einen Namen als versierter Dirigent für Neue Musik.

 

„Mozartiana“-Konzert in der Nikolaikirche zu Leipzig mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor Leipzig unter Leitung von Max Pommer
Fotodruck: Konzertreport des Rundfunks der DDR 1989/90 – Archiv des Leipziger Rundfunkchores

 

Hörprobe
Wolfgang Amadeus Mozart: Inter natos mulierum KV 72

 

Offertorium pro festo Sancti Joannis Baptistae
Rundfunkchor Leipzig · Choreinstudierung Gert Frischmuth
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Felix Friedrich, Orgel
Dirigent: Max Pommer
Liveaufnahme: Sachsen Radio III KULTUR in der Nikolaikirche zu Leipzig am 2. Juli 1991
Künstlerische Aufnahmeleitung: Dietlinde Kretzschmann
Technische Aufnahmeleitung: Manfred Weber

 

Mozartiana …

In seinen ersten Spielzeiten mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig hieß das künstlerische Programm Mozartiana.
Aufgrund musikwissenschaftlicher Erkenntnisse wollte Max Pommer die Interpretation der Werke Mozarts aus Anlass von dessen 200. Todestag neu beleben.
Auch der Chor war in einigen Mozartiana-Konzerten beschäftigt. Viele kleinere Messen und Litaneien, die der Rundfunkchor seit den 1970er Jahren unter Kegel für die Schallplatte eingespielt hatten, kamen wieder zur Aufführung.
Eine Betrachtung des von Max Pommer unter Beteiligung des Chores aufgeführten Repertoires lässt erkennen, dass er vorwiegend Werke aus der vorromantischen Zeit bevorzugte:
Bachs Weihnachtsoratorium, Matthäuspassion und Magnificat, Händels Messias, Glucks Oper Orpheus und Eurydike oder die kleine Mozart-Oper Apollo und Hyazinth.

 

… und mehr

Die 9. Sinfonie und Leonore von Beethoven oder gar Richard Strauss’ Kantate Taillefer und Wanderers Strumlied stellten schon Ausnahmen dar.
Lediglich drei moderne Werke dirigierte Pommer unter Beteiligung des Rundfunkchores:
die Deutsche Sinfonie und die Kantate Tempo der Zeit von Hanns Eisler sowie die Uraufführung des Oratoriums Die Glocken von Katyn des Altenburger Komponisten Günther Witschurke.

Der Glucksche Orpheus wurde vom designierten Chef schon im Mai 1987 für den Rundfunk und das Fernsehen aufgenommen.
40 Chormitglieder nahmen in Kostüm und Maske an Bildaufnahmen auf den Stufen des Pergamonaltars teil. Dieser kleine Chor fuhr eines Abends um 18.30 Uhr nach Berlin, kam dort wegen einer Reifenpanne des Busses erst 23 Uhr an und traf nach den Fernsehaufnahmen am nächsten Morgen erst um 8 Uhr wieder am Funkhaus in Leipzig ein.
Danach begaben sich die Sängerinnen und Sänger in die um 9.30 Uhr beginnende Probe, die allerdings kürzer als geplant ausfiel. Der genannte Busschaden war übrigens nicht der einzige und erste auf den Fahrten zu Konzerten, Aufnahmen oder Fernsehproduktionen nach Dresden, Berlin oder Cottbus.

Im Tonstudio: Max Pommer beim Abhören der Aufnahmen von Debussys Tondichtung „La Mer“
© Foto: MDR-Orchesterarchiv – Barbara Stroff

Die Spuren Max Pommers sind in der Geschichte des Rundfunkchores Leipzig weniger deutlich auszumachen als die seines Vorgängers Hauschild. Sicher, er war nicht mehr der Chefdirigent auch des Rundfunkchores – und seine Chefposition beim Orchester währte nur fünf Jahre. Der Grund für das Verblassen der Erinnerung an ihn mag darin zu suchen sein, dass sich der Chor wegen seines theoretisch-wissenschaftlichen Herangehens an die musikalische Interpretation, wegen einer gewissen Selbstverliebtheit in seine eigenen interpretatorischen Ansätze und wegen mangelnden dirigentischen Zupackens weniger inspiriert fühlte. Dennoch gab es gute Konzerte, insbesondere Aufführungen des Weihnachtsoratoriums oder des Messias, die Publikum und Kritik begeisterten.
„Der mit knapp 60 Mitgliedern besetzte Chor singt exzellent. Er gibt den volkstümlichen Chorälen ihre innere Rundung. Die komplizierten kompositorischen Schichtungen der Chorsätze werden mit innerem Feuer durchglüht. Der Chor, nicht zu reich, nicht zu karg, singt durchsichtig und gleichzeitig mit dominierender Macht
Nichts ist wichtigtuerisch in dieser Aufführung. Sie bleibt rundum musikalisch ebenso zutreffend wie bescheiden …
Die Leipziger Musiker würde man herzlich gern recht bald mit anderen Aufgaben wieder hören. Das läßt sich nicht so rasch von jedem gastierenden Ensemble sagen“
,
schreibt Klaus Geitel in der Berliner Morgenpost zu einem Konzert des gesamten Weihnachtsoratoriums unter Pommer im Dezember 1988 in der Berliner Philharmonie. Den Wunsch nach einer Wiederbegegnung konnten die Leipziger Klangkörper dem Rezensenten genau ein Jahr später mit einer Aufführung des Messias erfüllen. Wieder stand Max Pommer am Pult.

Auch im Festlichen Konzert zur Sendepremiere des Mitteldeutschen Rundfunks am Neujahrstag 1992 wird Max Pommer dirigieren, allerdings nicht mehr die Klangkörper des MDR, sondern die Hallenser Madrigalisten und das Thüringische Kammerorchester.

 


 

Kapitelübersicht

→ XXI Geduld Trägt Rosen: Mit Gert Frischmuth einer neuen Zeit entgegen
→ XXI-01 Gert Frischmuth: Ein Mann der leisen Töne
→ XXI-02 Sommer 1988: Unterwegs zwischen Italien und Polen
→ XXI-03 Erste Aufgaben für den neuen Chefdirigenten
Max Pommer: Mozartiana und ein wenig mehr
→ XXI-05 Brückenbau nach Israel: Mit Masur im Heiligen Land
→ XXI-06 Atemlos: Von Israel über Dresden nach Gloucester
→ XXI-07 A cappella in Swansea
→ XXI-08 Die „Ruhe“ vor dem Sturm – Normalität im Wendejahr 1989
→ XXI-09 Leipzig im Fokus der Welt: Der Rundfunkchor in Flandern

 


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