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Geduld trägt Rosen

Mit neuem Chef einer neuen Zeit entgegen  [XXI]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Gert Frischmuth im Sendestudio des Senders Leipzig in der Springerstraße
Fotodruck: Radio DDR – Konzertreport 1988/89

 

Erste Aufgaben für den neuen Chefdirigenten  XXI-03

Unter dem neuen Chefdirigenten Gert Frischmuth werden sich die Arbeitsaufgaben des Rundfunkchores nicht wesentlich ändern.

Ende September studiert er für ein Konzert im Rahmen der 2. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik die Jüdische Chronik ein, jenes Gemeinschaftswerk von Blacher, Dessau, Hartmann, Henze und Wagner-Régeny das Herbert Kegel vier Wochen nach der Kölner Uraufführung 1966 in Leipzig herausgebracht und seither mehrmals aufgeführt hatte.
Ursprünglich war vorgesehen, dass Kegel die Dresdner Aufführung mit dem Dresdner Philharmonischen Orchester leiten sollte. Er musste jedoch aus Krankheitsgründen absagen.
Sein Nachfolger als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie und Ex-Chef des Rundfunkchores, Jörg-Peter Weigle, übernahm das Konzert für ihn, ebenso wie eine Aufführung des selben Werkes aus Anlass des 50. Jahrestages der Pogromnacht im Berliner Schauspielhaus.
Für ein Konzert der Jüdischen Chronik im 2. Rundfunk-Anrechtskonzert der Reihe A in Leipzig steht Kegel wieder zur Verfügung.

Gert Frischmuth studiert deutsche Opernchöre für eine Aufnahme unter Silvio Varviso mit der Staatskapelle Dresden ein, Janáčeks Glagolitische Messe für ein Rundfunk-Sinfoniekonzert, Bachs Weihnachtsoratorium für ein Sonderkonzert unter dem neuen Orchesterchef Max Pommer in der Leipziger Nikolaikirche und für ein Gastspiel in der Berliner Philharmonie.

Neben seiner Tätigkeit als Chefdirigent des Rundfunkchores Leipzig wirkte Prof. Frischmuth weiterhin als Professor für Chordirigieren an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar.
Vermutlich um ihn in dieser Doppelbelastung zu entlasten, übernahm der damalige Chordirektor der Suhler Philharmonie, Achim Zimmermann, die Einstudierung von Max Bruchs weltlichem Oratorium Odysseus – Szenen aus der Odyssee nach einer Dichtung von Wilhelm Paul Graff für ein Zauber-der-Musik-Konzert unter Horst Neumann.

Grund für die Werkauswahl des Odysseus war für Horst Neumann der 150. Geburtstag von Max Bruch (1838 – 1920).
Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts durchaus beliebt und häufig gespielt, geriet der Odysseus im 20. Jahrhundert zunehmend in Vergessenheit. Durchaus zu Unrecht! Auch wenn sich der Odysseus-Stoff nicht für die Gestaltung einer durchgehenden Handlungslinie eignet, stellt Bruch die einzelnen Szenen doch wirkungsvoll und kontrastierend in verschiedenen Bildern nebeneinander.
Den großen Partien der Penelope und des Odysseus stehen die Chöre ebenbürtig zur Seite: die Chöre der Nymphen, Schatten, Sirenen, Kinder, Gefährten, Phäaken und Rhapsoden.

Insofern eignete sich der Odysseus hervorragend dazu, die Stärken des Rundfunkchores Leipzig zu präsentieren. Besonders der Chor der Rhapsoden (Bruch überträgt die Partie dieses Sängers auf den gesamten Männerchor!) ermöglichte es den Herren des Leipziger Rundfunkchores, die Homogenität und deutliche Diktion ihrer Stimmgebung zu präsentieren – und erinnert in Sujet und Stimmführung an die Schauspielmusiken Felix Mendelssohn Bartholdys.

 

Max Bruch: Odysseus op. 41

 

VII. Das Gastmahl bei den Phäaken
Rundfunkchor Leipzig · Choreinstudierung: Achim Zimmermann
Gewandhaus-Kinder- und Jugendchor Leipzig · Choreinstudierung: Ekkehard Schreiber

Großes Rundfunkorchester Leipzig
Dirigent: Horst Neumann
Aufnahme: Zauber der Musik am 4. Dezember 1988 im Neuen Gewandhaus
Tonmeister: Christian Cerny · Toningenieur Karl-Heinz Albinsky

 

Chor der Phäaken
Willkommen, Fremdling, bei dem Phäakenvolk,
das sich zum Liebling wählte der Götter Held!
Verbann‘ den Gram aus Herz und Augen
Heiter genieße mit uns das Leben!
Bei uns gedeihet kränkender Kummer nicht !
Gesang und Spiel und fröhlicher Reigentanz
ist der Phäaken göttlich Erbe!
Auf denn, Rhapsoden ! Singet und sagt

 

 

 

 

 

 

Gesang der Rhapsoden
Zehn Jahre fast sind‘s, seit Trojas herrliche Veste fiel!
Heimkehrte der Danaer Heereszug, ach, ihrer Führer
und Helden Zahl um die Hälfte beraubt,
dahingerafft vor Priamos‘ Stadt
in endlos blutigem Ringen!
Doch mehr zu beklagen ist Jener Los,
die der Speerflug geschont,
und die heimrudernd durchs öde Meer,
Zorn der Götter mit Unheil traf
Agamemnon und Odysseus!
Den Einen erschlug das verbuhlte Weib,
da kaum er den heimischen Strand begrüßt
verruchten Sinnes im Bade!
Jedoch der And‘re, wohin trieb sein Schiff
des grimmen Poseidon Zorn?
Verschlang ihn schon die salzige Flut,
oder irrt er noch auf den Wogen umher,
mit duldendem Mut erstrebend die trauliche Heimat?

 

 

Kapitelübersicht

→ XXI-01 Gert Frischmuth: Ein Mann der leisen Töne
→ XXI-02 Sommer 1988: Unterwegs zwischen Italien und Polen
Erste Aufgaben für den neuen Chefdirigenten
→ XXI-04 Max Pommer: Mozartiana
→ XXI-05 Brückenbau nach Israel: Mit Masur im Heiligen Land
→ XXI-06 Atemlos: Von Israel über Dresden nach Gloucester
→ XXI-07 A cappella in Swansea
→ XXI-08 Die „Ruhe“ vor dem Sturm – Normalität im Wendejahr 1989
→ XXI-09 Leipzig im Fokus der Welt: Der Rundfunkchor in Flandern

 


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