Die 1980er Jahre
„Aufgaben“ zwischen 1985 und 1988 [XX]
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Gothart Stier als Aushilfssänger im Leipziger Rundfunkchor, um 1969
© Foto: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Foto Clauss
Auf der Suche nach einem neuen Chef XX-05
Die Zeit ohne Chorleiter in den Jahren von 1978 bis 1980 hatte dem Zusammenhalt und der Leistungsfähigkeit des Rundfunkchores Leipzig nicht gutgetan.
Deshalb war es klug, dass der Rundfunk die Zeit, in der Jörg-Peter Weigle dem Chor noch als Chefdirigent zur Verfügung stand, nutzte, um einen Nachfolger zu suchen.
Zwei Kandidaten
1987 wurden einige Gäste eingeladen. Bald kristallisierten sich Gert Frischmuth und Gothart Stier als ernstzunehmende Kandidaten heraus:
Der Leipziger Kantor Gothart Stier, etwa 20 Jahre zuvor selbst Aushilfssänger im Rundfunkchor, war der Enkel von Alfred Stier, Herbert Kegels Chorleitungs-Meister aus Studienzeiten.
Im Nachlass Kegels wurde kürzlich die Durchschrift eines Briefes von Herbert Kegel an den Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR, Horst Fliegel, aufgefunden. Darin verwendet sich Kegel für Gothart Stier:
„Frischmuth ein guter Mann … Der helle Jugendchorklang ist völlig untypisch für den Rundfunkchor Leipzig, wie für jeden Profi-Chor … Der Rundfunkchor Leipzig hat seinen internationalen Ruf u. a. Durch seine dunkel timbrierte Farbe. Darauf habe ich Knothe, Neumann, Weigle festgelegt. Es sollte nur einen neuen Leiter geben: Gotthard(t) S t i e r .“
So war es folgerichtig, dass der Sender Leipzig Gothart Stier damit betraute, den Rundfunkchor Leipzig für ein von Herbert Kegel geleitetes Gastkonzert vorzubereiten. Auf dem Programm stand neben der großen Motette Friede auf Erden von Arnold Schönberg Beethovens 9. Sinfonie.

Herbert Kegel beim Abhören im Studio, 1987
© Foto: Barbara Stroff – Nachlass Herbert Kegel
Kegels letzte Neunte im Sender Leipzig
In der Chor-Übernahmeprobe für das Konzert äußerte Herbert Kegel die Auffassung, eigentlich müsse man dieses letzte sinfonische Werk Beethovens einmal für 10 Jahre verbieten!
Zumal in der DDR, wie auch in späteren Zeiten, die Neunte zu jedem gesellschaftlichen und politischen Anlass aufgeführt wurde. Kegel sah die Notwendigkeit, einer Abnutzung des Werkes und einer Verflachung seiner humanistischen Aussage entgegenzuwirken.
Abgesehen von einer Aufführung der 9. Sinfonie im Rahmen des VIII. Turn- und Sportfest der DDR und der XI. Kinder- und Jugendspartakiade Ende Juli 1987, war die Aufführung am 30. April 1987 das letzte von Kegel geleitete Konzert mit diesem Werk im Sender Leipzig. Zuvor hatte er die 9. Sinfonie als Chefdirigent des Senders Leipzig und danach als Chef der Dresdner Philharmonie in 24 Konzerten oder Aufnahmen unter Mitwirkung des Rundfunkchores Leipzig – und zumeist auch des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig – dirigiert. Schon vor seiner Berufung zum Chefdirigenten des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig studierte Kegel den Rundfunkchor für Aufführungen der Neunten ein, die von Hermann Abendroth geleitet wurden. Kegels Beschäftigung mit der 9. Sinfonie begann also mindestens schon 35 Jahr vor diesem letzten Konzert. In einem Interview danach gefragt, warum Beethoven wohl am Schluss seines letzten sinfonischen Werkes zu einem Text gegriffen hatte, nannte Kegel 1978 zwei Beweggründe:
Herbert Kegel hatte seinen Aufführungen der 9. Sinfonie von Beethoven in Konzerten des Senders Leipzig ab 1967 ein zweites Werk zu Seite gestellt, und zwar:
Ausschnitt aus der 9. Sinfonie vom 30. April 1987
Rundfunkchor Leipzig
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Dirigent: Herbert Kegel
Das Interview stammt aus dem Nachlass Herbert Kegels.
Wer macht das „Rennen“?
Die Produktion einer Messe von Hindemith im Oktober 1987 unter der Leitung von Gothart Stier wurde nicht fertiggestellt. Die Einstudierung von Schönbergs Motette Friede auf Erden und der Neunten durch Stier befriedigte nicht.
Chorinterne Abstimmungen über den Nachfolger Jörg-Peter Weigles gab es nicht. Diese hätten möglicherweise wieder zu Polarisierungen im Chor geführt.
Der Rundfunk ließ sich durch Herbert Kegel nicht beeinflussen und ernannte Gert Frischmuth mit Beginn der Spielzeit 1988/89 zum Chefdirigenten des Rundfunkchores Leipzig.
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