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„Wer kennet ihre Namen?“
                             (Johann Wolfgang von Goethe: „Der Sänger“)

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

 

 

Rüdiger Koch

Rüdiger Koch

Am 28. August 1978 saß er als Sechsundzwanzigjähriger erstmals als festes Mitglied in einer Probe des Rundfunkchores Leipzig.
Einstudiert wurden die Nummern 1 und 2 aus der Japan-Suite op. 71 von Hugo Herrmann unter der Leitung von Jochen Wehner.
Keinesfalls konnte man aber damals davon ausgehen, dass die DDR nur noch 12 Jahre existieren sollte – er aber bis zu seinem 65. Lebensjahr im Leipziger Rundfunkchor singen würde.
Denn wer ahnte seinerzeit schon, welche Aufgaben vor dem Chor stehen würden und was für gewaltige Umbrüche politischer und organisatorischer Art ihm bevorstünden!
Oder aber dass der Rundfunkchor mehrfach seinen Namen würde ändern müssen und dass schließlich zwischen dem 50. Chorjubiläum und dem 80. Jahrestag der Chorgründung nur 8 Jahre verstreichen sollten!

28 Jahre nach dem Untergang der DDR verdanken ihm der MDR Rundfunkchor sowie ungezählte Freunde hochprofessioneller Chormusik eine ebenso umfassende, wie detailgenaue Chronik des fast auf zehn Jahrzehnte zurückblickenden Klangkörpers.
Ein mehr als willkommener Grund für das Kulturradio des Mitteldeutschen Rundfunks, den rührigen Bassisten und Chronisten ins Rundfunkstudio einzuladen:

 

„Chormagazin trifft“: Rüdiger Koch

 

Ausschnitte aus der MDR KULTUR-Sendung „Chormagazin trifft …“
Grit Schulze im Gespräch mit dem Chronisten des Leipziger Rundfunkchores, Rüdiger Koch
Erstausstrahlung: MDR KULTUR Chormagazin am 8. Juli 2018

 

Erinnerungen von Rüdiger Koch

Im August 1978 hatte ich mein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig bei Helga Forner beendet, hatte vor der 18-monatigen Armeezeit in Magdeburg Abitur gemacht, nebenbei privaten Gesangsunterricht genommen und war seit dem 10. Lebensjahr zunächst Sopranist und später Bassist im Magdeburger Domchor.
An mein erste Solo kann ich mich noch sehr gut und mit Schrecken erinnern:
LKMD Gerhard Bremsteller hatte im Sommer 1965 entschieden, ich solle im darauffolgenden Januar die Partie des Jesusknaben im Geistlichen Konzert „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ von Heinrich Schütz singen. Doch er hatte die Rechnung ohne meinen nahenden Stimmwechsel gemacht. Zwar überstand ich die Solopartie mit Ach und Krach – doch die selbstverständliche Leichtigkeit des Knabensoprans war dahin, was mich sehr belastete. Drei Monate später sang ich auf der Hochzeit meines Bruders die Basspartie im „Hochzeitsquodlibet“ Johann Sebastian Bachs.

In unserer Familie wurde viel gesungen. Meine Mutter und meine Schwestern hatten schöne Altstimmen, sangen im Magdeburger Domchor bzw. Kantatenchor und zuvor im Mühlhäuser Bachchor. Mein Vater hatte einen warmen Bassbariton, nahm in seiner Jugend Gesangsunterricht und übernahm häufig solistische Aufgaben in Kantaten, Passionen und im Weihnachtsoratorium von Bach oder in der c-Moll-Messe von Mozart. Übte er, saß ich als kleiner Junge häufig mit dem Rücken am Klavier und genoss das Vibrieren von Stimme und Instrument.

1978 hatte ich also schon eine kleine musikalische „Laufbahn“ hinter mir. Vor mir sollten jedoch 38 Jahre als festes Mitglied des Leipziger Rundfunkcores und als Aushilfssänger (währende einer vierjährigen Tätigkeit als Gesangspädagoge an der Magdeburger Außenstelle der Musikhochschule Leipzig) liegen! Und was für Jahre sollten das werden! Schon im ersten Jahr meiner Chorzugehörigkeit stand bei einer Schallplattenproduktion Karl Böhm vor dem Ensemble. Viele legendäre Dirigenten sollten folgen: Carlos Kleiber, Herbert Blomstedt, Marek Janowski, Kurt Masur, Peter Schreier, Sir Colin Davis, Sir Neville Marriner, Seiji Ozawa und viele andere mehr … ein Who ’s who der Dirigentengarde an der Wende des 20. zum 21. Jahrhundert!

Das Ende der DDR und die neue Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollten erhebliche Verunsicherungen aber auch viele neue Chancen mit sich bringen. Als Mitglied im Chorvorstand konnte ich gestaltend mitwirken.

Ein zunächst äußerlicher Vorgang – der Umzug der Leipziger Klangkörper aus dem Funkhaus Springerstraße in das neue Domizil am Augustusplatz – sollte meinem Wirken im und für den Leipziger Rundfunkchor einen neuen, wesentlichen Impuls geben. Im Büro des Chorvorstands tauchten viele Umzugskartons mit Archivmaterialien auf, deren Existenz so gut wie unbekannt war: Ordner mit Verträgen für die Chormitwirkung an Schallplattenaufnahmen und Konzerten, Hefter mit Konzertprogrammen und -kritiken, Reiseberichte, Chortagebücher und Fotos.

 

Der Rundfunkchor Leipzig 1928-1930 mit Musikchef Alfred Szendrei vor der „Alten Handlebörse“, aus der die Übertragungen stattfanden.
Foto: MDR Chorarchiv

Eines dieser Bilder zog mich in seinen Bann. Es musste in den 1920-er Jahren aufgenommen worden sein und zeigte Alfred Szendrei und einen „nebenamtlichen Rundfunkchor“ vor der Alten Handelsbörse in Leipzig.
Es gelang mir, das Foto zu datieren. Später fand ich ein weiteres Exemplar im Nachlass eines ehemaligen Kollegen sowie einen Abdruck in der Programmzeitschrift „Mirag“. Die Programmbücher Szendreis und die Einträge in den zeitgenössischen Rundfunk-Programmzeitschriften waren nicht nur identisch, sie verrieten auch den Namen des Chores: Leipziger Oratorienvereinigung.

Kontakte zu Nachkommen der ersten Leipziger Chorsängergeneration, das Lesen zeitgenössischer Publikationen und Bühnen-Jahrbücher, Recherchen in Melderegistern nach dem Zuzug und den biografischen Angaben der Rundfunk-Chorsänger ließen viele Informationen zusammenfließen, deren einzelne Puzzle-Teile sich zu einem schlüssigen Bild zusammensetzen ließen.

Parallel dazu sah ich alle aufgetauchten Archivmaterialien durch und suchte nach erhalten gebliebenen Aufnahmen des Leipziger Rundfunkchores.
Alle gefundenen Daten flossen in eine Chronologie ein, die als das Skelett der Leipziger Rundfunk-Chorgeschichte bezeichnet werden kann. In einem weiteren Schritt wurde dieses Skelett mit „Fleisch“ gefüllt, wurden die Daten in Beziehung zueinander gebracht, gedeutet und in ihren Entwicklungslinien dargestellt. Eine Broschüre über die frühe Chorgeschichte und ein Buch über die Gesamtgeschichte des Leipziger Rundfunkchores sind die Früchte dieser Arbeit.

Nun bilden sie den Grundstock der Chronik des Leipziger Rundfunkchores hier in den Rundfunkschätzen.
Dr. Steffen Lieberwirth und ich erweitern die Publikationen durch Fotos, Videos, Reiseberichte, Porträts von Chormitgliedern sowie Tonaufnahmen des Leipziger Rundfunkchores aus dessen Chorarchiv.

So bin ich zwar seit 2017 kein aktives Mitglied des Leipziger Rundfunkchores mehr, doch als Chronist und 2. Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des MDR Rundfunkchores Leipzig e.V. immer noch eng mit dem Leipziger Rundfunkchor verbunden.

 

Einige der zwölf Chortagebücher, die zwischen 1973 und 1990 geführt worden sind.
Foto: Rüdiger Koch

 

LINK-EMPFEHLUNGEN

Chronik des Leipziger Rundfunkchores
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