Vergessene Jahre …
Chronik des Leipziger Rundfunkchores Die Jahre 1924 bis 1933
von Rüdiger Koch
„An den Pranger mit Dr. Szendrei!“ [08]

Alfred Szendrei, 1932
Foto: MDR Die Geschichte des Sinfonieeorchesters
Ein nach Szendreis erzieherischen Absichten aufgebautes Programm dürfte hingegen nicht auf die „breiteste Teilnahme“ rechnen. So war die Affäre um einen politisch-schlüpfrigen Witz über die Nazis, den Szendrei, der noch dazu jüdischer Herkunft war, in einer Probe zum Besten gegeben hatte, wohl nur ein Anlass, sich dieses Mannes zu entledigen.
Als tragischer Nebeneffekt verschwand beinahe gleichzeitig mit dem MIRAG-Dirigenten auch die Leipziger Oratorienvereinigung aus dem Rundfunkprogramm des mitteldeutschen Senders.
Einmal noch, am Heiligen Abend des Jahres 1933, scheint der Geist der Leipziger Oratorienvereinigung wiederbelebt worden zu sein. „Die Mirag“ verzeichnet eine Sendung des Werkes „Weihnachtsbotschaft“ von Hermann Simon und nennt als Chor den „Chor des Mitteldeutschen Rundfunks (Mitglieder des Gewandhauschores zu Leipzig)“.
Wenn auch der Name der Leipziger Oratorienvereinigung fortan nicht mehr im Programm zu finden war, bedeutete das nicht das Ende des Leipziger Rundfunkchores.
Alfred Szendrei hingegen, der die Musikabteilung der MIRAG entscheidend geprägt hatte, erhielt Hausverbot und ist nach Ablauf seines Vertrages im Sommer 1932 niemals mehr in irgendeine Beziehung zum Leipziger Sender getreten.
Zwar haben Göpfert (1994), Clemen (1998/99 und 1999) sowie Max Pommer (2014) die Verdienste des Dirigenten in Publikationen gewürdigt, doch erinnert in der Öffentlichkeit kaum etwas an diesen Mann, der für die Gründung bzw. den Bestand von Chor und Orchester des Leipziger Senders eine nicht zu unterschätzende Bedeutung gehabt hat: Kein Konzertsaal trägt seinen Namen, keine Gedenktafel hält die Erinnerung an Alfred Szendrei in Leipzig wach. Zumindest existiert seit 2005 auf dem alten Leipziger Messegelände eine “Szendreistraße”. Dennoch sind Name und Bedeutung des Dirigenten weitgehend und und viel zu Unrecht in Vergessenheit geraten.
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• 08 „An den Pranger mit Dr. Szendrei!“
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