www-Logo_MDR_RC_4c_oL

 

Vergessene Jahre …

Chronik des Leipziger Rundfunkchores  Die Jahre 1924 bis 1933

von Rüdiger Koch

 

 

www Szendrei was wir wollen

Artikel von Alfred Szendrei zu seiner Programmphilosophie

 

Vom „funkischen“ Singen:
Die Leipziger Oratorienvereinigung – Szendreis Rundfunkchor  [05]

Kaum war die Orchesterfrage gelöst, nahm der musikalische Chef das nächste Problem in Angriff: die Schaffung eines Chores.
In seinem programmatischen Artikel „Was wir wollen“ hatte Szendrei seine künstlerischen Pläne schon kurz skizziert:
„Im Konzertteil wollen wir klassische und moderne Gesangs-, Instrumental-, Kammermusikvorträge, Symphoniesätze, Opernfragmente (später auch zusammenhängende Opernteile und auch ganze geschlossene Opernakte) bieten.“

Für das letztgenannte Genre, die Oper, war die Mitwirkung eines Chores fast unumgänglich. Ist schon die Gründung des Orchesters nicht einfach gewesen, so stand Szendrei bei der Schaffung eines Chores vor beinahe unüberwindlichen Schwierigkeiten.
Zunächst setzten die noch bescheidenen Möglichkeiten der Aufnahmetechnik dem musikalischen und organisatorischen Willen Grenzen.
Im allgemeinen sind große Klangmassen, Orchester, Chöre nach dem heutigen Stand der Technik sehr wenig oder gar nicht zur Wiedergabe geeignet, das Klangergebnis solch großer Massen ist heute noch ziemlich unausgeglichen, daher nicht nur für musikalische, sondern auch für Laienohren nicht sonderlich genussreich.
Ein Chor durfte also nicht zu groß sein, was wiederum die Breite der darzubietenden Literatur beschränkte, es sei denn, dass hervorragende oder doch gut ausgebildete Stimmen zu finden gewesen wären.

Eine weitere sich aus der Experimentalsituation des Rundfunks ergebende Forderung war es, ein festes, regelmäßig zusammenkommendes Ensemble zu bilden, dessen Mitglieder mit dem Medium Rundfunk und dem „funkischen“ Singen so weit vertraut gemacht werden konnten, dass sie bei jedem neuen Projekt in der Lage waren, auf den Erfahrungen des vorangegangenen aufzubauen.
Somit wären Berufssänger verständlicherweise die geeignetsten Chormitglieder gewesen.
Doch um einen Berufschor zu gründen, fehlten der MIRAG die finanziellen Mittel. Schon die Bindung des Orchesters an den Sender war auf Grund materieller Schwierigkeiten nicht leicht gewesen. So betrachtete Szendrei die im Grunde sehr vielfältige Leipziger Chorlandschaft und hielt in bekannter Manier Ausschau nach Bewährtem und Verwertbarem.
Die großen Chorgemeinschaften des bürgerlichen Musiklebens mussten ihm wegen des Massencharakters dieser Vereinigungen ebenso ungeeignet erscheinen wie die entsprechenden Chöre der Arbeiterschaft. Aus all diesen Chören jeweils einzelne, geeignete Mitglieder zu rekrutieren und mit ihnen einen neuen Chor aufzubauen, wäre wohl ein sehr langwieriges Verfahren mit nicht absehbarem Erfolg gewesen. So wurde Szendrei im Gewandhaus fündig. Hier gab es einen traditionsreichen Chor, der noch dazu genau das Repertoire pflegte, das der MIRAG-Kapellmeister ebenfalls in seinen Sendungen bringen wollte. Im Jahre 1920 wurde der kleinere Gewandhauschor, der bis dahin von Arthur Nikisch selbst geleitet wurde, mit dem größeren Bachverein zur Gewandhaus-Chorvereinigung zusammengeschlossen.
Den nunmehr großen, leistungsstarken Chor übernahm Karl Straube, der amtierende Thomaskantor, der schon vorher den Bachverein geleitet hatte“, schreibt Dr. Helmuth Weise, Sänger in der Gewandhaus-Chorvereinigung und von vermutlich 1924 bis 1927 auch Sänger in der Leipziger Oratorienvereinigung. Schon allein die lange Tradition der Gewandhaus-Chorvereinigung und die Namen Nikisch und Straube konnten Szendrei dafür bürgen, in den Reihen dieses Chores geeignete Sänger für seine beabsichtigte Chorgründung zu finden.

Doch lassen wir Alfred Szendrei mit einem Auszug aus seinen autobiografischen Notizen selbst zu Wort kommen:
Bereits im ersten Jahre meiner Rundfunktätigkeit bin ich an das Wagnis herangetreten, Oratorien zu senden, trotz der damals allgemein verbreiteten Ansicht, daß Chorgesang im Rundfunk schlecht ‚durchkommt’. Ich habe mir einen ständigen Chor von 32 Sängern zusammengestellt, alle Mitglieder des Gewandhauschores, mit ausgezeichneten Stimmen und alle perfekte Blattleser. Mit nur 1-2 Klavierproben und einer Generalprobe konnte ich mit diesem Chor einwandfreie künstlerische Leistungen erzielen. Ich habe den Chor zu ‚funkischem’ Singen trainiert, d. h. den Sängern diejenigen Stärkegrade beigebracht, welche die damalige Mikrophontechnik erlaubt hat. Außerdem sind mehrere Mikrophone so aufgestellt worden, daß die vier verschiedenen Chorgruppen sich klar voneinander abhoben und keinen dicken Brei in der Sendung ergaben. So ist auch dieses Vorurteil überwunden worden, und im Laufe der Jahre konnte die Technik der Chorübertragung immer weiter vervollkommnet werden. Haydns ‚Schöpfung’, Mendelssohns ‚Elias’ (zweimal), Händels ‚Messias’, Schumanns ‚Paradies und Peri’ und Haydns ‚Jahreszeiten’ waren die Oratorien-Aufführungen des ersten Jahres meiner Rundfunktätigkeit.

Die Rundfunkzeitung „Die Mirag“ bestätigt die Angaben Szendreis vollauf und nennt für die Spielzeit 1924/1925 noch andere Sendungen, an deren Gelingen die Leipziger Oratorienvereinigung beteiligt gewesen ist:
„Hänsel und Gretel“ (Humperdinck),
„Der Barbier von Sevilla“ (Rossini),
„Faustsinfonie“ (Liszt),
Bachkantate „Du Hirte Israels“,
„Don Pasquale“ (Donizetti),
„Cosi fan tutte“
„Die Entführung aus dem Serail“ (Mozart)
„Orpheus und Euridice“ (Gluck).

Die Äußerungen Szendreis zeigen, dass der Dirigent die Leipziger Oratorienvereinigung speziell als Chor für den Rundfunk konzipiert hatte. Wenn Szendrei für seinen Rundfunkchor Sänger mit ausgezeichneten Stimmen und der Fähigkeit perfekten Blattlesens aussuchte, wendete er schon damals Kriterien an, die auch heute noch für die Auswahl von Bewerbern für den MDR Chor Gültigkeit haben.

 

Erstmals vor einem Mikrofon

mirag-Oratorien-Auffuehrung

Ankündigung der ersten Sendung mit der Leipziger Oratorienvereinigung in der Programmzeitschrift „Die Sendung“
Dokument: Archiv Rüdiger Koch

Erstmals war die Leipziger Oratorienvereinigung am 14. Dezember 1924 im Programm des Mitteldeutschen Rundfunks mit der „Schöpfung“ von Joseph Haydn zu hören.
Die Rundfunkzeitung „Die Sendung“ kündigte das Ereignis mit der Bemerkung an: „Erste Oratorien-Aufführung im Rundfunk“.
Dieser Zusatz suggeriert, es habe sich mit dieser Sendung um die erste Oratorienaufführung im Rundfunk überhaupt gehandelt. Andere Autoren geben dafür jedoch den 30. November 1924 an („Judas Makkabäus“ als Übernahme aus der Stadthalle Münster).
Die Programmzeitschrift „Die Sendung“ bestätigt die Aufführung von Händels „Judas Makkabäus“, nennt jedoch weder Chor, Orchester noch den Dirigenten. Die Leipziger „Schöpfung“ dürfte also die zweite Oratorienaufführung im Rundfunk gewesen sein.
Für den 12. Dezember 1924 vermerkt „Die Sendung“ eine Übertragung von Teilen der Oper „Der Freischütz“, unter anderem auch den Jägerchor.

Als denkbar und logisch würde es erscheinen, wenn Szendrei, der in dieser Zeit mit Sicherheit schon für die „Schöpfung“ probierte, die Männerstimmen seines Chores für diese Aufgabe herangezogen hätte. Jedoch konnte diese Vermutung nicht bestätigt werden, so dass das Datum des 14. Dezember 1924 das erste Auftreten der Leipziger Oratorienvereinigung, also des ersten Leipziger Rundfunkchores, im Programm der MIRAG darstellt.

Fritz Kaphan, der Vorsitzende des Kulturellen Beirates der MIRAG, hat seinem Bändchen „Zum 5-jährigen Bestehen…“ einen umfangreichen statistischen Teil beigefügt. Darin ist für das Jahr 1924 lediglich eine Oratorienaufführung verzeichnet, die nur „Die Schöpfung“ gewesen sein kann.

Handschrift-Laufplan-Szendrei-for-web

Handschriftliches Sendprotokoll Alfred Szendreis vom Dezember 1924
Dokument: MDR Orchesterarchiv

Im MDR Orchesterarchiv befinden sich Kopien von handschriftlichen Sendeprotokollen Alfred Szendreis, die vermutlich im Zusammenhang mit dem 75. Jahrestag der Gründung des MDR Sinfonieorchesters aus den Reihen der Familie Szendrei nach Leipzig gekommen sind. Eine genaue Analyse dieser Aufzeichnungen zeigt, dass sie nicht als Pläne, sondern als Protokolle bereits realisierter Konzertprojekte entstanden sind. Auch in den Sendeprotokollen verzeichnet Szendrei die Aufführung von Haydns „Schöpfung“, so dass das Datum 14. Dezember 1924 und das Werk „Die Schöpfung“ als erste Oratorienaufführung im Leipziger Rundfunk sicher belegt werden können.

In meiner zweiten Saison an der MIRAG habe ich an Oratorien aufgeführt: Brahms’ ‚Deutsches Requiem’, (zweimal durchgegeben von der Paulinerkirche), Liszts ‚Legende der heiligen Elisabeth’, eine Wiederholung von Haydns ‚Jahreszeiten’, Mendelssohns ‚Paulus’ , und Schumanns ‚Szenen aus Goethes Faust’. In der Bach-Stadt Leipzig war es Ehrensache, den Werken des großen Thomaskantors auch am Rundfunk einen gebührenden Platz einzuräumen. Ich habe zahllose seiner Kantaten aufgeführt, zur Weihnachtszeit regelmäßig das Weihnachtsoratorium in einer geteilten Aufführung dargeboten (zuerst Teile I-III, dann IV-VI), zu Ostern die Johannespassion, abwechselnd mit dem Osteroratorium … Zu Ostern habe ich auch wiederholt Haydns ‚Sieben Worte des Erlösers’ am Rundfunk dargeboten.“

Auch diese Angaben halten einer Überprüfung anhand der Programmzeitschrift „Die Mirag“ stand. Der Name des neuen Chores war zweifellos Programm. Das Oratorienrepertoire sollte den Hauptteil seiner Tätigkeit ausmachen; er war kein Verein im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern lediglich eine Vereinigung; und er war in Leipzig beheimatet. Es ist zu vermuten, dass Szendrei das Oratorium – gegenüber seinen ursprünglichen Plänen, vorwiegend Opern zu senden – bevorzugte, weil diese Gattung die Szene ohnehin nicht benötigte.

Fortan sollte die Leipziger Oratorienvereinigung regelmäßig im Rundfunkprogramm vertreten sein. Von der Gründung bis zum Ende des Jahres 1925 sind 29 Übertragungen mit diesem Chor festgehalten. Danach pegelte sich die Zahl auf etwa 15 bis 20 Übertragungen im Jahr ein.
Ob Szendrei ganz bewusst „Die Schöpfung“ als ersten gemeinsamen Auftritt „seines“ Leipziger Sinfonieorchesters und „seiner“ Leipziger Oratorienvereinigung gewählt hatte? Schließlich waren beide das Werk seiner organisatorischen und künstlerischen Fähigkeiten, waren seine Schöpfung!
Die Verbindung der Namen Szendrei/Leipziger Sinfonieorchester/Leipziger Oratorienvereinigung war über Jahre hinweg das Markenzeichen des mitteldeutschen Senders und hat mit dazu beigetragen, die MIRAG zu dem Musiksender Deutschlands werden zu lassen.

Ähnlich enge und fruchtbare Beziehungen sollte es im Leipziger Rundfunk später noch zwei Mal geben:
Kegel/Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig / Rundfunkchor Leipzig in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren, sowie Luisi/MDR Sinfonieorchester/MDR Rundfunkchor Leipzig im neuen Jahrtausend.

Alfred Szendrei scheint die Leipziger Oratorienvereinigung als seinen Chor betrachtet und darauf geachtet zu haben, dass auf diesem Instrument nicht zu viele andere Dirigenten spielten.
Auch hierzu sollte es später Parallelen geben. Nur vereinzelt sang der Chor auch unter den anderen MIRAG-Dirigenten Dr. F. K. Duske, Hilmar Weber und Alfred Simon.
Im Dezember 1926 stand Hans Pfitzner am Pult von Chor und Orchester der MIRAG bei einer konzertanten Aufführung seiner Oper „Das Christelflein“.

Dass es sich bei der Leipziger Oratorienvereinigung zweifelsfrei um den von Szendrei in seiner Autobiografie genannten Chor handelt, beweist die Übereinstimmung zwischen den Erinnerungen des Dirigenten und dem in den Rundfunk-Programmzeitschriften festgehaltenen Programm.
Im Kreise der Sänger scheint auch der Name „Rundfunkchor“ gebräuchlich gewesen zu sein, wie sich aus der Bemerkung von Max Richter auf der Rückseite des Fotos vom 1. Mai 1926 erkennen lässt. Auch Dr. Helmuth Weise nennt den Chor auf einer Liste mit seinen eigenen vielfältigen sängerischen Aktivitäten „Rundfunkchor (Szendrei)“.
Das bereits erwähnte Foto ist in der Programmzeitschrift „Die Mirag“ unter dem Datum 18. Juni 1926 abgedruckt. Hier wird der Chor Leipziger Oratorienvereinigung genannt.

Die zahlenmäßige Stärke des jungen Ensembles hatte sich, vermutlich durch die gewachsenen Möglichkeiten der Aufnahmetechnik bedingt, bald vergrößert.
Das Chorfoto vom 1. Mai 1926 zeigt insgesamt 58 Sängerinnen und Sänger. Vermutlich ist das Bild im Zusammenhang mit Proben zu Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Paulus“ entstanden, das am 13. Mai 1926 gesendet wurde.

Elias-Anzeige-for-web

Programmeintrag für das Sendekonzert „Elias“ in der Programmzeitschrift „Der deutsche Rundfunk“ Heft 4, 1925
Dokument: DRA Frankfurt/Main

Der Chor muss oft in dieser Stärke aufgetreten sein, denn Werke, die eine ähnliche Besetzung forderten, wurden häufig geboten, beispielsweise
„Elias“ (27. Januar und 29. März 1925)
Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ (10. September und 1. November 1925)
„Fidelio“ (20. September 1925)
die „Legende von der heiligen Elisabeth“ von Liszt (27. September 1925)
Beethovens 9. Sinfonie (25. April 1925)
„Der Freischütz“ (5. Juni 1925)

Die zum Teil sehr kurzen Abstände zwischen den hier genannten Werken lassen erkennen, welch großes Arbeitspensum die Leipziger Oratorienvereinigung zu bewältigen hatte und wie vielfältig ihr Repertoire gewesen ist. Alle genannten Oratorien und Opern befinden sich auch heute noch auf dem Spielplan des MDR Rundfunkchores Leipzig.
Ob sich auch die vergrößerte Leipziger Oratorienvereinigung ausschließlich aus Mitgliedern des Gewandhauschores zusammensetzte oder ob sich auch andere musikalisch gebildete Laien, Musikstudenten oder gar Berufsmusiker und -sänger in diesem Ensemble befanden, konnte noch nicht festgestellt werden, ist aber denkbar.

Als ein besonderer Höhepunkt in der Geschichte des Ensembles darf die Aufführung von Arnold Schönbergs monumentalen „Gurre-Liedern“ am 6. Mai 1929 bezeichnet werden.
Szendrei schreibt darüber:
„Ich lud dazu Schönberg ein, und in Erwartung seiner Anwesenheit habe ich ausgezeichnete Solisten herangezogen…
Mein Orchester wurde auf 100 Mann verstärkt, die halsbrecherisch schwierigen Chöre wurden von der Leipziger Singakademie, dem Leipziger Männerchor und der Leipziger Oratorienvereinigung bestritten: es war ein imposanter Chorkörper von mehr als 450 Sängern. Das Podium war zu klein, um solche Massen unterzubringen, und es musste eine Anzahl Logen im Zuschauerraum dafür herangezogen werden. Die Aufführung war ein großer Erfolg sowohl für Schönberg wie für mich. Wir beide wurden sehr gefeiert, sogar die Presse war einstimmig im Lob, ein Umstand, der sich in Leipzig nur selten ereignete. Obwohl die Funkübertragung einer solchen Massenaufführung ziemlich problematisch und riskant war, haben dennoch der Deutschland-Sender und die meisten anderen Sender die Aufführung übernommen. Wider Erwarten liefen in den nächsten Tagen eine Menge guter Urteile über den akustischen Teil der Übertragung bei uns ein.“

An dieser Stelle nennt auch Szendrei den Namen Leipziger Oratorienvereinigung.
Von Szendreis Rundfunkchor ist außer dem erwähnten Bild vom 1. Mai 1926 bisher nur noch ein weiteres Foto bekannt geworden. Es stellt die Leipziger Oratorienvereinigung und das Leipziger Sinfonieorchester unter der Leitung von Szendrei während einer Rundfunkübertragung aus der Alten Handelsbörse dar.

 

Scaled Image 4

Der MIRAG-Musikchef Alfred Szendrei mit dem Leipziger Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor anlässlich einer Rundfunkübertragung im Saal der Alten Handelsbörse, 1924
In Bildmitte ist auf einem Stativ eines der für die Mitteldeutsche Rundfunk-AG typischen weißen Reisz-Mikrofone zu sehen.

 

Orchester-Chronist Clemen nennt im Zusammenhang mit dem Abdruck dieses Fotos den Chor Leipziger Rundfunkchor und datiert das Bild auf die Zeit um 1930. Auf dem im MDR-Orchesterarchiv aufbewahrten Original des Fotos ist 1928 als Entstehungsjahr genannt. Ein weiterer, undatierter Abzug des Fotos befindet sich im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt/M. Darauf ist vermerkt, dass das Bild im Zusammenhang mit einer Aufführung des Requiems von Mozart in der Alten Handelsbörse entstanden ist. Weil ein Sendekonzert mit diesem Werk nur für den 20. November 1927 festgestellt werden konnte, sind der 19. oder 20. November 1927 die wahrscheinlichsten Entstehungstage des Fotos. Auf jeden Fall sind beide Bilder mit einem deutlichen zeitlichen Abstand zueinander aufgenommen worden.

Weil nicht wenige Sängerinnen und Sänger gleichermaßen auf beiden Bildern zu erkennen sind, lässt dieses den Schluss zu, dass die Leipziger Oratorienvereinigung über Jahre hinweg in einer gleich bleibenden Besetzung gesungen hat.
Auf dem Gebiet des A-cappella-Gesanges ist der Chor nur ausnahmsweise tätig geworden; seine Domäne war und blieb das große Oratorien- und Opernrepertoire.
Lediglich in der an jedem Sonntagmorgen ausgestrahlten überkonfessionellen „Morgenfeier“ wirkte der Chor bzw. wirkten Mitglieder des Chores ab und zu mit.
Als Dirigent oder Klavierbegleiter wird Friedbert Sammler genannt, der später als der letzte Chorleiter vor der kriegsbedingten Auflösung bedeutsam werden wird.

Neben den „Morgenfeiern“ finden sich noch zwei A-cappella-Sendungen unter Beteiligung der Leipziger Oratorienvereinigung im MIRAG-Programm.
In der Reihe „Protestantische Kirchenmusik“ sang sie in der 1. Folge („Choral und Motette“) und in der 2. Folge („Das Zeitalter von Heinrich Schütz“), in der letztgenannten Sendung unter der Leitung von MIRAG-Kapellmeister Wilhelm Rettich.

Bemerkenswert ist noch, dass schon in den zwanziger Jahren einige Sängerinnen und Sänger, die später als Mitglieder des Chores des Reichssenders Leipzig, des Bruckner-Chores und des Rundfunkchores Leipzig namentlich bekannt wurden, in Konzerten der Leipziger Oratorienvereinigung solistisch auftraten.
Genannt seien hier vor allem die bekannte Sängerin Dorothea Schröder (1953 aus dem Rundfunkchor Leipzig ausgeschieden) sowie die beiden Tenöre Albert Schwarzburger und Erich Purfürst.

Mit der Schaffung der Leipziger Oratorienvereinigung hatte Alfred Szendrei einen anderen Weg beschritten als die Verantwortlichen der Berliner Funk-Stunde. In Berlin war am 1. Mai 1925 ein 20 Mitglieder starker Chor gegründet worden, der sich aus Sängerinnen und Sängern des kurz zuvor aufgelösten Chores der Berliner Volksoper rekrutierte. Szendrei nutzte hingegen bewusst die Potenzen des Leipziger Musiklebens zur Schaffung eines größeren und leistungsfähigeren Konzertchores, mit dem er in hoher Qualität das Repertoire vom 17. Jahrhundert bis in die Moderne hinein entsprechend seinen ehrgeizigen und didaktischen Zielen pflegen konnte.
Das Kriterium der Festanstellung für seinen Chor trat für ihn zurück hinter einer universellen Einsetzbarkeit. Wie eingangs bereits erwähnt, gehörten vermutlich Max Richter und erwiesenermaßen Dr. Helmuth Weise der Leipziger Oratorienvereinigung an.

06 HELMUTH WEISE: RUNDFUNKCHORSÄNGER DER ZWANZIGER UND FÜNFZIGER JAHRE
DOKUMENTATION SENDUNGEN MIT DER LEIPZIGER ORATORIENVEREINIGUNG
  CHOR-CHRONIK STARTSEITE


 

www-Logo_MDR_RC_4c_oL


Weitere Chor-Chronikthemen 1924-1933

01 Das Geheimnis eines alten Bildes
02 Rundfunk – das neue Medium der zwanziger Jahre
03 Alfred Szendrei: Rundfunkmusik in Theorie und Praxis
04 Die MIRAG mausert sich: Von der Hauskapelle zum Symphonieorchester
   05 Vom „funkischen“ Singen: Die Leipziger Oratorienvereinigung
06 Dr. Helmuth Weise: Rundfunkchorsänger der zwanziger und fünfziger Jahre
07 Das Ende der Ära Szendrei und das Ende der Leipziger Oratorienvereinigung
08 „An den Pranger mit Dr. Szendrei!“

Sorry, the comment form is closed at this time.