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Die 1980er Jahre

Eine neue Epoche für den Rundfunkchor [XVIII]

 

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

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Eintrag von Kurt Masur in das Gästebuch des Leipziger Rundfunkchores
Das Foto zeigt Kurt Masur während der Proben zum „Elias“ im September 2009
Foto: Rüdiger Koch

 

 

Kurt Masur – Kaleidoskop einer langen Freundschaft XVIII-08

Seit der Eröffnung des Neuen Gewandhauses wird ein Dirigent für die künstlerische Entwicklung des Leipziger Rundfunkchores immer wichtiger: Kurt Masur.
Dabei hatte die gemeinsame Arbeit schon in den 1950er Jahren begonnen.

Erstmals dirigierte Masur den Chor bei einer Rundfunkaufnahme am 23. November 1954. Zusammen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig waren Ausschnitte aus Glucks Orpheus aufgenommen worden.

 

Masurs erste Rundfunkaufnahme

Gluck: Orpheus und Euridice

 

daraus:
Komm ins Reich beglückter Schatten (II) Szene Orpheus – Chor
Triumph sei Amor und alles, was da lebet (III,3) Finale Amor – Orpheus – Eurydike mit Chor)
Erna Roscher, Sopran
Tiana Lemnitz, Sopran
Johanna Blatter, Alt
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Rundfunkchor Leipzig
Dirigent: Kurt Masur
Aufnahme: Sender Leipzig am 23. November 1954 im Funkhaus Raum 5

 

Die Schallplatte

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Nach einigen Produktionen mit Opernausschnitten bestand die erste größere Zusammenarbeit Masurs mit dem Rundfunkchor darin, die Oper Enoch Arden von Ottmar Gerster im Sommer 1965 für die Schallplatte aufzunehmen.
Es folgten 1972 Aufnahmen der 2. Sinfonie, Lobgesang, von Felix Mendelssohn Bartholdy und der Missa solemnis von Beethoven, 1973 der Kantate Die erste Walpurgisnacht von Mendelssohn, 1979 Liszts Faust-Sinfonie mit dem Männerchor und im ersten Halbjahr 1981 der Beethovensche Fidelio.
Und immer wieder dirigiert Masur Konzerte und Aufnahmen der 9. Sinfonie von Beethoven.

Nach der Eröffnung des Neuen Gewandhauses wird dessen Großer Saal nun auch für Schallplatten- bzw. CD-Produktionen genutzt, zunächst exklusiv für das Gewandhausorchester.
Jede Platte erhielt deshalb den Aufdruck: „Aufgenommen im Neuen Gewandhaus“.

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In rascher Folge werden die Schauspielmusiken zu Rosamunde von Schubert (1983) und Peer Gynt von Edvard Grieg (1988), Mendelssohns Paulus (1986), nochmals der Lobgesang (1988) und die Schauspielmusik zu Ein Sommernachtstraum (1990) produziert. Der Elias sollte erst im Januar 1992, also nach dem hier betrachteten Zeitraum, als Mitschnitt eines Konzertes im Frederic-Mann-Auditorium in Tel Aviv die Serie der Mendelssohn-Produktionen abrunden.

 

Ein Haus für die Zukunft

Ohne den unermüdlichen Einsatz Masurs für den Bau eines neuen Konzertsaales, hätte es das 1981 eröffnete Neue Gewandhaus nicht gegeben! Den modernen Leipziger Saal hatten die Mitglieder des Rundfunkchores ebenso herbeigesehnt wie das Gewandhausorchester und das gesamte Konzertpublikum der Messestadt. Zu ungünstig waren die räumlichen und akustischen Verhältnisse in der Kongresshalle, in der sich der Chor weit hinter dem Orchester verloren vorkam. Nun, im neuen Saal, „schwebte“ der Chor gleichsam über dem Orchester und konnte sich klanglich viel besser von diesem abheben und seine Stärken zur Geltung bringen, insbesondere sein „klangsensibles Pianissimo“.

Die erste Probe im Neuen Gewandhaus singt der Rundfunkchor, zusammen mit den Sängerinnen und Sängern des Gewandhauschores, am 28. September 1981. „Von der guten Akustik des Saales sind wir angenehm überrascht“, heißt es an diesem Tage im Chortagebuch. Am 6. Oktober ist der Chor am ersten öffentlichen Konzert beteiligt. Für die Erbauer des Gebäudes erklingen Siegfried Thieles Gesänge an die Sonne und die 9. Sinfonie von Beethoven. Die offizielle Eröffnung des Hauses findet dann am 8. Oktober mit dem selben Programm u.a. vor Prominenz aus Politik und Gesellschaft statt.

Nach dem 5. Konzert mit dem Eröffnungsprogramm gab Gewandhauskapellmeister Kurt Masur einen Empfang für die beteiligten Chöre. Neben dem Rundfunk- und dem Gewandhauschor hatten noch der Thomanerchor und der Gewandhaus-Kinderchor mitgewirkt. Masur „bedankte sich herzlich, sprach von der großen und verwandelnden Bedeutung des Neuen Gewandhauses für Leipzig und für uns. Es möge dieses Haus nie zur Gewöhnung, zum Alltag werden, damit es immer wieder zur künstlerischen Inspiration anrege“, so der Chronist im Chortagebuch.

„Seit der Eröffnung des Neuen Gewandhauses wird Leipzig gleichsam von einer großen Woge von Musik getragen. Der erste Konzertneubau der DDR hat interpretatorische Aktivitäten freigesetzt, wie sie in Leipzigs jüngerer Musikgeschichte nicht zu finden sind“, resümiert Hellmut Döhnert in einer Leipziger Tageszeitung über die ersten, kurz nach der Eröffnung veranstalteten Gewandhaus-Festtage.

Bis zum heutigen Tag stellt das Neue Gewandhaus die wichtigste Leipziger Wirkungsstätte des Rundfunkchores dar, in der Masurs Geist immer lebendig bleiben wird.

 

Eröffnungskonzert des Neuen Gewandhauses am 8. Oktober 1981.
Unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Kurt Masur interpretieren das Gewandhausorchester, der Leipziger Rundfunkchor, der Gewandhauschor und -Kinderchor sowie der Thomanerchor Beethovens 9. Sinfonie.
Foto: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Chortagebuch

 

Der „Politiker wider Willen“

Nachdem der Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig am 8. Oktober 1989 ein Richard-Strauss-Konzert anlässlich der Gewandhausfesttage erfolgreich bestritten hatten, steht für Montag, den 9. Oktober, wieder ein Friedensgebet mit anschließender Montagsdemonstration an. Mielkes Worte: „Jetzt ist Schluss mit der Humanität“ und die in die Leipziger Volkszeitung lancierte Meldung einer Kampfgruppenhundertschaft, die „konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muß, mit der Waffe in der Hand“, lassen für diesen Tag das Schlimmste befürchten. Dieser Situation sind sich auch sechs Leipziger Persönlichkeiten bewusst, unter ihnen Gewandhauskapellmeister Kurt Masur. Ihr Appell an Sicherheitskräfte und Demonstranten, besonnen und gewaltlos zu bleiben, hat Erfolg. Etwa 70.000 Demonstranten umrunden erstmals vollständig den Innenstadtring, ohne dass es zu gewaltsamen Zusammenstößen kommt.

Auch für den Rundfunkchor Leipzig setzt sich Kurt Masur ein. Als die Existenz des Chores in den Jahren 1990/91 gefährdet ist, gibt er Mut und äußert gegenüber dem Chorvorstand: „Dann übernehme ich Euch eben ins Gewandhaus!“

Dazu muss es nicht kommen. Dennoch steht Kurt Masur Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre häufiger am Pult des Chores als Max Pommer, der Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig. Im Festakt zum Ende der DDR dirigiert Masur im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt die 9. Sinfonie von Beethoven. Neben dem Rundfunkchor Leipzig und dem Gewandhausorchester sind auch der Rundfunkchor Berlin und die Thomaner beteiligt.

 

Hörbeispiel

Aus dem Festkonzert zur Sendepremiere des MDR 1992

 

Richard Wagner: „Wach auf“-Chor
Aus: „Die Meistersinger von Nürnberg“
MDR Rundfunkchor · Einstudierung: Gert Frischmuth
MDR-Kinderchor · Einstudierung: Gunter Berger
Gewandhauschor Leipzig · Einstudierung: Michael Schönheit
Gewandhaus-Kinderchor · Einstudierung: Ekkehard Schreiber
Theo Adam · Hans Sachs
Gewandhausorchester Leipzig
Dirigent: Kurt Masur

Aufnahme MDR KULTUR: Mitschnitt aus dem Festkonzert zum Sendestart des MDR am 1. Januar 1992
Künstlerische Aufnahmeleitung: Bernhard Steffler
Technische Aufnahmeleitung: Manfred Weber

 

Reiche Ernte im geeinten Land

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Gewandhauskapellmeister Kurt Masur gratuliert dem MDR-Intendant Udo Reiter zum Sendstart des Mitteldeutschen Rundfunks am 1. Januar 1992
© Foto: MDR-Hopf

Nachdem Kurt Masur, das Gewandhausorchester und der MDR Chor im festlichen Konzert zur Sendepremiere des Mitteldeutschen Rundfunks am 1. Januar 1992 Wagners Wach-auf!-Chor gemeinsam musiziert hatten, kommt es zu einem späten Höhepunkt in der Zusammenarbeit zwischen dem Dirigenten und dem Chor.

Immer wieder wird Beethovens 9. Sinfonie aufgeführt.
Auch das Deutsch Requiem und das Schicksalslied vom Brahms, Thieles Erdengesänge, Mendelssohns Paulus sowie Werke von Honegger, Baird, Strauss und Schostakowitsch stehen auf den Programmen. Beethovens Chorphantasie mit Menachem Pressler als Klavier-Solisten stellt die letzte gemeinsame CD-Produktion dar.
Nach dem Wechsel Masurs zu den New Yorker Philharmoniker erfolgt eine Einladung in die Vereinigten Staaten. Leider wird aus dieser Tournee nichts …

 

 

Kurt Masur dirigierte im Januar 1992 Mendelssohns Oratorium Elias im Frederic-Mann-Auditorium in Jerusalem.
Es musizierten der MDR Chor, das Israel Philharmonic Orchestra, die Solisten Helen Donath, Sopran, Jard van Nees, Alt, Donald George, Tenor und Alastair Miles, Bass, (v.l.n.r.) sowie die Chorsolisten Kerstin Klein, Sopran und Christiane Schwarz, Dorothea Sprenger, Sopran, Sibylle David-Kästner, Andrea Pitt, Alt, Ekkehard Wagner, Dietmar Spiegelhauer, Tenor, Hanns-Jürgen Ander-Donath und Siegfried Müller, Bass, (vor dem Chor stehend, v.l.n.r.) im Doppelquartett
Foto: CD-Cover, Teldec Classics

 

Abschied

Immer wieder waren es die Werke Mendelssohns, für deren Aufführungen Masur den Leipziger Rundfunkchor holte.
Als Masur nach der Elias-Aufführung am 18. September 2009 im Gewandhaus den Taktstock sinken ließ, ahnte so mancher, dass dies das letzte Konzert unter Leitung Masurs gewesen sein könnte.
Dass sich Thomas Hampson, der grandiose Elias, nach den Worten des Engels („Stehe auf!“) erst erhob, nachdem ihm Masur den Weckruf „O Herr“ stimmgewaltig zugerufen hatte, zeugte von der Wachheit des Dirigenten.
Hampson kommentierte nach dem Konzert lakonisch: „Ich war wohl in einer anderen Wüste.“

Es war Masurs Wunsch, dass auch der Leipziger Rundfunkchor in der Gala zu seinem 80. Geburtstag im Gewandhaus mitwirken möge. Vor laufender Kamera würdigte er die Beziehung zwischen dem Chor und ihm als eine mehr als 50 Jahre währende treue Freundschaft.

 

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„Die große Kurt Masur Nacht“
MDR-Fernsehen-Jubiläumssendung anlässlich des 80. Geburtstages von Kurt Masur am 15. Juni 2007
Galakonzert im Neuen Gewandhaus mit dem Gewandhausorchester und dem MDR Rundfunkchor unter Leitung von Kurt Masur
© Foto: MDR/Gentzel

 


 

Kapitelübersicht

→ XVIII-01 Jörg-Peter Weigle – Vom Thomaner zum Chordirigenten
 → XVIII-02 Das Neue Gewandhaus: Lang ersehnt – endlich vollendet
 → XVIII-03 Und immer wieder: Peter Schreier
→ XVIII-04 Herbert Kegel und kein Ende
 → XVIII-05 Herbert Kegels Interpretationen der „Gurre-Lieder“ und des „War Requiems“
 → XVIII-06 Annäherungsversuch an den Menschen Herbert Kegel
 → XVIII-07 Der Schallplattenchor der 1980er Jahre
Kurt Masur – Kaleidoskop einer langen Freundschaft
→ XVIII-09 Bekannte Namen

 


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