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Ein neuer Mann am Pult

Eine neue Epoche für den Rundfunkchor [XVIII]

 

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch

 

Der Leipziger Rundfunkchor mit Jörg-Peter Weigle im Leipziger Alten Rathaus, März 1981
Foto: Archiv des Leipziger Rundfunkchores – Beilage zum Konzertreport des Rundfunks der DDR, 1981/82

 

Jörg-Peter Weigle – vom Thomaner zum Chordirigenten  XVIII-01

Wer war dieser junge, neue Leiter des Rundfunkchores Leipzig?
Hanni Bode stellte ihn in der FF dabei mit folgenden Worten vor:
„Stationen auf Jörg-Peter Weigles Weg: Musizieren im Elternhaus, an dem sich auch das jüngste der sechs Geschwister beteiligte. Mit zehn Jahren wurde er Thomaner; die Begegnung mit Bach überwältigte ihn. Das Singen der Kantaten Motetten, Oratorien legte das Fundament seiner musikalischen Bildung; er wurde Präfekt, assistierte dem Thomaskantor, leitete selbständig Proben. Dann Studium an der Hochschule für Musik ‚Hanns Eisler‘ in Berlin bei Professor Horst Förster und Dietrich Knothe. Dort erhielt er das Rüstzeug für die Praxis. Schon im letzten Studienjahr begann er mit dem Staatlichen Sinfonieorchester Neubrandenburg zu arbeiten, wo er nach dem Examen zweiter Dirigent wurde. Zwei Sommerkurse vermittelten ihm wichtige Erfahrungen; sowohl beim Internationalen Musikseminar in Weimar als auch im Internationalen Meisterkurs in Wien dirigierte er im Abschlußkonzert. Das Probedirigat beim Rundfunkchor Leipzig war für ihn zunächst nur die Möglichkeit, sich vor einem Klangkörper von internationalem Renommee auszuprobieren; mit dem Erfolg hat er selbst wohl am wenigsten gerechnet.“

 

Liebeserklärung von Herbert Kegel an “seinen” Rundfunkchor und dessen neuen Chorleiter Jörg-Peter Weigle
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores

 

Ein junger Chorleiter – ein in die Jahre gekommenes Ensemble

In der Leipziger Presse erschienen zwei Interviews mit dem neue Chorleiter, das erste A-cappella-Konzert, das Weigle am 1. Dezember 1980 als Chef dirigierte, wurde in vier Rezensionen überaus wohlwollend besprochen, und die Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten widmeten dem neuen Chorchef einen großen Artikel:

Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores

 

Das Antrittskonzert von Jörg-Peter Weigle

 

 

„Beherrschte Emotion“ Mitteldeutsche Neueste Nachrichten

Weigle übernahm die Leitung des Leipziger Rundfunkchores in einer für das Ensemble schwierigen Phase: So hatten einerseits der Chefdirigent und der Chorleiter zum selben Zeitpunkt ihre Positionen verlassen, was so für den Chor noch nie vorgekommen war. Andererseits vermittelten das Interregnum von zwei Jahren und die vorangegangenen Loslösungsbestrebungen Kegels und Neumanns dem Chor das Gefühl, dass die Leistung abfiel und der Ensemblegeist abnahm. Und schließlich war der Chor in die Jahre gekommen. Viele der Sängerinnen und Sänger, die um 1950 ganz jung in den Chor gekommen waren, standen nun kurz vor dem Ruhestand.

Als Herbert Kegel 1949 Chorleiter wurde, betrug das Durchschnittsalter des Chores 36,5 Jahre. 1953, bei Dietrich Knothes Amtsübernahme, waren es 34,5 Jahre. Horst Neumann stand 1967 vor einem im Durchschnitt 41 Jahre alten Chor.
Und nun, zu Beginn der Spielzeit 1980/81, lag das Durchschnittsalter bei 44 Jahren. (Die Altersangaben sind jeweils auf ein halbes Jahr gerundet.) Der Chor war also kontinuierlich älter geworden, was sich zwangsläufig auf die Leistungsfähigkeit auswirken musste.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hatte der Rundfunk Mitte des Jahres 1974 beschlossen, die Planstellenzahl für den Chor zunächst auf 70 und später auf 80 zu erhöhen. 1975 oder 1976 wurde die endgültig anzustrebende Chorstärke von 80 Mitgliedern bestätigt. Allerdings erreichte das Ensemble diese Mitgliederzahl nie. In den ersten beiden Spielzeiten unter Weigle hatte der Chor 77 bzw. 76 Mitglieder. Später sank diese Zahl wieder leicht.

 

Mit Gemeinschaftsgeist zu neuen Zielen

Im November 1981 berichtete Horst-Dieter Knorrn:
„Im Rechenschaftsbericht für den Zeitraum November 1976 bis Oktober 1979 stellten wir fest: ‚… Wenn wir ehrlich und kritisch zurückblicken, dann waren die letzten drei Jahre eine schwere Zeit, gekennzeichnet durch stetig abfallendes Niveau unserer Leistungen in allen Bereichen. Das Fehlen eines staatlichen Leiters beeinträchtigte nicht nur die künstlerische Qualität sondern führte zu Spannungen innerhalb des Kollektivs, schädigte die gewerkschaftliche Arbeit und ließ wichtige Aufgaben ungelöst …‘ Heute, zwei Jahre später, stellen wir fest, dass Jörg-Peter Weigle als neuer staatlicher Leiter des Chores entscheidend mitgeholfen hat, die künstlerische Talfahrt und den Zerfall des Kollektivs nicht nur zu bremsen, sondern in verhältnismäßig kurzer Zeit eine aufsteigende Entwicklung der musikalischen Leistung und des wieder entstehenden kollektiven Bewußtseins durchzusetzen. J.-P. Weigle übt eine derart verantwortungsvolle Funktion zum ersten Mal aus. Er bemüht sich ständig um eine intensive Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Gremien. Sicher ist diese Zusammenarbeit noch enger zu gestalten. Es gibt Mißverständnisse, Meinungsverschiedenheiten – Situationen, die für das erste Jahr des neuen Chorleiters natürlich sind. Entscheidend bleibt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die als alleiniges Ziel die Leistungssteigerung des Chores und den kollektiven Zusammenhalt anstrebt.“

Nicht umsonst hatten Weigle, der Sender und der Chor das erste Vierteljahr der Zusammenarbeit als eine Arbeitsphase mit „fast ausschließlich A-cappella-Arbeit“ angelegt, um „sich aneinander zu gewöhnen und sich zusammenzuraufen“, so das Chortagebuch am 18. August 1980, dem Tag der Einführung des neuen Chorleiters durch den Chefdirigenten Wolf-Dieter Hauschild.

 

Artikel der „Leipziger Volkszeitung“ zu den Plänen des neuen Chordirektors Jörg-Peter Weigle
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores

 

 

 


 

Kapitelübersicht

Jörg-Peter Weigle – Vom Thomaner zum Chordirigenten
 → XVIII-02 Das Neue Gewandhaus: Lang ersehnt – endlich vollendet
 → XVIII-03 Und immer wieder: Peter Schreier
→ XVIII-04 Herbert Kegel und kein Ende
 → XVIII-05 Herbert Kegels Interpretationen der „Gurre-Lieder“ und des „War Requiems“
 → XVIII-06 Annäherungsversuch an den Menschen Herbert Kegel
 → XVIII-07 Der Schallplattenchor der 1980er Jahre
→ XVIII-08 Kurt Masur – Kaleidoskop einer langen Freundschaft
→ XVIII-09 Bekannte Namen

 


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