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Befreundete Nachbarn  [XVII-03]

Chronik des Leipziger Rundfunkchores

von Rüdiger Koch und Steffen Lieberwirth

 

Foto: Rüdiger Koch

 

Das Gewandhaus: Geburtshelfer, Freund und Nachbar

Das Domizil von MDR Rundfunkchor Leipzig und MDR Sinfonieorchester befindet sich seit Beginn der Spielzeit 2001/2002 in unmittelbar Nachbarschaft des Gewandhauses am Leipziger Augustusplatz. Der beide Gebäude verbindende, brückenartige Übergang steht bildlich für die engen Beziehungen des Leipziger Rundfunkchores zum Gewandhaus, seinem Orchester und den Gewandhauschören.

 

Geburtshilfe

Der Gewandhauschor fungierte 1924 als Geburtshelfer des Leipziger Rundfunkchores. Als der musikalisch Direktor der MIRAG, Alfred Szendrei, im Herbst des Jahres 1924 geeignete Sängerinnen und Sänger für die Sendung von Oratorien und Opern suchte, fand er diese im Gewandhauschor. In seinen Erinnerungen schreibt der Dirigent:

Bereits im ersten Jahre meiner Rundfunktätigkeit bin ich an das Wagnis herangetreten, Oratorien zu senden, trotz der damals allgemein verbreiteten Ansicht, daß Chorgesang im Rundfunk schlecht ‚durchkommt’. Ich habe mir einen ständigen Chor von 32 Sängern zusammengestellt, alle Mitglieder des Gewandhauschores, mit ausgezeichneten Stimmen und alle perfekte Blattleser. Mit nur 1-2 Klavierproben und einer Generalprobe konnte ich mit diesem Chor einwandfreie künstlerische Leistungen erzielen. Ich habe den Chor zu ‚funkischem’ Singen trainiert, d. h. den Sängern diejenigen Stärkegrade beigebracht, welche die damalige Mikrophontechnik erlaubt hat. Außerdem sind mehrere Mikrophone so aufgestellt worden, daß die vier verschiedenen Chorgruppen sich klar voneinander abhoben und keinen dicken Brei in der Sendung ergaben. So ist auch dieses Vorurteil überwunden worden, und im Laufe der Jahre konnte die Technik der Chorübertragung immer weiter vervollkommnet werden. Haydns ‚Schöpfung’, Mendelssohns ‚Elias’ (zweimal), Händels ‚Messias’, Schumanns ‚Paradies und Peri’ und Haydns ‚Jahreszeiten’ waren die Oratorien-Aufführungen des ersten Jahres meiner Rundfunktätigkeit.

Die Leipziger Oratorienvereinigung, wie sich dieser erste Leipziger Rundfunkchor nannte, wurde bald auch durch andere Sänger ergänzt.

Die erste künstlerische Zusammenarbeit zwischen dem Gewandhausorchester und dem Leipziger Rundfunkchor, nun schon unter dem Namen Chor des Reichssenders Leipzig, ist für 1939 belegt. Am ersten Kriegs-Silvesterabend musizierten das Gewandhausorchester, der Gewandhauschor und der Chor des Reichssenders Leipzig Beethovens 9. Sinfonie unter der Leitung von Hermann Abendroth im Großen Saal des Gewandhauses. Der Live-Mitschnitt dieses Konzerts ist auf sieben Rundfunkschallplatten erhalten geblieben.

 

 

„An die Freude“ als deutschlandweite Radio-Botschaft

Übertragungsraum des Reichssenders Leipzig im Neuen Gewandhaus von 1884

Wie sich der Silvester-Abend für die Rundfunkhörer an ihren Radioapparaten gestaltete, recherchieren wir in vergilbten Rundfunkzeitschriften.
Danach sendeten bis 23.30 Uhr alle deutschen Reichssender jeweils eigene Unterhaltungsprogramme.
Aus Leipzig gab es bis dahin „Tanzmusik in die Silvesternacht“.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht schaltet dann der Reichssender Leipzig als „Gebende Rundfunkanstalt“ die Übertragungsleitungen ins Neue Gewandhaus, wo der Gewandhauskapellmeister Hermann Abendroth und das Gewandhausorchester schon auf das Kommando „Ruhe! Sendung!“ warten. Die Übertragung von Beethovens „Freudenbotschaft“ in der Silvesternacht 1939 scheint dem Leipziger Radiosender so bedeutend und erhaltenswürdig, dass er die Live-Sendung gleichzeitig aufzeichnet.

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1939 verwendet der Rundfunk zu Aufnahmezwecken sogenannte Plattenschneider, die das Tonsignal in erwärmte Wachs-Matrizen eingraviert.
Für den Mitschnitt des Finalsatzes der Neunten müssen bei einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 76cm/s und bei einer Spieldauer von über fünfundzwanzig Minuten sieben solcher Matrizen bereitgehalten werden. Davon lassen sich dann Schellackplatten in einer Kleinstauflage von wenigen Stück zu Abhör- und Aufbewahrungszwecken pressen.
Glücklicherweise haben alle sieben Rundfunk-Schellackplatten die Wirren des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit überstanden und werden heute wohlbehütet als Originaltonträger im Deutschen Rundfunkarchiv im Frankfurt am Main aufbewahrt.
Eigens für unsere CD-Veröffentlichung wurden diese Unikate nach über siebzig Jahren wieder zur Hand genommen und mittels heutiger Rundfunktechnik abgetastet.

 

Hörprobe

Ludwig van Beethoven: Neunte Sinfonie 1939

 

daraus: Finale aus dem Schlußsatz
Lea Piltti, Sopran · Charlotte Wolf-Matthäus, Alt · Heinz Matthéi, Tenor · Josef Greindl, Bass
Gewandhausorchester Leipzig
Gewandhauschor
Chor des Reichssenders Leipzig
Dirigent: Hermann Abendroth
Aufnahme: Deutschlandweite Liveübertragung des Silvesterkonzertes aus dem Neuen Gewandhaus durch den Reichssender Leipzig am 31. Dezember 1939
Quelle: Rundfunkschallplatten von innen nach außen abtastend
Als CD veröffentlicht beim Label Querstand

 

SLIDESHOW Das Neue Gewandhaus von 1884 mit dem Großen und dem Kleinen Saal

 

Die Säle des Neuen Gewandhauses, wie der Bau in der Leipziger Beethovenstraße seinerzeit noch hieß, waren den Sängerinnen und Sängern des Leipziger Rundfunkchores wohlvertraut. Im Kleinen Saal hatte der Chor im Juni 1937 Volkslieder aufgenommen, im Großen Saal bei Opernaufführungen und -aufnahmen unter der Leitung von Hans Weisbach mehrfach auf dem Podium gestanden.

„Musikerbrücke“ vom MDR-Klangkörperdomizil im City Tower zum Neuen Gewandhaus.
Foto: Rüdiger Koch

Am Ende des 20. Jahrhunderts wird das nunmehr ganz Neue Gewandhaus zur bevorzugten Spielstätte der Leipziger Rundfunk-Klangkörper in der Messestadt werden. Der Rundfunkchor singt zur Eröffnung des neuen Hauses im Oktober 1981 die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, gemeinsam mit dem Gewandhaus- und Thomanerchor. Die letzte der Beethovenschen Sinfonien ist dasjenige Werk, zu dessen Aufführungen sich der Leipziger Rundfunkchor und der Chor des Gewandhauses wohl am häufigsten zusammenfanden, an den letzten drei Tage beinahe jedes Jahres.

Seit dem Silvesterabend 1939 musizierte der Leipziger Rundfunkchor regelmäßig mit dem Gewandhausorchester zusammen. Zwischen 1939 und 2017 sind 234 gemeinsame Konzerte und Aufnahmen belegt. Geleitet wurden die Aufführungen und Aufnahmen von den Gewandhauskapellmeistern Hermann Abendroth, Franz Konwitschny, Václav Neumann, Kurt Masur, Riccardo Chailly und in jüngster Zeit auch von Andris Nelsons.
Das Verhältnis Kurt Masurs zum Leipziger Rundfunkchor aber darf als eine ganz besonders enge Freundschaft bezeichnet werden.

 

Konzerte mit dem Gewandhausorchester

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