Rundfunkchor-Alltag in der DDR [XIII]
oder: Die Kunst, mit Schwierigkeiten fertig zu werden
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch
Der Rundfunkchor Leipzig während einer Rundfunkaufnahme mit Jörg-Peter Weigle im Kirchenschiff der Leipziger Bethanienkirche
Fotos: Barbara Stroff
Ein staatlicher Chor in kirchlichen Räumen? XIII-13
Die christlichen Kirchen gehörten in der DDR zu den wenigen Bereichen, die dem unmittelbaren Einfluss des Staates weitgehend entzogen waren, in denen eine andere „Ideologie“ herrschte und in denen zumindest versucht werden konnte, freier zu denken.
In evangelischen und katholischen Familie, in Pfarrhäusern und in Kantorenhaushalten wurde zudem von jeher viel musiziert, sodass der Anteil „kirchlich gebundener Personen“, so der offizielle Sprachgebrauch, in Orchestern und Chören verständlicherweise höher war als in anderen Berufsgruppen. So auch im Rundfunkchor Leipzig.
Die Chormitglieder Horst Kart Hessel, Hans Lindner und Martin Köszegi-Katzenberger übten neben ihrer Tätigkeit im Rundfunkchor auch das Amt eines Kantors aus. Chormitglieder und Choraushilfen waren mit Kantoren verheiratet. Nicht wenige Tenöre und Bässe sangen als Knaben im Thomaner- oder Kreuzchor.
Und ohne die Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores Leipzig hätten die Kantoreien in vielen Teilen der DDR Schwierigkeiten gehabt, geeignete Solisten für ihre Aufführungen zu engagieren.
Obwohl der Rundfunkchor Leipzig ein staatliches Ensemble war, sind die Beziehungen zu den Kirchen, besonders zu den evangelischen, immer recht eng gewesen.
Zwischen dem staatlichen Chor und der Kirche gab es keine Berührungsängste. Besonders deutlich wird das daran, dass der Leipziger Rundfunkchor sehr häufig in kirchlichen Räumen gearbeitet hat.
Die jahrzehntelange Heimstatt des Chores, der Probenraum Nordplatz, war der Gemeindesaal der evangelischen Michaelisgemeinde.
Die Bethanienkirche wurde von Sender Leipzig als Aufnahmestudio genutzt, die Paul-Gerhardt-Kirche und zeitweise die Versöhnungskirche in Leipzig sowie die Lukaskirche in Dresden vom VEB Deutsche Schallplatten.
In den letzten Jahres des hier betrachteten Zeitraums probte der Chor im Saal der katholischen Propsteikirche am Rosental.
Mit einem kleinen Seitenhieb auf den DDR-Rundfunk bemerkte Horst-Dieter Knorrn 1986 in seinem Rechenschaftsbericht:
„ … daß wir sogar die AGL-Wahlversammlung in einem kirchlichen Raum durchführen, zeugt von gutem und toleranten Einvernehmen zwischen Staat und Kirche, nicht aber von der Fähigkeit des Funks, uns in den vergangenen 4 Jahrzehnten einen eigenen Probenraum zur Verfügung zu stellen.“
Erst im 21. Jahrhundert sollte der Leipziger Rundfunkchor, dann unter dem Dach des MDR, einen festen Probenraum bekommen, der nicht gleichzeitig ein Gemeindesaal war.
Leoš Janáček: „Herr, erbarme dich“ aus der „Glagolitschen Messe“
Nr 2: Kyrie. Herr, erbarme dich
Brünnhild Friedland, Sopran
Rundfunkchor Leipzig
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Dirigent: Herbert Kegel
Aufnahme: Sender Leipzig am 2. September 1954
→ WEITER: nächste Folge am Sonnabend, 28. Oktober 2017
Kapitelübersicht
← | Kapitel-Startseite |
→ XIII-01 | Der Leipziger Rundfunkchor im Geflecht der gesellschaftlichen Strukturen |
→ XIII-02 |
Die Gremien des Chores: AGL und KöAG |
→ XIII-03 | Rechenschaftsberichte – Die Kunst der subtilen Kritik |
→ XIII-04 | Gute Arbeit ./. Schlechte Arbeitsbedingungen |
→ XIII-05 | Fluch und Segen des sozialistischen Wettbewerbs |
→ XIII-06 | Geselligkeit |
→ XIII-07 | Der am schlechtesten bezahlte Rundfunkchor |
→ XIII-08 | Im Nebenberuf GGL/AGL-Mitglied |
→ XIII-09 | Hinter der Bühne: Die unsichtbaren Helfer |
→ XIII-10 | Der Einzelne und die Gemeinschaft |
→ XIII-11 | Staatsnah – und doch Staatsfern |
→ XIII-12 | Die „Drossel“. Gab es „Inoffizielle Mitarbeiter“ im Rundfunkchor? |
• | Ein staatlicher Chor in kirchlichen Räumen |
Sorry, the comment form is closed at this time.