Rundfunkchor-Alltag in der DDR [XIII]
oder: Die Kunst, mit Schwierigkeiten fertig zu werden
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Innenhof der Stasi-Zentrale in Leipzig im Dezember 1989. Mehr Funkantennen als ein Rundfunksender …
Foto: Gerhard Hopf
Die „Drossel“
Gab es Inoffizielle Mitarbeiter im Rundfunkchor? XIII-12
Auch wenn es im Alltag der DDR nicht offensichtlich war, wusste doch jeder, dass das Ministerium für Staatssicherheit überall Inoffizielle Mitarbeiter (IM) platziert hatte. Die Internetenzyklopädie WIKIPEDIA nennt eine Zahl von 189.000 Informellen Mitarbeitern für 1989. Somit bespitzelte ein „IM“ 89 Einwohner.
Es war also davon auszugehen, dass sich auch unter den Chormitgliedern ein IM befunden haben könnte. Die Verwunderung und Erleichterung bei den Sängerinnen und Sängern des MDR Chores war deshalb groß, als Hörfunkdirektorin Karola Sommerey nach einer vom MDR in Auftrag gegbenen Überprüfung durch durch die Gauck-Behörde 1992 mitteilen konnte, dass kein MDR-Chormitglied für die Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter tätig gewesen war.
Doch wie verhielt es sich mit denjenigen Chormitgliedern, die vor der Gründung des Mitteldeutschen Rundfunks ausgeschieden waren? In der Stasi-Akte des Autors dieser Chorgeschichte fand sich in der Tat ein Chormitglied, das unter dem Decknamen „Drossel“ als IM tätig gewesen ist. Der Klarname dieses Chormitgliedes, das vor längerer Zeit verstarb, ist bekannt. Allerdings war die „Drossel“ nicht sehr schwatzhaft und berichtete Belanglosigkeiten. Von einem anderen Chormitglied wird gesagt, dass es zwar nicht im Chor, aber in der katholischen Kirche als IM aktiv gewesen ist. Weitere Hinweise auf eine IM-Tätigkeit konnten nicht gefunden werden.
Die Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores Leipzig waren potenzielle Reisekader. Kam es doch einmal zu Reisen in das westliche Ausland, recherchierte die Stasi zuvor im persönlichen Umfeld und untersuchte, ob nicht vielleicht Indizien für eine Fluchtgefahr vorhanden waren. Dies geschah aber nicht durch die eigenen Kollegen, sondern durch einen speziell damit beauftragten Stasi-Mitarbeiter.
Chormitglieder, die ein Jahr bis eineinhalb Jahre dem Rundfunkchor angehört hatten, konnten prinzipiell mit auf Reisen gehen.
Vier Kolleginnen bzw. Kollegen nutzten Reisen, um im Westen zu bleiben. 1970 wurde in Paris eine Kollegin von ihrer Gesangslehrerin, Marianne Bäumer-Roßkopf, in Empfang genommen.
Im Oktober 1982 setzte sich eine Kollegin in Japan noch vor dem ersten Konzert ab. Und im Februar 1989 kehrten von einer Konzertreise nach Cardiff eine Kollegin und ein Kollege nicht wieder mit in die DDR zurück.
Isaak Dunajewski: Das Lied vom Vaterland
Text: Erich Weinert
Großes Rundfunk-Orchester Leipzig
Rundfunkchor Leipzig
Dirigent: Adolf Fritz Guhl
Aufnahme: Juni 1966 im Leipziger Haus Auensee
Stasi-Bericht von IM „Drossel“

Selbst wenige Tage vor dem Fall der Mauer 1989 interessierte sich das Ministerium für Staatssicherheit der DDR für politische Verhaltensweisen von Mitgliedern des Rundfunkchores.
Bewusst versuchte das Chormitglied „IM ‚Drossel'“, die Meinungen und Einzelaktivitäten von Chormitgliedern nicht zu deren Schaden darzustellen, obwohl die Denunziantion doch wissentlich zu enormen personellen Schwierigkeiten für die namentlich genannten Chorsänger im Rundfunk führen musste.
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores
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Kapitelübersicht
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Die Gremien des Chores: AGL und KöAG |
→ XIII-03 | Rechenschaftsberichte – Die Kunst der subtilen Kritik |
→ XIII-04 | Gute Arbeit ./. Schlechte Arbeitsbedingungen |
→ XIII-05 | Fluch und Segen des sozialistischen Wettbewerbs |
→ XIII-06 | Geselligkeit |
→ XIII-07 | Der am schlechtesten bezahlte Rundfunkchor |
→ XIII-08 | Im Nebenberuf GGL/AGL-Mitglied |
→ XIII-09 | Hinter der Bühne: Die unsichtbaren Helfer |
→ XIII-10 | Der Einzelne und die Gemeinschaft |
→ XIII-11 | Staatsnah – und doch Staatsfern |
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→ XIII-13 | Ein staatlicher Chor in kirchlichen Räumen |
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