Rundfunkchor-Alltag in der DDR [XIII]
oder: Die Kunst, mit Schwierigkeiten fertig zu werden
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Das Funkhaus des Senders Leipzig in der Springerstraße
Aus der Festschrift des Rundfunks der DDR „5 Jahre Demokratischer Rundfunk“ 1950
Der am schlechtesten bezahlte Rundfunkchor XIII-07
Doch nach dem letzten Kapitel zur Geselligkeit wieder zurück zum Ernst des Chorlebens!
Und dazu zählt zweifelsohne die Gehaltsfrage.
Das ehemalige Chormitglied Peter Schreier nahm 1959 Telemanns Generalbasslied Geld auf. Darin heißt es:
Die größte Kunst ist, Geld zu machen,
aufs Geld kommt endlich alles an.
Wer dieses Handwerk nicht verstehet
und mit der Weisheit betteln gehet,
der ist wahrhaftig schlimm daran.
Georg Philipp Telemann: Geld
“Die größte Kunst ist Geld zu machen”
aus: Singe- Spiel- und Generalbassübung (1733)
Peter Schreier – Tenor
Cembalo: Reinhard Tschache
Aufnahme: Sender Leipzig am 6. Juni 1959 im Funkhaus Springerstraße Raum 5
Künstlerische Aufnahmeleitung: Gerhard Steinke
Nun kann beileibe nicht gesagt werden, die Chorvorstände hätten die Kunst, sich für die Interessen der Chormitglieder einzusetzen, nicht verstanden. Dennoch stießen sie beim Thema „Geld“ lange Zeit an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.
Wenn Horst-Dieter Knorrn 1986 beinahe verwundert von einer neuen, großzügigen Gehaltsregelung spricht, ist das wohl seiner langen Erfahrung mit diesem leidigen Thema geschuldet. Zwei Jahrzehnte lang, von April 1952 bis Oktober 1972, setzte sich die Chorvertretung für eine Gehaltsaufbesserung ein.
Ab dem 1. August 1948 bekamen die Chormitglieder ein Gehalt von 500 Mark.
„Nach ständiger Leistungssteigerung erbittet der Chor“ im April 1952 „von der Intendanz des MDR … die Anerkennung seiner Qualifikation und eine dementsprechende Gehaltsaufbesserung. Intendant Adolphs erklärt sich persönlich einverstanden …“

Karl Adolphs, Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks und sein Stellvertreter Werner Fehlig im Funkhaus Springerstraße.
Aus der Festschrift des Rundfunks der DDR „5 Jahre Demokratischer Rundfunk“
Doch davon ist nach der Reorganisation des Rundfunks nicht mehr die Rede.
Im Februar 1953 verwendet sich Hermann Abendroth, noch Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters, für den Chor und befürwortet die Einstufung in die Klasse der DDR-Spitzenchöre.
Eine eigens für diese Einstufung gegründete Kommission kommt zu dem Schluss, dass der Leipziger Rundfunkchor ein Spitzenensemble ist. Auf einer Besprechung in Berlin, an der neben der AGL des Chores, Chorleiter Herbert Kegel und dem Musikalischen Leiter des Studios Leipzig auch Vertreter des Gewerkschafts-Zentralvorstands und des Staatlichen Rundfunkkomitees teilnehmen, wird festgelegt „daß eine Besoldung des Chores mit monatlich DM 700,- brutto erfolgen soll.“
Allerdings passiert nichts. Auch ein Termin der AGL und Herbert Kegels beim persönlichen Referenten des Ministerpräsidenten Grotewohl bringt außer Zusagen keine Ergebnisse. Im Kompetenzgerangel zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Finanzministerium scheitern vorerst alle Bemühungen um eine Gehaltsverbesserung der Chormitglieder.
Nachdem der Rundfunkchor Leipzig im Frühjahr 1959 auch bei einer generellen Gehaltserhöhung für alle Chöre leer ausging, verstärken die Chorvertretung sowie die Dirigenten Kegel und Knothe ihre Bemühungen, für den Chor ein höheres Gehalt zu erstreiten. Wieder wird beim Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunkkomitees vorgesprochen, wieder beim Intendanten des DDR-Rundfunks, wieder bei der Gewerkschaft, wieder ist man einhellig der Meinung, dass der Chor 700 Mark Gehalt bekommen soll – und wieder passiert nichts. Der Rundfunkchor und seine Vertreter sind enttäuscht, dass die Bedeutung des Ensembles – man war stolz, der einzige mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR ausgezeichnete Rundfunkklangkörper zu sein – nicht auch im Gehalt seinen Niederschlag findet. Man fragt sich zurecht: Warum existiert kein einheitliches Gehaltsabkommen für alle Orchester und Chöre des Rundfunks? Warum ist der Rundfunkchor Leipzig noch immer der am schlechtesten bezahlte Rundfunk-Klangkörper? Wie sollen bei so schlechter Bezahlung gute, junge Sängerinnen und Sänger gewonnen werden?

Der Generalintendant des Rundfunks der DDR, Kurt Heiss, nimmt mit dem Stellvertretenden Intendanten des Senders Leipzig, Werner Fehlig, in der Berliner „Zentrale“ die Leipziger Entwürfe zur Plakatgestaltung von MDR-Rundfunkkonzerten ab.
Foto um 1950: Hermann DRA Berlin
Nach dem Scheitern aller Bemühungen suchen Rundfunk und Chorvertretung eine Kompromisslösung. Weil sich in der Dienstbilanz des Chores regelmäßig Überdienste ergeben, sollen diese künftig bis zu einer Zahl von sechs Diensten monatlich bezahlt werden. Doch Karl Kayser, der Generalintendant der Leipziger Theater, bekommt durch eine Indiskretion davon Kenntnis und bringt die Regelung zu Fall. Kayser verfügte über beste Beziehungen in höchste Parteikreise und war von 1963 bis 1989 selbst Mitglied im Zentralkomitee der SED.
Als weiteren Kompromiss schlug der Rundfunk dem Chor eine sogenannte Doppeldienstregelung vor, „durch welche er vor allem in die Lage versetzt werden sollte, neben seinen dienstlichen Verpflichtungen sogenannte Auftragswerke und Auftragskonzerte durchzuführen, die dann gesondert honoriert werden sollten. Die Aufträge sollten nicht in monatlicher Regelmäßigkeit, aber so erfolgen, daß das Chorgehalt doch im Durchschnitt 700 DM beträgt.“
So wurden von Kurt Schwaen Der neue Kolumbus und die Chorfassung von Karl Heinz Picks Rotem Liederkreis auf Honorarbasis produziert. Also: für mehr Arbeit mehr Geld. Dennoch kamen die Chormitglieder 1962 nur auf ein durchschnittliches Gehalt von 546 Mark und 1963 auf 552 Mark. Erst im August 1966 konnte ein Gehalt von 665 Mark für den Chor erreicht werden. Doch damit war der Rundfunkchor Leipzig immer noch der am schlechtesten bezahlte Chor des Rundfunks, hinter der Solistenvereinigung des Deutschlandsenders und dem Großen Chor des Berliner Rundfunks.
Erst der Abschluss eines zentralen Lohn- und Gehaltsabkommens für den DDR-Rundfunk brachte mit Wirkung vom 1. Oktober 1972 endlich eine Gleichstellung mit den Berliner Kollegen und damit Tarifgerechtigkeit. Das neue Gehalt betrug 900 Mark.
Das Dokument
Georg Philipp Telemann: Singe- Spiel- und Generalbassübung (1733)
Neues ⋅ Seltenes Glück · Geld · Über das niedersächsische Versapen · Pastorell · Glück
Peter Schreier – Tenor
Cembalo: Reinhard Tschache
Aufnahme: Sender Leipzig am 6. Juni 1959 im Funkhaus Springerstraße Raum 5
Künstlerische Aufnahmeleitung: Gerhard Steinke
Kapitelübersicht
→ XIII-01 | Der Leipziger Rundfunkchor im Geflecht der gesellschaftlichen Strukturen |
→ XIII-02 | Die Gremien des Chores: AGL und KöAG |
→ XIII-03 | Rechenschaftsberichte – Die Kunst der subtilen Kritik |
→ XIII-04 | Gute Arbeit ./. Schlechte Arbeitsbedingungen |
→ XIII-05 | Fluch und Segen des sozialistischen Wettbewerbs |
→ XIII-06 | Geselligkeit |
• | Der am schlechtesten bezahlte Rundfunkchor |
→ XIII-08 | Im Nebenberuf GGL/AGL-Mitglied |
→ XIII-09 | Hinter der Bühne: Die unsichtbaren Helfer |
→ XIII-10 | Der Einzelne und die Gemeinschaft |
→ XIII-11 | Staatsnah – und doch Staatsfern |
→ XIII-12 | Die „Drossel“. Gab es „Inoffizielle Mitarbeiter“ im Rundfunkchor? |
→ XIII-13 | Ein staatlicher Chor in kirchlichen Räumen |
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