Die Ära Horst Neumann [X]
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Konzertplakat der beiden Westberliner Konzerte 1976
Dokument: Nachlass Gretel Fuchs bei Brigitte Schauland
So nah – so fern: in Westberlin und Bulgarien [X-9]
Nach zwei Jahren ohne Auslandstourneen führte es den Rundfunkchor zusammen mit dem Sinfonieorchester im November 1976 gleich zwei Mal über die Grenzen der DDR hinaus: Ende des Monats nach Bulgarien sowie am 10. und 11. November in die Philharmonie nach Westberlin.
Aber eigentlich wurde die Grenze viel öfter passiert, weil Chor und Orchester während des Gastspiels in Westberlin in Hotels im Osten der Stadt untergebracht waren.
Geboten wurden mit dem War Requiem von Britten und dem Deutschen Requiem von Brahms zwei sehr anspruchsvolle Werke.
• Westberlin 1976
Um einen Eindruck von den Bedingungen dieses Gastspiels zu geben, sei aus dem Reisebericht eines namentlich nicht genannten Chormitgliedes zitiert, das seine Schilderung mit dem Start in Leipzig beginnt:
„10. November, 6 Uhr Abfahrt vom Funk … Die Ankunft in Berlin verspätet sich erheblich … in kürzester Zeit werden Reisepässe und ‚gelbe Karte‘ (Formular für den Grenzübergang) z.T. auf der Straße in Empfang genommen … Die Fahrt zur Philharmonie dauert infolge schleppender Abfertigung an der Invalidenstraße fast eine Stunde.
Die Probe beginnt mit erheblicher Verspätung fast 12 Uhr (angesetzt 10.30 Uhr) … Anschließend Rückfahrt ins Hotel.“
Dennoch wird das abendliche Konzert ein großer Erfolg. Für den 11. November, es wird das Brahms-Requiem gegeben, notiert der Chronist:
„Wie am Vortag herzlicher Applaus, schon als der Chor die Bühne betritt. Bravorufe. Das Riesenhaus wiederum fast gefüllt mit einem sachkundigen Publikum. Das Konzert wird zum außerordentlichen Erlebnis – auch für uns, nicht zuletzt dank des Chefs.“

Konzertkritiken Westberliner und Westdeutscher Zeitungen 1975
Dokument: Chortagebuch – Archiv des Leipziger Rundfunkchores
Die Berliner Morgenpost schreibt über die Leistung des Chores in diesem Konzert:
„Von dem fast neunzigköpfigen Chor ist nur mit Hochachtung und Bewunderung zu berichten. Die Stimmen sind durchweg hell timbriert, so daß rauschende Klangorgien sich von selbst verbieten. Die Intonation ist fabelhaft präzis, der Gesang in allen Stimmlagen von einer selbstverständlichen Gelassenheit, die man sich nur bei vorzüglichem und vorzüglich geschultem Material leisten kann. Das Klangbild ist bei heller Färbung strahlend klar und verliert auch in den Forte-Passagen nie an Brillanz.“
Schon vor dieser Westberlinreise wurde das Deutsche Requiem in einem Anrechtskonzert in der Leipziger Kongresshalle in der gleichen Besetzung aufgeführt:
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45 1976
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45
Schluss des 6. Satzes (Der Tod ist verschlungen in den Sieg/Herr, du bist würdig)
7. Satz: Selig sind die Toten
Celestina Casapietra, Sopran
Siegfried Lorenz, Bariton
Rundfunkchor Leipzig
Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig
Dirigent: Herbert Kegel
Konzertmitschnitt vom 8. November 1976 in der Kongresshalle Leipzig
→ | Reisebericht eines Chormitgliedes zur Westberlin-Reise 1976 |
• Bulgarien 1976
Eine Woche später brechen Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor zu vier Konzerten nach Bulgarien auf, wo in Plovdiv und Umgebung unter der Leitung von Horst Neumann das Magnificat von Bach und Beethovens C-Dur-Messe zu Gehör gebracht werden. Empfänge nach jedem Konzert entschädigen wohl für zahlreiche technische Probleme – akustische Mängel, fehlende Chorpodeste, ungestimmte Flügel und winzige Garderoben – sowie für ein Konzertprogramm, das wenig auf die Hörgewohnheiten des bulgarischen Publikums abgestimmt gewesen war.
• Strasbourg 1977
Während der Amtszeit von Horst Neumann als Chorleiter sollten Rundfunkchor und Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig noch einmal auf eine Gastspielreise aufbrechen. Im Juni 1977 eröffneten sie im elsässischen Strasbourg das 39. Musikfestival mit der Missa solemnis von Beethoven unter Kegels Leitung. Auf diese Reise soll später noch eingegangen werden.

Bericht der „Neuen Berliner Illustrierten“ über das Gastpsiel des Leipziger Rundfunkchores in Strasbourg
Dokument: Archiv des Leipziger Rundfunkchores
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Kapitelübersicht
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→ X-03 | Sternstunden mit Mahler, Henze und Wagner |
→ X-04 | Weltliteratur der Chorsinfonik |
→ X-05 | Der „Dessau-Chor“ |
→ X-06 | Aufnahmen für den Rundfunk und die Schallplatte |
→ X-07 | Neue Möglichkeiten für Horst Neumann |
→ X-08 | Endlich wieder auf Reisen: Paris, ČSSR, Wrocław, Italien |
• X-09 | So nah – so fern: in Westberlin und Bulgarien |
→ X-10 | Der Rundfunkchor Leipzig – Ein gefragter Partner |
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