Rolf Richter

Als Herbert von Karajan im Gewandhaus war

 

Herbert von Karajan: „Das Beste an Leipzig ist der Rundfunkchor“.
Diese Aussage traf der Dirigent 1981 in einem Interview, dass Herbert von Karajan dem Leipziger Journalisten Rolf Richter anlässlich eines Tourneekonzertes der Berliner Philharmoniker im Leipziger neuen Gewandhaus gab. Dem vorausgegangen waren Opernaufnahmen Karajans mit dem Leipziger Rundfunkchor für die Schallplatte.
Im März 2017 erinnerte sich der Journalist Rolf Richter an diese Begegnung mit Karajan in einem Rundfunkinterview für MDR KLASSIK.
Video: Eine
rundfunkschaetze-Zeitzeugen-Produkion von Steffen Lieberwirth

 

Der Chor ist das Beste an Leipzig

Da standen wir nun am Mitarbeitereingang und warteten auf die berühmten Musiker und den noch berühmteren Maestro. Die Busse verspäteten sich, weil wohl einer oder mehrere Philharmoniker keine Personalausweise eingesteckt hatten, da sie meinten, wenn sie von West- nach Ostberlin fahren, keinen zu benötigen. Eigentlich wussten sie es besser, aber ein wenig die Grenzer zu testen, oder man könnte auch sagen, zu provozieren, das bereitete ihnen Vergnügen. Die Busse durften also nicht passieren bis die erforderlichen Unterlagen vorlagen. So war das damals Mitte der 80er Jahre, als die Mauer noch Berlin durchzog.

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Plakat zum Gastspiel der Berliner Phiharmoniker im Gewandhaus 1981
Dokument: Sammlung Rüdiger Koch

Endlich, wenn auch mit einiger Verspätung, nahte er: der Dirigentengott.
Die persönliche Referentin des Gewandhauschefs ermahnte den mit einer Kerze und einem Pflanzenstrauß wartenden kahlköpfigen Musikliebhaber, der später zum traditionellen Gebindeüberreicher des Hauses werden sollte, sich nicht auf den Meister zu stürzen.
Dann kam er, klein, ätherisch, freundlich, langsamen Schrittes: Herbert von Karajan.

Er war zum wiederholten Mal in der Stadt von Bach und Wagner. Seine Philharmoniker gastierten aber erstmals im neuen Haus.
Der Chef schritt majestätisch in den Saal, setzte sich aufs Podium und ließ die Konzerthalle auf sich wirken. Er schwieg eine ganze Weile.

Eine Journalistin vom Rundfunk und ich baten ihn um ein paar Sätze. Wir fragten, wie er den Saal fände.
„Er erinnert mich ein wenig an die Philharmonie. Aber sie ist natürlich größer. Ich habe von manchen schon gehört, das Gewandhaus sei das Beste von Leipzig.“
Dann stockte sein Gesprächsfluss. Stille trat ein.

Nach einer Weile, nachdem er den Saal nochmals mit Blicken inspiziert hatte, sagte er:
„Das Beste an Leipzig ist der Rundfunkchor!“

Und sofort schwärmte der Mann, der auf allen Konzertpodien der Welt gefeiert wurde, der die Salzburger Osterfestspiele begründete und der all sein Wirken für die Nachwelt auf Film konservieren ließ, vom Rundfunkchor, mit dem er bei einigen Operneinspielungen zusammengearbeitet hatte.
„Diese Präzision, diese Hingabe zum Werk, diese stimmliche Vielfalt und dieses Repertoire – so etwas gibt es nicht noch einmal.“
Der Dirigent, der ansonsten sehr zurückhaltend, auf Distanz bedacht, bedächtig sprach, wirkte begeistert.

Dann fragte er noch, was wohl aus dem anderen schönen Saal geworden sei, der ihn an den Wiener Musikvereinsaal erinnert hätte und in dem er mit den Philharmonikern einst gastiert habe. Er meinte die Kongresshalle, die nach dem zerstörerischen Krieg, bei dem alle Theater und Konzerthallen als Ruinen übrig geblieben waren, mehr als drei Jahrzehnte Heimstatt für das älteste bürgerliche Orchester der Welt war. Dieses Haus wurde für allerlei Zwecke genutzt: von der Propagandaveranstaltung, über Empfänge bis zu Bällen. Dort wurden Kombinatdirektoren von SED-Wirtschaftslenker Günter Mittag beschimpft, aber auch junge Leute bei Jugendweihveranstaltungen zu Erwachsenen geredet.

Aus der Kongresshalle bescherte der Rundfunk mit den Konzerten seines Großen Orchesters, des Sinfonie-, des Tanz-, des Unterhaltungs- und des Blasorchesters (welche Vielfalt!) Sternstunden der Musik. Dort gastierten Jazzbands und Unterhaltungsstar, Nun war sie geschlossen, und sollte es – zwar äußerlich herausgeputzt – für Jahrzehnte bleiben.

Der Maestro schüttelte damals den Kopf und fragte, wie man so ein Kleinod ungenutzt stehen lassen konnte. Auch wir beiden Journalisten hatten keine Antwort, fanden es merkwürdig.
Am Abend dann begeisterten seine Philharmoniker und er, der mehr als sparsam dirigierte, aber wie durch hundert Fäden mit seinen Musikern verbunden war, die Alpensinfonie von Richard Strauss. Es war ein unvergesslicher Abend mit dieser Ikone.

 

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