Internationale Ausstrahlung: Schallplattenaufnahmen [IX]
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch

Schallplattenaufnahme der Beethoven-Oper „Fidelio“ in der Dresdner Lukaskirche mit Karl Böhm, 1969
Im Vordergrund Horst Neumann und Böhms Assistent, Walter Taussig sowie Karl Böhm
Im Hintergrund rechts die Chormitglieder Werner Frensel, Arnd Germer und Siegfried Müller
Foto: Werner Säubert
Vor dem Ensemble: Weltklasse-Dirigenten
Im Hintergrund: Ein Geschäft zu aller Vorteil [IX-03]
Der Zar und Zimmermann-Schallplatte von 1965 sollten einige Co-Produktionen mit dem Gewandhausorchester folgen:
1966 Lortzings Wildschütz unter Paul Schmitz, Glucks Orfeo unter Václav Neumann und der Elias von Mendelssohn unter Wolfgang Sawallisch.
In den Jahren darauf werden zahlreiche weitere Co-Produktionen, alle mit der Staatskapelle Dresden, stattfinden.
Unter den Dirigenten finden sich die klangvollsten Namen der 1960er und 1970er Jahre:
· Karl Böhm Fidelio, Die Entführung, Mozarts Idomeneo und Titus
· Herbert von Karajan Meistersinger
· Wolfgang Sawallisch As-Dur und Es-Dur-Messe von Schubert
· Marek Janowski Euryanthe und Götterdämmerung
· Heinrich Hollreiser Rienzi
· Herbert Blomstedt Leonore und Peer Gynt
· Willy Boskowski Rosamunde
· Giuseppe Patané verschiedene Opern-Querschnitte und das Requiem von Verdi
· Carlos Kleiber Freischütz und Tristan
SLIDESHOW Schallplattenproduktionen der Jahre 1966-1974
Der Kleiber-Biograf Alexander Werner beschreibt, bezogen auf die Freischütz-Aufnahme, die Praxis dieser Co-Produktionen:
„Die Kooperation mit der VEB Deutsche Schallplatten erlaubte für das Unternehmen eine günstige Kalkulation. Die Praxis, mit dieser DDR-Produktionsfirma zusammenzuarbeiten, war seit 1954 gang und gäbe. In der Regel finanzierte die VEB Deutsche Schallplatten bei den Plattenproduktionen das Orchester, den Chor und die Solisten aus der DDR sowie die Technik, während die internationalen Solisten und eventuell der Dirigent von der Westfirma eingebracht und bezahlt wurden. Finanziell lohnte sich die Praxis also für beide Seiten und trug künstlerisch reiche Früchte. Ort der Aufnahme war wie üblich die Dresdner Lukaskirche, die deswegen den Spitznamen ‚Plattenkirche‘ erhalten hatte.“
SLIDESHOW Carlos Kleiber während der Schallplattenproduktion 1980
Fotos: Werner Säubert
Carl Maria von Weber: Jägerchor aus dem „Freischütz“ 1973
Was gleicht wohl auf Erden (Jägerchor aus dem 3. Akt)
Rundfunkchor Leipzig
Staatskapelle Dresden
Dirigent: Carlos Kleiber
Aufnahme: Januar 1973 in der Dresdner Lukaskirche
Deutsche Grammophon
Weil Carlos Kleiber die etwas überspitzte Meinung vertrat: „Nur eine nicht produzierte Platte ist eine gute Platte“ existieren nur sehr wenige von ihm dirigierte Aufnahmen.
Der Rundfunkchor Leipzig darf sich glücklich schätzen, an seiner ersten Schallplatten-Aufnahme, dem Freischütz, sowie an der Tristan-Aufnahme, beteiligt gewesen zu sein.
Der Chronist des Chortagebuches schreibt unter dem Datum des 24. Januar 1973:
„Carlos Kleiber, 42jährig, ist Sohn des berühmten Dirigenten Erich Kleiber. Ihm geht der Ruf voraus, daß er ein besessener u. peinlich genauer Dirigent ist, der viel probiert. Daher die angesetzten Probentermine. In den ersten Proben u. Aufnahmen uns gegenüber kein Anzeichen, daß das Arbeiten mit ihm schwierig sei. Die Staatskapelle hat schon andere Erfahrungen gemacht.“
Hin und wieder ist heute die Meinung zu hören, der Rundfunkchor Leipzig sei nur deshalb zu Schallplatten-Co-Produktionen herangezogen worden, weil seine Mitwirkung kostengünstiger gewesen sei, als die anderer Chöre. Richtig daran ist zweifellos, dass es sich für die Produktionsfirmen lohnte, Orchester und Chöre aus dem Osten zu verpflichten, weil die Personalkosten hier geringer waren und deshalb auch mehr Termine angesetzt werden konnten. Allerdings musste die Qualität der Aufnahmen hervorragend sein – schließlich sollten sie sich auch auf dem internationalen Markt verkaufen lassen. Alexander Werner wies am angeführten Ort schon darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen Ost und West trotz des finanziell lohnenden Arrangements „künstlerisch reiche Früchte“ trug. Einige Aufnahmen erhielten Preise, wurden immer wieder im Rundfunk gespielt und haben auch im 21. Jahrhundert noch den Status von Referenzaufnahmen.
SLIDESHOW Schnappschüsse während der Schallplattenproduktionen:
· Carlos Kleiber im Gespräch mit den Chorsängern Günter Zenner und Arnd Germer
· Brigitte Fassbaender und Wolfgang Anheisser
· Ingrid Bjoner und Ludocic Spiess
· Karl Böhm und dessen Assistent Walter Taussig sowie Horst Neumann
· Giuseppe Patané
· Dame Gwyneth Jones und Theo Adam
· Giuseppe Patané und Chorsänger Wolfgang Rößner
Fotos: Werner Säubert
Der Leipziger Rundfunkchor bot sich in mindestens zweierlei Hinsicht als „Schallplattenchor“ an. Einerseits war er durch Kegels unerbittliche Schule gegangen, der in nie erlahmender Konsequenz darauf drängte, dass absolut entsprechend seiner Zeichengebung musiziert wird. Dadurch war der Chor bestens darin geschult, sofort auf die unterschiedlichsten Dirigenten-„Handschriften“ einzugehen. Andererseits empfahl sich der Leipziger Rundfunkchor auch hinsichtlich seines Klanges für die Schallplattentätigkeit.
Im Booklet der vom Deutschen Musikrat herausgegebenen CD-Box „Musik in Deutschland – Musik für Chöre – Rundfunkchöre 1950 – 1975“ vergleicht Dorothea Bossert die Klangbilder der Rundfunkchöre in Ost- und Westdeutschland:
„Gleichzeitig ergibt sich aus den Uraufführungsmitschnitten ein Bild von der Ästhetik des professionellen Chorklangs, der sich in Ost und West überraschend stark unterschied und entwickelte: Während in Ostdeutschland seit jeher das vibratofreie Singen mit homogenem Chorklang gepflegt wurde, war es in Westdeutschland in den 1950er- und 1960er-Jahren Ausweis der ausgebildeten Sänger, ihr individuelles Vibrato zu kultivieren – mit entsprechenden Folgen für Chorklang und Intonation, wie man sie noch heute von den Opernchören kennt.“
Der Kuriosität halber sei erwähnt, dass der Schuber der CD-Edition einen Sängerknaben abbildet: Es ist Thomas Neumann, heute Tenor im MDR Rundfunkchor Leipzig, zu Beginn der 1960er Jahre Knabensopran und -solist im Thomanerchor.
Gerade bei Tonträger-Produktionen ist es wichtig, ein überzeugendes und in jeder Hinsicht hochwertiges Ergebnis festzuhalten. Neben dem künstlerischen Gestus müssen Intonation, Rhythmus und Deklamation einfach „stimmen“. Zudem entwickelte sich ab Mitte der 1960er Jahre ein eher schlankes, durchsichtiges Klangideal. So legte Carlos Kleiber bei den beiden unter Mitwirkung des Leipziger Rundfunkchores produzierten Aufnahmen besonderen Wert darauf, die Solopartien mit leichteren Stimmen zu besetzen, zum Beispiel den Max mit dem jungen, lyrischeren Peter Schreier. Der Kleibersche Tristan war für den Spiegel „zweifellos der durchsichtigste, geschlossenste, lyrischste und vehementeste Tristan sein Furtwängler“. Diesem Klangideal kam der Leipziger Rundfunkchor wohl eher entgegen, als Opern- oder Rundfunkchöre aus dem Westen Deutschlands.
Horst Neumann, der die meisten Werke für die Schallplatten-Co-Produktionen einstudiert hatte, sollte 1984 zum künstlerischen Leiter des Philharmonia Chorus London berufen werden.
Auf die Frage nach dem Grund für die Entscheidung der Londoner sagte Neumann 1988 in einem Interview:
„Der Klangkörper suchte damals einen neuen Artistic Director und hörte sich aus diesem Grund Schallplatten aus aller Welt an. Dazu gehörten auch meine Aufnahmen mit dem Rundfunkchor Leipzig. Sie gefielen den Londonern so gut, daß sie mich baten, ihr Künstlerischer Leiter zu werden.“
Auch hieran ist abzulesen, dass die Schallplattenaufnahmen unter Mitwirkung des Leipziger Rundfunkchores im internationalen Vergleich Maßstäbe gesetzt hatten.
Schallplatten-Co-Produktionen der 1960er und 1970er Jahre
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→ IX-01 | Plattenaufnahmen: Ersatz für Reisen |
→ IX-02 | “So legt ihr große Ehre ein!” – Alles beginnt mit “Zar und Zimmermann” |
• IX-03 | Stardirigenten vor dem “Schallplattenchor” |
→ IX-04 | Herbert von Karajan: “Das Beste an Leipzig ist der Rundfunkchor” |
→ IX-05 | Chorvorstände als “Manager” |
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