Das Personalkarussell dreht sich [VIII-01]
Chronik des Leipziger Rundfunkchores
von Rüdiger Koch
Dietrich Knothe war vom Staatlichen Rundfunkkomitee im Oktober 1962 zur Persona non grata erklärt worden. Im Januar 1967 feierte der Sender Leipzig das 20jährige Bestehen seines Chores. Dr. Fritz Hennenberg, dem Chefdramaturgen des Leipziger Senders, gelang das Husarenstück, in der aus diesem Anlass herausgegebenen kleinen Festschrift ein Foto des verfemten Dietrich Knothe mit dem Rundfunkchor abzudrucken. Eine späte, von der Leitung des Rundfunks erst im Nachhinein bemerkte Würdigung des Chorleiters!
Dennoch stellte der Rundfunk seinen Rundfunkchor Leipzig mit der fristlosen Entlassung Knothes vor erhebliche Probleme: Kurzfristig mussten neue Dirigenten für die Einstudierung von Produktionen und die Leitung von Konzerten verpflichtet werden, die zunächst mit dem Ensemble noch nicht vertraut waren.
Ab Herbst 1962 finden sich die Namen der Professoren Heinrich Bergzog und Fritz Hoeft unter den mit dem Chor arbeitenden Dirigenten ebenso wie die der Dirigenten Horst Neumann vom Vogtlandorchester in Reichenbach und Armin Oeser, dem Chordirektor der Leipziger Musikalischen Komödie. Auch die Chormitglieder Wolfgang Rößner und, allerdings seltener, Gerhard Richter und Horst Karl Hessel, übernehmen in dieser Zeit Einstudierungen.
Rößner war erst vor wenig mehr als einem Jahr eher zufällig Tenor im Rundfunkchor geworden.
Der 26-jährige studierte Kapellmeister wirkte ab 1959 als Assistent des Chordirektors der Leipziger Oper und begleitete in der Spielzeit 1960/61 Heinz Ziegenbein, einen Chortenor der Leipziger Oper, bei dessen Vorsingen für den Rundfunkchor auf dem Klavier.
Herbert Kegel engagierte nicht nur den Tenor, er wurde auch auf den musikalischen jungen Mann am Klavier aufmerksam, der mit schöner Stimme dem Sänger seine Stichworte gab – und bot ihm spontan an, ebenfalls Mitglied des Rundfunkchores zu werden.
Das Engagement von Wolfgang Rößner sollte sich nach der Entlassung Knothes als ein Segen erweisen. Rößner bereitete nicht nur Einstudierungen vor, er dirigierte auch mehrfach A-cappella-Werke in Konzerten des Rundfunks.
Die genannten Dirigenten schienen Anwärter für die Position des neuen Chorleiters gewesen zu sein, wie auch der in Weimar wirkende Theodor Hlouschek.
Im Januar 1964 spricht sich der Rundfunkchor mit großer Mehrheit für Armin Oeser als neuen Chorleiter aus. Das Staatliche Rundfunkkomitee folgt diesem Votum.
Weil aber Armin Oeser noch bis zum Ende der Spielzeit 1964/65 bei den Leipziger Städtischen Theater gebunden war und Generalintendant Karl Kayser keine Bereitschaft zeigte, Oesers Vertrag vorzeitig zu beenden, konnte der neue Chorleiter seine Stelle erst im Sommer 1965 antreten. Allerdings übernimmt er in der Spielzeit 1964/65 schon zahlreiche Aufgaben. Oeser wird einige Einstudierungen übernehmen, z.B. für die Schallplattenaufnahmen von Zar und Zimmermann unter Robert Heger oder Enoch Arden von Gerster unter Kurt Masur und A-cappella-Werke aufnehmen.
Rundfunkaufnahme
Johann Sebastian Bach: Fürchte dich nicht IV BWV 228
Rundfunkchor Leipzig
Dirigent: Armin Oeser
Aufnahme: Radio DDR Sender Leipzig im Sendesaal des Funkhauses in der Leipziger Springerstraße am 20. Oktober 1965
Die Resonanz auf die Arbeit des Leipziger Rundfunkchores in den Jahren 1965 und 1966 ist ungebrochen gut.
Umso mehr verwundert es, dass der Name von Armin Oeser im Rechenschaftsbericht von Oktober 1967 nicht mehr vorkommt. Warum die Zusammenarbeit zwischen dem Chor und Oeser nur zwei Jahre dauerte, ist schwer auszumachen. Möglicherweise konnte sich Oeser nicht die notwendige Autorität als Chef verschaffen – vielleicht versuchte er es auch mit den falschen Mitteln.
Oder hatte es Armin Oeser gekränkt, dass auch sein Mitbewerber Horst Neumann immer wieder mit dem Chor arbeiten durfte?
Spürte er womöglich, dass er für Herbert Kegel nur die zweite Wahl gewesen war, und war dadurch verunsichert?
Im Abstand von einem halben Jahrhundert hat es jedenfalls den Anschein, als seien der Leipziger Rundfunkchor und Armin Oeser nicht so recht „warm“ miteinander geworden.
Ein neues Interregnum sollte es jedoch nicht geben. Horst Neumann war dem Chor bekannt, hatte schon vor Oesers Amtsantritt den Rundfunkchor dirigiert und diese Zusammenarbeit auch in den Jahren 1965 bis 1967 fortgeführt. So wurde er – ohnehin der Favorit Herbert Kegels – mit Beginn der Spielzeit 1967/68 zum Leiter des Rundfunkchores Leipzig berufen und sollte es bis zum Jahre 1978 bleiben.
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Personalia
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→ VIII-03 „In treuer Freundschaft“: Peter Schreier
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