Die Maßnahme
→ CD-Inhalt
→ Die Maßnahme – ein „dialektisches Oratorium“
→ Die Vorgeschichte
→ Die Fabel
→ Die Uraufführung
→ Die Stimme der Kritik
→ Das Aufführungsverbot
→ Die erste Wiederaufführung
→ AUDIO Brecht und Eisler als Interpreten ihrer Maßnahme
→ Die MDR KLASSIK CDs auf einen Blick
Hanns Eisler I Bertolt Brecht
Die Maßnahme I Ein Lehrstück für Tenor, Sprecher, Chor und Orchester op . 20
1 Vorspiel I. Die Lehren der Klassiker 07:20
2 II. Die Auslöschung 07:30
3 III. Der Stein 08:04
4 IV. Gerechtigkeit 05:25
5 V. Was ist eigentlich ein Mensch? 11:18
6 VI. Der Verrat 09:22
7 VII. Äußerste Verfolgung und Analyse 02:54
8 VIII. Die Grablegung 06:24
Kammerphilharmonie des Mitteldeutschen Rundfunks
MDR Rundfunkchor | Einstudierung: Howard Arman
Musikalische Leitung: Johannes Kalitzke
Regie: Walter Niklaus
Sänger und Sprecher:
Götz Schulte | 1. Agitator
Angelica Domröse | 2. Agitator
Gottfried Richter | 3. Agitator
Christoph Zapatka | 4. Agitator
Aufzeichnung einer Auführung bei den 12. Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik am 3. Oktober 1998 im Festspielhaus Hellerau
Produzentin: Helga Kuschmitz
Aufnahmeleitung: Helga Taschke | Klaus Tonndorf
Eine Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks
9 Bonustracks:
a) Gespräch des Händlers mit dem jungen Genossen
b) Song von Angebot und Nachfrage 06:39
Erik Wirl (Tenor), Bertolt Brecht (Sprecher)
Orchester unter Leitung von Hanns Eisler
Aufnahmen: Schellackplatte Homocord 4-4032 (rec. Dez. 1930)
CD-Mastering: Klaus Mücke
Herausgeber: MDR KLASSIK – Telepool GmbH in Zusammenarbeit mit der Hanns und Steffy Eisler Stiftung
Mit freundlicher Genehmigung von Universal Edition Wien (vertreten durch Schott Music Mainz) sowie Suhrkamp Verlag Berlin
Booklet in Deutsch & English
Booklet-Autor: Dr. Jürgen Schebera
Executiv Producer: Dr. Steffen Lieberwirth
LC 29357
CD-Onlineshop und Hörbeispiele

Szenenfoto der Aufführung in Dresden-Hellerau, Oktober 1998.
© Foto: Matthias Creutziger – Foto aus dem Booklet
Jürgen Schebera
Die Maßnahme – ein „dialektisches Oratorium“
Das Frühjahr 1930 markiert den Beginn der Zusammenarbeit des Dichters Bertolt Brecht (1898 – 1956) mit dem Komponisten Hanns Eisler (1898 – 1962). Beide suchten damals nach Wegen, den hoch entwickelten bürgerlichen Kunstmitteln eine neue Funktion zu geben, sprich: Theater und Musik für Arbeiter zu schaffen. Zwei in vielerlei Hinsicht verwandte Persönlichkeiten trafen in Berlin zusammen, beide leidenschaftliche Debattierer und umfassend gebildete Künstler, die mit Vorliebe aus den gleichen Quellen schöpften, etwa der altchinesischen Philosophie und Dichtung oder der Dialektik Hegels. Zwei Männer gleichen Alters, zum Zeitpunkt der Begegnung 32-jährig, von ihrer Kunst und ihrem Können überzeugt und zugleich gewillt, ihr ästhetisches und politisches Programm kompromisslos zu verfolgen. Und: Anders als bei Brechts bisherigem musikalischen Koproduzenten Kurt Weill basierte diese Zusammenarbeit nun auch auf dem Fundament gleicher Weltanschauung.
Eisler/Brechts erstes gemeinsames Werk Die Maßnahme hat eine längere Vorgeschichte:
1929 übertrug Elisabeth Hauptmann, Brechts belesene Mitarbeiterin, das altjapanische Nô-Stück Taniko (Der Talwurf) des Dichters Zenchiku aus dem 15. Jahrhundert nach einer englischen Übersetzung ins Deutsche.
Das Stück schildert die rituelle Wallfahrt einer buddhistischen Sekte in die Berge, der sich ein Knabe anschließt, um für seine kranke Mutter zu beten. Unterwegs aber wird er selbst krank und verliert damit die für eine solche Wallfahrt notwendige Reinheit. Dem Ritus entsprechend wird er daraufhin ins Tal hinab geworfen.
Brecht war von der Knappheit der Vorgänge beeindruckt und beschloss, den religiösen Stoff zu säkularisieren. So entstand in gemeinsamer Arbeit mit Kurt Weill zwischen Januar und April 1930 die reichlich halbstündige Schuloper Der Jasager. Hier nun schließt sich der Knabe seinem Lehrer bei einer nicht ungefährlichen Gruppenwanderung über das Gebirge an, um für seine kranke Mutter Medizin zu holen. Die Gefahren sind bekannt, trotzdem geht er mit. Unterwegs aber verlassen ihn die Kräfte. Ein alter Brauch fordert für diesen Fall, die betreffende Person ins Tal zu werfen, um den erfolgreichen Abschluss der Unternehmung nicht zu gefährden. Allerdings muss der Betroffene zustimmen. Das tut der Knabe am Ende und wird also hinab geworfen.
Der Jasager entstand als Auftragswerk für das Festival „Neue Musik Berlin 1930“, für den Programmschwerpunkt Schuloper und Lehrstück. Zu den beauftragten Komponisten zählten neben Kurt Weill auch Paul Hindemith, Paul Dessau und Hanns Eisler. Hindemith und Dessau schufen dafür gleichfalls Schulopern (Wir bauen eine Stadt / Das Eisenbahnspiel).
Eisler aber hatte eine andere Idee, wie er später in der Rückschau berichtet hat:
„Die Maßnahme ist wegen Jasager entstanden. […] Denn ich sagte dem Brecht: ,Das ist sehr schöne Musik, aber das ist doch ein schwachsinniges feudalistisches Stück.’ Da sagt er: ,Weißt Du was, da werden wir ein anderes Stück, ein Gegenstück schreiben, […] wo ein Mensch einverstanden ist, aus der Gemeinschaft, aus dem Kollektiv sich auszuschalten. Das werden wir jetzt wirklich einmal untersuchen.’“
So machte sich das neue Team Eisler/Brecht also an die Arbeit einer zweiten, nunmehr politischen Säkularisierung des altjapanischen Stoffes. Bis Anfang August 1930 entstand das oratorische Lehrstück Die Maßnahme.
Die Fabel hat Brecht (für den Programmzettel der Uraufführung) so erzählt:
„Vier kommunistische Agitatoren stehen vor einem Parteigericht, dargestellt durch den Massenchor. Sie haben in China kommunistische Propaganda betrieben und dabei ihren jüngsten Genossen erschießen müssen. Um nun dem Gericht die Notwendigkeit dieser Maßnahme der Erschießung eines Genossen zu beweisen, zeigen sie, wie sich der junge Genosse in den verschiedenen politischen Situationen verhalten hat. Sie zeigen, daß der junge Genosse gefühlsmäßig ein Revolutionär war, aber nicht genügend Disziplin hielt und zu wenig seinen Verstand sprechen ließ, so daß er, ohne es zu wollen, zu einer schweren Gefahr für die Bewegung wurde. Der Kontrollchor billigt nach Anhören aller Argumente das Verhalten der Agitatoren.“
Darauf folgt der deutliche – bis heute oftmals nicht verstandene – Hinweis auf den Parabelcharakter des Stücks:
„Der Zweck dieses Lehrstückes ist also, politisch unrichtiges Verhalten zu zeigen und dadurch richtiges Verhalten zu lehren.“
Der Berliner Festivalausschuss, bestehend aus Paul Hindemith, Heinrich Burkard und Georg Schünemann, reagierte umgehend und lehnte Die Maßnahme bereits nach Einreichung des Exposés wegen „politischer Bedenken“ ab – worauf Weill in einem Akt der Solidarität mit seinem „Nachfolger“ bei Brecht auch den Jasager vom Festival zurückzog. Die Ablehnung durch das professionelle Musikfestival und die Entscheidung Eislers, Die Maßnahme nunmehr mit Arbeiterchören aufzuführen, hat mit Sicherheit Einfluss auf die Gestaltung der endgültigen Partitur gehabt. Zur musikalischen Seite des Werkes bemerkt Manfred Grabs:
„Nach verschiedenen, ab 1928 entstandenen Chören und Liedern kompromisslos kämpferischer Haltung hat Eisler mit der Maßnahme ein Werk der Großform geschaffen, wie es die Arbeitersängerbewegung bis dahin nicht kannte. In der Verbindung der Sing- und Sprechstimmen mit dem allein aus Blechblasinstrumenten und Schlagwerk bestehenden Orchester werden die vielfältigsten Möglichkeiten genutzt. Sie reichen vom orchestergestützten Dialog über den trommelbegleiteten Sprechchor, den solistisch vorgetragenen Song, den Männerchorsatz bis zur Zusammenführung von Sologesang, Sprechstimme, gemischtem Chor und Orchester. Gleichermaßen vielgestaltig ist die formale Konzeption. In der Regel ist ein geschlossenes Stück mit einem Rezitativ, einer Diskussion oder einem Sprechchor verbunden. Rezitative gibt es sowohl in gesprochener als auch in gesungener oder gemischter Ausführung. Hinzu kommen die gesprochenen Dialoge, die teilweise in die geschlossenen Formen eingebettet sind.
Der musikalische Satz ist überwiegend homophon angelegt. Im Chorpart werden Sopran und Tenor bzw. Alt und Baß gern parallel geführt, dies auch bei kontrapunktischer Auflockerung. Bei relativ leichter Ausführbarkeit erreicht Eisler dennoch eindringliche Wirkungen, die den strengen, lapidaren Gestus der Maßnahme-Musik unterstreichen. Die Musik ist eng mit dem Wort verbunden und verselbständigt sich nur selten in Form von Zwischenspielen oder Farbzutaten, wie den Rufen der Reiskahnschlepper. In der Partitur finden sich vielfältige stilistische Mittel. Beherrschend sind natürlich Merkmale der Eislerschen Kampflieder und -chöre, vor allem die elementare, geradlinig geführte, der Sprachdiktion nachgebildete Melodik, die reiche und dabei kräftige Harmonik und die durch markante Viertelbewegung der Bässe geprägte Rhythmik. Eigenarten der Musik Bachs [das Vorspiel weist auf die Johannes-Passion] und Händels [das Nachspiel zitiert aus Israel in Ägypten] werden ebenso verwendet wie solche des kommerzialisierten Jazz um 1930.“
Die Maßnahme erlebte ihre Uraufführung am 13. Dezember 1930 in der alten Berliner Philharmonie, Bernburger Straße. In monatelanger Probenarbeit hatte Eislers Freund Karl Rankl, Chordirektor der Kroll-Oper, das Werk mit den drei fortgeschrittensten Berliner Arbeiterchören (Schubert-Chor, Gemischter Chor Groß-Berlin, Gemischter Chor Fichte) einstudiert, zu den Endproben stießen dann auch die Solisten hinzu: der Tenor Anton Maria Topitz sowie die Schauspieler Helene Weigel, Ernst Busch und Alexander Granach. Die szenische Einrichtung besorgte der aus Bulgarien stammende, mit Brecht befreundete Regisseur Slátan Dudow. Ungewöhnlich wie die Probenzeiten war auch die Anfangszeit der Uraufführung: Sie begann um 23.30 Uhr, vorher hatte in der Philharmonie noch ein reguläres Sinfoniekonzert stattgefunden. Dennoch war der große Saal bis zum letzten Platz gefüllt, als Dirigent Rankl mit dem Vorspiel begann.

Aufnahme von der Berliner Uraufführung am 13. Dezember 1930. Vorn links Dirigent Karl Rankl. Die Sänger der drei beteiligten Arbeiterchöre waren im Hintergrund der Bühne platziert.
© Foto: Archibv Jürgen Schebera, Berlin – Aus dem Booklet
Im Saal saß kein Publikum wie sonst in der Philharmonie, wie Hans Heinz Stuckenschmidt in seiner Rezension anmerkte:
„Neben den Spitzen der fortschrittlichen Berliner Intelligenz Scharen von Arbeitern und Arbeiterinnen, es ist eine Hörerschaft, wie sie wohl bisher noch kein musikalisches Ereignis geformt hat.“
Im Chor wirkte übrigens auch der Komponist mit. Nochmals Stuckenschmidt:
„Eisler selbst, im Chor versteckt, macht den Ansager, stellt Fragen, diskutiert.“
In seinen „Ratschlägen zur Einstudierung der Maßnahme“ schrieb Eisler wenig später:
„Die Musik der Chöre wird eine scharfe, kalte Grundhaltung haben müssen, denn die muß ein Chor einnehmen, wenn er vor großen Massen politische Losungen oder Theorien aussagt.“
Das war schon in der Partitur angelegt – aber deshalb ließ das Stück bei der Uraufführung (und den bis 1932 folgenden Aufführungen u. a. in Düsseldorf, Leipzig, Chemnitz, Frankfurt am Main, Köln und Wien) die Zuhörer keineswegs „kalt“ oder unbeteiligt. Sie waren aufs äußerste bewegt, die Nacht in der Philharmonie endete mit einem großen Erfolg.

Des großen Erfolges wegen fand am 18. Januar 1931 eine zweite Berliner Aufführung als Matinee statt.
Anzeige aus der Morgenpresse
Unter den Kritikern aber entspann sich naturgemäß eine heftige Kontroverse. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Auseinandersetzung mit dem Text, der Rigorosität der Fabel, der kommunistischen Ideologie des Stückes, und andererseits den Urteilen der Musikkritiker über Eislers Partitur. Dass die politische Rechtsfront in Deutschland Die Maßnahme in größtenteils rüdem Ton als „kommunistische Hetze“ attackierte, konnte nicht verwundern. Viel ernster nahmen die Autoren Kritik aus den eigenen kommunistischen Reihen, wiewohl auch dort kaum einer den Parabelcharakter des Stückes realisierte, statt dessen die Handlung „pur“ begriffen wurde.
In den Folgemonaten nahmen die Autoren daraufhin noch verschiedene Änderungen sowohl im Text als auch in der musikalischen Abfolge vor. Die führenden Musikkritiker indes waren sich einig, dass Eislers Partitur den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens markiere. Als Beispiel sei erneut Stuckenschmidt zitiert, der seiner aktuellen Besprechung in der „B.Z.“ kurz darauf eine längere Betrachtung in der Musikzeitschrift „Anbruch“ folgen ließ. Dort heißt es am Schluss resümierend:
„Dieses Werk, dieses dialektische Oratorium von breit ausladenden Formen, von ebenso kunstvoller Technik wie einfachen Konturen ist ein Riesenschritt zu einer Aktivierung der Musik und des Podiums, es ist eines der wenigen großen Meisterwerke jener Sphäre der Avantgarde, in der künstlerisches und politisches Denken nicht länger mehr getrennt sind.“
Das Aufführungsverbot seitens der Brecht-Erben
Die überarbeitete zweite Textfassung der Maßnahme – sie wird in der vorliegenden Aufnahme benutzt – erschien 1931 in der Reihe der Brechtschen „Versuche“, danach auch in sämtlichen weiteren Ausgaben der Stücke (1938 Malik-Verlag Prag/London, ab 1954 dann bei Suhrkamp in Frankfurt am Main und Aufbau in Ost-Berlin). Der Text war also für alle Interessierten stets zugänglich. Eislers Musik aber, eine seiner bedeutendsten Kompositionen, blieb bis weit in die 1990er Jahre nahezu unbekannt. Grund dafür war ein Aufführungsverbot seitens der Brecht-Erben, das sich auf eine Entscheidung des Dichters aus dem Frühjahr 1956 berief. Damals hatte – nachdem in den unmittelbaren Nachkriegsjahren kein Chor oder Theater sich für das Stück interessierte – eine schwedische Laientruppe eine entsprechende Anfrage an Brecht gerichtet und dieser hatte sie, im Einverständnis mit Eisler, negativ beschieden. Ausschlaggebend dafür waren politische Gründe. Ost und West befanden sich damals, wenige Jahre nach dem Korea-Krieg, auf einem Höhepunkt der Konfrontation, beiden Lagern war jedes Mittel recht, den Gegner zu attackieren. Und dazu konnte eine Aufführung der Maßnahme durchaus benutzt werden.
Dass solche Befürchtungen berechtigt waren, hatte Eislers Schwester Ruth Fischer, einst Spitzenfunktionärin der KPD, dann von Stalin entmachtet und aus der Partei ausgeschlossen, seither eine der Wortführerinnen des militanten Antikommunismus, nur wenige Jahre zuvor bewiesen. In ihrem 1948 in den USA und 1950 in der Bundesrepublik erschienenen Buch Stalin und der deutsche Kommunismus – eine umfangreiche Analyse zur Geschichte und Politik der KPD in den 1920/30er Jahren – fand sich auch, Missgriff wie Schwachpunkt des Werks zugleich, ein Kapitel mit der Überschrift „Bert Brecht, der Sänger der GPU“, also des sowjetischen Geheimdiensts. Dort heißt es u. a.:
„Das Lehrstück, das am eindeutigsten alle terroristischen Züge [des Kommunismus] zu einem Spiegelbild der totalitären Partei und ihrer Elite, dem Geheimdienst, zusammenfasst, ist Die Maßnahme. Das Stück, in einer Parabel darstellend die Vernichtung der Parteiopposition, ist eine Vorwegnahme der Moskauer Prozesse. Mit genialer Einfühlungsfähigkeit in die stalinistischen Methoden schrieb Brecht 1931 das Lehrstück über die Schauprozesse, die sein Meister fünf Jahre später inszenierte.“
Ein krasses Missverständnis des Stückes, der behauptete Zusammenhang ein groteskes Fehlurteil! Doch es war nicht zuletzt dieses Kapitel in Fischers Buch, das in den 1950er Jahren zu einem ersten Brecht-Boykott in der Bundesrepublik und in Österreich beitrug. Während sie also im Frühjahr 1956 aus politischen Gründen eine Aufführung untersagten, waren Brecht und Eisler zur gleichen Zeit von ihrem Werk unvermindert überzeugt. Nur vier Wochen nach der Absage Richtung Schweden empfing Brecht in Berlin den Herausgeber der Pariser Kulturzeitschrift „Europe“, Pierre Abraham, der gerade ein umfangreiches,am Ende knapp 300 Seiten starkes Sonderheft Brecht vorbereitete. Als einziger dramatischer Text wurde Die Maßnahme in französischer Übersetzung aufgenommen. Dazu ist Abrahams Gespräch mit Brecht – vier Monate vor dessen Tod – dokumentiert, mit der Aussage des Dichters, bei dem Stück handle es sich um „eine Geschmeidigkeitsübung, bestimmt für jene Art Geistesathleten, wie es gute Dialektiker sein müssen.“
Und wenige Tage vor seinem Tod antwortete Brecht dann in einem Gespräch mit Manfred Wekwerth auf die Frage:
„Nennen Sie ein Stück, welches Sie für die Form des Theaters der Zukunft halten“, ohne zu zögern:
„Die Maßnahme“.
Auch Eisler hob stets die Bedeutung und vor allem den Parabelcharakter des Stückes hervor. So heißt es etwa 1958 im Gespräch mit Nathan Notowicz:
„Das ist doch eine Parabel! Dann darfst Du auch nicht die Andersen-Märchen lesen, darfst überhaupt keine Parabelstücke lesen, auch von Shakespeare nicht.“
War also das politisch implizierte Aufführungsverbot in den 1950er und auch noch 1960er Jahren (als mit dem Mauerbau der Ost-West-Konflikt erneut eskalierte) nachvollziehbar, so muss man spätestens ab den 1970er Jahren von ausgesprochen ahistorischem Starrsinn bei den Brecht-Erben sprechen, die am Ende bis 1997 an ihrem Verdikt festhielten.
Erst im September dieses Jahres konnte im Berliner Ensemble die erste deutsche Wiederaufführung der Maßnahme seit 1932 stattfinden. Und erstmals auch war damit Eislers Musik wieder zu hören, von Publikum und Kritik stürmisch gefeiert. In den darauf folgenden Jahren eroberte das Werk Konzertpodien und Theaterbühnen in ganz Deutschland und Europa. Mit Veröffentlichung der Referenzaufnahme des Mitteldeutschen Rundfunks von den Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik 1998 ist Die Maßnahme nun endlich auch als Tonträger verfügbar.
Brecht und Eisler als Interpreten ihrer Maßnahme

Erik Wirl, Bertolt Brecht und Hanns Eisler während der Aufnahmesitzung im Studio von Homocord, Dezember 1930
© Foto: Archiv Jürgen Schebera, Berlin
Als „Zugabe“ folgt nach der Gesamtaufnahme eine ebenso rare wie authentische Schellackeinspielung von zwei Songs aus der Maßnahme, entstanden im Dezember 1930 im Berliner Aufnahmestudio der Firma Homocord, unter Mitwirkung beider Autoren.
Der Tenor Erik Wirl übernahm den Gesangspart. Hanns Eisler dirigierte die Aufnahmen, Bertolt Brecht ist als Ansager und Sprecher der Zwischentexte zu hören.
Die MDR KLASSIK CDs auf einen Blick
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Franz Liszt Sinfonische Dichtungen MDR SINFONIEORCHESTER I MDR RUNDFUNKCHOR Jun Märkl | Dirigent |
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