„Achtung! Achtung! – Hier ist Dresden!

 

MIRAG_Dresdner_Senderaum-for-web

Der Senderaum der Dresdener Sendestelle
© Foto der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft RRG – DRA

 

„… und nun schalten wir um …“

„Die Mitteldeutsche Rundfunk-A.-G. hat auswärtige Besprechungsstellen in größerem Umfange als die übrigen deutschen Sendegesellschaften eingerichtet. Sie hat sich hierbei von dem Gesichtspunkt leiten lassen, die wertvollsten Darbietungen aus den verschiedenen Plätzen ihres Bezirks dem Rundfunk nutzbar zu machen.“
Das lesen wir in der Juli-Ausgabe des Jahres 1925 der Rundfunk-Programmzeitung „Die Mirag“. Von nun an sollte in kürzester Zeit ein weit verzweigtes Studio-Netz im gesamten mitteldeutschen Sendegebiet entstehen.

Wir müssen uns erst einmal vergegenwärtigen, dass es zu Beginn des Rundfunks weder eine entwickelte Tonstudiotechnik noch eine wissenschaftlich fundierte Raumakustik gegeben hat. Auch war der Begriff „Studio“ im heutigen Sinne noch unbekannt, denn man sprach von „Senderaum“ und von „Besprechungsraum“, bestenfalls noch von „Aufnahmeraum“. Die technischen Apparaturen zwischen dem Mikrofon und dem Sender nahmen anfangs ohnehin wenig Platz ein, ja, sie werden bereits 1929 in einer Rückschau als „primitiv“ bezeichnet!

Soviel wusste man aber: Der „Besprechungsraum“ musste schallschluckend ausgestattet sein:
Für Rundfunkaufnahmen werden besonders hergerichtete Gemächer benutzt. Wände, Decke und Fußboden erhalten eigenartige Verkleidungen. Man polstert die ersteren stark und bringt schwere Fließvorhänge an, und der Fuß der Leute, die für die Unterhaltung der Rundfunkteilnehmer sorgen, ruht auf einer weichen Unterlage, auf der man zweckmäßigerweise numerierte Felder aufzeichnet, damit die Musiker schnell wieder den Platz finden, der sich als der passendste erwiesen hat„, konnte man schon 1924 in einer Programmzeitung lesen.

Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass es in den ersten fünf Rundfunkjahren noch keine Schallaufzeichnung gab – alles war live (!) – oder es wurden handelsübliche Schallplatten gespielt.
Erstaunlich auch wie weit voraus die Rundfunkpioniere in den zwanziger Jahren gedacht haben, denn noch heute entspricht die Sendephilosophie dem „Dreiländergedanken“ des Mitteldeutschen Rundfunks unserer Tage.

 

Der MIRAG-Nebensender Dresden
von Tobias Knauf

„Von den Besprechungsstellen außerhalb Leipzigs sind besonders die in Dresden zu erwähnen. Hier ist schon vor der Inbetriebnahme des Dresdener Senders eine Besprechungsstelle im Hotel Reichspost eingerichtet worden…“, schreibt der „Sächsische Funk“ in seiner Oktober-Ausgabe 1924

Nur noch älteren Dresdnern, die die sächsische Landeshauptstadt vor dem Feuersturm des 13. Februar 1945 kannten, ist das Hotel Reichspost, die Antenne zwischen Kreuzkirche und Rathausturm oder die Villa in der Beuststraße ein Begriff. Hier entstand ein Programm, das mit dazu beitrug, dass die MIRAG zum vielzitierten „Konzertsender“ unter den deutschen Rundfunkgesellschaften der Weimarer Zeit wurde.

Im Vergleich zu den anderen Regionalstudios der MIRAG wies der Dresdner Sender eine gewisse Selbständigkeit auf. So strahlte er eine Zeit lang ein eigenes Regionalprogramm mit Sendungen fast jeder Art aus, verfügte über festes Personal und konnte auf einen großen Kreis freier Mitarbeiter zurückgreifen.

 

MIRAG-Dresden_Uebertragungs_Raum-for-web

Der Übertragungsraum der Dresdner MIRAG-Besprechungsstelle im Hotel Reichspost, 1924

 

Dresden geht auf Sendung

Ein erster Versuch, in Dresden aufgenommene Wort- oder Musikbeiträge auf den Sender Leipzig zu übertragen, fand am 26. Oktober 1924 statt.
Dazu wurden zwei Streichquartette von Beethoven und Mozart vom Dresdner Streichquartett mit Gustav Fritzsche, Fritz Schneider, Hans Riphahn und Alexander Kropholler in einem Büro der Oberpostdirektion aufgenommen und über Freileitungen nach Leipzig übertragen.

MIRAG-Dresden_Hotel_Reichspost-for-web

Das Hotel „Reichspost“ war Sitz der ersten Besprechungsstelle der MIRAG in Dresden
© Foto aus TRIANGEL 9/1998

Angesichts des Provisoriums vereinbarten die MIRAG und die Oberpostdirektion Dresden, die Aufnahmeräume in das frühere Hotel „Reichspost“ in der Großen Zwingerstraße 18 zu verlegen. Dazu wurden in der Halle und der Vorhalle ein Senderaum und im Erdgeschoß Verstärker- und Regieräume sowie eine Garderobe und ein Warteraum eingerichtet. Im ersten Stock residierte die Geschäftsführung.

Damit schuf man die Vorbedingung dafür, dass die Dresdner künstlerischen Kreise unmittelbar von Dresden aus im Rundfunk zu Gehör kommen konnten.
Daneben sind in Dresden ständige Besprechungsstellen im Opern- und im Gewerbehaus eingerichtet„, schreibt Delvendahl.

Mit der Anstellung des Architekten Eugen Emil Horath gewann die MIRAG einen Mann, der neben der Programmgestaltung, Ansage und der Geschäftsführung des Dresdner Senders künftig federführend für alle baulichen und raumkünstlerischen Vorhaben der gesamten Sendegesellschaft war. So konnte Hohrath die Erfahrungen bei der Ausgestaltung des Leipziger Funkhauses in Dresden nutzen.

 

MIRAG-Dresden-Leitung-for-web

Die Leitung der Dresdner Sendestelle:
Direktor E. E. Horath – Kulturchef Dr. Ernst Latzko – Ansager Horst von Tschirschnitz – Literar. Leiter Kurt Arnold Findeisen

 

Die Dresdner Sendegesellschaft

Bis zum Jahresbeginn 1925 wurde in Dresden eine technische Infrastruktur geschaffen, die einen eigenständigen Sendebetrieb – wenn auch nicht im Leipziger Umfang – ermöglichte.
Mit dem Sendestart am 22. Februar 1925 fand diese erste Aufbauphase des Unterhaltungsrundfunks in Dresden ihren technischen Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt waren im Oberpostdirektionsbezirk Dresden 10.781 gebührenzahlende Hörer registriert; vier Wochen später waren es schon 23.872.

In den darauffolgenden Monaten wurde die Funkhausleitung personell aufgestockt. Neben Horath als Sendeleiter wurde der Schriftsteller Kurt Arnold Findeisen als literarischer, Theodor Blumer als musikalischer und als Spielleiter Carl Blumau verpflichtet.

Jede Woche reiste mindestens ein Vertreter nach Leipzig, um mit den dortigen Verantwortlichen den Programmablauf zu besprechen.
In den ersten beiden Jahren strahlte der Nebensender Dresden ein- bis zweimal wöchentlich ein eigenes Programm aus.
Vor allem dienstags nachmittags waren im mitteldeutschen Sendebezirk sowohl ein Konzert aus der Messestadt als auch aus der Elbmetropoie zu hören.
Die beiden abendlichen Halbstundenvorträge wurden an diesem Wochentag von Dresden auf den Leipziger Sender übertragen.

Zu den bevorzugten Programmen aus Dresden gehörten Opern und Operetten, Kammermusik und Singspiele.
Im Wortbereich machte sich Dresden vor allem mit Vorträgen über das Brauchtum der umliegenden Regionen wie der Lausitz, Ostsachsens, Böhmens oder des Vogtlandes sowie über Hygiene-Beratung und Rechtskunde einen Namen. Der Umfang klingt beachtlich, auf den Gesamtzeitraum der Jahre 1924 bis 1932 berechnet bestritt jedoch Leipzig den Löwenanteil des Programms.

Nach Ausbau der Regionalstudios, dem verstärkten Einsatz mobiler Übertragungstechnik und dem Führungswechsel in Leipzig (Amtsantritt Neubecks 1929 und Ressortumgestaltung) verlor Dresden nach und nach Sendeanteile. Zu den ersten ständigen freien Mitarbeitern gehörten unter anderen das Dresdner Streichquartett, Kapellmeister Schmidtgen, der Tenor Robert Bröll, der Bariton Karl Zinnert sowie Wanda Schnitzing und Helga Petri (beide Sopran) oder die Schriftsteller Ottomar Enking und Heinrich Zerkaulen.

Dresd_Rundf_Hauskapelle-for-web

Die Dresdner Rundfunk-Hauskapelle nach einer Probe vor dem Eingang zum Besprechungsraum, Große Zwingerstraße 18.
Die Leitung des Orchesters hatte Gustav Agunte (rechts sitzend).
© Foto aus TRIANGEL 9/1998

Im späten Frühjahr 1925 entschloss sich die Leitung des Hauses, ähnlich dem Leipziger Vorbild ein ständiges kleines Orchester unter Leitung des Kapellmeisters und Geigers Gustav Agunte aufzubauen.
Die meisten Auftritte verzeichnet die Statistik für Unterhaltungsmusik im Rahmen der Mittags- und Nachmittagskonzerte. Für Kammeropern, Operetten und Singspiele wurde das Orchester durch die Mitglieder des Dresdner Streichquartetts und freie Musiker verstärkt.

 

Ablehnende Sängereinstellung

Nicht unproblematisch war für die Dresdner Sendeleitung anfangs die Verpflichtung renommierter Künstler der Elbestadt für eine Mitarbeit am Programm:
Neben eine ausgemachte Distanz zur neuen Technik gesellte sich die Honorarfrage. Die „Stars“ lehnten eine Mitwirkung zunächst grundsätzlich ab – aus künstlerischen Gründen.
Die Intendanz forderte die Einholung einer Genehmigung, um nicht den Spielplan zu gefährden. Also wurde vereinbart, dass das Mindesthonorar eines Staatsopern-Solomitglieds nicht unter 150 RM liegen dürfe. Das Problem klärte sich allerdings bald, nachdem die zweite Solistenbesetzung ihr Können zu weit niedrigeren Honoraren anbot.

 

MIRAG_Funkhaus_Dresden-for-web

Das MIRAG-Funkhaus in der Dresdner Beuststraße 13
© Foto in TRIANGEL 9/1998 – DRA

 

Das neue MIRAG-Funkhaus in Dresden

MIRAG_Sendesaal_Dresden for web

Sprecherraum im Dresdner MIRAG-Haus
Beilage aus dem „Dresdner Anzeiger“ vom 28. Juli 1929
© Foto aus TRIANGEL 9/1998 – Archiv Schütze, Dresden

Im Januar 1926 meldete die Reichspost Eigenbedarf an den Geschäftsräumen im früheren Hotel „Reichspost“ an, so dass eine Ausweichlösung zunächst für die Büros gefunden werden musste.
Anfangs erwog die Gesellschaft den Kauf eines Grundstücks in ruhiger Lage, da sich die Innenstadtmieten als zu hoch erwiesen.

Nach längerer Suche fand sich ein Anwesen in der Beuststraße, der heutigen Mary-Wigman-Straße.
Die Lage war optimal: Eine Villengegend, nur wenige Wegminuten vom Hauptbahnhof entfernt, dazu drei Straßenbahnlinien fast vor der Tür, die einen schnellen Zugang für die Künstler boten.
So wurden zunächst in der 1869 erbauten Villa des Grafen Beust fünf Büros in der ersten Etage gemietet und das Vorkaufsrecht gesichert.

Im Mai 1926 einigte sich die MIRAG-Leitung mit dem Besitzer, so dass Horath in den Erdgeschossräumen wohnen konnte.
Im Dezember 1927 erteilte der MIRAG-Aufsichtsrat die Genehmigung zum Kauf der Immobilie.

MIRAG-Dresden_Kuenstler_Zimmer-for-web

Künstlerzimmer im Dresdner MIRAG-Haus
Beilage aus dem „Dresdner Anzeiger“ vom 28. Juli 1929
© Foto aus TRIANGEL 9/1998 – Archiv Schütze, Dresden

Der Umzug bedeutete zunächst eine Dezentralisierung des Funkbetriebes: Verwaltung und Sendeleitung saßen in der Beuststraße, Studios und Regieräume in der Oberpostdirektion unweit des Postplatzes, und die Antennenanlage spannte sich von der Kreuzkirche zum Turm des Neuen Rathauses.

1927 wurden dann Überlegungen angestellt, das zweiteilige Gebäude in der Beuststraße zur Sendestelle auszubauen. Der Umbauplan musste allerdings zunächst wegen eines Streits mit den Nachbarn und den städtischen Behörden zurückgestellt werden.

Offenbar widerwillig kam Horath den Auflagen der Baupolizei nach und passte das Äußere dem Renaissance-Stil der Nachbarschaft durch Rustika und Lisenen im Putz an.
Kernstück des Vorhabens wurde das frühere Nebengebäude: Im Parterre entstanden Büros, ein Orchester-Aufenthaltsraum und ein Probenraum, eine Garage und technische Maschinenräume.
Im Obergeschoss, den früheren Ateliers, wurden der Große Sendesaal, das Vortragszimmer, ein Regieraum sowie ein Künstlerzimmer und der Verstärkerraum untergebracht.
Prunkstück war der Sendesaal. Bei einer Grundfläche von knapp 130 m² wurden die Seitenverhältnisse so gewählt, dass der 6 m hohe Raum ein als Optimum geltendes Längen-Breiten-Verhältnis von 16:8 Metern aufwies. Acht hohe Fenster sorgten für Helligkeit bis in die Abendstunden. Für eine bestmögliche Akustik wurden nach mehreren Versuchen die Verkleidung des Fußbodens in Boucle sowie der Kopfwand vor dem Aufnahmeplatz und einer Längswand mit veränderlichem, schallabsorbierendem Stoff gefunden. Um die Bedingungen perfekt zu machen, griff Horath zum „Schäffer’schen Zelt“.

Dem Großen Sendesaal schloss sich ein Künstlerzimmer an. Der benachbarte Vortrags-Senderaum war nur 10 m2 groß.
Aus allen Aufnahmeräumen einschließlich des großen Probenraumes, der zeitweise auch als Sendesaal II firmierte, konnte das Programm auf den Leipziger Sender übertragen werden. Dazu waren Anschlüsse für insgesamt zwölf Mikrofone vorhanden, allein acht im Großen Sendesaal.

 

MIRAG-Dresden_Funkraum-for-web

Der große Sendesaal im Dresdner Funkhaus
© Foto: aus TRIANGEL 9/1998 – DRA

 

Das Ende des Nebensenders Dresden

MIRAG-Dresden_Sprecher_und_Regieplatz-for-webDer Programmabbau am Sender Dresden begann 1929 mit der Trennung von der Kapelle Agunte.
Schon Monate vorher, am 17 September 1928, kündigte Dr. Erwin Jaeger auf einer Sitzung des Kulturellen Beirats an, dass die Kapelle im Verlauf des Winterhalbjahres aufgelöst werden solle.
Im gleichen Atemzug versicherte Jaeger, dass dies kein Wegfall von derartiger Musik aus Dresden bedeute, sondern nur weniger und Besseres dem Hörer geboten werden solle. In der gleichen Sitzung warnte der Vorsitzende des Arbeiter-Radio-Bundes Dresden, Alfred Althus, vor der Auflösung, musste jedoch vom Kaufmännischen Leiter der MIRAG, Fritz Kohl, die Einschätzung erfahren, dass die Dresdner Leistung „Kaffehausmusik“ sei.

Im Jahr darauf reduzierte man aus Sparsamkeitsgründen die Besetzung der Dresdner Sendestelle und betraute dortige Mitarbeiter mit anderen Aufgaben. So musste sich der Literarische Leiter Kurt Arnold Findeisen verstärkt um den Schulfunk kümmern. Damit war die Auflösung der Literarischen Abteilung besiegelt. Letzten Ausschlag für das Ende des Nebensenders Dresden gab der Wechsel des musikalischen Leiters Theodor Blumer, der nach dem politisch motiviertem Rauswurf Alfred Szendreis 1933 in die Führung der musikalischen Leitung der MIRAG in Leipzig aufstieg.   →  WEITER

Tobias Knauf
Beitrag für TRIANGEL 9/1998

 

Weiterführende Themen

  Das Musikangebot des MIRAG-Nebensenders Dresden · 1924 bis 1933
      Recherchen des MDR-Chefproduzenten Steffen Lieberwirth

  Originaldokumente und weitere zeitgenössische Fotografien zum MIRAG-Nebensender 1924/25


 
Die Sendergeschichte nach 1945

Der Landessender Dresden wird wiederbegründet · 1945
     Erinnerungen des damaligen MDR-Kulturchefs Ulli Böhme
       und des MDR-Toningenieurs Gerhard Steinke

Das neue Funkhaus im Hygienemuseum · 1946
     Erinnerungen des damaligen MDR-Reporters Johannes Lieberwirth
       und des damaligen MDR-Toningenieurs Gerhard Steinke