Das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig

Dirigent der „zweiten Reihe“: Hans Weisbach  1933-1939

von Jörg Clemen und Steffen Lieberwirth

 

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Das Leipziger Sinfonieorchester im ersten Konzert mit dem neuen Chefdirigenten Hans Weisbach
© Foto: MDR Orchesterarchiv

 

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Hans Weisbach: Dirigent der „zweiten Reihe“
Aufnahmen mit dem Leipziger Sinfonieorchester
Aufnahmen mit dem Leipziger Rundfunkchor
Weisbach als Komponist

 

 

Dirigent der „zweiten Reihe“: Hans Weisbach

Die Ära Szendrei (1923-31) wurde allgemein als Aufbauphase des Leipziger Sinfonieorchesters beschrieben. Während dieser neun Jahre wuchs das Ensemble zu einem leistungsfähigen Klangkörper, der sich zwar mit dem Gewandhausorchester nicht messen konnte, dafür aber das Niveau seiner Vorgänger und Mitbewerber um den „zweiten Platz“ bei Weitem übertraf.
Daran war Anfang der dreißiger Jahre nicht mehr zu rütteln, und die Tatsache, dass das Leipziger Sinfonieorchester selbst für international anerkannte und renommierte Dirigenten wie Carl Schuricht attraktiv war, spricht für sich.

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Weisbachs Geburtshaus in Glogau (r.)© Foto: Nachlass Weisbach

Und Weisbach?

Der 1885 im niederschlesischen Glogau Geborene war nur ein Jahr jünger als Szendrei. Auch er wuchs in begüterten bürgerlichen Verhältnissen auf.
Die Weisbachs – Hans hatte drei Brüder und zwei Schwestern – bewohnten eine geräumige Wohnung gleich am Exerzierplatz.
Die schönen Stunden im Sommer verbrachte man im 10.000 Quadratmeter großen Gartenanwesen am Stadtrand. Sie gehörten der Musik und der Plauderei.

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Hausmusik mit Hans Weisbach (l.), Raimund und Xel.
© Fot0: Nachlass Weisbach

Mit sieben erhält Hans Unterricht in den Fächern Violine und Klavier. 1904 absolviert er das Gymnasium und geht nach Berlin. Zunächst studiert er an der Musikhochschule Violine bei Joseph Joachim und Musikgeschichte bei Hans Joachim Moser, später Klavier bei Rudorff und Petersen, Dirigieren bei Hausmann. Daneben belegt er an der Universität die Fächer Musikwissenschaft und Philosophie. 1908 siedelt Weisbach nach München über, um am Hoftheater unter Felix Mottl seine Studien als Kapellmeistervolontär fortzusetzen (Mottl war Bruckner-Schüler, Weisbach ist demzufolge musikalischer Enkel Bruckners!) und hört weitere Vorlesungen an der Münchener Universität.

1911 kommt Weisbach nach Frankfurt als zweiter Dirigent und Assistent Carl Schurichts im Rühlschen Gesangsverein. Daneben tritt er als Pianist und Klavierbegleiter hervor. 1913 übernimmt er die Leitung der Konzertgesellschaft zu Worms, 1919 wird er zum Städtischen Musikdirektor der Stadt Hagen berufen. Ab 1924 leitet er zusätzlich die Barmer Konzertgesellschaft und im Herbst 1925 flattert die ersehnte Berufung zum Generalmusikdirektor der Stadt Düsseldorf ins Haus. Das 98. Niederrheinische Musikfest 1929 steht unter seiner Ägide. Gemeinsam mit W. König übernimmt er zusätzlich die Leitung des Düsseldorfer Robert-Schumann-Konservatoriums. Von dort übersiedelt er, vermutlich auf Empfehlung seines Freundes, Lehrers und Vorgängers Carl Schuricht, 1933 als Chef des Rundfunkorchesters an die Pleiße nach Leipzig.

Eine Bilderbuchkarriere? Auf den ersten Blick gewiss. Allerdings dürfte in Weisbach der Stachel tief gesessen haben, als Dirigent der „zweiten Reihe“ bereits ein Maximum erreicht zu haben. Denn die erste Reihe verengte sich unanfechtbar auf einen einzigen Mann: Wilhelm Furtwängler. Weisbach teilte diesbezüglich das Schicksal aller anderen erstklassigen deutschen Dirigenten: Clemens Krauss, Hermann Abendroth, Karl Böhm, Fritz Busch, Otto Klemperer, Hans Knappertsbusch, Joseph Keilberth oder Carl Muck. Die Formulierung „Weisbach sei einer der bedeutendsten deutschen Dirigenten“ endete immer stillschweigend mit dem Appendix: „nach Furtwängler“.

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Hans Weisbach auf einem Plakat des Reichssenders Leipzig, 1936
© Dokument: Nachlass Weisbach

An ehrgeizigen und prestigeträchtigen Großprojekten mangelte es in Leipzig nicht. Schon 1933 ging der neue Chefdirigent in die Leipziger Bruckner-Geschichte ein, denn er dirigierte die damals weltweit beachtete Erstaufführung der sogenannten „Nullten Sinfonie“ im Gewandhaus und ersetzte damit den unmittelbar vor der Genaralprobe wegen seiner jüdischen Herkunft entlassenen Bruno Walter. Später folgten dann großangelegte, von allen Reichssendern übertragene Konzerte der neun Bruckner-Sinfonien, die unter der Beteiligung des großen Symphonieorchesters des Reichssenders Berlin sattfanden und vom Reichs-Rundfunkintendanten Heinrich Glasmeier gefördert wurden. Die intensive Bruckner-Pflege Weisbachs warf ihre Schatten voraus, denn Jahre später sollte sich im Namen Bruckners die Rundfunkorchester-Landschaft radikal verändern.
Weisbachs Hoffnungen auf einen Platz in der ersten Reihe gingen damit jedoch nicht in Erfüllung

1938 schielte Weisbach nach Süden, genauer gesagt: nach Wien. Er nahm ein Angebot an, das ihn zum ersten ständigen Dirigenten der Wiener Symphoniker machte, und übernahm zudem per 1. April 1939 die musikalische Leitung des Reichssenders Wien. Weisbach hatte nach der 1939 erfolgten neuen Eingruppiereng der deutschen Sinfonieorchester, innerhalb derer das LSO lediglich in die 2. Kategorie eingestuft worden war, vernehmen lassen, dass er nicht gewillt sei, weiterhin ein zweit­klassiges Orchester zu dirigieren. Andererseits lockte Wien nicht nur mit neuer Arbeit, sondern ebenso in Gestalt einer jungen schönen Frau. Die amerikanisch-stämmige Pianistin Margot Pinter („Marga Pinta“, Jahrgang 1918) hielt sich bevorzugt in Wien auf. 1950 wurde sie Weisbachs zweite Frau. Eine erste Ehe verband Weisbach mit Frederike Heinemann, der Ex-Gattin Carl Schurichts. Die Verbindung war nicht glücklich. Weisbachs 1916 geborener Sohn Helmut nannte sich später Schuricht.

Wien war aber zugleich ein Trittbrett in die „versperrte“ erste Reihe.
Was, wenn Weisbach als zukünftiger Chef der Wiener Philharmoniker neben Furtwängler stünde? Wie auch immer, in Leipzig war Weisbach nicht zu halten. Trotz aller Verdienste um das Musikleben. Trotz der enormen Leistungssteigerungen des Orchesters und des Chores, die sich in den Kritiken dieser Zeit widerspiegeln

 

Aufnahmen des RS Leipzig mit dem Leipziger Sinfonieorchester

Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-moll (Finale)

Pausenzeichen und Ansage des RS Leipzig
Sinfonieorchester Leipzig und Orchester des Reichssenders Berlin
Dirigent: Hans Weisbach
Aufnahme: Reichssender Leipzig am 12. Januar 1938 im Neuen Gewandhaus

 

 

Aufnahmen des RS Leipzig mit dem Rundfunkchor

Mozart: Die Gärtnerin aus Liebe

daraus: Die Freundin treuer Liebe [II,18] Arie des Ramiro
Ramiro: Martha Rohs, Mezzosopran
Sinfonieorchester des Reichssenders Leipzig

Dirigent: Hans Weisbach
Aufnahme: Reichssender Leipzig am 7. April 1937 im Neuen Gewandhaus
Originaltonträger: 2 Rundfunkplatten 25cm [unbearbeitet]

 

Bizet: Carmen

daraus: Ja, die Liebe hat bunte Flügel [I,5] Habanera der Caramen
Carmen: Martha Rohs, Mezzosopran
Chor des Reichssenders Leipzig
Sinfonieorchester des Reichssenders Leipzig
Dirigent: Hans Weisbach
Aufnahme: Reichssender Leipzig am 7. April 1937 im Neuen Gewandhaus
Originaltonträger: 2 Rundfunkplatten 78U/min 25cm [unbearbeitet]

daraus: Draußen am Wall [1,10] Seguidilla der Carmen
Carmen: Martha Rohs, Mezzosopran
Chor des Reichssenders Leipzig
Sinfonieorchester des Reichssenders Leipzig
Dirigent: Hans Weisbach
Aufnahme: Reichssender Leipzig am 7. Juni 1937 im Senderaum des Leipziger Funkhauses Markt 8
Originaltonträger: 2 Rundfunkplatten 78U/min 25cm [unbearbeitet]

 

Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg

daraus: Verachtet mir die Meister nicht [III,5] Schlußansprache des Hans Sachs
Hans Sachs: Paul Schöffler, Baßbariton
Chor des Reichssenders Leipzig
Sinfonieorchester des Reichssenders Leipzig
Dirigent: Hans Weisbach
Aufnahme: Reichssender Leipzig am 22. Mai 1937 im Neuen Gewandhaus
Originaltonträger: 2 Rundfunkplatten 25cm [unbearbeitet]

 

Weisbach als Komponist

Über Weisbachs kompositorische Ader ist schnell berichtet. Erste Schöpfungen – sie sind wie alle weiteren von einem klangprächtigen spätromantischen Stil geprägt – entstanden offenbar für den Hausgebrauch, denn in Weisbachs Familie wurde rege musiziert. Eine Romanze für Violine und Klavier widmet er seinem „lieben Bruder Raimund zum 16.9. 1908″ (dem 20. Geburtstag), ein Streichquartett in C-Dur entsteht im gleichen Jahr, wenig später eine einteilige Violinsonate in d-Moll. 1910 folgt das „Bratschenjahr“: außer einer kompletten dreisätzigen Sonate für Viola und Klavier entstehen ein zweiteiliger Torso in C-Dur sowie ein einzelnstehender Sonatensatz für diese Besetzung. Außerdem komponiert Weisbach Klavierstücke und in den folgenden Jahren vor allem Lieder. Er vertont Gedichte unter anderem von Eichendorff, Goethe und immer wieder Hebbel.

Zur großen Form findet Weisbach aber erst im reifen Alter. Er ist siebenundvierzig, als er seine Kantate „Weihe der Nacht“ 1932 vollendet („Weihe der Nacht“ für Sopran solo, vierst. Chor, Orchester, nach Texten von Hebbel, handschriftlich: 3. November 1932, 12 Uhr nachts).

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„Schicksal“
Notenhandschrift Weisbachs
© Dokument: Nachlass Weisbach

Aus seinen Leipziger Jahren ist so gut wie nichts überliefert. Weisbach geht 1939 endgültig nach Wien. Der Krieg bricht aus, die ersten Meldungen über gefallene Soldaten schrecken die Bevölkerung auf. Weisbach sitzt am Schreibtisch und komponiert die sinfonische Dichtung „Schicksal“. Handschriftlicher Eintrag am Ende der Partitur: „während des Feldzugs in Polen“. Dann, nachdem der „Fall Barbarossa“ die Front 1941 gen Moskau drückt, vollendet er sein Orchesterwerk „Sieger“, kurz darauf das „Traumlied“. Zeitweilig verlässt er Wien, schreibt sein Klavierkonzert F-Dur in Teplitz nieder (1943), jenes dreisätzige virtuose Konzert, das er spater, nach dem Krieg, oft mit seiner Frau Margot Pinter musizieren wird und dessen Partitur sich heute im Westfälischen Musikarchiv Hagen befindet. 1944 schreibt Weisbach eine „Rhapsodie“ und eine sinfonische Dichtung „Scherz“ für Orchester sowie die vokalsinfonische Komposition „Feuerlied“. Mit dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands versiegt Weisbachs kompositorische Ader.

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Hans Weisbach
© Foto: Nachlass Weisbach

Der Dirigent indes kommt zu neuen Ehren. Für zwei Jahre verlieren sich Weisbachs Spuren irgendwo im Teutoburger Wald „als Folge des Krieges“, wie es in einem späteren Bericht heißt.

1947 gelingt es ihm, an alte Beziehungen ins Ruhrgebiet anzuknüpfen. Wuppertal macht ihm zu seinem GMD. Er baut das Musikleben mit auf, engagiert sich für Neue Musik, wirkt nach seiner Pensonierung 1955 weiterhin als Gastdirigent in ganz Europa.
Er erhält zahlreiche hohe Auszeichnungen, unter anderem das Bundes­verdienstkreuz und die Ehrenurkunde des Max-Reger-lnstituts. 1960 dirigierter in Wuppertal Schuberts Unvollendete.

Im Frühjahr 1961 probiert er dort Beethovens Neunte. Wegen eines plötzlichen Unwohlseins werden die Proben abgebrochen. Kurz darauf stirbt Hans Weisbach 73-jährig in Wuppertal.

 

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Dirigentenstab und Bundesverdienstkreuz Weisbachs
© Foto: Stadtarchiv Hagen

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