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Busch und die Schallplatte in Dresden  [8/15]

 

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Fritz Busch dirigiert die Staatskapelle anlässlich einer Schallplattenaufnahme oder Rundfunkübertragung im Orchestergraben der Semperoper. Rechts im Bild der Verstärker für das Tonsignal.
© Foto aus dem Booklet

 
 

Ich halte das Grammophon in seiner heutigen Entwicklung für ein unentbehrliches Hilfsmittel für jeden Musiker.

Der Sänger und Kapellmeister kann heute, nachdem ihnen ein Studium im Ausland selbst versagt ist, nur durch die Grammophonplatte den besonderen Gesangsstil der italienischen Oper lernen.
Das außerordentlich vielseitige Repertoir gibt jedem Musiker die Gelegenheit, sich durch Vergleiche weiterzubilden.
Von unschätzbarem Wert aber ist das Anhören eigener Platten, die ein unerbittlich getreues Bild geben und so dauernd anregend zu wirken im Stande sind.
Gute Platten sollten deshalb auch im Hause des Liebhabers ernster Musik nicht fehlen.
Der weiteren Entwicklung des Grammophons kann man nur mit stärkstem Interesse folgen.
Fritz Busch

 

Die ersten Grammophonaufnahmen im Jahr 1923

Die Recherche nach den legendären ersten Schallaufnahmen der Staatskapelle Dresden unter der musikalischen Leitung von Fritz Busch erwies sich recht schnell als kompliziertes Unterfangen. In den großen deutschen Musikarchiven fanden sich bestenfalls einige vereinzelte Stücke.
Privatsammler, so man sie denn kannte, hatten auch noch die eine oder andere Platte in ihrem Bestand. Einzelne Titel – darunter zwei Richard-Strauss-Menuette aus der Orchestersuite „Bürger als Edelmann“ galten jedoch lange als „unauffindbar“.

Eine weltweite Suche, ein abenteuerliches Sich-Durchfragen von einem Sammler zum nächsten, von einem Institut zum anderen und bis in die Archive amerikanischer Universitäten war notwendig, um mühselig alle frühen Aufnahmen des Orchesters zusammenzutragen, um sie nun endlich im Rahmen der „Edition Staatskapelle Dresden“ erstmalig vollständig präsentieren zu können. Den Grund für die wirklich außerordentliche Seltenheit der Originaltonträger soll das folgende Kapitel vermitteln.

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In Fritz Buschs Dienstkalendern (beginnend 13. August 1922) findet sich an verschiedenen Tagen der pauschale Eintrag „Grammophon“: zunächst 1., 8. (2-5), 9. (10-1), 11. (3-6), 12. (10-1) und 14. (10-1) Juni 1923 (in Klammern die Uhrzeiten wie bei Fritz Busch angegeben). Die Aufnahmen fanden in Weber’s Hotel am Dresdner Postplatz statt.
© Dokument: Max-Reger-Institut/BrüderBuschArchiv

Zwischen dem 1. und 14. Juni 1923 reserviert Fritz Busch in seinem akribisch geführten Kalender insgesamt sechs Termine inklusive Uhrzeiten jeweils tagsüber zwischen 10.00 Uhr und 13.00 Uhr oder alternativ zwischen 14.00 Uhr und 17.00 Uhr für das „Grammophon“. Die Termine liegen im Rahmen der offiziellen Dienstzeiten der Orchestermusiker. Nach der wohl üblichen technischen Vorbesprechung am 1. Juni finden somit am 8. und 9. Juni, am 11., 12. und am 14. Juni insgesamt fünf jeweils dreistündige Aufnahmesitzungen für die „Deutsche Grammophon Gesellschaft“ statt. An diesen Tagen wird die Staatskapelle Dresden erstmals akustisch dokumentiert.

Wahrscheinlich war das 375. Kapelljubiläum am 22. September 1923 der willkommene Anlass. Gleichwohl stand – wie wir heute wissen – sowohl diese allererste Aufnahmesitzung wie auch die folgende vom September 1926 in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht unter keinem guten Stern:
Im Juni 1923 wird der Dollar mit einem Kurs von 1:74.500 an der Börse gehandelt. Ein Pfund Rindfleisch kostet am 9. Juni um 12.000 Reichsmark, das Pfund Kaffee notiert bis zu 36.000 Reichsmark, und Tee erzielt Preise bis zu 48.000 Reichsmark. 1 Pfund Sauerampfer ist immerhin für 600 Reichsmark zu haben, und ein Ei kostet 810 Reichsmark. Deutschland wird von einer Inflation heimgesucht, wie man sie bis dahin noch nicht erlebt hatte, und das Ende der Talfahrt ist noch lange nicht erreicht.

Heute fragt man sich unwillkürlich, wie denn die Musiker zu diesem Zeitpunkt wohl für ihre Arbeit entlohnt worden sind. Sicherlich haben sie keine Devisen erhalten, wohl eher waren es Naturalien, die man mit nach Hause nehmen und konsumieren konnte. Jedenfalls dürfte diese erste Aufnahmesitzung für alle Beteiligten ein willkommenes Zubrot in harten Zeiten gewesen sein.

Diregentenwerbung-Busch-for-webMit der Verpflichtung Buschs und der Staatskapelle zu Schallplattenaufnahmen wird sich die Geschäftsleitung der „Deutschen Grammophon Gesellschaft“ ein attraktives Weihnachtsgeschäft ausgemalt haben.
Ein Blick auf die Preistabelle im November 1923, als die Aufnahmen offiziell in den Handel gelangen, macht auf erschreckende Weise deutlich, dass die Menschen in Deutschland jedoch besseres zu tun haben, als ausgerechnet Schallplatten zu kaufen:
Am 1. November kostet ein Pfund Brot 260 Milliarden, ein Pfund Zucker 250 Milliarden, ein Pfund Fleisch 3,2 Billionen.
Der Tageslohn eines gelernten Arbeiters in Berlin liegt bei 3 Billionen Reichsmark.
Besonders die Zielgruppe dieser Aufnahmen, das zuvor gut situierte Bildungsbürgertum, ist am härtesten betroffen. Die meisten haben im Zuge der Inflation alles verloren.
Am 15. November 1923 zieht die Regierung mit der Einführung der Rentenmark den Schlussstrich unter das Wirtschaftsdrama. An diesem Tag notiert der Dollar 1:4 200 000 000 000!

Von dieser dramatischen Entwicklung, die noch vor ihnen liegt, ahnen die Musiker der „Kapelle der Staatsoper Dresden“ in den beiden ersten Juniwochen des Jahres 1923 noch nichts. In diesem Moment dominieren technische Probleme: die Enge des Aufnahmeraumes in Weber’s Hotel am Dresdner Postplatz, der mit einer mobilen Technik ausgestattet worden ist, die riesigen trichterförmigen Gebilde, in die die Musiker mit voller Kraft hineinspielen müssen, die mit einem Schalltrichter statt hölzernem Resonanzboden versehenen Strohgeigen, die bei den Aufnahmen verwendet werden und eine absolut unübliche, der Technik angepasste Orchesteraufstellung stellen alle Beteiligten auf eine große Geduldsprobe. Wahrscheinlich wurden zu diesem technischen Abenteuer auch nur die Orchesterkollegen mit den stärksten Nerven herangezogen. Die volle Besetzung hätte im Aufnahmeraum ohnehin keinen Platz gefunden.
Diese Vermutung bestärkt sich, wenn man die Einspielungen heute hört. Viele haben kammermusikalischen Charakter, und bei den Titeln, die eigentlich eine große Besetzung erfordern würden, dominieren hörbar die Blechbläser.

 

Dresden-Palast-Hotel-Weber-1923

In Blickweite von der Semperoper entfernt, lag am Dresdner Postplatz das „Palast-Hotel Weber ‚Weber’s Hotel'“ (links im Bild). Hier war ein Appartement zum Schallplattenstudio für die frühesten Aufnahmen der Staatskapelle Dresden umfunktioniert worden.
© Foto: Deutsche Fotothek Dresden

 

In den Trichter gespielt

Nur etwa sieben Minuten Fußmarsch vom Dresdner Opernhaus entfernt, steht „Weber’s Hotel“.
Schon seit 1902 finden dort in einem eigens dafür eingerichteten Hotelzimmer Schallplattenaufnahmen mit den Dresdner Opernsängern statt. Nun dient dieser Raum auch den ersten Aufnahmen der Staatskapelle.

Die Aufnahmesituation selbst ist jedoch für die meisten erst einmal ungewohnt. Ohne Publikum und in einem engen Raum, möglichst unbeweglich und einzig auf den Aufnahmetrichter fixiert, müssen sie ihre Stücke vortragen.

Strohgeige-for-webUnd auch die Aufnahmetechnik erfordert von allen Beteiligten eine besondere Orchesteraufstellung:
Die Holzbläser sitzen ganz vorn.
Und die Geiger spielen, des kräftigeren Klangs wegen, auf sogenannten „Strohgeigen“, die mittels eines Schalltrichters anstelle des Korpus den Geigenklang so verstärkten, dass er mechanisch reproduzierbar wurde.

 

Label-Busch-Figaros-Hochzeit-1923-for-web„Kapelle der Staatsoper Dresden“ …

17 Matrizen dieser ersten Aufnahmesitzung wurden im November 1923 unter der Bezeichnung „Kapelle der Staatsoper Dresden, Dirigent: Generalmusikdirektor Fritz Busch“ veröffentlicht.
Anhand der Diskographie wird das Produktionsschema deutlich: Insgesamt wurden 23 Wachsmatrizen geschnitten.

Zwei davon wurden – wahrscheinlich in einer Produktionspause – von den Mitgliedern der „Ersten Bläser-Vereinigung der Staatsoper Dresden“, 1923-Busch-Galathe-for-webbestehend aus John Amans, Johannes König, Karl Schütte, Paul Blödner und Wilhelm Knochenhauer bespielt, zwei weitere dürften für das „Cello Quartett Dresden“, bestehend aus den Kapellmitgliedern Georg Wille, Fritz Nusser, Franz Schmidt und Johannes Fleischer, verwendet worden sein. Damit sind zumindest neun Kapellmitglieder, die im Jahr 1923 bei den Aufnahmen dabei waren, namentlich bekannt.
Zu zwei weiteren Matrizen fehlt bis heute jede Information. Möglicherweise handelt es sich hier um Titel, die technisch oder künstlerisch „verunglückt“ sind, und aus diesem Grunde nicht veröffentlicht wurden.

Das erhoffte „große Geschäft“ bleibt für die Plattenfirma trotz aller Bemühungen aus.
Ein Grund wird das aufgenommene Repertoire sein. Mit Ausnahme einiger populärer Stücke wie der „Fledermaus“-Ouvertüre oder Webers „Aufforderung zum Tanz“, diese beiden Titel haben sich – relativ gesehen – wohl noch am besten verkauft, sind die aufgenommenen Musikstücke nicht gerade für ein breites Publikum geeignet.
Zwar stabilisiert die Rentenmark ab dem 15. November 1923 die Wirtschaft, doch die Menschen brauchen Zeit, um sich zu erholen. 1924 wird ein schwarzes Jahr für die Schallplattenindustrie, und als sich die Lage im Jahr 1925 einigermaßen stabilisiert hat, macht eine technische Revolution die alten Aufnahmen fast augenblicklich wertlos.  

Richard Strauss: Menuett G-Dur
aus der Orchestersuite „Der Bürger als Edelmann“
Staatskapelle Dresden
Dirigent Fritz Busch
Aufnahme: Weber’s Hotel Dresden, 1923
Veröffentlicht in der „Edition Staatskapelle Dresden“ Vol. 30

 

Richard Strauss: Menuett A-Dur
aus der Orchestersuite „Der Bürger als Edelmann“
Staatskapelle Dresden
Dirigent Fritz Busch
Aufnahme: Weber’s Hotel Dresden, 1923
Veröffentlicht in der „Edition Staatskapelle Dresden“ Vol. 30

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Mit Dank für die konstruktive Zusammenarbeit
an das Historische Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
und das Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv

Alle Texte, Dokumente, Fotos und Videos aus:  CD/DVD-Box Edition Staatskapelle Dresden Vol. 30