Die “Bach-Kantaten-Sendungen” der MIRAG 1931

Karl Straube mit dem Thomanerchor und Mitgliedern des Gewandhausorchesters sowie den Gesangssolisten anlässlich einer Kantaten-Übertragung der MIRAG im Großen Vortragssaal des Grassi-Museums.
Karl Straube steht hinter einem der damals gebräuchlichen Reisz-Mikrofone
© Foto aus dem Booklet – Archiv Thomanerchor
Aus: Du Hirte Israel, höre (BWV 104)
Kantate zum Sonntag Misericordias Domini. Textdichter unbekannt
Der Herr ist mein getreuer Hirt (6) Choral
Thomanerchor Leipzig
Gewandhausorchester Leipzig
Max Fest, Orgel
Friedbert Sammler, Cembalo
Leitung: Karl Straube
Aufnahme vom 19. April 1931 im Grassi-Museum Leipzig mit Absage der Sendung und Umschalthinweis
Leipzig als “der Musiksender”
Es ist ein ebenso radiogeschichtlicher wie dokumentarischer Glücksfall, dass der Mitteldeutsche Rundfunk seine Live-Übertragungen des ersten Bach-Kantatenjahrganges 1931/32 parallel zu deren Ausstrahlung auf Wachsfolie aufgezeichnet hat. Später ließ die MIRAG davon in geringen Stückzahlen Schellackplatten zu Dokumentationszwecken und wohl auch für den Programmaustausch der Sender pressen. Natürlich bekamen zudem der Thomanerchor, das Gewandhausorchester und Karl Straube für rein private Zwecke die Schellackplatten mit den Mitschnitten ihrer Konzerte.
Zwar nicht mehr vollständig, aber doch in beachtlichen Teilen erhalten, „überlebte“ in Leipzig wohl nur die Sammlung des Thomanerchores. Heute werden diese zerbrechlichen Rundfunk- Tondokumente als Dauerleihgabe von den Mitarbeitern des Leipziger Bach-Archivs sorgfältig behütet.
Auch das Berliner Archiv der Reichsrundfunk-Gesellschaft RRG besaß Leipziger Kantaten-Schellackplatten. Diejenigen, die nicht Opfer von bewussten Zerstörungen oder als Beutekunst in den Nachkriegswirren geraubt worden sind, werden heute in den Sammlungen des Deutschen Rundfunkarchivs in Frankfurt am Main verwahrt.
Trotz der unwiederbringlichen Verluste sind immerhin 28 Kantaten – wenngleich größtenteils nicht mehr vollständig – überliefert. 22 davon sind Aufzeichnungen der ersten Kantatensendungen des Jahrganges 1931 aus dem Grassi-Museum und sechs Kantaten dokumentieren die Sendung nach ihrem Umzug in den Großen Concertsaal des Neuen Gewandhauses ab 1932 bis 1939. Gleichzeitig bekommen wir dank dieser frühesten erhaltenen Tondokumente einen Eindruck von Charakter, Ansprechhaltung und Klangbild mitteldeutscher Radiosendungen.
Aus dem Rundfunkstudio im Grassi-Museum
Zur Übertragung der Bach-Kantaten schaltete das MIRAG-Funkhaus am Markt 8 jeweils sonntags 11.30 Uhr in den Saal des Grassi-Museums zum Rundfunksprecher, der von dort die Hörer der angeschlossenen Sender begrüßte und eine kurze Werkeinführung gab.
Die Aufnahmen selbst – knapp 12 Stunden sind erhalten – geben viel von jener Anspannung und elektrisierenden Konzentration einer Live-Übertragung im Radio preis.
Da purzeln Noten auf die Cembalo-Tastatur, da wird das Mikrofon während der Aufnahme umgesetzt oder gar ausgetauscht, da regelt der Tontechniker die Lautstärke mittels handtellergroßer Schalthebel hörbar nach und wir erleben Straube, wie er mit einem akzentuierten Fußaufschlag seinem Einsatz Nachdruck verleiht oder wie er deutlich erleichtert nach einer schweren Orchesterstelle durchatmet. Doch all das macht eben den ganz besonderen Reiz der knisternden Schellackmitschnitte aus. Ja, es scheint so, als würden wir im Nachhinein beim Zuhören noch selber mitfiebern, auf dass nur keine allzu großen Pannen passieren mögen.
Und noch ein wichtiges Detail am Rande darf nicht vergessen werden: Im gleichen Jahr 1931, da die MIRAG mit ihren Sendungen des Bach-Kantatenzyklus begonnen hatte, gab sich der Leipziger Sender ein neues, höchst bezeichnendes Pausenzeichen:
Er meldete sich ab 20. Juli 1931 durch Schläge auf Metallzungen mit dem Motiv „b-a-c-h“!
→ weitere Details und zum Media-Buch
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