Anton Bruckner und die 4. Symphonie

Bruckner in seiner oberösterreichischen Heimat. Geschnittene und geklebte Silhouette von Otto Böhler, 1893
»Bruckner trug, wie ein Bergführer, stets sehr kurze schwarze, nur bis an die Knöchel reichende, überaus weite Beinkleider aus steifem hausgesponnenen Lodenstoff, den er stets aus seiner oberösterreichischen Heimat bezog … .
Aus dem gleichen Stoff waren auch viel zu großer Rock und Weste sowie der ebenso brettartige steife Überrock, der mit dem breiten schwarzen Schlapphut über dem stets glattrasierten mächtigen Römerschädel mit der gewaltigen Hakennase einen einzigartigen Anblick gewährte«
Friedrich Eckstein
Schüler Anton Bruckners
Zeitlebens hat sich Bruckner in die beschaulich hügelige Waldidylle seiner oberösterreichischen Heimat zurückgesehnt. Das bezeugt wohl am sinnfälligsten seine »Romantische«, die mit ihren Hornrufen, der ländlerhaften und in der Kindheit oft gehörten »Tanzweise (der Klarinette) während der Mahlzeit zur Jagd« – so Bruckner selbsterklärend – sowie dem Zwitschern der Waldmeise »Zi-zi-bee« eine naturnah-einfühlsame Liebeserklärung an die eigene Kindheit ebenso wie an die Landschaft um seinen Geburtsort Ansfelden und dem nahegelegenen Augustiner Chorherrenstift St. Florian ist.

Bruckners Geburtsort Ansfelden (Oberösterreich), im Vordergrund sein Geburtsthaus.
Aquarell von Franz Kulstrunk, 1927
Mit »Halali« gegen die »geistige Schwäche«
Ein Raunen der Streicher, darüber der zarte Einsatz eines Solohorns, ein Quintsprung abwärts, dann wieder aufwärts …
Zu einem Inbegriff der Romantik wurden diese ersten Takte aus Anton Bruckners vierter Symphonie, der er selber den Beinamen »Romantische« gab.
Ein idyllischer Anfang – und doch entstand das Werk zu einer Zeit, als Bruckner einige berufliche Rückschläge verkraften musste: Während der Arbeit an der Urfassung der Symphonie verlor er 1874 seine Klavierlehrerstelle an der Wiener Lehrerbildungsanstalt, und auch sein Gesuch um eine Anstellung an der Wiener Universität wurde abgelehnt. Zudem fand sich kein Orchester, das seine soeben abgeschlossene dritte Symphonie aufführen wollte.
Mit der Komposition der Vierten trat Bruckner die Flucht nach vorne an:
»Weil die gegenwärtige Weltlage geistig gesehen Schwäche ist, flüchte ich zur Stärke und schreibe kraftvolle Musik.«
So »kraftvoll« ihm die Symphonie letztlich auch gelang: Bruckner tat sich mit der Komposition äußerst schwer. Die im November 1874 beendete Urfassung nahm er vier Jahre später wieder vor und arbeitete sie noch einmal grundlegend um. Die Ecksätze bekamen eine neue Gestalt, das Scherzo wurde durch ein völlig neues ersetzt.
Auch nach der Uraufführung 1881 in Wien nahm Bruckner noch Änderungen vor. Dass dann 1889 eine Fassung in Druck ging, die neben »autorisierten« Retuschen seines Schülers Ferdinand Löwe auch Eingriffe von fremder Hand aufwies, hat die Situation nicht vereinfacht. Erst in den 1930er Jahren wurde Bruckners »Originalfassung« von 1880 im Rahmen der ersten kritischen Gesamtausgabe seiner Werke durch Robert Haas von fremden Zusätzen weitgehend befreit. In dieser Version hat sich die »Romantische« im Konzertsaal etabliert.
Der Beiname »Romantische« hat allerdings häufig zu Irritationen geführt. Man glaubte, Bruckner habe damit einen programmmusikalischen Inhalt zum Aus- druck bringen wollen. »Mittelalterliche Stadt – Morgendämmerung – von den Stadttürmen ertönen Weckrufe – die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie – Waldes- rauschen« – so hat Bruckner selbst das Werk seinem ersten Biografen August Göllerich gegenüber erläutert.
Allzu wörtlich sollte man diese Ausführungen jedoch nicht nehmen; es scheint vielmehr, als ob Bruckner nach den Misserfolgen der früheren Symphonien hiermit lediglich versuchte, einen leichteren Zugang zu seiner Musik zu bieten.
Als er einmal nach dem programmatischen Hintergrund des Finalsatzes gefragt wurde, antwortete er schlicht (in oberösterreichischem Dialekt):
»Ja, da woaß i selber nimmer, was i mir dabei denkt hab’.«
Aber auch ohne Programm ist diese Musik ungeheuer faszinierend. Der Kopfsatz hebt mit dem Quintruf des Horns an, der der Symphonie quasi als »Motto« vorangestellt ist: Auf diese Urzelle lassen sich alle wesentlichen Themen und Motive des Werks, die mächtigen Hauptthemen wie auch die lyrischen, häufig durch »Vogelrufe« angereicherten Seitengedanken, zurückführen.
Den zweiten Satz gestaltete Bruckner als Trauermarsch – hier lässt sich möglicher- weise ein Zusammenhang zu den schwieri- gen Entstehungsumständen herstellen. Dem Trauermarschthema der Celli steht eine – im Wagner’schen Sinne – »unendliche Melodie« der Bratschen gegenüber; beide Themen werden im weiteren Verlauf einer ständigen Metamorphose unterzogen.
Die deutlichsten Assoziationen erlaubt das nachkomponierte »Jagd-Scherzo«: Wieder ein Tremolo der Streicher, darüber allmählich näher rückendes Hörnerge- schmetter, ein dahinbrausendes »Halali«, dem man sich nicht entziehen kann! Zwischen den energischen Hauptteilen bil- det das Trio einen idyllischen Ruhepunkt.
Gerungen hat Bruckner mit dem Finale, gleich zweimal hat er diesen Satz überarbeitet, um der Symphonie eine geschlossene, zyklische Abrundung zu geben.
So blitzen in der geheimnisvollen Einleitung noch einmal die Halali-Rufe aus dem Scherzo auf, die Spannung entlädt sich im machtvollen Hauptthema, das mit einem Oktavsprung abwärts einsetzt und in eine Wiederkehr des Horn-Motivs aus dem ersten Satz mündet. Der Oktavsprung prägt schließlich auch die aus dem Nichts herauswachsende Coda, auf deren Höhepunkt der Hornruf ein letztes, triumphales Mal erscheint: Zyklische Erfüllung und Schlussapotheose gehen hier Hand in Hand.

»Hans Richter und Anton Bruckner«.
Aquarell als »Augenblicksbild« auf der Orgelbank von Leopold Columban Welleba, Wien, ohne Jahr Der Dirigent der Uraufführung von Bruckners »Romantischer« war dem Komponisten – wie auch dessen Rivalen Johannes Brahms – eng verbunden.
Es verwundert nicht, dass Bruckner die zyklische Konzeption in seinen späteren Symphonien wieder aufgriff – sie hatte sich bewährt: Die Uraufführung der Vierten am 20. Februar 1881 mit den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter bescherte dem Komponisten seinen ersten großen Erfolg als Symphoniker.
Auch nördlich der Alpen, in Dresden, wurde die »Romantische« relativ bald gespielt und hat dort inzwischen eine lange Aufführungstradition: 1895 erklang das Werk erstmals in den Konzerten der »Königlich Sächsischen musikalischen Kapelle« in der Semperoper; 1936 war die Staatskapelle Dresden, geleitet von Karl Böhm, das erste Orchester, das die Symphonie in der gerade erst erschienenen Originalfassung auf Schellackplatten einspielte.
In dieser Tradition steht heute auch Christian Thielemann, der als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden seit 2012 nach und nach sämtliche Bruckner-Symphonien mit seinem Orchester erarbeitet; die Vierte dirigierte er im Mai 2015 außer in Dresden auch auf Gastspielreise in Wien und Baden-Baden.
© Tobias Niederschlag Dramaturg der Staatskapelle Dresden
»Hochwohlgeborener Meister!«
»Ein mir fast peinlicher Zug an ihm war die geradezu groteske bäuerliche Untertänigkeit gegen gesellschaftlich oder durch ihren Einfluß im Kunstleben hervorstechende Personen. Solche sprach er, wie es in früheren Zeitläuften nur im brieflichen Verkehr gebräuchlich war, mit ›Euer Hochwohlgeboren‹ an, wovon ich selbst Zeuge war, als ich ihn in Bayreuth auf seine Bitte dem Dresdener Hofkapellmeister Schuch vorstellte, was diesem – obzwar wie Bruckner geborener Österreicher – ein Lächeln der Verwunderung entlockte. Ein Stück Bauernschlauheit lag solchem Verhalten zweifellos zugrunde; denn Bruckner rechnete auf die Eitelkeit der von ihm also Apostrophierten.«
Wilhelm Kienzl über Anton Bruckner
in: »Meine Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes«, Stuttgart 1926
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