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Myung-Whun Chung:
Diener der Musik“

 

 

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Die Staatskapelle Dresden mit Myung-Whun Chung in der Semperoper, November 2004
© Foto: Matthias Creutziger

 
„Als Dirigenten sind wir nur die Boten“
 
Wer dem koreanischen Weltbürger begegnet, ob aus Orchesterperspektive, ob aus der Sicht des Publikums, ob im persönlichen Gespräch – erhält den unbedingten Eindruck, dass sich hier ein Mann ganz und gar der Musik verschrieben, sie für sein Leben verinnerlicht hat.

Von frühester Kindheit an muss das so gewesen sein, zunächst am Klavier, doch schon relativ bald auch dirigentisch. Als Assistent von Carlo Maria Giulini erwarb sich der 1953 in Seoul geborene Künstler erste Meriten in Los Angeles, wechselte die Kontinente und wurde Chefdirigent am Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, später an der Opéra Bastille in Paris sowie bei der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom.
Europa ist ihm zum musikalischen – und damit auch zum beruflichen – Bezugspunkt geworden. Er war 15 Jahre lang Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Radio France und stand damit
in der unmittelbaren Nachfolge Marek Janowskis.
Obwohl er im Laufe der Zeit mit sämtlichen namhaften Klangkörpern in aller Welt auftreten konnte, blieb er doch seinem Heimatland treu, indem er als Künstlerischer Direktor dem Seoul Philharmonic Orchestra vorsteht und in derselben Funktion das Asia Philharmonic Orchestra leitet, das asiatische Musikerinnen und Musiker aus großen Orchestern in aller Welt für herausragende Konzertprojekte zusammenführt.
Seit 2012 ist Myung-Whun Chung Erster Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, eine Position, die er nicht nur als Ehrentitel versteht, sondern mit Akribie und regelmäßiger Anwesenheit, mit Anspruch und ernsthafter Arbeit ausfüllt. So ist seit seiner Dresdner Ernennung ein Mahler-Zyklus im Wachsen, der bereits Maßstäbe gesetzt hat.

Chung leitet die 1548 gegründete Kapelle aber nicht nur in Dresden, er geht mit ihr auch in die Welt, war zuletzt im Herbst 2016 auf einer gemeinsamen Europa-Tournee unterwegs und wird die Zusammenarbeit darüber hinaus beim Meetingpoint Music Messiaen fortsetzen. Am Rande der inzwischen europäischen Doppelstadt Görlitz Zgorzelec befand sich bis 1945 das Kriegsgefangenenlager Stalag VIII a, in dem Chungs Idol und Meister Olivier Messiaen im Winter 1940/41 sein berühmtes „Quatuor pour la fin du temps“ (das Quartett für das Ende der Zeit) komponierte und gemeinsam mit dem Klarinettisten Henri Akoka, dem Geiger Jean Le Boulaire und dem Cellisten Ètienne Pasquier am 15. Januar 1941 vor Hunderten von Mitgefangenen uraufgeführt hat.
Chung hat diesen Ort des Grauens, an dem die Kräfte des Geistes und der Kultur letztlich Oberhand behielten, inzwischen mehrfach besucht und dort den ursprünglich von Messiaen ausgeführten Klavierpart bestritten. Die Staatskapelle ist Patenorchester des 2006 gegründeten Meetingpoint.
Zum 100. Geburtstag seines Mentors und Meisters Messiaen ist Chung, der bereits seit 2001 immer mal wieder in Dresden gastiert hat, gleich mehrfach hier aufgetreten. Daraus ist eine Beziehung gewachsen, die zu kontinuierlicher Zusammenarbeit geführt hat.

Der Maestro gibt sich aber all seinen Erfolgen zum Trotz höchst bescheiden und meint, „als Dirigenten sind wir nur die Boten“.
Seine Arbeit bestehe vor allem „im Erahnen, Erspüren dessen, was die Komponisten beabsichtigen.“
Messiaen sei von allen Menschen, denen er begegnet ist, „einem Heiligen am nächsten“.

Eine derartige Rolle beansprucht Chung für sich selbst allerdings nicht. Er sei Musiker, bekenne sich zu seiner Verantwortung, würde sich aber nicht als politisch bezeichnen. „Wir sind Botschafter der Musik“, betont der 2008 von der UNICEF als erster Dirigent zum „Goodwill Ambassador“ ernannte Künstler gern in Gesprächen.
Als „Botschafter der Musik“ reiste der südkoreanische Weltbürger und erste Kulturbotschafter seines Landes auch nach Nordkorea, um mit Musikern dieses Landes zusammenzuarbeiten. Sie seien bestens ausgebildet, hätten aber nie zuvor Beethoven gespielt. Unter Chungs Leitung, der sich ganz bewusst als „Diener der Musik“ sieht, wurde Beethovens Neunte einstudiert und aufgeführt – für alle Beteiligten ganz gewiss unvergessliche Eindrücke. Musik macht Menschen zu Weltbürgern.

© Michael Ernst

 

Myung-Whun Chung mit Beethovens „Eroica“ auf CD
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