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Fritz Busch und Dresden  [14/15]

„Willkommen daheim“

 

 

Giuseppe Sinopoli: Zur Rückkehr von Fritz Busch nach Dresden

 

Über Giuseppe Sinopolis Rede am 22. September 1998 in der Semperoper

Als wir über das Programm für den Festakt zum 450jährigen Jubiläum der Sächsischen Staatskapelle Dresden am 22. September 1998 berieten, schlug ich vor, eine Vorführung des Tonfilms von Richard Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre unter der Leitung von Fritz Busch aus dem Jahre 1932 in die Überlegungen einzubeziehen.

Einigen Mitgliedern des Gremiums, das darüber zu befinden hatte, war er schon bekannt, den übrigen wurde er alsbald zugänglich gemacht.
Die Entscheidung war einhellig: Wir wollten dieses einzigartige Dokument zeigen – sofern mit der verfügbaren Kopie eine Wiedergabe in der Semperoper in einer Weise realisierbar wäre, die der von uns bisher nur in einem kleinen Raum beobachteten Wirkung gleichkäme. Um dies zu testen, musste eine entsprechende technische Probe angesetzt werden. Wir legten sie so, dass auch unser Chefdirigent Giuseppe Sinopoli anwesend sein konnte.

Natürlich wusste Sinopoli um den überragenden internationalen Rang Buschs als Dirigent und um seine Bedeutung für Oper und Kapelle in Dresden. Und selbstverständlich war er auch informiert über die Euphorie, mit der Busch einst hier empfangen worden war, und über die barbarischen Vorgänge im März 1933, die ihn vom Pult des Semperbaus und aus der Stadt vertrieben hatten.

Und so saßen wir an einem Märztag des Jahres 1998 im verdunkelten Zuschauerraum des Opernhauses, und ich beobachtete, wie Sinopoli – nach einer anstrengenden Vormittagsprobe – wohl interessiert, aber auch mit etwas Skepsis dem bevorstehenden Experiment entgegensah.
Es bedurfte allerdings nur weniger Takte, und er war ganz plötzlich nicht nur hellwach, sondern wie elektrisiert von den Tönen und Bildern, die ihm da entgegen kamen.
Er schien – je länger je mehr – überwältigt von der starken Autorität und suggestiven Ausstrahlungskraft Buschs, von der Vitalität und Sensibilität, mit der dieser Dirigent das Orchester anführte und inspirierte, und nicht minder von der totalen Hingabe, dem Musiziertemperament, der Disziplin und der reichen Klanglichkeit der Kapelle, die jetzt „seine Kapelle“ war.
Ich habe ihn niemals zuvor und danach so gebannt zuhörend und zusehend erlebt. Und obgleich er bestens vertraut war mit der außergewöhnlichen Dresdner Tradition von Schütz über Weber und Wagner bis zu Schuch und Strauss und obwohl er die Aufnahmen eines Böhm oder Kempe mit der Staatskapelle hoch schätzte, meinte ich wahrzunehmen, dass ihm in eben diesen Minuten beinahe schlagartig bewusst geworden ist, was für ein Erbe ihm tatsächlich anvertraut – und auch: welch unfassbare Schmach seinem großen Amtsvorgänger zugefügt worden war.

Nach der Vorführung sagte Sinopoli nur, sichtlich ergriffen, dass er im Festakt einige Worte über Fritz Busch sagen werde. Mich bat er bald darauf um mehr detaillierte Informationen, selbstverständlich vor allem zu Buschs Dresdner Zeit.

Es hatte sich seit langem so eingespielt, dass Sinopoli mir seine Briefe bzw. jegliche schriftlichen Äußerungen, die Dresden betrafen, mit der Bitte zu lesen gab, einen (möglicherweise etwas hilfreichen) Blick auf sein nicht immer ganz schriftgemäßes Deutsch zu werfen. Von seinem Busch-Vortrag jedoch hörte und sah ich nichts. Es war offensichtlich, dass er ihn als ein sehr persönliches Bekenntnis verstand, welches er nicht nur ganz eigenständig ausarbeiten, besser: sich abringen musste, sondern dass es auch kein Dresdner vorher zu Gesicht bekommen sollte.

Als Sinopoli schließlich im Festakt die Rede hielt, übertrug sich seine tiefe innere Bewegung auf das gesamte Auditorium. Diese eindringlichen, so von Herzen kommenden Worte wurden, gemeinsam mit dem Tannhäuser-Film, zum geistigen und emotionalen Zentrum der Jubiläumsfeier.

Die Sächsische Staatsoper hatte Fritz Busch zwar 1990 anlässlich seines 100. Geburtstages postum zu ihrem Ehrenmitglied ernannt und die Staatskapelle hatte ihm unter der Leitung von Herbert Blomstedt mit Werken von Reger und Brahms Gedenkkonzerte in Dresden und seiner Geburtsstadt Siegen gewidmet, aber wir fühlten: wirklich zurückgerufen worden, zurückgekehrt war er in dieser unvergeßlichen Stunde des 22. September 1998.

Es war Giuseppe Sinopoli leider nicht mehr vergönnt, sein Versprechen einzulösen und – wie er es formuliert hatte –, „den Faden dort wieder aufzunehmen, wo er abgeschnitten wurde“, nämlich bei der „Rigoletto“-Katastrophe des 7. März 1933.
Noch bevor er als designierter Generalmusikdirektor den geplanten Zyklus konzertanter Aufführungen von Opern Giuseppe Verdis in der Semperoper beginnen konnte, riss ihn der Tod am 20. April 2001 plötzlich aus seinem schaffensreichen Leben; in Berlin – während einer Vorstellung von Verdis „Aida“.

Eberhard Steindorf
langjähriger Konzertdramaturg der Sächsischen Staatskapelle
und persönlicher Referent Giuseppe Sinopolis

 

Konzertdramaturg Eberhard Steindorf erinnert sich

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  Im Rahmen der CD-Released-Feierlichkeiten in der Semperoper fand 2008 auch eine Busch-Ehrung in der Semperoper  statt.
Schwerpunkt dieser Veranstaltung war eine Diskussion zum Thema „Macht und Musik“.
Gäste waren Gerd Uecker, Intandant der Staatskapelle Dresden, Michael Ernst, Autor, Journalist und Maler, die Komponistin Isabel Mundry und Jürgen Schaarwächter vom „Brüder Busch Archiv“ in Karlsruhe.
Theo Geißer, Herausgeber der nmz, moderierte das Gespräch.