Fritz Busch und Dresden [3/15]
Auf der Suche
Die Dresdner Tage zählen zu den schönsten meines Lebens.
Ich bin noch dauernd in einer Seligkeit über den herrlichen Klang und all die wunderbaren Eigenschaften des Orchesters, die für mich die Tage zu einem Erlebnis werden ließen…
Es wird mir immer eine Ehre sein, wieder in Dresden zu musizieren.
Fritz Busch an Theo Bauer, 13. Dezember 1920

Die Staatskapelle Dresden mit Fritz Busch, 1926
© Foto aus dem Booklet – Max-Reger-Archiv – BrüderBuschArchiv
→ Auf der Suche nach einem Generalmusikdirektor
→ „Das ist der Rechte!“
→ Begeistert und glücklich
→ Schmeichelhafte wie mahnende Worte
→ „Vollblutmusiker von Jugendlichkeit überströmend“
Auf der Suche nach einem Generalmusikdirektor
Seit dem Tode Ernst von Schuchs im Jahre 1914 war die „Königliche musikalische Kapelle“ auf der Suche nach einem neuen Chefdirigenten.
Die Hoffnungen auf den jungen, durch das renommierte Dresdner Sänger-Ehepaar Friedrich und Eva Plaschke-von der Osten (dem Octavian der „Rosenkavalier“-Uraufführung) empfohlenen Kapellmeister Fritz Reiner aus Budapest erfüllten sich leider nicht; dessen große Zeit sollte erst später in Amerika anbrechen.
Da schlug Solocellist Georg Wille, eine anerkannte Koryphäe des Orchesters, im Sommer 1920 vor, doch Fritz Busch, von dem er aus Süddeutschland Gutes gehört habe, zu einem Konzert einzuladen (übrigens kannte diesen Dirigenten bis dahin außer einem Kapellgehilfen, der früher einmal Tanzmusik mit ihm gespielt hatte, keiner in Dresden).
So kam die erste Begegnung mit dem Orchester zustande, das inzwischen „Sächsische Staatskapelle“ hieß.
Als Fritz Busch am 10. Dezember 1920 das Podium in der Semperoper betrat, war er bereits ein gefragter Gastdirigent („…wenn ich Ende Dezember zu Ihnen kommen soll, müßte ich ein Konzert bei den Berliner Philharmonikern absagen…“) und galt zweifellos – gerade mal 30 Jahre alt – als „gestandener“ Mann in Oper und Konzert.
Am Dresdner Hauptbahnhof wurde ich trotz der sehr frühen Morgenstunde von sechs Herren des Kapellvorstandes mit gewisser Feierlichkeit begrüßt. Sie begleiteten mich ins Hotel zum Frühstück, wobei zwei Reden gehalten wurden. Die erste, an mich gerichtete, handelte von der Ehre, die mir widerfahren sollte, ein so hochberühmtes Orchester zu dirigieren, dessen Anfänge über vierhundert Jahre auf die Zeit Martin Luthers zurückgingen. In der zweiten erwiderte ich, dass ich mir alle Mühe geben würde, die Erwartungen einer so erlauchten Körperschaft nicht zu enttäuschen. Im Orchesterraum des herrlichen Opernhauses fand ich zu meiner Begrüßung die gesamte Staatskapelle, einhundertsiebenundzwanzig Musiker, versammelt. Die nicht beschäftigten Mitglieder setzten sich als Zuhörer ins Parkett, und ich begann mit der zweiten Sinfonie von Brahms.
Als ich nach anderthalbstündiger intensiver Arbeit den ersten Teil der schönen Probe schloß, folgte mir der Kapellvorstand in das Garderobenzimmer, um eine dritte Rede zu halten. Der Inhalt war, dass die Kapelle soeben einstimmig beschlossen habe, mir die Leitung ihrer sechs Sinfoniekonzerte für die Zukunft zu übertragen, falls ich ihr die Ehre antun würde, sie anzunehmen.
Trotz mancher Erfahrung mit den verschiedenen Orchestern konnte ich mich doch bei dieser Probe einer besonderen Freude und Spannung nicht erwehren.
Die Dresdner Kapelle genoß den unbestrittenen Ruhm, eines der ersten Orchester der Welt zu sein.
Schon der Reichtum der Besetzung erregte Erstaunen. Mich überraschte eine nie vorher empfundene Klangschönheit sowie eine hervorragende Bogentechnik der Streicher, wie ich sie in dieser Vollendung kaum mehr bei einem anderen Orchester gehört habe…
Wie ein Trunkener fuhr ich nach diesem ersten Dresdner Konzert nach Stuttgart zurück, den herrlichen Klang der Kapelle im Ohr…
Fritz Busch
Fritz Busch traf am 8. Dezember 1920 vormittags in Dresden zur ersten Probe ein. Uns allen war er fremd…
Was sich in dieser dreistündigen Probe abspielte war wunderbar…
In der 2. Sinfonie von Brahms… schienen wir in eine andere Welt versetzt.
Fritz Busch zwang uns dynamische Schattierungen auf, die uns gänzlich fremd und unbekannt waren…
In der Agogik und Gestaltung entwickelte er so starke suggestive Kräfte, dass wir seiner Stabführung willenlos folgen mussten.
Am Ende der Probe bestürmten die alten Musiker der Kapelle (…) den damaligen Kapellvorstand Theo Bauer, der die Verhandlungen mit Busch geführt hatte, mit den Worten: „Bauer, nun aber los! Das ist der Rechte!“
Arthur Tröber
in den Gedenkworten zum 70. Geburtstag Fritz Buschs , 1960

Fritz Busch mit Ehefrau Grete und Tochter Gisela vor der Staatsoper Dresden
Foto aus dem Booklet – Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv
Er kam so begeistert und glückselig zurück, wie ich ihn nie gesehen habe und bietet seitdem den seltenen Anblick eines Menschen, der sich, wie er sich selbst ausdrückt, am Ziele fühlt.
Grete Busch an Gustav Havemann, 14. Dezember 1920
Es war über alle Maßen schön und überhaupt der schönste Tag meines Lebens. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie die Leute gespielt haben und wie das Publikum (Generalprobe und Konzert ausverkauft) im Opernhaus mitging.
Ich will nicht renommieren, weiß aber, dass es Dir Freude macht, wenn ich Dir sage, dass alte Musiker mich auf dem Podium umarmt haben, dass sie geschrien und gerufen haben: Dableiben, wiederkommen usw.
Fritz Busch an Anna Schönbrunn, 13. Dezember 1920
(…) komme ich dazu, Ihnen verehrter Herr Bauer, und den übrigen Herren meinen herzlichsten Dank für den mich hocherfreuenden und ehrenden Antrag zur ständigen Leitung der Sinfoniekonzerte anzusprechen.
Nach Rücksprache mit der Leitung des hiesigen Landestheaters nehme ich die Berufung mit großer Freude an…
Zum Leiter Ihrer Konzerte berufen zu sein… erfüllt mich mit größter Genugtuung!
Ich hoffe, Ihr Vertrauen nicht zu enttäuschen, Ihnen der Führer und Freund zu werden, den Sie in mir erwarten.
Fritz Busch an Theo Bauer, 21. Dezember 1920
„Schmeichelhafte wie mahnende Worte“
Hochverehrter Herr Generalmusikdirektor!
Die gestrige erste Sitzung des Vorstandes der Musikalischen Kapelle, der ersten in diesem Jahre, stand im Zeichen der nunmehr abgeschlossenen Berufung des ersehnten Generalmusikdirektors.
Die herzliche Begrüßung, die Ihnen die Kapelle am Freitag gelegentlich des gemeinschaftlichen öffentlichen Konzertierens zu teil werden ließ, wird Ihnen mehr, als Worte es vermögen, deren freudige, gehobene Stimmung gezeigt haben.

Willkommens-Telegramm des Orchestervorstandes der Staatskapelle zum Amtsantritt von Fritz Busch am 10. August 1922
© Dokument: Historisches Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
Aber es drängt uns, Ihnen nachträglich noch kurz das zu sagen, was uns in diesem uns so wichtigen Augenblicke bewegt.
Unsere Gedanken schweifen zurück auf die Jahrhunderte ehrenhaftester, künstlerischer Vergangenheit der Kapelle und ihrer erlauchten Führer, von denen aus dem letzten Jahrhundert nur Karl Maria von Weber, Richard Wagner und Ernst von Schuch genannt seien.
Wenn Ihnen heute die Kapelle sagt, daß sie vom ersten Augenblicke des gemeinsamen Wirkens an in Ihnen den berufenen Nachfolger dieser Großmeister des Taktstockes erblickte, wenn sie daraufhin an zuständiger Stelle wiederholt den dringenden Wunsch äußerte, gerade Sie zu gewinnen zur Übernahme des verwaisten Erbes unsres unvergessenen Schuch, so darf sie hinzufügen, daß sie dabei der Verantwortung nicht nurd er Gegenwart, sondern auch eben der eigenen Vergangenheit gegenüber sich voll bewußt war.
Wir beglückwünschen uns aufrichtig zu der schönen Tatsache, Sie als den Unsrigen betrachten und in nicht allzuferner Zeit als ständig an unserer Spitze begrüßen zu dürfen und wünschen von Herzen, daß das gewiß nicht Geringe, was Ihnen als erstrebenswertes Ziel Ihrer Dresdner Wirksamkeit vorschweben wird, sich Ihnen restlos verwirklichen möge. So weit es in der Kraft der Kapelle liegt, wird sie mit vollem Vertrauen und rückhaltlos mit Ihnen gehen – den festen, guten Willen, dies zu tun, glaubt sie Ihnen bisher bewiesen zu haben.
Aber Sie wollen uns zugleich eine Bitte auszusprechen gestatten.
Die Kapelle ist (…) nicht ohne Sorge, daß ihre Selbständigkeit, als Kunstträger innerhalb der Dresdner Staatsoper ihr gewahrt bleibe – eine Selbständigkeit, auf die sie stolz sein darf, führte doch ihre Geltendmachung unmittelbar zu Ihrer Berufung – und ebenso nicht ohne trübe Gedanken bezüglich des eigenen künstlerischen Nachwuchses, der abhängig ist von einer entsprechenden Besoldung und einem hervorgehobenen dienstlichen Charakter der Kapellmitglieder.
Die Kapelle hat diesmal noch ihre Rechte erfolgreich zu vertreten vermocht und Sie zu ihrem Generalmusikdirektor erkoren – nun bittet Sie diesen ihren selbsterwählten Führer, ihr die Selbstständigkeit als Kunstkörperschaft und ihre künstlerische Überlegenheit sichern und ausbauen helfen zu wollen.
Wir richten an Sie diese Bitte in Erinnerung an die schmeichelhaften, aber auch mahnenden Worte, die Richard Wagner der Kapelle widmete zur dreihundertjährigen Jubelfeier ihres Bestehens und geben uns der frohen Hoffnung hin, daß die Kapelle nach 11/2 Jahren, am 22. September 1923, wenn sie auf das ehrwürdige Alter von 375 Jahren zurückblicken darf, künstlerisch in jeder Beziehung gefestigter als je dastehen möge und zwar auch zum Vorteile der Dresdner Staatsoper.
Die beiderseitigen Hoffnungen sind nicht gering, möchten sie alle in Erfüllung gehen! (…)
Der Vorstand der Musikalischen Kapelle 11. Januar 1922
„Vollblutmusiker von Jugendlichkeit überströmend“
Fritz Buschs Dresdner Debüt fand auch bei Publikum und Presse ein glänzendes Echo.
Der Musikwissenschaftler Richard Engländer, der später ebenfalls in die Emigration gezwungen wurde, sah Busch vor allem im Zeichen einer für das Orchester so wichtigen Kontinuität:
„…zwingend war doch der Eindruck einer Wahlverwandtschaft mit Schuch in der grundsätzlichen Einstellung zu Orchestersprache und Dirigentenaufgabe. Wer etwa konstatierte, dass solch zauberhaftes Orchesterpiano, solche Feinheit der Holzbläser seit langem nicht mehr gehört worden seien, traf nur äußerliche Einzelheiten.
Ein Vollblutmusiker stand da, von Jugendlichkeit überströmend, dem das Dirigieren Lebensbedürfnis schien wie Atmen und Sprechen, begabt mit allen Instinkten für das Handwerkliche einer jeden Instrumentengattung, zuvörderst aber für das Handwerkliche des Dirigierens selbst. Das schuf den eigentlichen Kontakt zur Kapelle.“
Die Staatskapelle bot Busch zunächst spontan die Leitung ihrer Sinfoniekonzerte an; er sagte zu.
1922 schließlich trat er (gegen ernsthafte Vorbehalte des Solistenpersonals) seine Position als Opern- und Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatstheater an, nachdem – eine seiner Bedingungen – in Dr. Alfred Reucker ein Intendant berufen worden war, der „über die nötige persönliche Autorität nach oben und unten verfügt, um gemeinsam mit dem musikalischen Oberleiter das künstlerische Ziel, und allein die wirtschaftlichen Fragen durchsetzen zu können“.
Was Busch in der Folgezeit leistete, mit welcher Intensität und Konsequenz, mit welchem künstlerischen Anspruch an Programmatik und optimaler Qualität er seine Aufgabe ausfüllte, ist heute kaum mehr vorstellbar. Er inspirierte und kontrollierte, forderte und förderte in einer Art und Weise, die das Dresdner Institut binnen kurzer Zeit – und es war eine ökonomisch äußerst kritische – wieder zu Weltgeltung brachte. Er erhielt der Kapelle ihre „Geschlossenheit, Virtuosität und klangliche Pracht“ und erreichte, wie der ansonsten eher Bescheidene mit einigem Stolz feststellte, „an Glanz und musikalischer Vollendung alles, was eine erste deutsche Opernbühne im Rahmen des bestehenden Systems zu leisten fähig“ war.
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Ein multimediales Musikantenporträt
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→ 7/15 Erste Tourneen
→ 8/15 Erste Grammophonaufnahmen 1923 „In den Trichter gespielt“
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→ 12/15 „Aus!“
→ 13/15 „Leider nur als Gast“
→ 14/15 Willkommen daheim: Sinopolis „Kniefall“
→ 15/15 CHRONIK Die Ära Busch publication: Die. 28. April
→ MULTIMEDIA-BOX „Fritz Busch“ Vol. 30