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Fritz Busch und Dresden  [10/15]

Rundfunkarbeit

 

 

Die Staatskapelle Dresden „europaweit auf Sendung“

Die brennende Frage 1931: Wie lassen sich die Konzertübertragungen auch aufzeichnen?

 

„Opernpremieren am Rundfunkempfänger miterleben“

Was bisher weniger bekannt gewesen ist, waren die Dresdner Aktivitäten Buschs für den Rundfunk.
Er selbst berichtete darüber ebenfalls Ende März 1933 an Arthur Tröber in der Hoffnung, dass dieser in seinem „Interesse und zur Aufklärung der Wahrheit tätig“ sein würde.
Es galt nämlich auch hier, die Vorwürfe seiner Gegner zu entkräften, es sei ihm wiederum in erster Linie um eigene finanzielle Vorteile gegangen.

Busch erwähnte Übertragungen aus der Semperoper, etwa der 8. Sinfonie von Mahler und der 4. Sinfonie von Bruckner (dies war Buschs letztes Dresdner Konzert am 17. Februar 1933) sowie aus dem Hellerauer Festspielhaus eine „Iphigenie“ von Gluck.

Es muss jedoch weit mehr als die hier von ihm genannten Projekte gegeben haben, da er, wie er schreibt, „sämtliche Radioübertragungen von Opern aus der Dresdner Staatsoper unentgeltlich dirigiert“ und sich für eine zusätzliche Honorierung der Musiker eingesetzt habe, die diesen aus beamtenrechtlichen Gründen nicht zugestanden worden sei.
Für die „Sinfonie der Tausend“ sei ihm ein Honorar von 400 M ausgezahlt worden, das er sich im übrigen mit einem Repetitor geteilt habe!

Grundsätzlich bedauerlich bleibt, dass bei all diesen Direktsendungen noch keine Aufzeichnungen möglich gewesen sind; welche Einblicke könnten sie uns heute in Fritz Buschs Opern- und Konzertarbeit erlauben! 

 

Der Versuchs-Mitschnitt einer „Original-Konzertausstrahlung“

Am 25. Februar 1931 gastierte die Sächsische Staatskapelle unter ihrem Chefdirigenten Fritz Busch in der Berliner Philharmonie in der Bernburger Strasse. Das Gastspiel ist ein Ereignis von überregionaler Bedeutung.
Die Berliner Lokalpresse berichtet ausführlich über das Ereignis. Die „Vossische Zeitung“ ruft in diesem Zusammenhang sogar zurückliegende Gastspiele des Orchesters unter Ernst von Schuch und Richard Strauss ins Gedächtnis zurück.
  Konzertbesprechungen

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Vorankündigung der Konzertübertragung aus Berlin in der Radio-Zeitschrift „Die Funkstunde“

Der Deutsche Rundfunk überträgt das Programm über seine Sender Berlin, Magdeburg und Königs Wusterhausen. Mit dieser Schaltung ist das Konzertereignis auch international empfangbar.
Wenngleich auch nicht das gesamte Konzert erhalten blieb, so liegt uns doch der Höhepunkt des Abends, die 2. Sinfonie von Johannes Brahms, als Tonkonserve vor. Mit den erhaltenen Rundfunkplatten besitzten wir die früheste Live-Aufnahme der Staatskapelle Dresden und gleichzeitig ein einmaliges künstlerisches Zeitzeugnis. (Die Aufnahme der Brahms-Sinfonie erschien komlett in der Edition Staatskapelle Dresden Vol. 30)
Die Art und Weise, in welcher Form dieses denkwürdige Konzert für die Ewigkeit festgehalten wurde, gibt jedoch bis heute Rätsel auf …

 

Zum Konzert der Staatskapelle Dresden mit Fritz Busch in der Berliner Philharmonie am 26. Februar 1931.
Das Konzert wurde live im Radio übertragen. Aufgenommen wurde mit drei Reisß-Mikrofonen (links und rechts vor dem Orchester stehend sowie in Saalmitte hängend)
Fotos: Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv

 

Schon frühzeitig hatten es sich die Verantwortlichen der Reichsrundfunkgesellschaft zur Aufgabe gemacht, besondere Veranstaltungen nicht nur europaweit zu übertragen, sondern den musikalischen Augenblick auch festzuhalten und für die Nachwelt zu konservieren.
So wurde zum Beispiel das sensationelle Berliner Gastspiel von Arturo Toscanini und den New Yorker Philharmonikern von 28. Mai 1930 in der Berliner Philharmonie nicht nur über die Funkantennen weltweit hörbar gemacht, sondern es gelang auch eine Aufzeichnung, die archiviert und katalogisiert wurde. Dieses sicherlich einmalige Tondokument der Rundfunkgeschichte gilt heute als verschollen. Von der einstigen Existenz kündet nur noch der entsprechende Eintrag im ersten Verzeichnis der „Schallaufnahmen der Reichsrundfunkgesellschaft“, RRG.

Anders verhält es sich bei dem neun Monate später stattfindenden Staatskapellen-Gastspiel:
Wenngleich auch nicht das gesamte Konzert erhalten blieb, so liegt uns doch der Höhepunkt des Abends, die 2. Sinfonie von Johannes Brahms, als Tonkonserve vor.

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Blanko“-Etikett mit dem handschriftlichen Matritzenvermerk „RRG 1230“ auf einer der ingesamt vier Platten der Brahms-Konzertaufzeichnung von 1931
Original: DRA Frankfurt

Fritz Busch · Staatskapelle Dresden
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2
daraus II. Adagio non troppo
Aufzeichnung der Live-Übertragung vom 26. Februar 1931

 

Die Art und Weise, in welcher Form dieses denkwürdige Konzert aufgezeichnet wurde, gibt uns einige Rätsel auf. Hinzu kommt ein weiteres Mysterium: Im ansonsten sehr akribisch geführten Aufnahmeverzeichnis der Reichsrundfunkgesellschaft wird diese Aufnahme – anders als der Toscanini-Mitschnitt – nicht aufgeführt. Eine offizielle Katalogisierung hat nie stattgefunden. Was war geschehen?

Der Rundfunk befindet sich 1931 noch in einer Experimentierphase: Die Zeichen der Zeit waren durchaus erkannt worden. Auf Dauer konnte der Rundfunk mit der ausschließlichen Sendung von Industrietonträgern nicht überleben. Der Plan, ein eigenes Schallarchiv mit Eigenproduktionen aufzubauen, wurde mit Hochdruck vorangetrieben. Schallplatten waren zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch die einzig mögliche Form der Tonkonserve. Die Produktion eigener kleiner Stücke von drei bis vier Minuten Spieldauer bildete auch kein großes Problem. Schwierig wurde es hingegen bei langen Werken wie Opern, Sinfonien oder auch Hörspielen. Sicherlich blieb es noch lange Jahre bei der Live-Übertragung entweder aus den Sendesälen des Rundfunks oder aus öffentlichen Konzerthäusern.
Im Hintergrund aber sollten fortan Apparaturen mitlaufen, die das Geschehen unmittelbar aufzeichnen konnten, um so auch spätere Wiederholungen zu ermöglichen.

Nur – wie hatten diese Maschinen zu funktionieren, um später auch eine naht- und bruchlose Wiedergabe zu ermöglichen?
Schellackplatten bzw. die hierfür notwendigen Aufnahmewachse mit 78er Tourenzahl erlaubten eine Aufnahmekapazität von maximal viereinhalb Minuten pro Seite.
Um eine unterbrechungsfreie Aufzeichnung zu gewährleisten, wurde schon relativ zeitig eine „Überlappungsstelle“ eingeführt. Das bedeutet nichts anderes als dass die letzten 30 Sekunden einer Plattenseite auf der nächsten Seite wiederholt wurden. Dies wurde erreicht, indem zwei Plattenschneidgeräte parallel zum Einsatz kamen. Die zweite Maschine wurde kurz vor Ablauf der ersten Maschine zugeschaltet, so dass beide Geräte nun für kurze Zeit gleichzeitig das Audiosignal aufzeichneten. Dieser Vorgang wurde so oft wiederholt, bis das komplette Werk mitgeschnitten war. Die Wiedergabe erfolgte analog über zwei Plattenspieler.

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in Rundfunktechniker der Mitteldeutschen Rundfunk AG „Mirag“ bei der Arbeit am Plattenwechsler

Die Kunst des Sendetechnikers bestand darin, innerhalb der Überlappungsstellen den jeweils günstigsten Zeitpunkt zum Umschalten von Maschine „A“ auf Maschine „B“ anzupeilen und auszuführen. Ein mühsames und vor allen Dingen mit vielen Risiken behaftetes Verfahren. Eine Übersteuerung, ein falscher Handgriff oder nur ein Fehler auf der erwärmten Wachsplatte genügte, um die ganze Aufnahme zu ruinieren. Anders als bei Industrietonträgern, die ohne diese Überlappungsstelle auf den Schallplatten arbeiteten, wäre es nämlich nicht möglich gewesen nur eine Plattenseite stillschweigend durch eine Neuaufnahme zu ersetzen. Der Musikfluss wäre durchbrochen gewesen, der musikalische Bogen verloren. Wollte man dies bei so bedeutenden Er- eignissen wie dem Auftritt der Sächsischen Staatskapelle riskieren? – Fieberhaft wurde nach Lösungen gesucht.

Für kurze Zeit glaubte man wohl, diese beim vermeintlichen Konkurrenten des Radios, beim Kino, gefunden zu haben. Die Zeitschrift „Film-Kurier“ vom 20. Juli 1928 berichtet über den Zusammenschluss der deutschen Tonfilm-Industrie zum „Ton-Bild-Syndikat“, kurz TOBIS.
An diesen Verhandlungen nahm neben hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft, Industrie und Kultur auch Ministerialrat Gieseke von der Reichsrundfunkgesellschaft teil. Inwieweit die RRG sogar anteilig mit der TOBIS verbandelt war, wäre einer genaueren Untersuchung wert.
In jedem Fall gab es offensichtlich Querverbindungen und damit wohl auch einen Zugriff auf die von der TOBIS verwalteten und vermarkteten unterschiedlichen Tonfilm-Aufnahmeverfahren.

Die Filmindustrie arbeitete in jenen Jahren mit zwei unterschiedlichen Kameraapparaturen, einer Bildkamera und einer Tonkamera. Letztere zeichnete lediglich das aus den Verstärkern gesendete Audiosignal auf einen separaten Filmstreifen auf. Erst später wurden dann Bild und Ton in einem Kopiervorgang synchron auf einem einzigen Filmstreifen zusammengeführt. Sollte dies die Lösung sein? – Die Kassetten mit Filmmaterial erlaubten immerhin eine ununterbrochene Aufnahmezeit von zehn Minuten – also mehr als das doppelte der herkömmlichen Schallplattentechnik. Was hätte dies aber in der Konsequenz bedeutet?
Sämtliche Sender hätten mit einer Abspielmaschine für Tonfilm ausgerüstet werden müssen. Diese aber unterlagen – wie die einschlägigen Filmzeitschriften in jenen Jahren nicht müde wurden zu berichten – einem hohen technischen und auch kostenmäßigen Aufwand. Die Lizenzen für die Benutzung der Tonfilmprojektoren waren enorm teuer, die Fronten in den Verhandlungen der Industrie verhärtet. Die Presse selbst sprach vom „Tonfilm-Krieg“. Viele Kinos waren nicht in der Lage, die Kosten für die Umstellung auf den Tonfilm aufzubringen. Die Filmproduzenten selbst mussten – wollten sie nicht enorme finanzielle Einbußen hinnehmen – eine Übergangslösung schaffen.
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Nadeltonprinzip. Für Kinos, die sich keine eigene Tonfilm- apparatur leisten konnten, wurde die Tonspur des Filmes auf spezielle Schallplatten geschnitten. Plattenspieler und Projektor waren miteinander gekoppelt, um eine synchrone Bild- und Tonwiedergabe zu erreichen.

Sie übertrugen den Ton des Films auf Schallplatten mit einem übergroßen Durchmesser von 40 Zentimetern.
Diese Platten liefen, um den kompletten Ton eines einzigen Filmaktes aufnehmen zu können, mit einer Abspielgeschwindigkeit von 33 Umdrehungen pro Minute.

 
An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu dem heute im Deutschen Rundfunkarchiv Wiesbaden aufbewahrten Mitschnitt der 2. Sinfonie von Johannes Brahms mit der Sächsischen Staatskapelle unter Fritz Busch vom 25. Februar 1931.
Das Werk verteilt sich auf vier Schallplatten mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern und 33er Drehzahl.
War das Konzert also auch durch Filmkameras festgehalten worden?

Das so genannte „Nadeltonsystem“ war eine äußerst kurzlebige Angelegenheit. Ein Fehler im Zusammenspiel zwischen Filmprojektor und Schallplattenspieler, eine durch Filmriss bedingte Verkürzung des Filmstreifens oder ein Fehler auf der Plattenoberfläche, all das hatte fatale Auswirkungen auf das Kinoerlebnis und teilweise unfreiwillige Lacheffekte zur Folge. Hinzu kam die unbefriedigende Klangqualität. Die 33er Abspielgeschwindigkeit erlaubte kaum dynamische Aussteuerung. Der Ton klang flach und stumpf und war wegen der geringen Lautstärke kaum zu verstehen.

All dies – so lässt sich vermuten – führte dazu, dass der Mitschnitt dieses Staatskapellen-Konzertes gar nicht erst in den Produktionskatalog der RRG aufgenommen wurde. Die ersten Pianissimo-Takte der Aufzeichnung sind aufgrund des durch die 33er Drehzahl stark erhöhten Rauschpegels kaum wahrnehmbar, bei einer Ausstrahlung wären sie wahrscheinlich gänzlich verschwunden. Erst mit heutiger Technologie konnten wir diesem Manko – wenn auch nicht vollständig, so doch teilweise – entgegenwirken. Ein Dokument bleibt diese Aufnahme allemal – als eines der weltweit frühesten Beispiele für die Life-Aufzeichnung eines Konzertereignisses überhaupt und für alle Musikliebhaber ein immer noch ergreifender und emotionaler musikalischer Augenblick, der als Echo aus einer anderen Zeit bis in unsere Gegenwart erhalten geblieben ist.

Jens-Uwe Völmecke

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Mit Dank für die konstruktive Zusammenarbeit
an das Historische Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
und das Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv

Alle Texte, Dokumente, Fotos und Videos aus:  CD/DVD-Box Edition Staatskapelle Dresden Vol. 30