Fritz Busch und Dresden [9/15]
1926: „Electrische Aufnahme!“
Ende 1925 finden die ersten Aufnahmen mit Mikrophontechnik statt. Das alte akustische Aufnahmeverfahren mittels Schalltrichter hat ausgedient und mit der neuen Technik befindet man sich zunächst noch auf Kriegsfuß.
Die Mikrophonaufnahmen der allerersten Generation sind teilweise von schlechterer Qualität als die letzten akustischen Aufnahmen. So führt die Deutsche Grammophon das neue Verfahren zunächst auch nur „klammheimlich“ ein, ohne dies – was sonst üblich wäre – in einer großen Werbekampagne auszuschlachten.
Ausgerechnet in diese „Noch-Experimentierphase“ fällt die zweite Aufnahmesitzung der Staatskapelle am 12. September 1926.
Erstmalig sollen zwei große Dresdner Premieren dem internationalen Publikum mittels Schallplatte zugänglich gemacht werden: Die deutsche Erstaufführung von Puccinis „Turandot“ und die Erstinszenierung von Verdis „Die Macht des Schicksals“.

Fitz Buschs Terminkalender mit dem Eintrag „Grammophon“ am 12. September 1926.
Auf dem Spielplan standen parallel dazu die Vorstellungen von Verdis „Macht des Schicksals“ am 7. September 1926 und Puccinis „Turandot“ am 13. September
© Dokument: Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv
Bei diesen Aufnahmen greift Busch, der allem Technischen aufgeschlossen gegenüber steht, wiederum selbst zum Taktstock, um Auszüge aus beiden Opern, diesmal mit der gesamten Kapelle und mit Solisten des Opernensembles einzuspielen. Wiederum muss eine mobile Aufnahmeappartur nach Dresden geschafft werden, um die Aufnahmen vor Ort zu produzieren. Ein für die Firma aufwendiges und kostspieliges Verfahren.
Üblich wäre gewesen, die beteiligten Gesangssolisten und den Dirigenten mit einem Bahnticket 2. Klasse in das Berliner Aufnahmestudio zu holen, um dort die fraglichen Titel mit einem Studioorchester – zumeist Mitglieder der Staatskapelle Berlin – einzuspielen.

Die Plattenetiketten der „DEUTSCHEN GRAMMOPHON GESELLSCHAFT“ für die Aufnahmen aus Verdis „Die Macht des Geschickes“, Puccinis „Turandot“ und die der „ODEON“ für Richard Strauss‘ „Die schöne Helana“ von 1926.
Collection Dr. Jens Uwe Völmecke
Dass die hier dokumentierten Aufnahmen tatsächlich in dieser Form stattgefunden haben, dürfte auf das Betreiben von Busch zurückzuführen sein. Es ist schwer vorzustellen, dass er für diese auch für ihn persönlich so bedeutsamen Premiereneinspielungen andere Musiker als die „seiner“ Kapelle akzeptiert hätte.
Deren klangliches Ergebnis ist jedoch ernüchternd. Die Aufnahmen klingen spitz und haben den Frequenzgang einer Telefonverbindung.
Es ist anzunehmen, dass sich Busch nach Abhören der Musterplatten von den Aufnahmen distanziert hat. Sein Name erscheint lediglich auf den veröffentlichten Orchesteraufnahmen und beim „Terzett der Minister“ aus Puccinis „Turandot“.
Bei den beiden von der Sopranistin Anne Roselle gesungenen Arien der Turandot wird sein Name auf dem Etikett nicht genannt, obwohl seine musikalische Leitung durch entsprechende Annoncen und Artikel in der „Phonographischen Zeitschrift“ verbürgt ist.
Auch in dieser Aufnahmesitzung tauchen jedoch Matritzennummern auf, deren Inhalt bis heute nicht geklärt werden konnte.
„Tragischerweise“ gelingt in Bezug auf die Aufnahmetechnik etwa drei Monate später der Durchbruch, und die Deutsche Grammophon setzt eine große Werbekampagne in Gang:
„Polyfar R“ heißt das neue Verfahren, das einen bis dahin nicht gekannten, warmen Raumklang vermittelt. Fortan verkünden auch alle zu diesem Ereignis neu gestalteten Plattenetiketten: „Elektrische Aufnahme!“ – Zu spät für die letzten Aufnahmen der Staatskapelle, die in diesem Fall nur wenige Wochen nach ihrer Entstehung technisch schon wieder überholt sind, und alsbald wieder aus den Katalogen verschwinden.
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Um wenigstens die Aufnahmen mit Anne Roselle weiter verkaufen zu können, nimmt die Sängerin im Jahr 1928 in Berlin und mit einem Berliner Studioorchester die beiden Arien ein weiteres Mal für die Deutsche Grammophon auf. Jene Einspielungen ersetzen im Firmenkatalog fortan sang- und klanglos die Ersteinspielungen unter Fritz Busch.
Nach diesen Erfahrungen betritt der Dirigent bis zum Zeitpunkt seiner Emigration nur noch ein einziges Mal ein Schallplattenstudio:
1928 produziert er für die Berliner „Odeon“ Auszüge aus der im selben Jahr von ihm in Dresden uraufgeführten „Ägyptischen Helena“. → WEITERE DETAILS UND AUDIO
Die nächsten Studioproduktionen mit Fritz Busch finden dann erst im Jahr 1934 in England statt. Zu diesem Zeitpunkt ist für ihn die Staatskapelle Dresden bereits ein abgeschlossenes Kapitel seiner Biographie.
Und die Schallplatten aus jener Epoche? – Diejenigen, die aus der ersten Sitzung im Jahre 1923 hervorgingen, wurden um 1928 endgültig aus den Verkaufskatalogen gestrichen, die der zweiten Sitzung verschwanden nur wenig später.
Wieviele Exemplare in dieser kurzen Zeitspanne und unter den komplizierten wirtschaftlichenVerhältnissen verkauft werden konnten, kann sich jeder ausrechnen. Mit dem Zweiten Weltkrieg begann ein intensives Recycling alter Schallplatten, um sich die notwendigen Rohstoffe für Neupressungen zu sichern, und was nicht geschreddert wurde, dass erledigten die Feuerstürme, die auf Deutschland niedergingen, teilweise so gründlich, dass von den zerbrechlichen Stücken in einigen Fällen weltweit nur ein einziges Exemplar überliefert und bekannt ist.
Fritz Busch • Ein multimediales Musikantenporträt
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→ INHALT DER MULTIMEDIA-BOX „Fritz Busch“ Vol. 30
Mit Dank für die konstruktive Zusammenarbeit
an das Historische Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
und das Max-Reger-Institut – BrüderBuschArchiv
Alle Texte, Dokumente, Fotos und Videos aus: CD/DVD-Box Edition Staatskapelle Dresden Vol. 30