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Fritz Busch und Dresden  [6/15]

„und wenn Sie nicht brav sind …“

 


Der Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Fritz Busch

 von Steffen Lieberwirth

 

Fritz Busch, den Vollblut-Musiker, laut zu loben, erübrigt sich.
Dieser prächtige Licht- und Schattenmensch war mir, mehr als ein Jahrzehnt lang, zwar ein rechter Sorgensohn,
aber sein frisches künstlerisches Draufgängertum, sein sonniges Wesen,
seine Anhänglichkeit haben mir doch manches Trübes wettgemacht.
Freilich mußte man ihn bis in sein Innerstes kennen und zu nehmen wissen.
Ein unbesonnener „Tell“, der sich durch manches tolle Wort mehr Feinde machte, als er ahnte und wollte. (…)

Alfred Reucker, Intendant a.D.

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Richard Strauss mit den Vorständen der Staatsoper Dresden anlässlich der Uraufführung der Oper „Intermezzo“ im November 1924.
(Erste Reihe v.l.n.r.:) Intendant Alfred Reucker, Richard Strauss, Generalmusikdirektor Fritz Busch
(dahinter) Regisseur Alois Mora und der Bühnenbildner und Direktor des Trachtenwesens, Leonhard Fanto.
Foto: Max Reger Institut – FritzBuschArchiv

 

Erstmals nach achtzig Jahren

In den Jahren zwischen 1921 und 1933 führten Richard Strauss und der Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatsoper Dresden, Fritz Busch, eine rege Korrespondenz.
Die bislang unveröffentlichten Briefe beider Künstler liegen seit 2011 – nachdem sie vor über 80 Jahren ihren Empfänger erreicht hatten – erstmals nebeneinander.
Es ist ein Konvolut von über 72 mir vorliegenden Briefen, Postkarten und Telegrammen.

Damit gibt uns die Korrespondenz nicht nur einen weiteren tiefen Einblick in die Werkstatt weltweit beachteter Dresdner Strauss-Aufführungen, sondern lässt uns auch an einem zutiefst künstlerisch-streitbaren wie menschlich hochemotionalen Dialog zweier genialer Künstler teilhaben.
Die zum Teil handschriftlichen, zum Teil maschine geschriebenen Briefe von Fritz Busch stammen aus dem Privatarchiv der Familie Strauss, diejenigen von Richard Strauss aus dem Nachlass der Familie Busch.
Die Strauss-Briefe sind archiviert im Max-Reger-Institut/Elsa-Reger Stiftung mit BrüderBuschArchiv.

Erstmals vorgestellt habe ich den Briefwechsel in einer Hörfunkdokumentation auf MDR FIGARO.
Gelesen wurden für diese Rundfunk-Wort-Produktion die Fritz Busch-Briefe von dem Dresdner Schauspieler Friedrich Wilhelm Junge und die Strauss-Briefe von dem Wiener Burgschauspieler Michael König.
In dieser Sendung sowie im Rahmen der Wissenschaftlichen Tagung zu Ehren des 150. Geburtstages von Richard Strauss 2014 in Dresden wurde erstmals eine Auswahl der beredetsten Briefe präsentiert.

 

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Lese- und Hörprobe

Eine anfänglich herzliche Beziehung zwischen Busch und Strauss kühlt im Schriftverkehr merklich ab und wird dann 1929 in einen öffentlich ausgetragenen Konflikt münden. Angeheizt wird diese erste Attacke noch durch ein künstlerisches Vorkommnis, über das Busch durch seinen künstlerischen Mitarbeiter Erich Engel informiert wird:
Danach liess Strauss in den Proben zu „Salome“ verschiedene sonderbare Äusserungen los, als der Sänger Fritz Vogelstrom etwas frei mit dem Rhythmus umging. So sagte er zu ihm: „Bitte, keinen Ausdruck, nur genau Noten und Rhythmus, wie es hier steht!“…
Bei einer darauf folgenden öffentlichen Diskussion um die künstlerische Zukunft Vogelstroms in der Dresdner Oper zieht Strauss ohne Rücksprache mit Busch seine öffentlich geäußerte Kritik zurück und lobt Vogelstrom zudem noch, was in der Folge schließlich zu einer massiven Verstimmung zwischen den drei Künstlern führten musste.
Erregt schreibt Fritz Busch am 17. September 1929 an Strauss:

17. September 1929
Lieber und verehrter Herr Doktor!
(…) Ich muß Ihnen aber auch offen gestehen, dass ich lange Zeit gebraucht habe, um über die Situation hinwegzukommen, die höchst bedauerlicherweise durch Ihren Brief an Vogelstrom für mich entstanden ist. Sie werden sich gewiss erinnern, dass Sie mir und meinen Mitarbeitern gegenüber sowohl in der Beurteilung Vogelstroms wie anderer älterer Mitglieder unseres Ensembles eine Kritik geübt haben, die an Deutlichkeit und Schärfe nichts zu wünschen übrig liess. Ich konnte Ihrer Ansicht damals nur beipflichten und durfte annehmen, dass Sie zu einer Auswirkung Ihres Urteils stehen würden. Umso mehr, als Ihnen ja bekannt ist, dass es noch schwieriger ist, alte und abgesungene Mitglieder loszuwerden, als gute neue zu bekommen. Ich glaube nicht, dass Sie einverstanden gewesen wären, wenn ich den Kaiser und den Bacchus mit Herrn Vogelstrom besetzt und in der geplanten Neueinstudierung der „Salome“ den Herodes ihm weiter belassen hätte. Unter diesen Umständen war es durchaus unnötig, Vogelstrom, der ein ausgesprochener Querulant ist, zu antworten, da Sie sich sagen mussten, dass er diesen Brief bestimmt nicht für ein Archiv „Dokumente berühmter Zeitgenossen“ verwenden, sondern ihn in jeder Beziehung in der Oeffentlichkeit benutzen würde. Zum mindesten hätte ich aber bei der Aufrichtigkeit einer Freundschaft, wie ich Sie Ihnen jedenfalls immer entgegengebracht habe – ganz abgesehen von der künstlerischen Wertschätzung – erwarten können, dass Sie mich vor Absendung dieses Briefes an Vogelstrom gefragt hätten, was eigentlich vorliege. Mit Hilfe der besonders kunstsinnigen Partei der Nationalsozialisten hat mir nun Vogelstrom eine sehr schwierige Situation bereitet, bei der Ihr Brief eine entscheidende Rolle spielte und es bedurfte meiner ganzen Autorität, um einen öffentlichen Skandal zu verhindern. Bevormundungen in künstlerischen Angelegenheiten kann ich mir selbstverständlich von keiner Seite gefallen lasen. (…)

 

Im Frühjahr 1931 arbeitet Strauss intensiv an „Arabella“ und widmet die Partitur dem Generalintendanten der Dresdner Staatstheater, Alfred Reucker, sowie Fritz Busch. Das ist die gute Nachricht!
Die schlechte Nachricht: Die Weltwirtschaftskrise erreicht ihren Höhepunkt und geht auch an Dresden und an seinem Opernhaus nicht spurlos vorrüber …

Dresden, 4. Juli  1931
Lieber Herr Doktor!
Seien Sie nicht böse, wenn ich  Ihnen so spät erst für Ihren mich so erfreuenden Brief und die beabsichtigte Widmung [für „Arabella“] danke. Die heutigen Verhältnisse zwingen uns mit einem abgestumpften Personal bis zum Ende der Spielzeit zu arbeiten. Nun haben wir zurzeit für neue Dekorationen und neue Ausstattungen überhaupt kein Geld zur Verfügung. Wir müssen uns auch bei neuen Einstudierungen und Neuinszenierungen mit der Verwendung des vorhandenen Materials behelfen. (…)

Garmisch, 23. September 1931
Lieber Freund! Gott sei Dank, dass Sie trotz der gräulichen „Kulturpest“, die jetzt auch noch über Deutschland hereingebrochen ist, noch guten Mutes und arbeitsfreudig sind. Auch mir ist der Schreibtisch der einzige Tröster, wenn ich sehen muß, wie die glorreiche deutsche Republik, langsam aber sicher auf das Niveau des Fußballspielenden und boxenden England herabsinkt. Nur immer hübsch weiter sparen, an Subventionen für unersetzliche einzige Kunstinstitute – und wenn vorübergehend der verpöbelte Deutsche nicht hineingeht – schließt man denn die Dresdner Galerie, wenn einmal ein Paar Jahre kein Besucher kommt? – und immer von Opernkrisen reden, die es gar nicht gibt – es gibt nur eine Publikumskrise! Und wenn nur ein Mensch mehr hineinginge, für diesen einen Menschen müsste eben der Tristan gespielt werden! Denn dieser Eine wäre eben der letzte überlebende „Deutsche“. Es lebe die Demokratie.
Bezüglich Idomeneo bin ich ganz Ihrer Ansicht: ohne schöne Neuausstattung hat er keinen Sinn. Aber kann man diese Neuausstattung nicht aus dem Budget der Arbeitslosenunterstützung herausschneiden oder durch höhere Luxussteuer für Fußball? Aus einem Theater, in das man nichts hineinsteckt, kann man auch nichts herausholen! Arabella III. Akt ist Rohskizze fertig: Partitur wird schon noch so 2 Jahre dauern! Wird wohl gerade bis zum 70.ten hinausgehen. Bitte, grüßen Sie Dr. Reucker, der mir im Sommer einen sehr freundlichen Brief geschrieben hat, ebenso die Freunde Fanto und Engel und seien Sie mit Ihrer lieben Frau schönstens gegrüßt von meiner Gattin und Ihrem stets aufrichtig ergebenen
Dr. Richard Strauss

 

Strauss berichtet nun ausführlich über die Fortschritte seiner „Arabella“, versucht aber gleichzeitig von Fritz Busch die Zustimmung zu einer Doppel-Uraufführung in Dresden und München (wegen doppelter Tantieme-Ausschüttung) zu erbitten.

Garmisch, den 2. Februar 1932
Lieber Freund!
Ich kann Ihnen die angenehme Mitteilung machen, dass die ersten 100 Seiten der Arabella-Partitur geschrieben sind und dass die Uraufführung im September 1933 vom Stapel gehen kann. Tietjens und Reinhardts Anerbieten, mit dem Ensemble der Berliner Staatsoper die Arabella im Sommer in Salzburg weltweit uraufzuführen, habe ich abgelehnt. Doch wäre ich Ihnen herzlichst dankbar, wenn Sie einwilligen würden, dass München mit Ihnen gleichzeitig Uraufführung machen darf! Sie sehen, ich mache es nicht wie Pfitzner, sondern erbitte ausdrücklich Ihre Zustimmung. Aber es wäre mir wirklich angenehm, wenn ich Knappertsbusch auch einmal einen Gefallen tun könnte. Er gibt sich immer die größte Mühe für mich, gibt fast jede Woche eine Oper von mir. München ist schließlich meine Vaterstadt und hat noch nie eine Uraufführung von mir gehabt! Sogar Stuttgart hatte die Ariadne und Wien die Frau ohne Schatten! Bitte sagen Sie ja: ich verspreche Ihnen, dass ich nur der Dresdner Uraufführung mit allen letzten Proben selbst beiwohnen werde. Ihre Premiere ist doch auf jeden Fall so ausverkauft, dass Sie um die paar Freibilletts an die Münchner Kritiker nur froh sein können. Alles Übrige kommt doch nach Dresden!
Ihr treu ergebener Richard Strauss

Dresden, 16. Februar 1932
Lieber und verehrter Herr Doktor!
(…) Was nun Ihren Wunsch einer eventuellen gleichzeitigen Uraufführung mit München anlangt, so fällt es mir schwer, darüber zu sprechen, vielleicht nicht so sehr der Sache selbst wegen, als viel mehr im Hinblick auf Ihre Motive für den Wunsch. Wenn es mir gestattet ist, ganz offen zu sprechen, so habe ich oft ein wenig das Gefühl, als ob Sie unsere Bemühungen um Ihre Werke nicht ganz voll einschätzten neben den Bemühungen von Wien und München. Nun sind keines anderen Meisters Werke in der Zeit meiner hiesigen Tätigkeit so oft immer wieder Neueinstudierungen unterzogen worden, wie die Ihren, und zwar je zweimal Salome, Frau ohne Schatten, Ariadne (eine dritte Neueinstudierung der Ariadne wird für April vorbereitet), je einmal Elektra, Feuersnot, Josefslegende, Intermezzo und Helena (die beiden letztgenannten Werke abgesehen von den Uraufführungen). Mit Ausnahme von Elektra, Frau ohne Schatten und Feuersnot standen alle diese Neueinstudierungen unter meiner Leitung. In welcher Weise die bisherigen Bestrebungen gekrönt werden sollen, ist Ihnen aus meinem im Vorjahre dargelegten Plan gewiss noch in Erinnerung. Kann München oder Wien wirklich eine ähnliche zielbewusste Pflege Ihres Werkes aufweisen? Und was die Strauss-Aufführungen in dieser über alles schwierigen Spielzeit anlangt, so konnten wir feststellen, dass bis Ende Januar München 8 Strauss-Abend hatte (seit 22. 12. gar keinen, Dresden 9 – es wären 11 gewesen ohne zwei Absagen -. (…)
Ich würde mich sehr freuen, bald wieder Gutes von Ihnen und „Arabella“ zu hören und grüße Sie, auch im Namen von Reucker, Fanto und Engel auf das Allerherzlichste als Ihr Fritz Busch

Garmisch, den 8. März 1932
Lieber Freund!
Besten Dank für Ihren Brief vom 16. 2. Nachdem ich ihm meine Anwesenheit für die Münchner „Uraufführung“ nicht zusagen konnte, hat sich Knappertsbusch inzwischen schon ziemlich beruhigt. Ihr Wunsch, Arabella bei Ihren Festspielen 1933 herauszubringen, wird sich wohl ermöglichen lassen.
Ihr freundschaftlichst ergebener Richard Strauss

 

Die wirtschaftliche Situation in Deutschland wird immer dramatischer. Strauss nimmt Abstand von seiner Arbeit an „Arabella“ und verfolgt stattdessen Pläne zu einer neuen Oper. Und das nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, über den Direktor des Trachtenwesens der Dresdner Staatsoper, Leonhard Fanto, Buschs Neugier auch für „Die schweigsame Frau“ nach dem Libretto von Stefan Zweig zu wecken …

Garmisch, den 10. Mai 1932
Lieber Freund!
Fanto wird Ihnen wohl inzwischen die bittere Pille zu schlucken gegeben haben, die nach der herrlichen Ariadne und in der heiteren Premierenstimmung selbst Ihnen zu verabreichen ich nicht übers Herz brachte! Glauben Sie mir: auch mir ist der Entschluß nicht leicht gefallen, vorläufig auf eine Aufführung der Arabella zu verzichten!
Aber erstens bin ich der Arbeit selbst etwas müde geworden und möchte sie durch ein neues Werk unterbrechen, solange vor dem „Siebzigsten“ die Erfindung noch einigermaßen funktioniert, zweitens sind die Verhältnisse (weder der Verleger, noch die Theater, noch das Publikum haben etwas Geld) jetzt so misslich geworden, dass es, glaube ich, töricht wäre, jetzt ein großes Werk ins Ungewisse hinauszuschleudern. Ich kann es mir ersparen, Ihnen alle Gründe ausführlich darzulegen, da Freund Fanto es freundlichst übernommen hat, es mündlich zu tun. Für heute nur so viel, dass Verleger Fürstner aufgeatmet hat, als ich ihm meinen festen Entschluß mitteilte, und dass auch Tietjen demselben aus vollster Überzeugung und nach genauer Erwägung der Sachlage zustimmte.
Selbstverständlich bleibt die Widmung für Sie und und Reucker unverändert und sobald halbwegs die Möglichkeit besteht, die Arabella herauszubringen und nicht zu verschleudern, kommt sie natürlich in Dresden! (…)
Nun seien Sie bitte nicht böse auf mich und trösten Sie auch Reucker darüber, dass ich ihm diesen Strich durch seine Festspiele machen muß – der Not (verordnung) gehorchend, nicht dem eignen Triebe.
Wenn Sie als bescheidenen Ersatz für die Festspiele mich selbst gebrauchen können, stehe ich mit meinem Taktstock immer zu ihrer Verfügung.
Mit herzlichen Grüßen, auch an die verehrte Gattin, Ihr stets aufrichtig und freundschaftlich ergebener Dr. Richard Strauss Busch will zunächst die zugesagte „Arabella“ uraufführen. So ignoriert er den Köder der neuen Strauss-Oper. Strategisch klug bedacht argumentiert er mit der Stellung der Dresdner Bühne als Strauss-Opern-Heimstätte.

Dresden, 27. Juni 1932
Lieber, hochverehrter Herr Doktor!
(…) In meinem Inneren aber habe ich trotz allem die Hoffnung, dass „Arabella“ nicht aufgegeben, sondern nur vorübergehend aufgeschoben ist. Ich hoffe auf eine unerwartete Wendung der Dinge, werde sie aber, Ihrem Willen entsprechend, weder mit Fragen noch mit Wünschen bedrängen. Lassen Sie mich bitte heute nur noch zu Ihren Bemerkungen im Brief an Fanto über die Aufführungen Ihrer Werke bei uns einiges sagen.
Ich glaube immer, dass die bewusste Pflege, die ich ihren Werken hier angedeihen lasse, doch vielleicht nicht ganz gerecht beurteilen. Ich halte es nicht für das Richtige, ununterbrochen alle ihre Werke alljährlich mit je ganz wenigen Aufführungen im Repertoire zu haben. Ich glaube viel mehr, Ihren Werken und deren Aufführungsniveau besser zu dienen, wenn ich neben den ständigen Repertoirewerken wie „Rosenkavalier“ und „Salome“ alljährlich zwei Werke, die in der letzten Spielzeit nicht gegeben wurden, neu einstudiere und dadurch immer wieder von neuem die Aufmerksamkeit und das Interesse von Publikum und Presse besonders auf jene Werke lenke, die noch nicht in dem Maße Allgemeingut geworden sind wie der „Rosenkavalier“.
Seitdem ich hier bin, sind alle Ihre Werke ein- zwei- und dreimal neu einstudiert worden, in der jetzigen Spielzeit „Helena“ und „Ariadne“, beide mit viel größerem Publikumserfolg als je vorher, – für nächste Spielzeit plane ich die Wiederaufnahme der „Frau ohne Schatten“ und „Elektra“ (in Hellerau) eventuell auch von „Intermezzo“.
Was schließlich die Anzahl der Strauss-Aufführungen anlangt, so stehen wir in dieser Spielzeit weiter als Berlin und ungefähr auf derselben Stufe wie Wien und München, obwohl wir ein bedeutend geringeres Besucher-Reservoir haben als die drei genannten Städte. Ich bitte Sie, die Dinge auch einmal von diesen Gesichtspunkten zu betrachten und mich dann Ihre Meinung wissen zu lassen. Für heute schließe ich. Ich hoffe, dass Sie diese Zeilen bei bester Gesundheit antreffen und begrüße Sie herzlich als
Ihr ergebener Fritz Busch.

Hotel Verenahof, Baden Schweiz, 5. Juli 1932
Lieber Freund!
(…) Was Sie über die Pflege meiner Werke in Dresden schreiben, hat mich sehr interessiert und Sie werden auch wohl Recht haben in der Beurteilung Ihres Publikums. Mir fiel nur auf, wie oft meine verschiedenen Opern bei Ihnen neu einstudiert werden und dann bald wieder ganz liegen bleiben. Ich bin der wahrscheinlich altmodischen und nicht mehr zeitgemäßen Meinung, dass eine so prachtvolle Neueinstudierung wie unlängst Ariadne, nachdem sie im ersten Jahre mindestens durch alle Abonnenten gelaufen ist, die nächsten 2 – 3 Jahre eventuell ständig im Repertoire verbleiben könnte mit 3 bis 4 Aufführungen? Oder geht das nicht? Oder geht es nur nicht mit meinen Werken?
Jedenfalls danke ich Ihnen im Voraus für Ihre Pläne zum nächsten Jahre, freue mich besonders, wenn Sie zum ersten Mal selbst die Frau ohne Schatten (Sie werden gerade an diesem Orchester wirkliche Musikantenfreude haben) dirigieren werden. (…)
Ihr stets aufrichtig ergebener Dr. Richard Strauss

 

Fritz Busch will Strauss um jeden Preis zur Weiterarbeit an „Arabella“ bewegen und schmeichelt dem Maestro.
Hochspannend ist dieser noch nichtsahnende Blick Buschs auf Richard Strauss kurz vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten.
Strauss antwortet auf seine ihm ganz eigene Weise:

Dresden, 5. September 1932
Verehrter, lieber Herr Doktor!
(…) Sie sind in der Tat einer der ganz wenigen Menschen, die fast nur als überlegene Zuschauer auf das ganze politische Chaos herabblicken können, dass ansonsten in fast Aller Existenz rücksichtslos eingreift. Gleichviel welche noch so extreme politische Richtung morgen oder übermorgen regieren wird, Ihre Person und Ihr Schaffen sind außerhalb jeder politischen Diskussion. Sie stehen über allen real- und kunstpolitischen Parteikämpfen heute wie seit Dezennien, als der Einzige in der ganzen Welt repräsentative deutsche Meister dar. Dessen sind sich auch die Musik- und Opernfreunde aller Richtungen voll bewusst. (…)
Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr verehrungsvoll ergebener Fritz Busch

Garmisch, 15. September 1932
Lieber Freund!
(…) Im Vertrauen: über Arabella ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: ich denke Ihnen so Ende November (bis dahin kann man auch so ziemlich überblicken, wie sich im nächsten Winter die Opernverhältnisse entwickeln und ob die Theater noch mehr als bisher nur tantièmefreie Opern aufführen werden) definitiven Bescheid zu geben. (…)

Garmisch, 18. November 1932
Lieber Freund!
(…) Ich habe noch keinen Verleger – möchte meinen guten Fürstner, der mir einen Beteiligungsvertrag anbietet, nur umgehen, wenn sich ein leistungsfähiger Verlag mit etwas Bargeld findet.
Ist derselbe nicht vorhanden, bleibe ich natürlich bei Fürstner. (…)
Mit schönsten Grüßen Ihr stets aufrichtig ergebener
Dr. Richard Strauss Beste Grüße an Dr. Reucker, Fanto und Engel Rom,

29. Dezember 1932
Lieber Freund!
(…) Bitte schreiben Sie mir nach Neapel / Hotel Excelsior ein Wort, wie Ihnen Arabella gefällt. Ob sie nicht zu fein und subtil ist, um in diesen chaotischen Zeiten einem Operettenpublikum präsentiert zu werden oder ob man nicht noch ein paar Jahre damit zu-warten soll. Wenn eine Oper einmal durchgefallen ist, erholt sie sich davon lange nicht! Treulichst Ihr
Dr. Richard Strauss Dresden,

5. Januar 1933
Lieber und hochverehrter Herr Doktor.
(…) Wie sehr ich mich freue und wie herzlich dankbar ich ihnen bin, dass Sie mich mit der Widmung bedacht haben, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich bin stolz darauf und hoffe, Sie sind ohne dass ich viel Worte über diese Dinge verliere, ebenso überzeugt von meiner Liebe zu Ihrem Schaffen und der aufrichtigen Freundschaft und Hochschätzung zu Ihrer Person. Möge Ihnen das neue Jahr viel Freude bringen.“

 

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Fritz Busch mit Richard Strauss vor der Dresdner Staatsoper. Fotografie laut handschriftlicher Datumsangabe von 1924

 

1933 …

Möge Ihnen das neue Jahr (1933) viel Freude bringen”, mit diesem Wunsch hatte Busch seinen Brief an Strauss in Vorfreude auf die Arabella-Uraufführung geschlossen.
Zwei Monate später wird er ein bitteres „Aus“ in seinen Kalender eintragen. Wegen einer „undeutschen Personal- und Spielplanpolitik“ funktionieren die neuen Machthaber die „Rigoletto“-Vorstellung am 7. März des Jahres 1933 als Pöbelattacke gegen den Dirigenten um.  Weitere Details
Busch wird an diesem Abend still seinen Taktstock hinlegen und sein Dresdner Opernhaus für immer verlassen.
Und auch der Korrespendenzfaden zwischen beiden Künstlern reißt nun jäh ab …

 

Dissonanter Schlussakkord

Sein Versprechen, einer Uraufführung der Busch und Reucker zugeeigneten Oper «Arabella» in Dresden nur zuzustimmen, wenn beide Widmungsträger beteiligt würden, löst Strauss nicht ein. „Arabella“ wird am 1. Juli 1933 in Dresden uraufgeführt. Am Dirigentenpult steht nun Clemens Krauss.
Die Widmungszeile der Oper an Fritz Busch und den ebenfalls seines Amtes enthobenen Intendanten Alfred Reucker aber ist bis heute mit dem Dresdner Aufführungsmaterial erhalten geblieben.

 

1949-Telegramm-Busch-Strauss-for-web

 

Nachklang

Nach sechzehn Jahren des Schweigens gratuliert Fritz Busch telegrafisch dem Komponisten des „Rosenkavalier“ anlässlich seines 85. Geburtstages.
Die Worte, die Busch aus diesem Anlass findet, klingen versöhnlich.
Das daraufhin folgende Dankschreiben von Richard Strauss sagt viel aus zu jener politischen Naivität des doch so genialen Künstlers:

Garmisch, 1. Juli 1949
Lieber Fritz Busch!
Ihr und Ihrer Gattin warmherziges Telegramm hat mir wirklich Freude bereitet. Ersehe ich doch auch aus ihm, dass ein durch böswillige Intrigue und gemeine Verläumdung geschaffenes Missverständnis endlich eine schon vom braven Fanto vergeblich versuchte Aufklärung gefunden hat oder was noch schöner wäre, Sie selbst vielleicht angesichts des Rosencavalier-Terzetts wieder in Ihr eigenes Herz zurückgefunden und eingesehen haben, welch bitteres Unrecht – allerdings in böser Zeit – Sie mir zugefügt hatten, als Sie je an meiner redlichen Hilfsbereitschaft und aufrichtigen Freundschaft gezweifelt haben. Jedenfalls danke ich Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Glückwünsche, hoffe, dass es Ihnen weiterhin „drüben“ besser geht als uns armen Teufeln in unserm mutwillig zerstörten Vaterland und bin mit schönsten Grüßen auch an die liebe Gattin
Ihr stets aufrichtig ergebener Dr. Richard Strauss

 

Die Textauszüge basieren auszugsweise auf dem Referat „und wenn Sie nicht brav sind“ von Dr. Steffen Lieberwirth, gehalten auf der wissenschaftlichen Tagung „Richard Strauss und die Sächsische Staatskapelle Dresden“am 11. November 2014.
Im Tagungsbericht wird der vollständige Wortlaut abgedruckt sein.

 

Flyer_Strauss_Tagung_Web-1Die wissenschaftliche Tagung

„Richard Strauss und die Sächsische Staatskapelle Dresden“
veranstaltet vom Lehrstuhl für Musikwissenschaft der Technischen Universität Dresden in Zusammenarbeit mit der Staatskapelle Dresden
Die Tagung fand vom 9.-11. November 2014 in der Kapelle des Taschenbergpalais Dresden statt.

Dank

Für die freundliche Bereitstellung der Briefe danken wir dem Archiv der Familie Strauss, dem Richard Strauss Institut Garmisch-Partenkirchen, sowie dem Brüder-Busch-Archiv beim Max Reger Institut Karlsruhe.
Prof. Dr. Susanne Popp
Dr. Jürgen Schaarwächter

Lehrstuhl für Musikwissenschaft der TU Dresden
Prof. Dr. Hans-Günter Ottenberg
Dr. Ortrun Landmann

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Fritz Busch • Ein multimediales Musikantenporträt

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