„Echtester und prächtigster Strauss!“

Das Gewandhausorchester mit Richard Strauss anlässlich der „Richard-Strauss-Woche“ 1926 vor dem Leipziger Neuen Theater.
Das Foto wurde in der Pause zur „Intermezzo“-Probe am Geburtstag von Richard Strauss, dem 11. Juni 1926, aufgenommen.
© Foto aus dem Booklet – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Richard Strauss: Festliches Präludium op. 61 (für großes Orchester und Orgel)
Im Oktober 1887 erlebt das Gewandhauspublikum erstmals einen jungen Dirigenten, der mit seinen dreiundzwanzig Jahren schon hoch gelobt worden war von der Münchner, Berliner und Dresdner Musikkritik. Sein Name: Richard Strauss.
Nun können sich auch die Leipziger ein Bild von dessen „zucunftsweisender“ Tonsprache machen. Auf dem Programmzettel steht seine zweite Sinfonie f-Moll op. 12 aus dem Jahr 1883. Aber noch können die Leipziger mit deren Klangwelt nicht viel anfangen und es wird wieder still um den jungen Tonsetzer, von dem man allenfalls etwas über seine Amtszeit als Großherzoglicher Kapellmeister des Weimarer Hoftheaters hört, denn er setzt sich in der Klassikerstadt für das Werk Richard Wagners ein und führt „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Tristan und Isolde“ auf, dirigiert 1893 die Uraufführung von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und sorgt mit seinen Tondichtungen „Macbeth“, „Don Juan“, „Tod und Verklärung“, „Till Eulenspiegels lustige Streiche“, „Also sprach Zarathustra“ und „Don Quixote“ für weltweites Aufsehen. „Depeschen“ aus Weimar übertreffen sich in Euphorie oder hasserfüllter Ablehnung.
Keine Frage, dass auch Arthur Nikisch – schon in seinen Jahren als Erster Kapellmeister des Leipziger Stadttheaters und nun erst recht als Gewandhauskapellmeister – das „Für und Wider“ des komponierenden Dirigenten beobachtet und dessen „Don Juan“ für ein Oktoberkonzert des Jahres 1898 auf den Spielplan setzt. In der Presse gibt es dafür viel Lob, denn „vor Nikisch wäre eine derartige bis ins kleinste Detail hinein vollendete Reproduction der Strauss’schen symphonischen Tondichtungen einfach unmöglich gewesen…“ („Musikalisches Wochenblatt“, 27. Oktober 1898). Zugleich wird auch die Gewandhausdirektion ermutigt, „in nicht zu langen Zwischenräumen auch seine übrigen Schöpfungen dieser Art vorzuführen“.
Jedes Jahr steht nun der Name Richard Strauss auf dem Programm, nicht selten dreimal in einer Spielzeit. Oft liegen nur wenige Monate zwischen der Uraufführung und dem erstmaligen Vortrag im Gewandhaus.
Ähnlich sieht die Planung im Leipziger Opernhaus aus. Auch hier bemüht sich die Direktion um die Aufführung der Strauss-Opern, mehrfach bereits im Folgejahr der Dresdner Uraufführung, so die Leipziger Erstaufführungen der „Salome“, der „Elektra“ und des „Rosenkavalier“.
Aber wieder zurück zum Gewandhaus: Schon knapp drei Monate nach ihrer Wiener Uraufführung eröffnet Nikisch das erste Gewandhauskonzert des Jahres 1914 mit der „Festlichen Ouvertüre“, gefolgt von Arnold Schönbergs „Kammersinfonie“ op. 9. Spannend geht der Abend auch weiter: mit Eugen d’Albert als Pianist seines eigenes E-Dur-Klavierkonzertes sowie des Es-Dur-Klavierkonzertes von Franz Liszt. Neugierig erwarten die Leipziger am nächsten Tag die Meinung der Zeitungskritik. Doch die geht wider Erwarten nicht etwa gleich auf die pompöse Strauss-Erstaufführung ein, sondern zieht wortgewaltig über den „bis zum Fanatismus neuartigen“ Arnold Schönberg und seine „Ästhetik des Hässlichen“ her. Dessen Kammersinfonie op. 9, „eine Musikhölle des Grauens und Spuks“, würde „der klassisch Gebildete“ als „qualvoll miterlebte Schreck- Spott- und Mißgeburt ablehnen“, so die „Leipziger Neuesten Nachrichten“. Und erst viel später lesen wir, „von Schönberg zu Richard Strauss’ ‚Festlichem Präludium’“ sei es „ein artiger Sprung selbst innerhalb der Moderne“.
Und tatsächlich ist das Gewandhauspublikum begeistert von dem klanggewaltigen Werk, das den Hörer beim „Urwesen aller Musik, dem sinnlichen Klang, gewaltig packt“. Es feiert einen „echtesten und prächtigsten Strauss!“

Richard Strauss und der Erste Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Edgar Wollgandt, in Leipzig, 1926
© Foto aus dem Booklet – Gewandhausarchiv
Da verwundert es nicht, wenn die Leipziger schließlich 1920/21 regelrechte Strauss-Festpiele erwarten können. Dafür konzipiert Nikisch nach dem Vorbild des vorjährigen vielbeachteten Bruckner-Zyklus nun für acht Konzerte einen „Richard-Strauss-Zyklus“, der eine „Wiedergabe der sämtlichen sinfonischen Dichtungen“ umfassen wird, so die „Zeitschrift für Musik“ – eine Ehre, die bis dahin nur verstorbenen Komponisten im Gewandhaus zuteil geworden war.
Nun gibt es in der Gewandhausgeschichte noch das große Thema der Uraufführungen. Auch wenn bekanntermaßen die Dresdner Oper mit ihrer Kapelle eine der von Richard Strauss bevorzugten Uraufführungsstätten war, darf sich das Gewandhausorchester zurecht rühmen, ebenfalls ein Strauss-Werk aus der Taufe gehoben zu haben. Zu danken ist das dem Gewandhauskapellmeister Bruno Walter *), der mit seiner Konzertplanung sowohl die Wünsche wie den Geschmack des geschäftstüchtigen Richard Strauss genau getroffen haben muss:
Im Eröffnungskonzert der Spielzeit 1932/33 wird am 20. Oktober vom Gewandhausorchester dessen Orchestersuite nach dem Ballett mit dem bezeichnenden Beinamen „Schlagobers“ op. 70 uraufgeführt. Und obendrein singt noch Lotte Lehmann drei seiner Orchesterlieder, die spitzengagenverwöhnte Lieblingssängerin des Meisters.
*) Keine 5 Monate später wird Bruno Walter vor dem Anrechtskonzert am 16. März 1933 als Jude im Namen des Sächsischen Innenministeriums vom Leipziger Polizeipräsidenten aus seinem Amt als Gewandhauskapellmeister vertrieben.
Und dann zwei Jahre später: das Konzert am 26. April 1934. Der fast Siebzigjährige dirigiert ausschließlich eigene Werke: seine „Couperin-Tanzsuite“ und „Eine Alpensinfonie“. Fast unbeweglich steht Strauss vor dem Gewandhausorchester. Aber mittels seiner suggestiven Kraft scheint er jeden Musiker im Blick zu behalten, sie magisch mit seinen wasserblauen Augen anziehend. So sehr, dass die „Zeitschrift für Musik“ treffend beschreibt: „… seine besondere Kunst, mit einer geradezu unheimlich sparsamen Zeichengebung alle Ausdrucksmöglichkeiten des Orchesterspiels zu erschöpfen, feierte ihre Triumphe …“
Dr. Steffen Lieberwirth
© Text aus dem Booklet