„Vulkanisches Temperament“

Auch in Leipzig existierte ein dem Dresdner d´Albert-Freundeskreis vergleichbarer Künstlerzirkel und auch hier treffen wir wieder auf d´Albert, wie es das Foto beweist. Es ist der Freundeskreis um den Gewandhaus-Cellisten Julius Klengel und den Bildhauer Max Klinger.
© Foto aus dem Booklet – Nachlass Klengel, Dr. Wolfgang Orf
Eugene d’Albert: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur, op. 20
Eugen d’Albert ist so etwas wie ein „Superstar“ in der Gewandhausgeschichte des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In über vier Jahrzehnten wird er geradezu heimisch im Gewandhaus. Und das als Komponist ebenso wie als Pianist und Dirigent eigener Werke.
Man liebt sein „vulkanisches Temperament als geistiger und musikalischer Gestalter“, so der Musikschriftsteller Walter Riemann in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“.
Die ihm entgegengebrachte Verehrung erreicht einen Höhepunkt mit dem Konzert am 31. Januar 1895, als d’Albert anlässlich des letzten Besuches von Johannes Brahms dessen beide Klavierkonzerte (unter der Leitung des Komponisten) spielt. Und das, obwohl sich d’Albert zu den Neudeutschen um Wagner und Liszt hingezogen fühlt und sein Engagement auch offen demonstriert!
Seine Auftrittsliste als Pianist in Leipzigs Konzertinstituten ist lang. Sie beginnt nicht etwa im Gewandhaus. Sie beginnt für ihn, den Liszt-Schüler, im rivalisierenden Liszt-Verein, einem „Schutz- und Trutzbündnis gegen die konservative Starrheit und die beleidigend ablehnende Haltung, die das Gewandhaus und sein Kapellmeister Carl Reinecke aller neuen, insbesondere jeder aus der Gefolgschaft Liszts stammenden Musik entgegenstemmte“, wie der Musikschriftsteller Ferdinand Pfohl die „konservativste Gewandhausära“ beschrieb.
Wollte das Gewandhaus mit seinem Publikum nicht überaltern und sein künstlerisches Ansehen einbüßen, musste schleunigst gehandelt werden. Mit Arthur Nikisch wird 1895 dann auch ein Dirigent engagiert, der offen ist für die Musik der neuen Zeit. Wie d’Albert war auch er regelmäßig im Liszt-Verein aufgetreten und kennt genau die Musik der so genannten Neutöner, von denen auch d’Albert einer ist …

Eugen d’Albert und Johannes Brahms zu Gast bei dem Ehepaar Julius und Helene Klengel. Das Foto entstand am Vorabend zum 15. Gewandhauskonzert, in dem d’Albert der Solist der beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms unter der Leitung des Komponisten war. Glasplattenfotografie, aufgenommen von Bildhauer Arthur Trebst am 30. Januar 1895 im Haus der Familie Klengel, Leipzig, Kaiser-Wilhelmstraße 9.
© Foto aus dem Booklet – Nachlass Klengel, Dr. Wolfgang Orf
Viele der Werke d’Alberts erleben nun im Gewandhaus ihre Ur- oder Erstaufführung, wie 1902 sein Violoncellokonzert.
Eugen d’Albert hat es nicht weit nach Leipzig. Er besitzt seit 1891 in Coswig bei Dresden eine stattliche Villa, benannt nach seiner zweiten Ehefrau, der aus Venezuela stammenden Pianistin Teresa Carreño.
Das Haus ist wegen des an der Eisenbahnstrecke Dresden-Leipzig gelegenen Coswiger Bahnhofs ideal für das reisende Künstlerehepaar. Was auch für die häufigen Besuche des Künstlerfreundeskreises der Familie gelten darf; Johannes Brahms, Richard Strauss, Carl Bechstein, Edvard Grieg, die großen Dresdner Opernsänger und der Dresdner Generalmusikdirektor der Königlichen Hofoper, Ernst von Schuch sind in der „Villa Teresa“ gern gesehene Gäste. ⇒ Ära Ernst von Schuch
Die guten Verbindungen des Ehepaares zur Dresdner Opernszene einerseits und zu Arthur Nikisch, dem Gewandhauscellisten Julius Klengel sowie zu Richard Strauss andererseits könnten wiederum die zunehmenden Gastauftritte der namhaften Dresdner Opernsänger im Gewandhaus erklären, die auffällig nah im zeitlichen Umfeld zu d’Alberts Konzerten liegen. Erika Wedekind (sie war die Gretel in der Uraufführung von „Hänsel und Gretel“ in Weimar), Minnie Nast, Eva von der Osten und Carl Scheidemantel (die Sophie, der Octavian und der Herr von Fanial in der Dresdner „Rosenkavalier“-Uraufführung) seien stellvertretend hierfür genannt.
Waren die südländisch-temperamentvolle Carreño und d’Albert noch im Januar 1894 im Gewandhaus als umjubeltes Künstlerpaar aufgetreten (er sein E-Dur-Klavierkonzert op. 12 dirigierend, sie als Solistin des Klavierparts am Flügel), jagt schon bald danach eine Ehekrise die nächste.
Die Ehe scheitert wohl an den impulsiven Charakteren der beiden, an beruflicher Rivalität und wegen einer Affäre d’Alberts mit der Opernsängerin der Weimarer Hofoper, Hermine Finck.
Kennen gelernt hatte d’Albert die junge Sängerin durch seine Künstlerfreundschaft zu dem gleichaltrigen Richard Strauss, der damals in der Klassikerstadt Humperdincks „Hänsel und Gretel“ uraufführte. Die Partie der Hexe sang die – damit schlagartig berühmt gewordene und gefeierte – Hermine Finck.
Um seiner neuen großen Liebe nahe zu sein, nimmt d’Albert nun die Position des Hofkapellmeisters in Weimar an und geht mit der Sängerin seine dritte Ehe ein, der danach noch drei weitere Trauungen sowie eine feste Beziehung folgen werden.
Seine Coswiger „Villa Teresa“ aber erinnert bis heute an eine musikalische Aufbruchstimmung, die rasch auch Leipzig mit seinem Gewandhaus erreichen und begeistern sollte.
Dr. Steffen Lieberwirth
© Text aus dem Booklet