Sprecher-Geschichten
„Mit dem Wunsche des Ansagers, das Erden Ihrer Antenne nicht zu vergessen, auf Wiederhören …“

Die Stimmen der Leipziger Ansager und Sprecher vor 1930:
Martha Elisabeth Teetzmann, Kurt Baumgarten, Josef Krahé [Hauptsprecher und Regisseur], Heinz von Plato und Hans Freyberg (v.l.n.r.).
Foto: Aus der Rundfunkzeitschrift „Die MIRAG“
„Die Stimme aus dem Äther“
Der Rundfunk ist in die Jahre gekommen und mit ihm seine einstigen Protagonisten: die Ansager und Sprecher. Der „Ansager“ ist leider schon „gestorben“, der „Sprecher“ wird das 20. Jahrhundert wohl ebenfalls nicht überdauern; in der Hoffnung formuliert: Totgesagte leben länger!
Dabei hatte alles so verheißungsvoll angefangen, mit der Ansage im Berliner Voxhaus am 29. Oktober 1923:
„.. .wir machen Ihnen davon Mitteilung, daß am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telephonischem Wege beginnt…“
„Unterhaltungsrundfunk“ nannte man es – der Begriff verbarg die übrigen Wirkungsmöglichkeiten, vor allem die politischen -, das in den USA und anderen europäischen Staaten längst erfolgreiche Medium. Aber auch in Deutschland erkannte man schnell, dass die Schaffung des Rundfunks ähnlich bedeutend wie die Erfindung der Buchdruckerkunst war, und schon 1925 wird man in der Programmzeitschrift „Der Deutsche Rundfunk“ lesen:
„Man muß den Rundfunk zu einer Unentbehrlichkeit in jedem Heime, in jeder Familie, für jeden Menschen machen, … muß die Hörer zu einer engen Anteilnahme am Leben führen, am wirtschaftlichen, künstlerischen, gesellschaftlichen, sportlichen und auch politischen Leben.“
Stars einer technisierten Zeit
So räumlich getrennt die in rascher Folge entstandenen Sendegesellschaften auch waren – alle diskutierten sie darüber, ob die anspruchsvolle Unterhaltung und Bildung im neuen Medium Hörfunk wichtiger sei oder die Belehrung und die Information über das Zeitgeschehen. So entschied sich gut die Hälfte dieser Sendegesellschaften für den Aufbau eigener musikalischer und sprechkünstlerischer Ensembles, d. h. für die feste Anstellung von Sängerinnen und Sängern, Sprecherinnen und Sprechern von Hörspielen, Ansagerinnen und Ansagern der Programme.
Die Sendeanstalten wollten jederzeit in der Lage sein, die aus dem Studio live gesendeten Opern, Werke der Bühnenliteratur, Hörspiele oder auch Schnurren und Schwanke mit hauseigenen „Kräften“ zu bestreiten. Damit wurden diese Künstler sehr schnell zu Stars des neuen Mediums.

Die Ansager der MIRAG in Leipzig um 1927: Hans Bocken. Hans Vogel, Hedda Wardegg und H. J. Klengel [v.l.n.r.]
So schreibt Hans Bocken – Sprecher der MIRAG – im Funk-Almanach von 1927:
„Ist mir da folgendes passiert: Ferien! Ich sitze abgeschieden von jedem Zeitungsblatt und freue mich meines ,rundfunklosen‘ Lebens. Bei Zwiebelrostbraten, Tiroler Rotem und schönen Frauen erholte ich mich nach Herzenslust. Doch ganz ,rundfunklos‘ sollte mein Ferienidyll nicht bleiben. Ich war vertieft, an einem gamszähen Fleisch meine ,stadtkostgewöhnten‘ Zähne zu erproben,… wird da doch am Nebentisch einer der heute üblichen Gesprächsstoffe angeschnitten: Radio! Was habe ich da hören müssen! Schätzungsweise sei ich 50 Jahre, ein Vollbart ziere mein Gesicht,… so müßte ich aussehen, wäre sonst meine Stimme so angenehm!?… NB. Die Dame war aus Leipzig. Ich, das hat sie gesagt, sei ihr Freund! Das ist fein!“
Die Darsteller der städtischen Theaterensembles waren ein wesentliches Mitarbeiterreservoir für die Sende- und Hörspiele im Radio. Nicht alle von ihnen wurden festangestellt, doch als freie Mitarbeiter spielten sie von den Kindertagen des Rundfunks an bis heute eine tragende Rolle; ohne sie wäre eine unstlerische Programmgestaltung nicht denkbar gewesen. Der „Rivalitäts- und Kompetenzenkrach“ allerdings zwischen den traditionellen künstlerischen mrichtungen wie Oper und Theater und dem schnell an Einfluss gewinnenden Radio ließ nicht .nige auf sich warten.
Bereits ein Jahr nach Entstehen der MIRAG schloss sich das Städtische Alte Theater Leipzig der „feindlichen“ Haltung des Opernhauses an und verbot seinen Angestellten die l lnwirkung im Rundfunk. Dieser Konflikt mit den örtlichen (Musik)-Theatern und Konzerthäusern nispannte sich nur langsam. Ausgesprochen turbulent muss man sich den damaligen Sendealltag vorstellen. Den Prgrammverantwortlichen blieben in der Regel nur wenige Wochen, manchmal Tage, um das Radioprogramm auf die Beine zu stellen. Geld war knapp, Räumlichkeiten mussten gefunden werden, rd die Technik funktionierte oft erst kurz vor Sendebeginn.
Viel Phantasie war vonnöten, Improvisationstalent, eine möglichst unerschöpfliche Arbeitskraft und das Geschick, die Geldgeber wenigstens zu den dringendsten Investitionen zu veranlassen. Zur personellen Mindestausstattung des Programmbetriebes gehörten damals in der Regel ein Kapellmeister, eine kleine „Funkkapelle“ mit 3-4 Mitgliedern, ein Hauspianist, eine Ansagerin oder ein Ansager.
Allein vor einem Mikrofon
Prof. Adolf Winds, Schauspieler am Leipziger Städtischen Theater, „Berater“ der MIRAG und einer ihrer ersten Sprecher seit 1924, beschrieb 1927 die Sprechsituation im Radio folgendermaßen:
„Wenn ich etwas lese und ich habe den Sinn nicht augenblicklich erfaßt, kann ich innehalten und das Gelesene überdenken. Ich kann auch, wenn es not tut, den Satz noch einmal lesen. All das ist bei der vorüberrauschenden gesprochenen Rede nicht möglich. Sie muß so gefaßt und wiedergegeben sein, daß ein Nichtverstehen ausgeschlossen ist. In dem durch den sichtbaren Redner an uns gelangenden Wort ergänzt dessen Miene, Haltung und Gebärde den Ausdruck; das alles entfällt im Rundfunk. Hier ist eine besonders tiefgehende Eindringlichkeit vonnöten, ein Versenken in den Gegenstand, der vermittelt werden soll, vom Sprecher.“
Es gab Darsteller, die das nicht konnten. Ihnen fehlten die von der Bühne her gewohnten Dinge: Kostüme, Kulissen, vor allem das sichtbare Publikum, die unmittelbare Resonanz. Nicht jeder begnadete Schauspieler war auch ein guter Ansager im Radio. Das Sprechen (übrigens auch das Singen und Musizieren) vor dem Mikrofon verlangte schon eine gewisse Übung, ein Sich-Einstellen auf das Spezifische der „toten“ Studioatmosphäre. Natürlich hatten die festen Kräfte durch das häufige Üben schnell einen Vorteil gegenüber den noch so prominenten Gaststars.

Der Chefsprecher der MIRAG, Josef Krahé
So klingt Leipzig
Das Entstehen des Rundfunks zwang seine Repräsentanten zu einer bis dahin nicht gekannten „Ansprechhaltung“ gegenüber dem unsichtbaren Hörer und brachte selbständige „künstlerische“ Berufe hervor, wie den des Rundfunksprechers und -ansagers. Sie haben viele Jahrzehnte die Hörer am Radio begleitet, in guten und natürlich auch in schlechten Zeiten. So prägten die ersten Sprecherinnen und Sprecher, wie z. B. Max Heye in Berlin [später Stuttgart] oder Josef Krahé in Leipzig, auf Jahre hinaus das akustische Image „ihres“ Senders. Ähnliches gilt für die Pianisten, die Hauskapellen und die Kapellmeister. Übrigens: Frauen am Mikrofon waren von Anfang an keine Seltenheit. Gleichberechtigt durften sie neben ihren männlichen Kollegen fungieren, wiewohl sie in den Chefetagen bis heute eine Rarität darstellen.
Wie schauen sie aus?
Nicht selten schlossen die Hörer von dem tadellosen Klang der Stimmen jener Ansagerinnen und Ansager auch auf solche Äußerlichkeiten wie Schönheit und Makellosigkeit, ebenso aber auch auf innere Werte wie geistigen Reichtum und menschliche Wärme.
Besonders gern gehört wurden resonanzreiche, warme und tiefere Stimmtimbres, was bei Frauen auch schon mal zu Spekulationen führen konnte, wie bei Hedda Wardegg, Sprecherin und Vortragskünstlerin der MIRAG.
Sie verewigte sich im Funk-Almanach 1927 bildlich und schrieb dazu:
„Der mir persönlich Gegenüberstehende, d. h. der Kenner, findet mich eigentlich stets unterhaltend, liebenswürdig und weiblich. Dagegen hat mein Stimmklang in seiner Wirkung durch das Mikrophon wiederholt Anlaß gegeben, über die Feststellung meiner Geschlechtszugehörigkeit Wetten abzuschließen. So war denn meine stets hilfsbereite Direktion wiederholt genötigt, mich als weibliches Wesen auszuweisen… betrachte ich es als Gunst des Schicksals, mich nun einmal durch …bildliche Wiedergabe der gesamten Hörerschaftals wirkliche weibliche Dame vorstellen zu können.“
Die Stimme ist Persönlichkeit

Sprecherraum im MIRAG-Funkhaus Leipzig, Markt 8 um 1930
Links über der Uhr befindet sich eine Leuchttafel, die mittels der Aufschrift „EINGESCHALTET“ dem Sprecher signalisierte, dass sein Mikrofon „offen“ war.
So schnell, wie die neuen Sender entstanden, wuchs auch die Zahl der Rundfunkteilnehmer; das Tagesprogramm dauerte 1926 schon über 9 Stunden. Doch kaum waren die ersten Schritte auf dem Weg zu einem erfolgreich funktionierenden Radio getan, traten neue Probleme auf. Feste Künstler-Ensembles im Radio hatten nämlich auch Kehrseiten; eine von ihnen war, dass den Hörern immer dieselben Stimmen angeboten werden mussten – oft in ganz verschiedenen künstlerischen Rollen und Funktionen. So ist überliefert, dass die erste Ansagerin der NORAG., in zweiter Funktion Sprecherin der Funkwerbung, einmal in einer „Faust ll“-lnszenierung als sagenhafte Tochter des Äskulap zu hören war. Schon meldeten sich die ersten Kritiker zu Wort und mahnten die „Allround“-Sprechkünstler: „Nicht vergessen, daß auch Stimme Persönlichkeit ist! – Wer heute Boxkämpfe beschreibt, darf morgen keine Psalmen lesen!“
Schon Ende der zwanziger Jahre änderten sich – wie wir heute sagen würden – die Tätigkeitsmerkmale der Rundfunkansager und der inzwischen zu Rundfunksprechern mutierten Darsteller. Einerseits erweiterte sich deren Aufgabenspektrum mit steigender Zahl der Sendestunden und der Verschiedenartigkeit der Programminhalte – je nach persönlicher Neigung und Fähigkeit – beträchtlich. Einige von ihnen waren durchaus in der Lage als Regisseur, Conferencier, Leiter von Schallplattensendungen und zunehmend auch als Reporter zu arbeiteten, ohne allerdings ihre Ansagetätigkeit oder ihre Mitwirkung bei Hörspielen völlig aufzugeben. Andererseits musste sichergestellt werden, dass für die laufenden Ansagen und Nachrichten jederzeit geschulte Kräfte bereitstanden. Bei der MIRAG richtete man deshalb „Sprecherdienste“ ein, die einen Pool von Sprechern für unterschiedliche Aufgaben disponierten. In Leipzig leitete der Schauspieler und Regisseur Josef Krahé die „Gesamtansage“. Ihm oblag auch die Ansage der Spitzenleistungen des Mitteldeutschen Rundfunks; außerdem war er Hörspielleiter und Reporter. In anderen Sendeanstalten ging man nicht ganz so einheitlich vor. Da wurden die Sprechkräfte mal den Nachrichten-, mal den Literatur- oder Hörspielabteilungen zugeordnet. Allein ihre vielseitigen Einsatzmöglichkeiten belegen, dass zumindest ein Teil der damals ins Originalmikrofon sprechenden Zunft mehr als „nur Stimme“ im Kopf hatte. Stimme allein genügt(e) nicht – zu keiner Zeit.

Sendestudio nach 1932:
Für die Aufnahmen wurde bereits die moderne „NEUMANN-Flasche“ verwendet. Daneben steht ein elektromechanischer Gong, der von der Sprecherin zu bedienen war. Der Techniker im Hintergrund wechselte im Drei-Minuten-Takt die Schallplatten auf einem Vierfachplattenspieler. Sichtkontakt hatten Techniker und Sprecherin mittels eines Spiegels.
Foto: Sammlung Karl Matthes und Ruth Merkel, Leipzig
Leiser Abschied
Und? Was hat es genützt?
Heute ist sie nicht mehr zu überhören: die langsame, aber stetige Entprofessionalisierung der Radiostimmen, der um sich greifende Dilettantismus am Mikrofon – scheinbar unbemerkt von Profisprechern und Hörern?
Dazu beigetragen hat entscheidend die Entwicklung des Radios selbst, die zunehmende Spezialisierung zu reinen Wort- und Informationskanälen, zu mehr englisch denn deutsch klingenden Jugendsendern oder zu Klassikprogrammen mit Fachredakteuren, die selber ans Mikrofon drängten.
Fanden während dieses Prozesses noch einige Sprecher aufgrund ihrer Fähigkeiten ein neues Betätigungsfeld, so kostete die Formatierung der Radiowellen mit dem sogenannten „Anchorman“ oder der „Anchorwoman“ an der Spitze, die über weite Strecken der hörgünstigsten Zeiten agieren, die nächsten Sprecherarbeitsplätze. Und heute leben wir im Zeitalter der Digitalisierung, die den moderierenden und gleichzeitig technisch begabten Fachredakteur im Selbstfahrerstudio bevorzugt.
Trauern jetzt nur die in ihrer Berufsehre, ja in ihrer Existenz getroffenen wenigen Berufssprecher ihrem Untergang nach? Oder wird es auch den einen oder anderen Hörer geben, der ihnen eine Träne nachweint, wenn es denn zum letzten Male heißt:
„Es ist fünf vor zwölf.. .es verabschiedet sich nun von Ihnen …“?!
Barbara Friederici
verfasst für TRIANGEL Jhrg. 1999
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