Szendrei Was wir wollen
Szendrei: Was wir wollen
Kurz vor dem Sendestart der MIRAG publizierte Alfred Szendrei unter dem Titel „Was wir wollen“ auch in musikalischer Hinsicht eine Absichtserklärung des Senders.
Darin heißt es: „Wenn der Laie vom Radiokonzert hört oder liest, denkt er im allgemeinen, jedes gewöhnliche Konzertprogramm wäre durch Rundfunk ohne weiteres übertragbar. Ein gewaltiger Irrtum! Die heutige technische Beschaffenheit der Mikrophone, Verstärker usw. eignet sich nur für gewisse Arten von Vorträgen und gibt manches in besserer, vieles aber in noch unvollkommmener Weise wieder. Im allgemeinen sind große Klangmassen, Orchester, Chöre nach dem heutigen Stand der Technik sehr wenig oder gar nicht zur Wiedergabe geeignet, das Klangergebnis solch großer Massen ist heute noch ziemlich unausgeglichen, daher nicht nur für musikalische, sondern auch für Laienohren nicht sonderlich genußreich.“ Diese Einschätzung überrascht angesichts der Tatsache, dass sie bereits vor dem Sendestart der MIRAG gedruckt wurde. Woher wusste Szendrei beispielsweise, dass Kammerorchester, Streichquartette und Gesangsquartette ebenso wie Holzbläser im Allgemeinen gut klingen, Blechbläser dagegen mit größter Vorsicht zu behandeln sind? Die Antwort gibt er selbst. Im Auftrag der MIRAG hospitierte Szendrei Ende 1923/Anfang 1924 mehrere Wochen beim Berliner Sender. Die dortigen positiven wie negativen Erfahrungen machte er sich zunutze für den musikalischen Sendestart in Leipzig.
Was die Programmgestaltung betrifft, gibt Szendrei ein hehres Postulat: „Unser Leitgedanke sei, unseren Zuhörern aus jeder Kunstgattung, ob ernsten, ob heiteren Genres, stets nur das Beste, das Wertvollste und dazu in möglichst guter Wiedergabe zu bringen. Selbstverständlich ist es bei der Vielgestalt des Publikums, zu welchem der Rundfunk spricht, unmöglich und undenkbar, sich bei der Gestaltung der Programme zu sehr nach der ernsten oder nach der heiteren Seite hin festzulegen. Die Programme der Konzertdarbietungen sollen ein durchaus künstlerisches Gepräge haben, wertloser Schund, seichte Ware sollen durchweg vermieden werden.“
Was nun – wenn auch im Nebensatz – folgt, ist ein Beispiel dafür, dass radikale ästhetische Werturteile opportun waren, lange bevor sie durch die Nationalsozialisten missbraucht wurden und es mutet paradox an, dass sie ausgerechnet aus der Feder eines später emigrierten, nichtdeutschen Juden stammen: „Wir betrachten den Rundfunk als Kulturpionier, durch ihn soll die gute deutsche Hausmusik, die in der letzten Zeit durch die seichtesten Gassenhauer und Niggertänze leider von ihrem alten Ehrenplatze verdrängt worden ist, wiederum siegreich in das deutsche Heim einziehen.“
Interessant ist auch, dass der erzieherische Aspekt von Anfang an in den Äußerungen Szendreis auftaucht. In seinen Augen wurde der Rundfunk eben nicht als ausschließlich unterhaltendes Medium gegründet, wie zum Beispiel der Musikkritiker der „Leipziger Neuesten Nachrichten“, Dr. Adolf Aber, mehrfach prononciert behauptete. Szendrei: „Wir wollen erzieherisch, geschmackbildend wirken und bekennen uns freudig und hoffnungsvoll dazu. Dies ist unser Ziel, dies unser vornehmstes Bestreben.“
ALFRED SZENDREI als „erster musikalischer Erzieher“ des Leipziger Sinfonie-Orchesters Zeichnung von Lothar Schneider (MIRAG) Dokument: MDR Orchesterarchiv
Ausschnitt aus dem Artikel „Weihe des Leipziger Senders“ aus den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ vom 2. März. 1924
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