02 MIRAG Rundfunk fuer Mitteldeutschland 1924
DAS NEUE MEDIUM
Rundfunk für Mitteldeutschland
Während sich die Zitterpartie um die Existenz des ISO im Herbst 1924 fortsetzte, war die Messemetropole, ja ganz Mitteldeutschland von einem virulenten Fieber erfasst worden: Rundfunk! Nie zuvor konnten soviele Menschen gleichzeitig einen Bericht verfolgen, einem Musikvortrag zuhören oder einen Schlager mitträllern. Nie zuvor war es möglich gewesen, bis in den kleinsten Winkel des Landes Aktuelles und Kulturelles aus aller Welt ohne zeitliche Versetzung zu präsentieren.
Kein Zweifel, mit der globalen Verbreitung des Rundfunks in den zwanziger Jahren rückte die Welt ein beträchtliches Stück zusammen. Damals wurden auch die Grundlagen für die Informationsgesellschaft von heute gelegt. Und es ist sicherlich nicht übertrieben, wenn man die Erfindung des Radios mit der des Buchdrucks vergleicht.
Enthusiasten des Äthers gab es freilich schon etliche Jahre vor Einführung des Rundfunks als unterhaltendes Medium. Organisiert in Vereinen mit oft mehreren hundert Mitgliedern, verfolgten sie an selbstgebastelten oder käuflich erworbenen Empfangsgeräten das radiophone Geschehen, so beispielsweise in London (die BBC wurde bereits 1922 gegründet), Paris (der Sender war im Eiffelturm untergebracht) und Berlin bzw. Königswusterhausen.
Im Berliner Voxhaus hatte schließlich am 29. Oktober 1923 die Geburtsstunde des Unterhaltungsrundfunks in Deutschland geschlagen. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit bis zur Gründung weiterer regionaler Sendegesellschaften, denn aufgrund der begrenzten Reichweiten schien dies der geeignetste Weg zur flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk zu sein.
Das hatte auch Dr. Erwin Jaeger, Gründungsmitglied eines großen mitteldeutschen Rundfunkvereines, klar erkannt. Die immer größer werdende Lobby der „Funkamateure“ im Rücken gelang es Jaeger, einen befreundeten Bankier zur Finanzierung eines Senders in Mitteldeutschland zu bewegen. Alles weitere vollzog sich in atemberaubender Geschwindigkeit: Rücksprache mit der Reichspost (Hans von Bredow) über den geplanten Sender – der Rundfunk in Deutschland entstand wie in den meisten europäischen Ländern auf halbstaatlicher Basis, sämtliche Sende- und Übertragungsanlagen gehörten der Reichspost, der eigentliche Sendebetrieb lag in den Händen der Sendegesellschaften Wahl des geeigneten Ortes, räumliche Unterbringung, technische Installationen, Einstellung geeigneten Personals usw.
Die Wahl fiel seiner zentralen Lage in Mitteldeutschland wegen auf Leipzig. Auch sollte sich das prosperierende Geschäftsleben rund um die Leipziger Messe als wichtiger Standtortfaktor erweisen. Dr. Jaeger ging mit Feuereifer ans Werk. Erstes Domizil der „Mitteldeutschen Rundfunk AG“ (MIRAG) wurde das Messeamt in der Alten Waage (Markt 4) mit mehreren Verwaltungs- und Besprechungsräumen. Von dort aus war man mit den eigentlichen Sendeanlagen im Städtischen Johannishospital verkabelt. Weiterhin stellte Leipzigs Stadtverwaltung die Alte Handelsbörse am Naschmarkt für Proben und musikalische Sendungen größeren Formats dauerhaft zur Verfügung. Sie wurde dadurch für mehrere Jahre quasi zur Heimstatt des LSO.
Als erste leitende Mitarbeiter der MIRAG engagierte Jaeger den Journalisten Julius Witte und den Kapellmeister Alfred Szendrei. Witte war zuvor beim Feuilleton der „Leipziger Neuesten Nachrichten“ (LNN) beschäftigt gewesen. Die auflagenstarke bürgerliche Tageszeitung war übrigens einer der Hauptaktionäre der MIRAG. Julius Witte wurde Chef der literarischen Abteilung des neuen Senders. Szendrei dagegen war zwar nominell Erster Kapellmeister der Leipziger Oper, erhielt aber offensichtlich lediglich „Spielhonorare“, also kein regelmäßiges Gehalt. In seinen Memoiren berichtet Szendrei, dass er während dieser Zeit immer nach Engagements Ausschau hielt und so dürfte ihm das Angebot Jaegers, die musikalischen Geschicke des Senders in die Hand zu nehmen, willkommen gewesen sein.
Der Leipziger Markt mit dem Alten Rathaus zur Frühjahrsmesse. In der Bildmitte ist die fahnengeschmückte Alte Waage, Sitz des Mitteldeutschen Rundfunks, zu erkennen. Foto: Stadtgeschichtliches Museum
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