Mai 222021
 

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Komfortzone Ade ?

 

Damen und Herren des MDR-Rundfunkchores zu einer Rundfunkproduktion in der Leipziger Peterskirche unter Corona-Hygieneverordnungen
© Foto: René Dobberkau

 

Singen unter Corona-Schutzauflagen?

Eine Frage, die den Förderverein des MDR-Rundfunkchores nun schon über ein Jahr lang bewegt:
Müssen wir uns Sorgen um den MDR-Rundfunkchor machen?
Wir fragten nach bei der Choraltistin Katharina Thimm und erielten eine uns sehr bewegende und ebenso persönliche wie hochemotionale Antwort von ihr:

 

Auf dem Weg zu einem neuen Chorgefühl

Am 10.März 2020 saßen wir zusammen mit dem Staatsopernchor Dresden Schulter an Schulter auf der Bühne der Semperoper und haben mit den Gurreliedern von Arnold Schönberg das wahrscheinlich größtmöglich besetzte Werk überhaupt gesungen … vor 2000 Zuhörern!

Katharina Thimm
© Foto: Andreas Lander

So könnte aus heutiger Sicht ein Konzertbericht aus fernen Zeiten beginnen.
Es kommt mir extrem weit weg vor. Das Gespür für den Gesamtklang des Chores ist gefühlte Lichtjahre entfernt.

Ich vermeide es, mir Aufnahmen anzuhören, auf denen alle 73 Sängerinnen und Sänger des MDR Rundfunkchores zusammen singen. Nicht einmal unsere Weihnachts-CD konnte ich richtig genießen, da mir klar wurde, dass es lange keine Perspektive geben würde, dieses Gefühl wieder erleben zu dürfen. Es war also schon weit weg und würde noch auf unbestimmte Zeit weg bleiben.
Die kollektive Konzentration vor einem Konzert, das gemeinsame Atmen, das einander Zuhören, das aufeinander Achten, das punktgenaue Einsetzen, das Durchfließen des Klanges durch den Körper, das „Draufsetzen“ der eigenen Stimme auf diesen Klang, das Wissen um dieselbe Intention und die Korrespondenz mit unserem Publikum … alle das fehlt! Und dieses Fehlen wird mir immer bewußter.

Andererseits sind wir alle unendlich dankbar darüber, dass wir uns keine existenziellen Sorgen machen müssen, und lernen, die Gesundheit noch mehr zu schätzen.
Die Energie, die von unserem Chor und der Musik ausgeht, jedoch hält mich seelisch gesund.
Und nicht nur nebenbei gesagt bin ich mir sicher, dass diese Kraft auch die Gesellschaft gesund halten würde.

Eine Mischung aus großer Freude und Anspannung konnte ich wahrnehmen, als die ersten Projekte in kleiner Besetzung wieder begannen. Wie würde es sein, in 3 Meter Abstand zu den KollegInnen zu singen?
Wie würde ich den eigenen Klang und den Gesamtklang wahrnehmen?
Wie würde meine Stimme nach so langer Zeit im „stillen Kämmerlein“ und ohne Proben chorisch „anspringen“?
Wie kann man auf die Entfernung überhaupt zusammen einsetzen?
Muss ich solistischer singen als in der großen Gruppe?
Mischen sich die Stimmen überhaupt dann noch?
Tut es mir vielleicht gut, mehr Verantwortung übernehmen zu müssen?

Ganz ehrlich war das erste Projekt für mich eine Katastrophe. Mit „Vorsicht, Verkrampfung, Vertrauensverlust“ könnte ich es überschreiben.
Erst im Laufe der nächsten Projekte fand ich zu dem Maß zwischen chorischem und solistischem Singen, welches für diese Bedingungen gebraucht wird.
Die Zeiten zwischen den Proben und Aufnahmen habe ich dazu genutzt, mir die Stücke anders als gewohnt in die „Stimme zu singen“ und mental offensiver in die Proben zu gehen auf die Gefahr hin, dass mir gesagt werden würde, ich solle weniger geben. Das war mein
ganz eigener Weg, mich der Situation zu stellen und sie anzunehmen.
Inzwischen bin ich sehr gespannt, wie sich die Projekte in kleinen Besetzungen auf den Gesamtklang des Chores auswirken werden.

Wird man die größere Eigenverantwortung, die sich in dieser Zeit möglicherweise bildet, bemerken, wenn wir wieder alle zusammen singen?
Wird man ein neues Selbstbewusstsein hören können?
Ich hoffe sehr, dass wir diese Fragen ganz bald beantworten können, indem wir alle miteinander für Sie musizieren dürfen!

Katharina Thimm
Pfingsten 2021

 

Peter Dijkstra: Wie proben unter Schutzauflagen?

„Auch wenn die Sängerinnen und Sänger sich Monate nicht gesehen haben,
das hört ja nicht auf, das brennt ja innen!“

                                                   Peter Dijkstra im MDR-KLASSIK-Gespräch am 4. April 2021

Peter Dijkstra
© Foto: Astrid Ackermann

Peter Dijkstra ist einer der international gefragtesten Chordirigenten. Der Niederländer, geboren 1978, studierte Chorleitung, Orchesterleitung und Gesang in Den Haag, Köln und Stockholm, und schloss die Ausbildung mit Auszeichnung ab. Daneben besuchte er Meisterkurse mit renommierten Chordirigenten wie Tonu Kaljuste und Eric Ericson. In 2003 wurde er mit dem Eric Ericson Award geehrt, was auch den Beginn einer internationale Karriere markierte.
Künstlerischer Leiter des Chors des Bayerischen Rundfunks von 2005 bis 2016, verhalf er dem Ensemble zu einem herausragenden internationalen Profil und einem ungewöhnlich breitgefächerten Repertoire.
Von 2007 bis 2018 war Dijkstra Chefdirigenten des Schwedischen Rundfunkchores, und wurde in 2019 geehrt als Ehrendirigent dieses renommierten Ensembles. 2015 übernahm er, nach langjähriger Zusammenarbeit als Erster Gastdirigent, die Position des Chefdirigenten beim Nederlands Kamerkoor. Ab 2018 ist er ausserdem erster Gastdirigent beim niederländischen Rundfunkchor.
Peter Dijkstra arbeitet regelmäßig mit anderen hochrangigen Vokalensembles zusammen, so etwa mit den BBC Singers, dem RIAS Kammerchor Berlin, dem Collegium Vocale Gent, dem Dänischen Nationalchor, dem Berliner Rundfunkchor und Estonischen Philharmonischen Kammerchor. Sein Repertoire reicht von der Alten Musik bis zur Moderne, von A-cappella-Werken bis hin zur Oper.
Als Orchesterdirigent hat er mit erstrangigen Klangkörpern wie dem Philharmonischen Orchester des Niederländischen Rundfunks, dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin, dem Scottish Chamber Orchestra, dem Schwedischen Rundfunkorchester, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Rotterdam Philharmonisches Orchester, dem Tokyo Metropolitan Symphonie Orchestra und dem Stavanger Symphonieorchester, sowie den beiden Orchestern des Bayerischen Rundfunks, dem Münchener Kammerorchester sowie Spezialensembles wie Concerto Köln, B’Rock und die Akademie für Alte Musik Berlin zusammengearbeitet. Peter Dijkstra ist ein gefragter Dozent bei Meisterkursen und anderen Intiativen, die Chorgesang und -Dirigat auf höchstem künstlerischen Niveau vermitteln wollen. 2007 ging er mit dem Weltjugendchor auf Afrika-Tournee. Er ist Ehrenmitglied der Königlichen Schwedischen Musikakademie. In den Niederlanden erhielt er 2013 die Goldene Geige, eine Auszeichnung für international herausragende niederländische Musiker, und 2014 wurde ihm der Eugen-Jochum-Preis zuerkannt. 2016 wurde er zum Professor für Chorleitung an die Hochschule für Musik in Köln berufen.

Jetzt kam es zu Aufnahmen von meditativen Werken mit dem MDR-Rundfunkchor – für beide Seiten ein großes Erlebnis, wenn auch nach wie vor ohne Publikum.
Chor-Redakteurin Grit Schulze war im Gespräch mit Peter Dijkstra im MDR-KLASSIK-Gespräch zu den Besonderheiten der Probenarbeit mit dem MDR-Rundfunkchor unter Corona-Schutzauflagen:

 

 

Gloria aus „Mass for four voices“ von William Byrd
MDR-Rundfunkchor
Solisten: Ulrike Fulde, Klaudia Zeiner, Hwan-Cheol Ahn und Alexander Knight
Leitung: Peter Dijkstra
Aufnahme vom 25./26.02.2021 – Leipzig, Peterskirche
© MDR KLASSIK – Mit Dank für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf dieser Webseite.

 

 

Damen und Herren des MDR Rundfunkchores zu einer Rundfunkproduktion unter Corona-Hygieneverordnungen
© Foto: René Dobberkau

 

 

CD-TIPP:

Das Konzert mit Arnold Schönbergs „Gurre-Liedern“ vom 10. März 2020 mit dem MDR-Rundfunkchor, von dem Katharina Thimm in ihrem Artikel schreibt, ist auch auf CD erschienen:

Arnold Schönberg (1874-1951)
Gurre-Lieder für Soli, Chor & Orchester
Künstler: Stephen Gould, Camilla Nylund, Christa Mayer, Markus Marquardt, Franz Grundheber, MDR Rundfunkchor Leipzig, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Gustav Mahler Jugendorchester, Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann
Label: Profil, DDD, 2020
Bestellnummer: 10317234
Edition Staatskapelle Dresden (Profil)

 

 


 

Eine Präsentation der FREUNDE UND FÖRDERER DES MDR-RUNDFUNKCHORES Leipzig e.V.